Urteil des ArbG Mönchengladbach vom 22.08.2007

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Arbeitsgericht Mönchengladbach, 2 Ca 1467/07
Datum:
22.08.2007
Gericht:
Arbeitsgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 1467/07
Schlagworte:
Tarifliche Antrittsgebühr für Sonn- und Feiertagsarbeit in der
Druckindustrie
Normen:
§ 7 Ziff. 4d des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der
Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zwischen
dem Bundesverband Druck und Medien e. V. und der Gewerkschaft
ver.di vom 15. Juli 2005
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Der Begriff "Druckmaschine" im Sinne von § 7 Ziff. 4d des
Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie
im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zwischen dem
Bundesverband Druck und Medien e. V. und der Gewerkschaft ver.di
vom 15. Juli 2005 umfasst nicht die sich anschließenden Aggregate.
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.Streitwert: 3.600,-- Euro.
T A T B E S T A N D
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Der Kläger ist seit 1989 bei der Beklagten als Fachhilfskraft in der Abteilung Tiefdruck
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die
gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der BRD Anwendung. Der
Kläger erhält Vergütung nach der Lohngruppe V/95.
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Die Parteien streiten über eine Antrittsgebühr nach § 7 Ziffer 4 a) des
Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland ( MTV E. ). Nach § 7 Ziffer 4 a MTV E. steht denjenigen
Arbeitnehmern eine Antrittsgebühr zu, die in Sonntagsarbeit mit der Herstellung von
regelmäßig erscheinenden Zeitungen oder Zeitschriften beschäftigt sind. Die
Herstellung ist gemäß § 7 Ziffer d MTV E. abgeschlossen, wenn die Zeitschrift oder
Zeitung die Druckmaschine verlassen hat.
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Die Beklagte und der in ihrem Betrieb bestehende Betriebsrat haben eine
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Betriebsvereinbarung 1/96 vereinbart.
Mit an den Betriebsrat gerichtetem Schreiben vom 26.03.2004 teilte die Beklagte
folgendes mit:
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"Die von uns bisher an die Mitarbeiter gezahlte Antrittsgebühr für Sonntagsarbeit nach
der Betriebsvereinbarung 1/96 könnte ohne Rechtsgrundlage erfolgt sein, weil die
tarifvertragliche Regelung insoweit vorgeht und Betriebsvereinbarungen bei Vorliegen
einer tariflichen Regelung dann gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unzulässig sind.
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Wir zahlen daher die Antrittsgebühr nach der Betriebsvereinbarung 1/96 ab sofort nur
noch unter Vorbehalt bis zur Klärung, ob die geltend gemachten tariflichen Ansprüche
auf Zahlung einer Antrittsgebühr gerechtfertigt sind.
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Für diesen Fall bleibt es des Weiteren vorbehalten, die Zahlungen entsprechend der
Betriebsvereinbarung 1/96 auf eventuelle festgestellte tarifliche Ansprüche bzw.
diesbezügliche Zahlungen anzurechnen."
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Die Parteien sind unterschiedlicher Auffassung darüber, wann die Herstellung von
Zeitungen und Zeitschriften im Sinne des § 7 Ziff. 4 a) MTV E. abgeschlossen ist. Sie
beurteilen unterschiedlich, was als Druckmaschine anzusehen ist, ob diese nur aus der
Rotation ersselbst besteht oder aus der Rotation und einer Reihe von sich
anschließenden Aggregaten und Bearbeitungsstationen. Wenn die Druckprodukte die
Rotation verlassen haben, gelangen sie in den angeschlossenen Falzapparat. Dort
werden die Druckbögen auf das Endformat der Zeitschrift herunter gebrochen (gefalzt)
und bei Komplettprodukten gleichzeitig geklammert. Danach laufen die gefalzten
Zeitschriftenprodukte auf einem Laufband weiter und werden auf die sogenannte
Printrolle aufgewickelt und anschließend dahin transportiert, wo sie z.B. geklebt,
geheftet und je nach konkretem Bedarf zusammengefügt werden. Alternativ zum
Aufrollen wurden die gefalzten Zeitschriften auch auf einen sogenannten
Stangenbildner für den Transport aufgereiht. Dort werden die Zeitschriften, anders als
auf der Printrolle, nicht aufgerollt sondern hintereinander geordnet bzw. gebündelt für
den Transport. Der Kläger arbeitet als Einrichter an den Aggregaten, die der Rotation
folgen.
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Der Kläger beantragt,
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1.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 200,00 € brutto zzgl. 5 %-Punkten Zinsen
über dem Basiszinssatz aus jeweils 100,00 € seit dem 24.03.2007 und 17.04.2007 zu
zahlen.
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2.Es wird festgestellt, dass die Beklagte weiter fortlaufend verpflichtet ist, gemäß § 7 Ziff.
4. a) des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bei regelmäßig erscheinenden Zeitungen und
Zeitschriften, die während der zuschlagspflichtigen Sonn- oder Feiertagsarbeit
hergestellt werden an den Kläger eine Antrittsgebühr in Höhe von 100,00 € brutto je
Schicht zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat von den Tarifvertragsparteien, nämlich von der w. E. w. und von dem C.
E. und N. e.V., jeweils eine Tarifauskunft eingeholt. Wegen des Inhalts der Auskünfte
wird auf Bl. 77 f. und Bl. 85 f. der Gerichtsakten Bezug genommen. Im Übrigen wird
wegen des Sach- und Streitstandes auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die von ihm verlangte Antrittsgebühr
gemäß § 7 Ziffer 4 a) MTV E. zu zahlen. Der Kläger ist nicht im Sinne der auf das
Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren tariflichen Regelungen mit der Herstellung
von Zeitungen und Zeitschriften beschäftigt. Die 2. Kammer schließt sich den folgenden,
zutreffenden und überzeugenden Ausführungen der 3. Kammer an:
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"Dies ergibt die Auslegung von § 7 Ziff. 4 a) MTV. Der Wortlaut der Vorschrift ist nicht
klar.
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Die Formulierung "mit der Herstellung beschäftigt" lässt nur eine allgemeine
Abgrenzung zu. Wäre der tarifliche Begriff umfassend gemeint, so müssten sämtliche
Mitarbeiter der Beklagten die Zulage erhalten, gleich, ob sie als Pförtner, Redakteure,
Verwaltungsangestellte oder Drucker tätig sind. So weitgehend kann das Merkmal nicht
verstanden werden. Es wäre ganz überflüssig und ungeeignet, die mit der Herstellung
befassten Mitarbeiter von allen anderen abzugrenzen (vgl. BAG 26.02.1985, 3 AZR
632/82). Angesichts des unklaren Wortlauts der Vorschrift ist § 7 Ziff. 4 a) MTV E.
auszulegen.
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Die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages erfolgt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 16.06.2004, 4 AZR 408/03,
AP Nr. 24 zu § 4 TVG Effektivklausel) den für die Auslegung von Gesetzen geltenden
Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn
der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht
eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu
berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der
Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt sich ein
zweifelsfreies Auslegungsergebnis nicht erzielen, dann können die Gerichts für
Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien, wie die
Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages ggf. auch die praktische Tarifübung,
hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu
berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer
vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung
führt.
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Nach § 7 Ziffer d MTV E. ist die Herstellung einer Zeitung oder Zeitschrift
abgeschlossen ist, wenn die Zeitung oder Zeitschrift die Druckmaschine verlassen hat.
Auch § 7 Ziffer d MTV E. löst hingegen die Streitfrage der Parteien nicht eindeutig.
Streitig ist gerade, ob die der Druckmaschine angeschlossenen Aggregate zur
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Druckmaschine gehören oder nicht.
Die vom Gericht eingeholten Auskünfte der Tarifvertragsparteien haben keinen
übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien ergeben, wann die Herstellung von
Zeitungen und Zeitschriften abgeschlossen ist, wann die Zeitung die Druckmaschine
verlassen hat.
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Auch Sinn und Zweck der Regelung ist für die Streitfrage, wann das Produkt die
Druckmaschine verlassen hat, nicht ergiebig. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem
Urteil vom 26.02.1985 unter dem AZ 3 AZR 632/82 hierzu ausgeführt, bei der
Antrittsgebühr handele es sich nicht um eine allgemeine Erschwerniszulage für
Sonntags- und Nachtarbeit, denn diese sei auch dann zu zahlen, wenn die betroffenen
Arbeitnehmer nicht in der Produktion tätig seien. Da die Antrittsgebühr zusätzlich
anfalle, liege es nahe, dass es sich bei ihr um eine Zuverlässigkeitsprämie handele.
Anhaltspunkte dafür, warum diese Zuverlässigkeitsprämie aber gerade den mit der
Produktion befassten Mitarbeiter, nicht aber den übrigen in der gleichen Schicht Tätigen
gezahlt werden, bietet der Wortlaut des Tarifvertrages nicht. Im Wortlaut des
Manteltarifvertrages gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, ob der Kläger als Einrichter an
den sich an die Rotation anschließenden Aggregaten mit der Herstellung der Zeitschrift
beschäftigt ist. Die Heranziehung von anderen tariflichen Vorschriften ergibt vielmehr,
dass der Kläger nicht mit der Herstellung von Zeitschriften und Zeitungen befasst ist.
Wenn er tätig wird, hat das Produkt die Druckmaschine, d.h. die Rotation bereits
verlassen.
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Der E. von Zeitungen und Zeitschriften ist mit dem Verlassen der Rotation beendet.
Dass der Kläger nicht mit dem E. von Zeitungen und Zeitschriften befasst ist, seine
Tätigkeit auch nicht im unmittelbaren fachlichen Zusammenhang mit der Produktion
steht, ergibt sich aus der Definition Weiterverarbeitungsstraße gemäß D Anhang
Weiterverarbeitung Ziffer 1 Fußnote 2. Die Tarifvertragsparteien haben sich hier darauf
verständigt, dass das Aufrollen, Abrollen, das Stapeln, sowie das Falzen ebenso wie
das Heften, Kleben, Stanzen, Beschneiden, Einstecken, Einkleben, Beschriften,
Verpacken und Palettieren zur Weiterverarbeitung, nicht zum E. gehören. Der Wortlaut
lässt auf den Willen der Tarifvertragsparteien schließen, dass das Falzen, das
Aufwickeln der Druckerzeugnisse auf Printrollen, das Ablegen auf Stangenbildner
ebenso wie die Tätigkeiten des Packens dem E. nachgelagert sind. Unter
Berücksichtigung dieser tarifvertraglichen Regelung macht es nur Sinn, Herstellen im
Sinne von Drucken zu verstehen. Denn auch nachdem das Druckprodukt den
Falzapparat verlassen hat, nachdem es sich auf einer Printrolle oder einem
Stangenbildner befindet, liegt noch keine Zeitschrift oder Zeitung in der "hergestellten"
Form vor, wie sie dem Leser angeboten wird. Sie muss vielmehr über die Bearbeitung in
den der Rotation unmittelbar folgenden Aggregaten an weiteren Stellen weiter
verarbeitet werden.
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Die tariflichen Bestimmungen über die Besetzung von Rotationsmaschinen führen nicht
zu einer anderen Beurteilung. Die Besetzungsregelungen sind für die hier streitigen
Fragen nicht ergiebig. Die in " D Anhang Weiterverarbeitung " enthaltene Definition der
Weiterverarbeitungsstraße ist die speziellere, sachnähere und eindeutige Regelung der
Tarifvertragsparteien, was zur vom E. unterschiedenen Weiterverarbeitung zählt. Auch
Regelungen im Anhang zum Lohnrahmentarifvertrag sprechen für die hier gefundenen
Auslegung. Im Richtbeispiel 10 der Lohngruppe IV ist das unmittelbar der Rotation
nachfolgende Falzen der Weiterverarbeitung zugewiesen. Gleiches ergibt sich aus dem
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Richtbeispielen 16 zu Lohngruppe V und 5 zu Gruppe VII. Die Frage der Besetzung der
Rotationsmaschinen ist von der Vergütung der zu leistenden Arbeit zu unterscheiden.
Gemäß den Anlagen zum Lohntarifvertrag zählen die an die Rotation angeschlossenen
Aggregate alle zur Weiterverarbeitung. Dies zeigt, dass nach dem Willen der
Tarifvertragsparteien für die Frage nach der Vergütung - und dazu gehört auch die
Antrittsgebühr - die der Rotationen nachfolgenden Aggregate nicht zur eigentlichen
Druckmaschine gehören.
Die Praktikabilität der hier gefundenen Auslegung erhärtet die Richtigkeit des
Auslegungsergebnisses. Angesichts der insgesamt unklaren Regelungen ist dieser
Auslegung der Vorzug zu geben, da nur die Grenzziehung nach Verlassen der Rotation
zu einer praktisch brauchbaren Abgrenzung führt. Andernfalls würde die Grenze
zwischen unterschiedliche Weiterverarbeitungsaggregate gelegt."
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
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Der Streitwert ist für die Klage insgesamt in Höhe des 36-fachen der streitigen
Antrittsgebühr festgesetzt worden.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
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B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
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Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
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*Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. Keil
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