Urteil des ArbG Mönchengladbach vom 21.05.2008

ArbG Mönchengladbach: wirtschaftliche einheit, stadt, betriebsübergang, juristische person, wichtiger grund, anhörung, kaufvertrag, arbeitsgericht, rechtfertigung, betriebsmittel

Arbeitsgericht Mönchengladbach, 7 Ca 71/08
Datum:
21.05.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Ca 71/08
Schlagworte:
Betriebsstilllegung, Betriebsübergang
Normen:
§ 1 KSchG, § 613 a BGB, § 2 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Betriebsstilllegung ist nicht beabsichtigt, wenn das
Betriebsgrundstück einschließlich aller Betriebsmittel mit der Abrede
veräußert wird, dass der Betrieb beim Erwerber fortgeführt wird. Die
Kündigung ist dann nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse
bedingt.
Tenor:
1.Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch
die Kündigung der Beklagten vom 3..12.2007 sozial ungerechtfertigt und
rechtsunwirksam ist.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.Streitwert: 5.000,00 €.
T A T B E S T A N D
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
2
Die am 4. geborene Klägerin ist seit dem 13.1.1992 bei der beklagten L., die regelmäßig
mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, in einem von dieser betriebenen L. zu einem
Bruttomonatsgehalt von 2.500,- EUR beschäftigt. Die Klägerin ist ordentlich unkündbar.
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Die Beklagte entschloss sich bereits Ende 2005/Anfang 2006, den von ihr betriebenen
L. T.. G. aufzugeben. Sie verfolgte danach das Ziel, in Zusammenarbeit mit der Stadt O.
einen neuen Träger für den L. zu finden. Am 9.11.2007 teilte der Verein M. f. (im
Folgenden: "M.") mit, der Vorstand habe grundsätzlich einer Übernahme des L.
zugestimmt. Ferner wurde um Übersendung eines aktuellen Inventarverzeichnisses des
L. und sämtlicher Verträge über Dauerschuldverhältnisse gebeten. Auf das Schreiben
der M. (Bl. 70-77 d.A.) wird Bezug genommen.
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Die Beklagte beantwortete das Schreiben der M. am 2..11.2007. Parallel hierzu
verhandelte die Beklagte mit der Stadt O. über eine Veräußerung des L. nebst
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vollständiger Einrichtung. Bereits am 30.11.2007 übersandte die Stadt O. einen Entwurf
über einen Kaufvertrag an die Stadt O..
Nachdem in der Zwischenzeit die M. zunächst Abstand von einer Übernahme des L.
genommen hatte, entschloss sich die Beklagte am 2..12.2008, den L. über den
30.6.2008 jedenfalls nicht mehr selbst zu betreiben.
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Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 2..12.2007 die bei ihr gebildete
Mitarbeitervertretung zur außerordentlichen Änderungskündigung der Klägerin an. Auf
das Anhörungsschreiben (Bl. 84-85 d.A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom
3..12.2007, auf das Bezug genommen wird (Bl. 89 d.A.), äußerte die
Mitarbeitervertretung keine Bedenken gegen die Kündigung.
7
Trotz der neuen Entwicklungen im Hinblick auf die nicht mehr bestehende Bereitschaft
der M., den L. zu übernehmen, kam am 3..12.2007 ein notarieller Kaufvertrag zwischen
der Beklagten und der Stadt O. zustande. In diesem Kaufvertrag heißt es auszugsweise:
8
"§ 1
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Kaufgegenstand
10
(...)
11
2.Die Verkäuferin verkauft und überträgt der dies annehmenden Käuferin den unter 1.
aufgeführten Grundbesitz einschließlich aller wesentlichen Bestandteile, nachstehend
insgesamt "Grundbesitz" genannt.
12
Mitübertragen wird das gesamte Inventar der als Kindertagesstätte genutzten baulichen
Anlagen."
13
(...)
14
§ 3
15
Vereinbarungen zur Betriebsübernahme des L.
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Der Vertrag steht im Zusammenhang mit der Übertragung der L. auf einen neuen Träger.
Die Vertragsparteien vereinbaren hiermit, dass die Stadt O. berechtigt und verpflichtet
ist, der L. einen Träger für die L. vorzuschlagen, der die Einrichtung nach der
ursprünglichen Planung zum 1. Januar 2008 übernehmen sollte. Die L. verpflichtet sich,
die Einrichtung auf den genannten Träger zu übertragen. Kommt dieser Trägerwechsel
nicht zustande, so übernimmt die Stadt die Einrichtung zu den genannten Bedingungen
selbst.
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Die Vertragsparteien gehen davon aus, dass der Vertragsgegenstand wie bisher als L.
verwendet wird und alle zweckgebundenen Baukosten- und sonstige Zuschüsse nicht
ganz oder zeitanteilig zurückgezahlt werden müssen. Ungeachtet dessen stellt die Stadt
O. die L. aus jedweder Rückzahlungsverpflichtung öffentlicher Zuschüsse oder
Fördermittel, die für den Vertragsgegenstand in der Vergangenheit gewährt worden
sind, im Innenverhältnis frei.
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(...)
19
2.Besitzübergang
20
Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr an dem Grundbesitz gehen auf die Käuferin über am
1. Januar 2008."
21
Auf den notariellen Kaufvertrag (Bl. 70-77 d.A.) wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 3..12.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der
Klägerin zum 30.6.2008. Gleichzeitig wurde der Klägerin angeboten, das
Arbeitsverhältnis als Ergänzungskraft im Umfang von 3. Wochenstunden fortzusetzen.
Auf die Änderungskündigung vom 3..12.2007 (Bl. 11 d.A.) wird Bezug genommen. Die
Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an und wehrt sich mit 8.1.2008
beim Arbeitsgericht eingegangener und am 10.1.2008 zugestellter Klage gegen diese
Änderungskündigung.
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Im Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung erklärte die M. wieder, den L. übernehmen
zu wollen. In einem Schreiben an den Elternrat vom 2.4.2008 heißt es:
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"Insofern haben wir das Ziel nicht aus den Augen verloren und der Vorstand ist nach wie
vor fest entschlossen, die Einrichtung zum 1.8..2008 in die Trägerschaft der M. O. zu
übernehmen."
25
Auf das Schreiben der M. vom 2.4.2008 (Bl. 92-94 d.A.) wird Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung der
Beklagten vom 3..12.2007, zugegangen am 27.12.2007, sozial ungerechtfertigt oder aus
anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Sitzungsprotokoll vom
21.5.2008 sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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I. Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht für die Kündigungsschutzklage wegen
der Gefahr der Präklusionswirkung der §§ 4, 8. KSchG ein Feststellungsinteresse.
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II. Die Klage ist auch begründet. Da die Klägerin aufgrund der durch den Arbeitsvertrag
in Bezug genommenen Regelungen ordentlich unkündbar ist, beschränkt sich die
Prüfung darauf, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB
vorliegt und ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gegeben ist.
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Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine
(außerordentliche) Änderungskündigung handelt. Der Maßstab zur Prüfung der sozialen
Rechtfertigung einer Änderungskündigung ist zweistufig. Auf der ersten Stufe ist zu
prüfen, ob für die Vertragsänderung ein Grund in der Person oder in dem Verhalten des
Arbeitnehmers liegt oder ein dringendes betriebliches Erfordernis vorliegt.
Voraussetzung und Vorfrage für die soziale Rechtfertigung der Änderung der
Arbeitsbedingungen ist demnach stets, dass ein Kündigungsgrund im Sinne der §§ 1
Abs. 2 KSchG, 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob der
Arbeitgeber eine Vertragsänderung vorgeschlagen hat, die der Arbeitnehmer
billigerweise hinzunehmen hat (vgl. BAG, Urt. v. 12.11.1998 - 2 AZR 91/98, AP Nr. 51 zu
§ 2 KSchG 1969; APS/Künzl, § 2 KSchG Rn. 235 m.w.N.).
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Das Gericht hat bei der Überprüfung der arbeitgeberseitigen Änderungskündigung im
Hinblick auf die soziale Rechtfertigung nach §1 Abs. 2 KSchG zu berücksichtigen, dass
der Arbeitgeber zunächst im Zusammenhang mit der Beendigungskündigung ein
Änderungsangebot gemacht hat. In einem solchen Fall gilt nach der Rechtsprechung
der gleiche Prüfungsmaßstab, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das
Änderungsangebot unter dem Vorbehalt annimmt oder er es ablehnt (BAG, Urteil vom
07.06.1973 - 2 AZR 450/72 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB). Nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts ist bei einer auf betriebliche Gründe gestützten Änderung das
arbeitgeberseitige Änderungsangebot in die Beurteilung mit einzubeziehen und die
Kündigung daran zu überprüfen, ob dringende betriebliche Erfordernisse nach § 1 Abs.
2 KSchG das Angebot bedingen und ob der Arbeitgeber sich bei einem an sich
anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen
vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (BAG, Urteil vom
18.10.1984 - 2 AZR 543/83 - AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Urteil vom
13.06.1986 - 8. AZR 623/84 - AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl).
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2. Die Klägerin kann nach der Zahl der im Betrieb der Beklagten beschäftigten
Arbeitnehmer sowie nach der Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses
Kündigungsschutz nach den §§ 1 ff. KSchG in Anspruch nehmen, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1
KSchG. Die Klägerin hat die Kündigungsschutzklage gem. § 4 KSchG auch innerhalb
von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben.
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Es kann dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung noch Arbeitgeberin der Klägerin ist. Denn möglicherweise ist das
Arbeitsverhältnis längst auf die Stadt O. oder die M. übergegangen. Dagegen spricht
zwar, dass nach dem Vorbringen der Beklagten ein Betriebsübergang im Sinne der
tatsächlichen Weiterführung des Betriebs bislang nicht stattgefunden hat. Denn § 613a
BGB setzt den Übergang des Betriebs als tatsächlichen Vorgang voraus. Die Frage, ob
der Betriebsübergang zwischenzeitlich vollzogen ist, kann aber dahinstehen. Denn für
die Kündigungsschutzklage zunächst auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
an. Zu diesem Zeitpunkt war der Betrieb jedenfalls noch nicht übergegangen. Vielmehr
sollte dies nach dem Willen der Beklagten und der Stadt O. erst zum 1.1.2008
geschehen. Wird aber vor einem Betriebsübergang gekündigt, so ist der bisherige
Arbeitgeber, der gekündigt hat, weiterhin prozessführungsbefugt und passivlegitimiert
und zwar unabhängig davon, ob die Klage vor oder nach dem Betriebsübergang
erhoben wird (KR/Friedrich, § 4 KSchG Rn. 96a).
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3. Eine Prüfung des § 626 BGB und des § 2 KSchG kann im vorliegenden Fall
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dahinstehen. Denn die Kündigung erfüllt schon nicht die Voraussetzungen der § 1 Abs.
1 u. 2 KSchG. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB und die Voraussetzungen
des § 2 KSchG können daher nicht mehr erfüllt sein.
Die Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 1 u. 2 KSchG.
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a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG
liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme
entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die
Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (ständige
Rechtsprechung, BAG, Urt. v. 8..12.1978 - 2 AZR 155/77, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung; BAG, Urt. v. 29.3.1990 - 2 AZR 369/89, AP Nr. 50 zu § 1
KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG, Urt. v. 21.9.2000 - 2 AZR 385/99, AP
Nr. 111 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Vom Arbeitsgericht
nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt
und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für die gekündigten
Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf
ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur
darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG, Urt. v.
17.6.1999 - 2 AZR 522/98, AP Nr. 102 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung).
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b) Nach diesen Maßstäben liegen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor.
Denn bereits nach dem Vorbringen der Beklagten war von dieser keinesfalls
beabsichtigt, den L. stillzulegen. Das Verhältnis von Betriebsstilllegung und
Betriebsübergang einerseits und von § 1 Abs. 1 u. 2 KSchG zu § 613a Abs. 4 BGB ist
spätestens seit der Entscheidung des BAG vom 27.9.1984 (BAG, Urt. v. 27.9.1984 - 2
AZR 309/83, AP Nr. 39 zu § 613a BGB) geklärt. Dort hat das BAG ausgeführt:
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"Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre
Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der
Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt,
die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer
nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzuheben
(herrschende Meinung: vgl. statt aller Senatsurteil vom 2.. Oktober 1982, aaO, zu B I 1
der Gründe, m.w.N.; ferner Herschel/Löwisch, aaO, § 15 Rz 44). Entscheidend ist somit
zunächst die auf einem ernstlichen Willensentschluss des Arbeitgebers beruhende
Aufgabe des Betriebszwecks, die nach außen in der Auflösung der Betriebsorganisation
zum Ausdruck kommt (Senatsurteil vom 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - EzA § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 18, zu B I 1 a der Gründe). Der Arbeitgeber
muss endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen (BAG 30, 86 = AP Nr. 60 zu
Art. 9 GG Arbeitskampf, zu 6 der Gründe; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 29).
Die Stilllegung muss ferner für eine unbestimmte, nicht unerhebliche Zeitspanne
erfolgen, weil andernfalls nur eine unerhebliche Betriebspause oder
Betriebsunterbrechung vorliegt (KR-Etzel, 2. Aufl., § 15 KSchG Rz 88). Deshalb spricht
bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebes eine tatsächliche Vermutung gegen eine
ernsthafte Stillegungsabsicht (Hueck, aaO, § 15 Rz 69; KR-Etzel, wie vorstehend).
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Wie sich aus der Wertung des § 613 a BGB ergibt, ist die Veräußerung des Betriebs
allein keine Betriebsstilllegung, weil die Identität des Betriebes gewahrt bleibt und
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lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet. Führt der Erwerber den Betrieb nicht
fort, wozu er auch nicht verpflichtet ist, so liegt erst in diesem Entschluss und nicht schon
in der Betriebsveräußerung die Stilllegung (allg. M.: BAG Urteil vom 23. März 1984,
aaO; Berkowsky, aaO, Rz 99; Dietz/Richardi, aaO, § 111 Rz 33, 84 ff.;
Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 2.. Aufl., § 103 Rz 13;
Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 103 Rz 5; Herschel/Löwisch,
aaO, § 15 Rz 49; Hueck, aaO, § 15 Rz 68 a; KR-Etzel, aaO, § 15 KSchG Rz 86).
3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vom Berufungsgericht im Streitfall
festgestellten Sachverhalt ergibt, dass die Beklagte sich zur sozialen Rechtfertigung der
Kündigung nicht auf eine Betriebsstilllegung als dringendes betriebliches Erfordernis im
Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG berufen kann" (BAG, Urt. v. 27.9.1984 - 2 AZR 309/83, AP
Nr. 39 zu § 613a BGB).
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Dem folgt die Kammer im vorliegenden Fall. Daher kann dahinstehen, ob die Kündigung
bereits wegen § 613a Abs. 4 BGB unwirksam ist. Denn diese Vorschrift entfaltet in
einem derartigen Fall nur für diejenigen Arbeitnehmer Wirkung, für die das KSchG keine
Anwendung findet.
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Ein Betriebsübergang - und damit keine Betriebsstilllegung - liegt hier vor.
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Ein Betriebsübergang nach § 613a BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die
wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Ob ein im Wesentlichen
unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit "Betrieb" bei dem neuen
Inhaber anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falles. Zu den
maßgeblichen Tatsachen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der
Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter sowie
deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der
vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des
bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, der Übergang von
Kundschaft und Lieferantenbeziehungen sowie die Dauer einer eventuellen
Unterbrechung der Betriebstätigkeit (st. Rspr. BAG im Anschluss an EuGH, Urt. v.
11.3.1997 - Rs C-13/95, Slg. I 1997, 1259 (Ayse Süzen): BAG, Urt. v. 25.5.2000 - 8 AZR
416/99, AP Nr. 209 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 16.5.2002 - 8 AZR 319/01, AP Nr. 237
zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 8.8.2002 - 8 AZR 583/01, NZA 2003, 315; BAG, Urt. v.
18.12.2003 - 8 AZR 621/02, AP Nr. 263 zu § 613a BGB). Dabei darf eine Einheit nicht
als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit kann sich auch aus
anderen Merkmalen ergeben, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer
Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung
stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen
Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder
Betriebsmethoden unterschiedliche Bedeutung zu (BAG, Urt. v. 18.12.2003 - 8 AZR
621/02, AP Nr. 263 zu § 613a BGB). In Branchen, in denen es primär auf die
menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die
durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit
darstellen. Die Wahrung ihrer Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber
nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und
Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei
dieser Tätigkeit eingesetzt hat. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch
einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolger) ohne Übernahme der wesentlichen
Betriebsmittel oder - in betriebsmittelarmen Betrieben - der Hauptbelegschaft keinen
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Betriebsübergang dar (BAG, Urt. v. 11.12.1997 - 8 AZR 426/94, AP Nr. 171 zu § 613a
BGB; vgl. zusammenfassend BAG, Urt. v. 18.12.2003 - 8 AZR 621/02, AP Nr. 263 zu §
613a BGB).
Nach diesen Maßstäben ist offensichtlich, dass von der Beklagten ein Betriebsübergang
gewollt war und offenbar zwischen ihr und der Stadt O. bzw. der M. auch durchgeführt
wurde oder zum 1.8..2008 durchgeführt werden wird. Der L. ist durch Rechtsgeschäft auf
die Stadt einschließlich sämtlicher Betriebsmittel auf die Stadt O. übergegangen. Aus
dem notariellen Kaufvertrag ergibt sich zusätzlich die eindeutige Absicht, den L. als L.
weiter zu betreiben.
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Da eine Stilllegung von der Beklagten somit nicht beabsichtigt war, sondern vielmehr
von Anfang an Betriebsübergang gewollt war, liegt kein dringendes betriebliches
Erfordernis zur Kündigung der Klägerin vor.
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Die Kündigung ist somit nicht sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 1 u. 2 KSchG,
sodass die Kündigungsschutzklage Erfolg hatte.
52
III. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Kündigung auch wegen
fehlerhafter Anhörung der Mitarbeitervertretung unwirksam ist.
53
Zur Frage der Anhörung der Mitarbeitervertretung gelten dieselben Grundsätze wie für
die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG (vgl. BAG, Urt. v. 10.12.1992 - 2 AZR
271/92, AP Nr. 41 zu Art. 140 GG). Nach § 30 RahmenMAVO ist die
Mitarbeitervertretung bei einer Kündigung nach Ablauf der Probezeit zu beteiligen. Nach
§ 30 Abs. 5 RahmenMAVO ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats erfolgte Kündigung
unwirksam. Das BAG vertritt in ständiger Rechtsprechung zu § 102 BetrVG, dass eine
fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats einer nicht erfolgten Beteiligung gleichzustellen
ist (BAG, Urt. v. 29.1.1997 - 2 AZR 292/96, AP Nr. 131 zu § 626 BGB; BAG, Urt. v.
16.9.1993 - 2 AZR 267/93, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972). Diese Rechtsprechung ist
auf den hier vorliegenden Fall zu übertragen (vgl. auch BAG, Urt. v. 21.2.2001 - 2 AZR
139/00, AP Nr. 29 zu § 611 BGB Kirchendienst).
54
Zweifel an der ordnungsgemäßen Anhörung der Mitarbeitervertretung resultieren im
vorliegenden Fall vor allem aus dem Umstand, dass die Beklagte gegenüber ihrer
Mitarbeitervertretung keinerlei Angaben über ihre Absicht gemacht hat, den L. im Wege
eines Betriebsübergangs zu veräußern. Gegenüber der Mitarbeitervertretung wurde
lediglich eine Schließungsabsicht kundgetan, die - zumindest im rechtlichen Sinne -
nicht existierte. Da die Kündigung aber ohnehin bereits wegen § 1 Abs. 1 u. 2 KSchG
unwirksam war, konnte dahinstehen, ob die Anhörung der Mitarbeitervertretung nach
dem Maßstab der subjektiven Determination (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 11.8..1991 - 2 AZR
119/91, AP Nr. 57 zu § 102 BetrVG 1972) noch ausreichend war, weil die Beklagte
möglicherweise die Übertragung des L. im Wege des Betriebsübergangs selbst als
"Schließung" desselben verstanden haben könnte.
55
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die
gem. § 61 Abs. 1 ArbGG erforderliche Streitwertentscheidung folgt aus § 3 ZPO in
Anlehnung an § 42 Abs. 4 GKG. Die Kammer hat das zweifache Gehalt der Klägerin in
Ansatz gebracht, da eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Annahme
unter Vorbehalt nicht in Betracht kommt.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
58
B e r u f u n g
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eingelegt werden.
60
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
61
Die Berufung muss
62
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
63
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
64
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
65
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
66
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. E.
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