Urteil des ArbG Wesel vom 29.08.2007

ArbG Wesel: unterrichtung, treu und glauben, betriebsübergang, verwirkung, arglistige täuschung, juristische person, insolvenz, kaufpreis, einlage, arbeitsrecht

Arbeitsgericht Wesel, 3 Ca 213/07
Datum:
29.08.2007
Gericht:
Arbeitsgericht Wesel
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 213/07
Schlagworte:
Betriebsübergang
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten zu
1. auf der Grundlage des Altersteilzeitvertrages vom 18.12.2003 ein
Arbeitsverhältnis besteht.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.
3. Streitwert für das Teil-Urteil: 9.000,00 €
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger war seit dem 11.01.1993 bei der 0, der Beklagten zu 1. beschäftigt. Der
Kläger ist Wartungselektroniker, seine monatliche Bruttovergütung beträgt ca. 3.000,00
€.
2
Grundlage des Arbeitsverhältnisses war ein Arbeitsvertrag vom 11.01.1993, der als
befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen worden war, später jedoch weitergeführt
worden ist. Dieser Arbeitsvertrag wurde abgelöst als Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit
Vertrag vom 18.12.2003 (vgl. Bl. 11 - 18 d.A.).
3
Mit Schreiben vom 29.08.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis
auf die Firma 0 übergehe (vgl. Bl. 27 ff. d. A.).:
4
Sehr geehrter Herr 0,
5
wie Ihnen bereits durch verschiedene Mitarbeiterinformationen bekannt ist, werden
unsere Aktivitäten des Geschäftsgebietes 0 (0) zum 01.10.2005 in die 0 (im Folgenden:
0) übertragen.
6
0 ist ein weltweit führender Anbieter von Consumer-Electronic-Produkten, wie
beispielsweise LCD-Bildschirmen, Notebook-Computern, Kameras und Scannern. Und
im Handygeschäft wird 0 in den nächsten Jahren zu einem führenden globalen Anbieter.
7
In seinem asiatischen Heimatmarkt zählt 0 schon heute zu den am schnellsten
8
wachsenden Anbietern in Handysegment. Durch den Zusammenschluss mit 0 kann 0
seine ehrgeizigen internationalen Expansionspläne umsetzen. 0 bietet 0 eine globale
Organisation mit führenden Marktpositionen in West- und Osteuropa sowie im
Wachstumsmarkt Lateinamerika. Zudem erhält 0 durch den Kauf einen starken, weltweit
bekannten Markennamen, Mobiltelefontechnologie und Softwarekompetenz sowie
globalen Zugang zu der breiten Kundenbasis von 0. Daneben bekommt 0 einen auf drei
Kontinenten hervorragend etablierten Fertigungsverbund von 0.
Die Übertragung des Geschäftsgebietes erfolgt auf Grund eines Kaufvertrags im Wege
der Einzelrechtsnachfolge auf 0. Mit diesem Betriebsübergang wird gem. § 613 A BGB 0
Ihr neuer Arbeitgeber, der in alle Rechte und Pflichten Ihres Arbeitsverhältnisses mit der
0 eintritt. Es wird also anlässlich des Betriebsübergangs - sofern nicht in der
Überleitungsvereinbarung andere Regelungen getroffen sind - unverändert mit 0
fortgeführt (insbesondere keine Veränderungen bei dem jeweiligen Einkommenssystem,
Altersversorgung, Jubiläumsregelung, Dienstzeitregelung). Ebenso gelten die
jeweiligen Tarifverträge (einschließlich des Ergänzungstarifvertrags 0) gem. § 613 a
BGB weiter.
9
Die Höhe und Zusammensetzung des bisherigen Einkommens bleibt ebenso wie eine
bestehende freiwillige, widerrufliche Sonderzulage anlässlich des Betriebsübergangs
unverändert.
10
Im Einzelnen gilt für Sie die beiliegende, mit dem Gesamtbetriebsrat der 0 vereinbarte
Regelung zur Überleitung der Beschäftigungsbedingungen (Überleitungsvereinbarung),
die Bestandteil dieses Schreibens ist.
11
Die bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen und örtlichen Betriebsvereinbarungen
gelten bis zu einer eventuellen Neuregelung weiter, sofern in der
Überleitungsvereinbarung nichts Abweichendes geregelt ist.
12
0 haftet ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs unbeschränkt für alle, auch die
rückständigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.
13
Zusätzlich haftet die 0 für solche Verpflichtungen, die vor dem Betriebsübergang
entstanden sind und spätestens ein Jahr danach fällig werden; soweit sie nach dem
1.10.2005 fällig werden, haftet sie nur zeitanteilig.
14
Eine Kündigung wegen des Betriebsübergangs ist gesetzlich gem. § 613 a Abs. 4 BGB
ausgeschlossen; das Recht zu Kündigungen aus anderen Gründen bleibt unberührt.
15
Sie werden auch nach dem 1.10.2005 durch Ihren bisherigen Betriebsrat weiter betreut;
an den Standorten in 0, 0 und 0 / 0 gilt dies solange, bis durch Neuwahlen eigene
Betriebsratsgremien gewählt sind, längstens bis zum 31.1.2006.
16
Für den Standort 0 wurde der örtliche Betriebsrat informiert, dass an diesem Standort
aufgrund von Produktivitätssteigerungen in der Fertigung der Abbau von ca. 340
Mitarbeitern im Bereich der Lohngruppen 2 bis 7 geplant ist.
17
Dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die 0 können Sie nach § 613 a Abs. 6
BGB schriftlich widersprechen. Ihr Widerspruch hätte zur Folge, dass Ihr
Arbeitsverhältnis nicht auf 0 übergeht. Wir möchten Sie jedoch bitten, von diesem Recht
18
nur nach sorgfältiger Abwägung Gebrauch zu machen, denn Ihr Widerspruch sichert
Ihnen keinen Arbeitsplatz bei der 0, da die 0 -Aktivitäten vollständig auf 0 übertragen
werden und damit diese Arbeitsplätze bei der 0 entfallen, so dass es letztlich zu
betriebsbedingten Beendigungen des Arbeitsverhältnisses kommen kann.
Sollten Sie trotz dieser Überlegungen dennoch widersprechen wollen, bitten wir darum,
Ihren etwaigen Widerspruch unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von 1 Monat
nach Zugang dieses Schreibens schriftlich an
19
Herrn 0
20
oder an
21
Herrn 0 zu richten.
22
Für Fragen steht Ihnen Ihre Personalorganisation gerne zur Verfügung.
23
Wir würden uns freuen, wenn Sie mit gleichem Arbeitseinsatz und hoher Motivation Ihre
Arbeit bei 0 weiterführen und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.
24
Mit freundlichen Grüßen
25
Nach einem vorläufigen Insolvenzverfahren - eröffnet Ende September 2006 -wurde am
01.01.2007 über das Vermögen der 0 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte
zu 2. zum Insolvenzverwalter bestellt. Im Oktober 2006 hat der Kläger dem
Betriebsübergang zur 0 widersprochen (vgl. Bl. 36, 37 d.A.). Dieser Widerspruch lautet:
26
Sehr geehrte Damen und Herren,
27
hiermit widerspreche ich dem Betriebsübergang zur 0 gem. § 613 a BGB zum
01.10.2005.
28
1. Einspruchsfrist
29
Die Frist zum Einspruch gegen den Übergang gem. § 613 a, Abs. 6 hat noch nicht zu
laufen begonnen, weil ich falsch und unzureichend informiert worden bin. Uns wurden
weder die rechtlichen, wirtschaftlichen noch die sozialen Folgen des
Betriebsüberganges für die Arbeitnehmer gem. § 613 a, Abs. 5 Nr. 3 noch die die in
Aussicht genommen Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitnehmer gem. Nr. 4
kommuniziert.
30
2. Arglistige Täuschung
31
Die 0 als auch die 0 haben die Mitarbeiter arglistig getäuscht. Von vornherein waren
beide Verhandlungspartner auf die Entsorgung der deutschen Mitarbeiter aus, anstatt
sich um die Sanierung des Unternehmens zu kümmern. Das belegt die
gesellschaftsrechtliche Aufsplittung der 0 Mobilfunksparte (s. Pos. 3) als auch der
Bauantrag der sog. 0 in 0, der kurz nach der Übernahme der 0 eingereicht wurde. In dem
knapp einem Jahr seit der Übernahme wurde enormes Know How aus Deutschland
abgezogen und nach 0und 0 verlagert. Es war von vornherein nie beabsichtigt, den
Standort Deutschland zu erhalten. Die 0 sollte für die 0 die Entsorgung der Mitarbeiter
32
veranlassen. Bezahlt wurde sie dafür mit 5,5 % Weltmarktanteil, dem Markennamen 0,
Immobilien, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, Fertigungsanlagen, Know-
how und Patenten im Wert von rund 250 Mio. €. Diese Assets sind von der Insolvenz
nicht betroffen und werden von der 0 weiterhin verwendet.
3. Gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmissbrauch
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0 übergab ihre Mobilfunksparte an die 0 in drei Teilen: 1. Eine Management GmbH, in
der die Abfindungen der 0 Chefmanager geregelt und gesichert sind (Einlage über 2
Mio. €). 2. Eine Asset GmbH, in der die Vermögenswerte der 0 Mobilfunksparte
gebündelt wurde wie Immobilien, F&E, Fertigungsanlagen, Know-How und Patente.
(Wert rund 250 Mio. €). 3. Die 0, in der ausschließlich die ca 3400 deutschen Mitarbeiter
zusammengefasst wurden (Einlage 25.000 €!). Für letztere wurde Insolvenz
angemeldet. Nach deutschem sowie nach europäischem Arbeits- und
Gesellschaftsrecht liegt somit ein vorsätzlicher gesellschaftsrechtlicher
Gestaltungsmissbrauch vor, denn die Arbeitnehmer wurden vom Kapital getrennt, um
sich der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen und Insolvenzforderungen zu entledigen.
Strafrechtliche Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft sind nicht auszuschließen.
34
4. Als unzuverlässig bekannter Erwerber
35
Die Kapitaldecke der mittelständischen 0 reicht nicht und hat noch nie gereicht, um eine
Konzerntochter mit über 7.000 Mitarbeitern zu finanzieren. Die 0 hat selbst zum
Zeitpunkt der Übernahme von 0 rote Zahlen geschrieben, konnte also nie die Absicht
haben, 0 zu sanieren.
36
Aufgrund dieser Fakten ist ersichtlich dass ich zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges
nicht vollumfänglich informiert worden bin und über die wesentlichen
Arbeitsbedingungen, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen arglistig
getäuscht wurde. Aus diesem Grund begann die Widerspruchsfrist nicht zu laufen.
Deshalb mache ich hiermit meinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bei der 0 geltend.
Ich fordere Sie auf, mir binnen 14 Tagen einen vergleichbaren und zumutbaren
Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Andernfalls erwäge ich ggf. die Einreichung einer
Feststellungsklage beim zuständigen Amtsgericht, wonach mein Arbeitsverhältnis am
01.10.2005 nicht auf die 0 übergegangen ist.
37
Mit freundlichen Grüßen
38
Unter dem 11.10.2006 erwiderte die Beklagte zu 1. (vgl. Bl. 38 d.A.):
39
Sehr geehrter Herr 0,
40
Ihr Schreiben wurde an uns weitergeleitet.
41
Auch uns hat die Nachricht, dass von 0 in Deutschland ein Insolvenzverfahren
eingeleitet wurde, unvermittelt getroffen. Nach bestem Wissen und Gewissen hat sich
die 0 letztes Jahr für 0 entschieden. Die 0 war überzeugt, dass diese Lösung den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine echte Chance bietet.
42
Unabhängig davon sind wir jedoch überzeugt, dass wir Sie ordnungsgemäß im Sinne
des § 613 a Abs. 5 BGB unterrichtet haben. Ihr Widerspruch gegen den Übergang Ihres
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Arbeitsverhältnisses auf die 0 kann daher nicht zu einer Weiterbeschäftigung bei der 0
führen, aus diesem Grund besteht kein Rechtsanspruch gegen die 0.
Wir weisen Sie in diesem Zusammenhang vorsorglich darauf hin, das Ihr Widerspruch
zur Folge haben kann, dass der Insolvenzverwalter bis zum Abschluss des Verfahrens
bezüglich der von Ihnen geltend gemachten Ansprüche alle Zahlungen aus dem
Arbeitsverhältnis verweigert.
44
Darüber hinaus weisen wir Sie darauf hin, dass die 0 gegenüber der Agentur für Arbeit
verpflichtet ist, die Namen der Widersprecher mitzuteilen (§ 315 SGB III). Dies kann zur
Konsequenz haben, dass die Agentur für Arbeit diesen Personen gegenüber die
Auszahlung von Insolvenzgeld verweigert.
45
Vor diesem Hintergrund empfehlen wir Ihnen sorgfältig abzuwägen, ob Sie Ihren
Widerspruch aufrechterhalten wollen.
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Mit freundlichem Gruß
47
Unter dem 04.01.2007 schrieb der Beklagte zu 2., der Insolvenzverwalter der 0, an den
Kläger (vgl. Bl. 41 d.A.):
48
Sehr geehrter Herr 0,
49
mit Beschluss des Amtsgerichtes München vom 1. Januar 2007 wurde über das
Vermögen der 0 das Insolvenzverfahren eröffnet und ich zum Insolvenzverwalter
bestellt.
50
Sie erklären, dass Sie Ihren Widerspruch gemäß § 613 a Abs. 5 und 6 BGB gegen den
vormaligen Betriebsübergang von der 0 zu 0 aufrechterhalten. Mit anderen Worten
behaupten Sie, dass Sie nach wie vor mit der 0 in einem Beschäftigungsverhältnis
stehen.
51
Ihre bisherige Beschäftigung mit der 0 erfolgt derzeit also auf Grundlage des
sogenannten faktischen Arbeitsverhältnisses. Dieses faktische Arbeitsverhältnis beende
ich mit sofortiger Wirkung zum 4. Januar 2007.
52
Eine (vorsorgliche) Freistellung erhalten Sie mit einem gesonderten Schreiben.
53
Wir bitten Sie, Ihre Unterlagen sowie Firmeneigentum bei uns bis spätestens Montag, 8
Januar 2007 um 15.00 Uhr zurückzugeben.
54
Mit freundlichen Grüßen
55
Der Kläger ist der Auffassung, dass er dem Übergang des Arbeitsverhältnisses bzw.
Altersteilzeitverhältnisses von der Beklagten zu 1. auf die 0 wirksam widersprochen
habe. Er verweist auf sein Widerspruchsschreiben und vertritt die Auffassung, dass
dieser noch rechtzeitig sei, da die Frist zur Einlegung des Widerspruchs nicht zu laufen
begonnen habe, denn die Beklagte zu 1. habe den Kläger nicht ausreichend informiert.
Der Kläger trägt vor, dass eine zureichende Unterrichtung nicht gegeben sei, da er
weder über die rechtlichen, wirtschaftlichen bzw. sozialen Folgen des
Betriebsüberganges informiert worden sei. Die Kapitaldecke der übernehmenden Firma
56
habe lediglich 25.000,00 € betragen. Auch die gesellschaftsrechtliche Struktur des
neuen Unternehmens sei nicht dargestellt worden, aufgrund derer nun die Insolvenz
habe beantragt werden müssen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass
dem Kläger zugesagt worden sei, dass der Altersteilzeitvertrag durchgeführt werde und
auch schon teilweise die Arbeitsphase erledigt gewesen sei, allerdings ein
Insolvenzschutz trotz anderweitiger Zusagen der Beklagten zu 1. nicht gegeben sei.
Wie der Kläger erst jetzt erfahren habe, habe die Kapitaldecke der 0 habe nie
ausgereicht, um die 0 mit über 7.000 Mitarbeitern zu finanzieren. Die
Übernahmegesellschaft habe zum Zeitpunkt der Übernahme rote Zahlen geschrieben.
Sie hätte nie die Absicht gehabt, die 0 zu sanieren, weil ihr hierzu die Mittel gefehlt
hätten. Die entsprechende Situation des Erwerbers sei den Beklagten bekannt
gewesen. Es spreche im Übrigen viel dafür, dass 0 nie die Absicht gehabt habe, die
deutschen Beschäftigten längerfristig zu beschäftigen. Hierfür spreche nicht zuletzt die
Summe, die die Beklagte zu 1. an 0 anlässlich des Verkaufs gezahlt habe, verschiedene
nicht fortgeführte Projekte und letztlich die Insolvenz der deutschen 0. Die Beklagte zu 1.
müsse dies auch gewusst haben, da die 0 schon im März 2005 0 als sog. High-Risk-
Unternehmen eingestuft habe.
57
Die gesellschaftsrechtliche Aufsplittung der 0-Mobilfunksparte mache deutlich, dass hier
von vornherein keine Weiterführung geplant gewesen sei, da die Mobilfunksparte an die
0 in drei Teilen übertragen worden sei, nämlich: 1) eine Management-GmbH, in der die
Abfindungen der 0 Chefmanager geregelt und gesichert seien mit einer Einlage über 2
Mio. €, 2) eine Asset-GmbH, in der die Vermögenswerte der 0-Mobilfunksparte
gebündelt worden seien, wie Immobilien, Fertigungsanlagen, Know-How, Patente u.a.
(Wert rund 250 Mio. €) und 3) die 0 mit einer Einlage von nur 25.000,00 € und etwa
3.400 deutschen Mitarbeitern. Für letztere sei sodann die Insolvenz angemeldet worden.
Insofern liege ein Gestaltungsmissbrauch vor, da die Arbeitnehmer vom Kapital und vom
Vermögen getrennt worden seien.
58
Demgemäß schulde die Beklagte zu 1. die ordnungsgemäße Altersteilzeitvereinbarung.
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Hilfsweise begehrt der Kläger die Unwirksamkeit der ihm von dem Beklagten zu 2.
mitgeteilten Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger sei Betriebsratsmitglied und
eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei formal so nicht möglich. Der Betriebsrat sei
insgesamt nicht beteiligt gewesen, so dass jedenfalls im Falle der Unwirksamkeit des
Widerspruchs von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zum Beklagten zu 2. als
Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin auszugehen sei.
60
Ergänzend weist der Kläger darauf hin, dass die Betriebsrentenanwartschaften im
August 2006 durch die Beklagte zu 1. an die 0 in 0 überwiesen worden seien und damit
verloren seien. Auch die Zusage vor dem Betriebsübergang, dass die
Altersteilzeitverträge so wie bei dem Kläger insolvenzgeschützt seien, sei offenbar
falsch.
61
Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte zu 2. unter dem 26.01.2007 dem Kläger
gekündigt (vgl. Bl. 80 und 81 d.A.).
62
Ursprünglich hat der Kläger folgende Anträge angekündigt:
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1. festzustellen, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. auf der Grundlage
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des Altersteilzeitvertrages vom 18.12.2003 ein Arbeitsverhältnis besteht;
2. für den Fall, dass der Widerspruch des Klägers gegen den Betriebsübergang von der
Beklagten zu 1. auf die Insolvenzschuldnerin unwirksam ist, festzustellen, dass
zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2. ein Arbeitsverhältnis zu den bisherigen
Bedingungen besteht;
65
3. festzustellen, dass die Kündigungen des Beklagten zu 2. vom 26.01.2007 unwirksam
sind und das möglicherweise mit der 0 bestehende Arbeitsverhältnis nicht auflösen.
66
Nachdem auf Anregung des Beklagtenvertreters zu 2. im Einverständnis mit allen
Parteien der Rechtsstreit terminlos gestellt worden ist, soweit er den Beklagten zu 2.
betrifft, beantragt der Klägervertreter nunmehr,
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festzustellen, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. auf der Grundlage des
Altersteilzeitvertrages vom 18.12.2003 ein Arbeitsverhältnis besteht.
68
Die Beklagte zu 1. beantragt,
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die Klage abzuweisen.
70
Die Beklagte zu 1. trägt vor, welche Gründe die Beklagte zu 1. veranlasst haben, den
Weltgeschäftsbereich 0 an die 0 zu übertragen. Dieser weltweite Verkauf sei in
Deutschland am 30.09.2005 vollzogen worden. Eine Aufspaltung des Vermögens auf
angeblich drei Gesellschaften sei der Beklagten zu 1. nicht bekannt. Vertragspartner der
Beklagten zu 1. sei nur die 0 gewesen und zwar für das gesamte deutsche Vermögen.
71
Dem zitierten Informationsschreiben vom 29.08.2005 habe die Betriebsvereinbarung zur
Überleitung der Beschäftigungsbedingungen beigelegen. Der Kläger habe seit dem
01.10.2005 anstandslos bei 0 bis mindestens zur Jahreswende 2006/2007 gearbeitet.
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Zur Rechtslage führt die Beklagte zu 1. aus, dass es sich bei dem Schreiben vom
05.10.2006 um einen unzulässigen Massenwiderspruch handele unter Verweis auf die
Rechtsprechung. Die Ausübung dieses kollektiven Widerspruchs sei eine
missbräuchliche Rechtsausübung. Im Übrigen sei das Widerspruchsrecht des Klägers
gemäß § 242 BGB verwirkt. Sowie das Zeitmoment sowie das Umstandsmoment seien
gegeben. Auch habe die Beklagte zu 1. den Kläger ordnungsgemäß gemäß § 613 a
Abs. 5 BGB informiert (Bl. 114 - 119 d.A.). Das Informationsschreiben genüge auch der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Bl. 119 - 122 d.A.).
73
Demgemäß sei das Altersteilzeitverhältnis auf die 0 übergegangen.
74
Die Beklagte zu 1. stellte einen hilfsweisen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß
Artikel 234 EG:
75
dem Europäischen Gerichtshof gem. Art. 234 Abs. 2 EG folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
76
1. Ist Art. 8 RL 2001/23/EG dahin auszulegen, dass es den Rechtsprechungsorganen
der Mitgliedstaten verwehrt ist, zusätzliche Erfordernisse für die Information der
Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang aufzustellen, die weder
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in Art. 7 RL 2001/23/EG noch in mitgliedsstaatlichen Rechts- oder
Verwaltungsvorschriften oder Kollektivverträgen vorgesehen sind?
2. Falls Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Ist Art. 8 RL 2001/23/EG dahin auszulegen,
dass es den Rechtsprechungsorganen der Mitgliedstaaten verwehrt ist, rückwirkend
zusätzliche Erfordernisse für die Information der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit
einem Betriebsübergang aufzustellen, die weder in Art. 7 RL 2001/23/EG noch in
mitgliedsstaatlichen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder Kollektivverträgen
vorgesehen sind und die sich auch nicht durch Auslegung dieser Normen gewinnen
lassen?
78
3. Falls auch Frage 2 mit Nein beantwortet wird: Ist eine Auslegung des § 613 a Abs. 5
BGB, durch die dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegt wird, die Adresse des Erwerbers
im Informationsschreiben anzugeben, eine für die Arbeitnehmer günstigere Vorschrift im
Sinne von Art. 8 RL 2001/23/EG?
79
4. Ist Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG dahin auszulegen, dass ein Widerspruch nicht mehr
nach einem Betriebsübergang erklärt werden kann?
80
5. Falls Frage 4 mit Nein beantwortet wird: Ist Art. 3 Abs. 1 RL 2001/23/EG dahin
auszulegen, dass ein nach dem Betriebsübergang erklärter Widerspruch eines
Arbeitnehmers auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurückwirkt, mit der Folge,
dass das Arbeitsverhältnis ununterbrochen beim Betriebsveräußerer fortbestanden hat
und dem entsprechend die tatsächliche Beschäftigung beim Betriebserwerber
rechtsgrundlos erfolgt ist?
81
Die Beklagte zu 1. trägt zu den einzelnen Fragen vor, dass diese nur dann
entscheidungserheblich seien, wenn das Gericht der Auffassung sein sollte, dass die
Klage gegen die Beklagte zu 1. nicht abzuweisen sei. Die Antworten auf diese Fragen
seien weder offensichtlich noch seien diese Fragen vom Europäischen Gerichtshof
bereits entschieden.
82
Demgegenüber trägt der Kläger vor, dass es nicht nachvollziehbar sei, wenn die
Beklagte zu 1. bezüglich der ökonomischen Situation bzgl. der 0-Gruppe nicht
ausreichend Kenntnis gehabt habe.
83
Es handele sich um keinen unzulässigen Massenwiderspruch. Die Voraussetzungen
der Verwirkung seien nicht gegeben.
84
Der Kläger legt unter Hinweis auf die Rechtsprechung dar, dass u.a. die Bezeichnung
des Erwerbers in dem Informationsschreiben unzureichend sei. Auch seien
wirtschaftliche Gründe im Informationsschreiben nicht genannt worden, insbesondere
nicht mit welchem Ziel der Übergang erfolgen solle. Auch seien die Rechtsfolgen des
Betriebsübergangs nicht ausreichend benannt worden. Sowohl die Beklagte zu 1. als
auch der Erwerber 0 hätten eine zureichende Information über wichtige Umstände
unterlassen, die Beklagte zu 1. habe die Arbeitnehmer nicht über den negativen
Kaufpreis informiert. Nach den eher positiv dargestellten Informationen hätte der Kläger
davon ausgehen müssen, dass die Beklagte zu 1. einen Kaufpreis erhalte und nicht
umgekehrt, wie hier, der Käufer einen Kaufpreis erhalte. Auch wer den negativen
Kaufpreis erhalte, sei nicht mitgeteilt.
85
Zwar sei dem Informationsschreiben über den Betriebsübergang eine
Gesamtbetriebsvereinbarung beigefügt worden, nicht jedoch eine Protokollnotiz zur
Überleitung der Beschäftigungsbedingungen, in der unter Ziffer 4 vorgesehen gewesen
sei, dass Mitarbeiter, die vor dem 30.09.2008 betriebsbedingt das Arbeitsverhältnis
beenden würden, eine Abfindung auf Grundlage der letzten 0sozialplanregelung
erhalten sollten. Diese Protokollnotiz sei jedoch von der Firma 0 nicht unterzeichnet
worden.
86
Bezüglich der Verwirkung verweist der Kläger auf die Rechtsprechung.
87
Bezüglich einer Vorabentscheidung weist der Kläger darauf hin, dass das Gericht von
Amts wegen entscheide, ob und wie eine Vorlage erfolge. Der Antrag sei unzulässig. In
seinem Urteil vom 16.12.1992 habe der Europäische Gerichtshof bereits entschieden,
dass die Bedeutung von nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter
Berücksichtigung der Auslegung zu erfolgen habe, die die nationalen Gerichte diesen
Vorschriften geben.
88
Demgegenüber vertritt die Beklagte zu 1. die Auffassung, dass sie nicht den Kläger über
den negativen Kaufpreis hätte informieren müssen. Sie sei lediglich verpflichtet
gewesen, den Kläger über den Rechtsgrund des Betriebsübergangs zu informieren. Die
Protokollnotiz hätte dem Informationsschreiben nicht beigefügt werden müssen (vgl.
Blatt 478, 479 d.A.). Diese Protokollnotiz sei als Gesamtbetriebsvereinbarung auf die 0
übergegangen. Der Wechsel des Arbeitgebers als Partei von Betriebsvereinbarungen
sei nicht abdingbar. Aufgrund der Insolvenz habe die 0 die Verpflichtung aus dieser
Gesamtbetriebsvereinbarung nicht einhalten können. Die Beklagte zu 1. sei nicht
verpflichtet gewesen, jegliche Betriebsvereinbarung dem Informationsschreiben
beizufügen.
89
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den mündlich
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Parteischriftsätze, die Sitzungs-protokolle, die zu
den Akten gereichten Unterlagen und den gesamten sonstigen Akteninhalt.
90
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
91
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif, soweit es die Beklagte zu 1. betrifft.
92
Die Klage ist zulässig und begründet, soweit es die Beklagte zu 1. betrifft.
93
Der Kläger hat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses form- und fristgerecht
widersprochen. Die Monatsfrist des § 613 a Abs.6 BGB war wegen der fehlerhaften
Unterrichtung der Beklagten zu 1. über den Betriebsübergang noch nicht verstrichen.
Demgemäß ist sein Altersteilzeitarbeitsverhältnis nicht von der Beklagten zu 1. auf die 0
übergegangen.
94
Durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vom
23.März 2002 (BGBl. I S.1163) wurde § 613 a BGB mit Wirkung ab 1.April 2002 um die
Absätze 5 und 6 ergänzt. § 613 a Abs.5 BGB bestimmt, dass der bisherige Arbeitgeber
oder der neue Inhaber die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer vor
dem Übergang in Textform über den (geplanten) Zeitpunkt des Übergangs, den Grund
für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs
für die Arbeitnehmer und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen
95
Maßnahmen zu unterrichten hat. Gemäß § 613 a Abs.6 BGB kann der Arbeitnehmer
dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der
Unterrichtung nach Abs.5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber
dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden. Rechtsfolge der
unterbliebenen Unterrichtung nach § 613 a Abs.5 BGB ist, dass die Widerspruchsfrist
gemäß Abs.6 nicht zu laufen beginnt. Nach allgemeiner Ansicht, der sich die
Berufungskammer anschließt, gilt das auch für die unvollständige Unterrichtung (vgl.
BAG, Urteil vom 24.05.2005, 8 AZR 398/04 = NZA 2005, 1978 m.w.N; BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 305/05, juris). (so LAG Düsseldorf 7 (4) Sa 1009/06 - juris)
Die Unterrichtung soll dem Arbeitnehmer eine ausreichende Wissensgrundlage für die
Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchsrechtes geben (vgl. BT-Drucksache
14/7760 S.19). Auf der Grundlage der Information soll der Arbeitnehmer die Folgen des
Betriebsübergangs für sich abschätzen können. Die erteilten Informationen müssen
zutreffend sein. Ob die Unterrichtung ordnungsgemäß ist, kann vom Gericht überprüft
werden (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05, juris). (so LAG Düsseldorf
a.a.O.)
96
Vorstehenden Anforderungen genügt das Unterrichtungsschreiben der Beklagten zu 1.
vom 29.08.2005 nicht, denn die Beklagte zu 1. hat den Kläger jedenfalls nicht
hinreichend über die rechtlichen Folgen des Teilbetriebsübergangs unterrichtet.
97
Die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs ergeben
sich nach der Gesetzesbegründung vor allem aus den Absätzen 1 bis 4 des § 613 a
BGB. Der Gesetzgeber nennt insoweit - unter Bezugnahme auf § 613 a Abs.1 - 4 BGB -
die Fragen der Weitergeltung oder Änderung der bisherigen Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis, der Haftung des bisherigen Arbeitgebers und des neuen Inhabers
sowie des Kündigungsschutzes (BT-Drucksache 14/7760 S.19). Bereits aus der
Gesetzesbegründung ist mithin zu entnehmen, dass auch über das Haftungssystem des
613 a Abs.2 BGB zu unterrichten ist. Dass die Unterrichtung über die rechtlichen Folgen
auch Angaben zu der Haftung des bisherigen und des neuen Betriebsinhabers umfasst,
wird auch in der Literatur überwiegend vertreten (vgl. ErfK/Preis, § 613 a BGB, Rdnr.85;
Palandt, § 613 a BGB Rdnr.44; Willemsen/Müller-Bonani in Arbeitsrecht Kom., § 613 a
BGB Rdnr. 328, Küttner, Personalhandbuch 2006, 123 Rdnr.32; Grau, Unterrichtungs-
und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang, S.166). Nunmehr hat
auch das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.07.2006 (a.a.O.) entschieden, dass zur
Unterrichtung über die rechtlichen Folgen u.a. sowohl der Hinweis auf den Eintritt des
Übernehmers in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis (§
613 a Abs.1 S.1 BGB) als auch auf die gesamtschuldnerische Haftung des
Übernehmers und des Veräußerers nach § 613 a Abs.2 BGB gehört. (so LAG
Düsseldorf a.a.O.)
98
Diese Informationen sind in dem zitierten Schreiben der Beklagten zu 1. vom
29.08.2005 nicht ausreichend enthalten.
99
Es fehlt u.a. eine ausreichende Information über den neuen Arbeitgeber. Er wird ein
einziges Mal ohne jede Anschrift oder sonstige Details im ersten Absatz des zitierten
Schreibens vom 29.08.2005 erwähnt. Es fehlen klar verständliche Hinweise auf die
Haftung bzw. Haftungsbeschränkungen der beiden Vertragsparteien des
Betriebsübergangs. Bei der Länge des Informationsschreibens vom 29.08.2005 ist ein
Absatz über die Haftung, der nicht besonders hervorgehoben ist, für den normalen
100
Arbeitnehmer bezüglich seiner Bedeutung nicht erkennbar (vgl. die bekannte
Rechtsprechung zu Überraschungsklauseln in Arbeitsverträgen).
Vielmehr ist erforderlich eine konkrete betriebsbezogene Darstellung in einer auch für
juristische Laien möglichst verständlichen Sprache (vgl. BAG a.a.O.).
101
Im Übrigen wird dem betroffenen Arbeitnehmer erst durch die Darstellung der
begrenzten Nachhaftung des bisherigen Arbeitgebers deutlich vor Augen geführt, dass
ein endgültiger Schuldnerwechsel eintritt und der bisherige Arbeitgeber - wenn
überhaupt - nur noch begrenzt haftet. Die Bedeutung einer derartigen Information wird
insbesondere im Fall des Klägers deutlich. Der befand sich in einem
Altersteilzeitverhältnis, in dem die haftungsrechtlichen Fragen für den betroffenen
Arbeitnehmer besonders wesentlich sind. Die haftungsrechtlichen Folgen des
Betriebsübergangs wären für einen Arbeitnehmer in der Situation des Klägers nur dann
erkennbar geworden, wenn die Beklagte zu 1. - ggfs. in standarisierter Form für alle
Mitarbeiter, mit denen sie eine Altersteilzeitvereinbarung getroffen hat - darauf
hingewiesen hätte, dass sie selbst nach erfolgtem Betriebsübergang für diese
Forderungen nicht in Anspruch genommen werden könne. Zwar erfordert § 613 a Abs.5
BGB keine individuelle Unterrichtung der einzelnen Arbeitnehmer. Etwaige
Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses müssen aber bei der Information
Berücksichtigung finden. Diese Anforderungen erfüllt das Unterrichtungsschreiben der
Beklagten zu 1. nicht. Aufgrund der fehlenden Darlegung der Haftungsregelung hatte
der Kläger keine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder
Nichtausübung seines Widerspruchsrechts. (so LAG Düsseldorf a.a.O.)
102
Auf die Besonderheiten eines Altersteilzeitverhältnisses wird in dem
Informationsschreiben überhaupt nicht hingewiesen.
103
Die Beklagte zu 1. hat den Kläger danach über die rechtlichen Folgen des
Betriebsübergangs unvollständig unterrichtet. Hätte die Beklagte die Rechtslage geprüft,
hätte sie zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine gesonderte Belehrung über die
Haftung erforderlich ist.
104
Ob die Beklagte darüber hinaus dazu verpflichtet war, die Arbeitnehmer über die
wirtschaftliche Situation der Erwerberin zu unterrichten oder die erfolgten Angaben dazu
- mit oder ohne Berücksichtigung der außerhalb des Unterrichtungsschreibens erteilten
Informationen - sogar falsch waren, kann vorliegend offen bleiben, da die Unterrichtung
aus den bereits vorstehend dargelegten Gründen unvollständig und damit fehlerhaft war.
105
Demgemäß ist der Widerspruch des Klägers nicht verfristet, denn aufgrund der
fehlerhaften Unterrichtung ist die einmonatige Frist für die Ausübung des
Widerspruchrechts nicht in Lauf gesetzt worden.
106
Wie bereits dargelegt, ist Folge einer fehlerhaften Unterrichtung nach ganz herrschender
Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass die Widerspruchsfrist des § 613 a Abs.6
BGB nicht läuft. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob und aus welchen Gründen
der Arbeitnehmer überhaupt nicht, nicht ausreichend bzw. ganz oder in Teilen fehlerhaft
informiert worden ist. Eine einschränkende Auslegung der Anforderungen für ein
Auslösen der Widerspruchsfrist wird weder der Entstehungsgeschichte noch Wortlaut
und Systematik von § 613 a Abs.5, 6 BGB gerecht. In der Gesetzesbegründung wird
ausdrücklich betont, dass die Erklärungsfrist für den Widerspruch erst nach vollständiger
107
und ordnungsgemäßer Unterrichtung zu laufen beginnt. Wird - wie vorliegend -
festgestellt, dass eine fehlerhafte Unterrichtung vorliegt, wird die Widerspruchsfrist somit
nicht in Gang gesetzt. (so LAG Düsseldorf a.a.O.)
Das Widerspruchsrecht des Klägers ist auch nicht verwirkt.
108
Nach herrschender Meinung findet das Widerspruchsrecht seine Begrenzung in
zeitlicher Hinsicht nur durch das allgemeine Rechtsinstitut der Verwirkung (vgl. Grau,
a.a.O. ,S. 295 mit einer Vielzahl weiterer Hinweise). Das Bundesarbeitsgericht hält auch
nach der Neuregelung des § 613 a BGB daran fest, dass das Widerspruchsrecht wegen
Verwirkung ausgeschlossen sein kann (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 382/05,
juris). Streitig ist im Einzelnen, wie viel Zeit vergangen sein muss und welche Umstände
gegeben sein müssen, damit von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts
ausgegangen werden kann.
109
Ein Anspruch verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren
Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen
(Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten
des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die
Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG, Urteil vom 22.07.2004, 8 AZR
350/03). Dabei dient die Verwirkung dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den
Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen
Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (vgl. BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 382/05 = NZA 2006, 1406).
110
Für die Erfüllung des Zeitmoments sind im Schrifttum zu § 613 a Abs.5, 6 BGB
verschiedentlich Mindest- bzw. Höchstfristen genannt worden. Die in Betracht
gezogenen Fristen schwanken zwischen 1 Monat und 1 Jahr. Eine Festlegung auf
abstrakte Fristen ist nach Auffassung der Berufungskammer jedoch ausgeschlossen,
weil sich die Tatsache, ab wann ein Untätigsein als vertrauensbildend und damit als für
eine Verwirkung relevant gewertet werden kann, letztlich nur bei einzelfallbezogener
Abwägung der Umstände ermitteln lässt. Der Verwirkungstatbestand ist als
außerordentlicher Rechtsbehelf ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung. In der
illoyal verspäteten Geltendmachung eines Rechts liegt ein Verstoß gegen Treu und
Glauben (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 242 Anm. 87). Die Frage des Verstoßes gegen
Treu und Glauben lässt sich daher nur für den Einzelfall klären. Eine schematisierende
Betrachtungsweise wird dem nicht gerecht (BAG, Urteil vom 20.05.1988, 2 AZR 711/87
= DB 1988, 2156).
111
Zur Bestimmung der Dauer des Zeitmoments ist daher nicht auf eine starre Höchst- oder
Regelfrist abzustellen, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalls (BAG, Urteil
vom 27.01.2000, 8 AZR 106/99, n.v.). Auch das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr eine
Höchstfrist, beispielsweise von sechs Monaten, abgelehnt (vgl. BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 382/05, a.a.O.).
112
Für die Beantwortung der Frage, ob das Zeitmoment erfüllt ist, ist zunächst zu klären, ab
wann der Lauf des Zeitmoments überhaupt beginnt. Dabei ist als wesentliches Kriterium
zu berücksichtigen, dass die Widerspruchsfrist nach
113
§ 613 a Abs.6 BGB nicht mehr - wie nach der früheren Rechtsprechung zu § 613 a BGB
114
- an die Kenntnis des Arbeitnehmer vom Betriebsübergang anknüpft, sondern an die
Unterrichtung nach Abs.5. Unter Berücksichtigung dieses sich daraus ergebenden
Gesetzeszweckes, nämlich das Interesse des Arbeitnehmers an einer hinreichenden
Informationsbasis für die Ausübung der Widerspruchsentscheidung und dem Ziel des
Gesetzgebers, die ordnungsgemäße Unterrichtung des Arbeitnehmers durch ein
ansonsten unbefristetes Widerspruchsrecht abzusichern , kann nach Auffassung des
Gerichts das Zeitmoment frühestens ab dem Zeitpunkt beginnen, zu dem der
Arbeitnehmer Kenntnis davon erlangt, dass die Unterrichtung fehlerhaft war,(so auch
Willemsen/Müller-Bonnani in Arbeitsrecht Komm.,§ 613 a BGB Rdn.340)
Diese Auffassung wird durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom
24.05.2005, 8 AZR 398/04 (= NZA 2005, 1302) gestützt. In dieser Entscheidung hat das
Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die unvollständige Unterrichtung nach § 613 a Abs.5
BGB hindere den Lauf der Widerspruchsfrist gemäß § 613 a Abs.6 S.1 BGB. Dadurch
sei der Arbeitnehmer ausreichend geschützt, er sei nicht im Zugzwang . Er könne
abwarten und z.B. seinen Unterrichtungsanspruch nach § 613 a Abs.5 BGB verfolgen.
Es bestehe kein Grund für ihn, das Widerspruchsrecht auf einer unzureichenden
Tatsachenbasis auszuüben. Ist somit die Auffassung richtig, dass der Arbeitnehmer bei
einer unvollständigen Unterrichtung - in Kenntnis des Betriebsübergangs - nicht im
Zugzwang ist, sondern abwarten darf, kann der Lauf des Zeitmoments der Verwirkung -
wenn überhaupt - frühestens ab Kenntnis des Arbeitnehmers von der Unvollständigkeit
der Unterrichtung beginnen.
115
Der dieser Bewertung zugrunde liegende Rechtsgedanke ergibt sich auch aus § 124
BGB. Nach § 124 BGB beginnt die Jahresfrist für die Anfechtung im Falle der arglistigen
Täuschung in dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung
entdeckt. Dieser Rechtsgedanke übertragen auf das Widerspruchsrecht bedeutet, dass
das Zeitmoment für die Verwirkung in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Arbeitnehmer
die Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung entdeckt. Die Übertragung des Rechtsgedankens
des § 124 BGB auf den Beginn des Zeitmoments für die Verwirkung des
Widerspruchsrechtes wird nach Auffassung der Kammer sowohl der gesetzgeberischen
Intention, den Arbeitgeber zu einer vollständigen und richtigen Unterrichtung
anzuhalten, gerecht, als auch dem Grundsatz, dass jedes Recht der Verwirkung
unterliegt. Schließlich führt die Auffassung, das Zeitmoment bereits ab dem
Betriebsübergang beginnen zu lassen, entgegen dem gesetzgeberischen Willen, dem
Arbeitnehmer bei fehlerhafter Unterrichtung ein unbefristetes Widerspruchsrecht zu
gewähren, im Endeffekt dazu, durch das Zeitmoment der Verwirkung doch eine
Höchstfrist für den Widerspruch einzuführen. (vgl. zur Verwirkung insgesamt LAG
Düsseldorf a.a.O.)
116
Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt bedeuten, dass der Kläger
seinen Widerspruch rechtzeitig erklärt hat. Er hat ihn sogar vor Insolvenzeröffnung - aber
kurz nach dem Insolvenzeröffnungsantrag gestellt, so dass im vorliegenden Fall das
Zeitmoment nicht gegeben ist. Ende September 2006 wurde das Insolvenzverfahren
eingeleitet.
117
Auch die Voraussetzungen zur Annahme des Umstandsmoments sind nicht gegeben;
dies wird nur zur Vollständigkeit ausgeführt.
118
Das Umstandsmoment muss so beschaffen sein, dass der bisherige und der neue
Betriebsinhaber im Zusammenspiel mit dem Zeitmoment berechtigt darauf vertrauen
119
dürfen, der Arbeitnehmer werde sich dem in § 613 a Abs. 1 S.1 BGB angeordneten
Vertragspartnerwechsel nicht mehr durch einen Widerspruch widersetzen (vgl. Grau,
a.a.O. S.302). Das Vorliegen des Zeitmomentes indiziert dabei nicht das sogenannte
Umstandsmoment, denn es ist - wie bereits ausgeführt - nicht Zweck der Verwirkung,
Schuldner, denen gegenüber die Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend
gemacht haben, von ihrer Verpflichtung zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann
der Zeitablauf allein die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen, sondern es bedarf
darüber hinausgehender besonderer Umstände für die berechtigte Erwartung des
Schuldners, dass er nicht mehr in Anspruch genommen wird. Dabei ist im Hinblick auf
das Widerspruchsrecht ein besonders strenger Maßstab anzulegen, denn schließlich
haben es der neue und der alte Arbeitgeber in der Hand, durch vollständige und
ordnungsgemäße Unterrichtung die Widerspruchsfrist in Gang zu setzen. Informieren sie
- ob bewusst oder unbewusst - fehlerhaft, müssen schon besondere Umstände
vorliegen, damit ein Vertrauen dahingehend entstehen kann, der Arbeitnehmer werde
trotz des Informationsdefizits dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht
widersprechen (so auch LAG München, Urteil vom 30.06.2005, 2 Sa 1169/04 = LAGE §
613 a BGB 2002 Nr.7). Entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit, dass die Verwirkung
dem Vertrauensschutz dient.
Aus all diesen Überlegungen ergibt sich, dass das Widerspruchsrecht des Klägers nicht
verwirkt ist.
120
Die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit dem neuen
Arbeitgeber angesichts der im Falle der fehlerhaften Unterrichtung reicht nicht aus, um
daraus auf eine Zustimmung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel zu schließen.
121
Dies ergibt sich bereits als Konsequenz aus der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen
Überlegungsfrist, die in Fällen fehlerhafter Unterrichtung eben noch nicht läuft. Die
Tatsache der Vertragsfortführung mit dem neuen Betriebsinhaber kann mithin
grundsätzlich vor Ablauf der Widerspruchsfrist nicht als Zustimmung des Arbeitnehmers
zum Arbeitgeberwechsel oder als stillschweigender Widerspruchsrechtsverzicht
gewertet werden mit der Folge der Erfüllung des Umstandsmomentes der Verwirkung. In
diesem Fall ist mit der Weiterarbeit kein irgendwie gearteter Erklärungsinhalt verbunden.
Vielmehr stellt die Arbeit beim Erwerber eine geeignete Maßnahme dar, den Vorwurf
des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs gemäß § 615 S.2 BGB zu
vermeiden.
122
Soweit die Beklagte zu 1. meint, es läge ein unzulässiger Massenwiderspruch vor, ist
darauf hinzuweisen, dass - wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern von einer Maßnahme
betroffen ist - es nicht ersichtlich ist, warum diese nicht alle einen Widerspruch einlegen
können und sich derselben Formulierungen bedienen. Die Beklagte zu 1. hat die
Arbeitnehmer ebenfalls standarisiert unterrichtet, was im Grunde zulässig ist, aber im
vorliegenden Fall hätte sie gesondert über das Altersteilzeitverhältnis informieren
müssen.
123
Nach Auffassung der Kammer bedurfte es keiner Vorlage des Rechtsstreits an den
Europäischen Gerichtshof, da die zwei wesentlichen Fragen, unzureichende
Unterrichtung und Verwirkung, von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
beantwortet worden sind (vgl. die obigen Ausführungen).
124
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.
125
Gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ist der Streitwert auch in einem Teil-Urteil festzusetzen.
126
Rechtsmittelbelehrung
127
Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei zu 1.
128
B e r u f u n g
129
eingelegt werden.
130
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
131
Die Berufung muss
132
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
133
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
134
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
135
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
136
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
137