Urteil des ArbG Marburg vom 16.08.2005

ArbG Marburg: treu und glauben, allgemeine geschäftsbedingungen, vertragsstrafe, fristlose kündigung, arbeitsrecht, rückzahlung, beendigung, kündigungsfrist, anteil, bedürfnis

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Gericht:
ArbG Marburg 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ca 395/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 307 BGB, § 309 Nr 6 BGB, §
310 Abs 4 BGB
(Vertragsstrafenabrede - unangemessene Benachteiligung)
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe.
Die Beklagte war bei der Klägerin als Kassiererin in deren Baumarkt in Marburg
vom 01. Nov. 1997 bis zum 10. Dez. 2004 beschäftigt.
Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien am 10. Dez. 2004
außerordentlich fristlos wegen Unterschlagungen der Beklagten. Die Beklagte hat
diese außerordentliche Kündigung nicht angegriffen.
Die Klägerin stellte im Zeitraum vom 10. Sept. 2004 bis 08. Dez. 2004 einen von
der Beklagten durch Unterschlagung oder Diebstahl verursachten Schaden in
Höhe von 3.335,57 Euro fest. Die Beklagte unterzeichnete auf Veranlassung der
Klägerin unter dem 19. Mai 2005 ein notarielles Schuldanerkenntnis über diesen
Betrag von 3.335,57 Euro.
Die noch arbeitslose Beklagte trägt diesen Zahlungsbetrag mittlerweile in
monatlichen Raten von 100,00 Euro ab.
Darüber hinaus ist die Beklagte wegen ihres Fehlverhaltens vom Amtsgericht
Marburg am 19. Mai 2005 strafrechtlich verurteilt worden.
In Ziffer 7) des Arbeitsvertrages der Parteien wurde für den Fall der
außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines
Fehlverhaltens der Arbeitnehmerin die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines
Bruttomonatsgehalts vereinbart. Das letzte Monatsgehalt der Klägerin belief sich
auf 1.821,65 Euro brutto.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung dieser vereinbarten
Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehalts neben den Schadenersatz aus dem
Schuldanerkenntnis vom 19. Mai 2005.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass keine unangemessene Benachteiligung der
Beklagten gemäß § 307 BGB vorliege. Es sei nämlich nicht sicher, ob der
gänzliche, von der Beklagten verursachte Schaden mit dem Schuldanerkenntnis
erfasst sei.
Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Rückzahlung des anteiligen Urlaubsgeldes
bzw. einer Erholungsbeihilfe 2004 in Höhe eines Zwölftels.
Die Klägerin hat der Beklagten 2004 Urlaubsgeld/Erholungsbeihilfe in Höhe von
1.048,15 Euro brutto gezahlt. Im Rahmen eines Tarifvertrages vom 27. Sept. 2000
ist die Klägerin einem Urlaubskassenverein beigetreten. Nach § 13 des Firmen-
Manteltarifvertrages gelten die „Auszahlungsrichtlinien Erholungsbeihilfe“ dieses
Urlaubskassenvereins.
In Ziffer 5) der Auszahlungsrichtlinien ist geregelt:
„Scheidet ein Mitglied während des Kalenderjahres aus dem
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„Scheidet ein Mitglied während des Kalenderjahres aus dem
Urlaubskassenverein aus, so muss es den zu viel erhaltenen Anteil der
Erholungsbeihilfe zurückzahlen (1/12 pro vollem Kalendermonat)“
Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 10. Dez. 2004 begehrt die
Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung von einem Zwölftel der
Erholungsbeihilfe in Höhe von 37,97 Euro netto.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.859,62 Euro nebst 5 Prozent
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Parteien haben gem. § 55 Abs. 3 ArbGG
eine Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden beantragt.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die klägerischen Ansprüche nicht begründet
seien.
Sie trägt vor, dass sie ihr Fehlverhalten im Arbeitsverhältnis bereue. Sie hält
jedoch die Zahlung einer Vertragsstrafe für unangemessen.
Sie behauptet, dass der Schaden der Klägerin exakt belegt und berechnet worden
sei. Aus diesem Grunde stelle die zusätzliche Vertragsstrafe eine unangemessene
Benachteiligung und Zusatzstrafe dar. Dies führe zur Unwirksamkeit der
Vertragsstrafenregelung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze
sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 16. Aug. 2005 (Bl. 16,17 d. A.) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die zwischen den Parteien im Arbeitsvertrag vereinbarte Vertragsstrafenregelung
führt in dem vorliegenden Falle zu einer unangemessenen Benachteiligung der
Klägerin i.S.d. § 307 BGB. Es liegt deshalb insoweit eine Unwirksamkeit der
Regelung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Das Rückzahlungsbegehren der
Klägerin wegen eines Zwölftels der Erholungsbeihilfe ist nicht begründet, weil die
Voraussetzungen der Auszahlungsrichtlinien nicht vorliegen.
I.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der von ihr begehrten
Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehaltes. Die Vertragsstrafenregelung ist
unwirksam.
1. Der von den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag fällt unter die Regelungen der
§ 305 ff. BGB. Es handelt sich bei den vertraglichen Regelungen um Allgemeine
Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs.1 BGB.
Danach sind alle vertraglichen Vereinbarungen Allgemeine Geschäftsbedingungen
, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen enthalten
und von einer Vertragspartei der anderen Partei bei Abschluss des Vertrages
vorgelegt werden.
Die Klägerin hat mit der Beklagten unstreitig ein von ihr vorformulierten und
bestimmten Arbeitsvertrag abgeschlossen. Da die Parteien die vertraglichen
Bedingungen nicht im Einzelnen gemeinsam ausgehandelt haben, finden die
Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf das
Vertragsverhältnis Anwendung.
2. Zwar ist in § 309 Nr. 6 BGB bestimmt, dass in Formularverträgen
Vertragsstrafenabreden generell unzulässig sind. Nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB
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Vertragsstrafenabreden generell unzulässig sind. Nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB
müssen jedoch im Arbeitsverhältnis die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten
berücksichtigt werden.
Diese Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten führt nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 4.3.04 - 8 AZR 196/03 - AP Nr.
3 zu § 309 BGB ) dazu, dass im Arbeitsvertragsverhältnis Vertragsstrafenabreden
grundsätzlich zulässig sind.
Allerdings kann ich die Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung aus dem Verbot
einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 BGB ergeben.
3. Im vorliegenden Fall stellt die Vertragsstrafenabrede eine unangemessene
Benachteiligung der Beklagten nach § 307 Abs. 1 BGB dar.
Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam,
wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen dem Gebot von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligen. Unangemessen ist jede Beeinträchtigung
eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch
begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder
durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird.
Wie das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, hat der Arbeitgeber in der Regel ein
berechtigtes Interesse an der Einhaltung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten.
Dieses Interesse des Arbeitgebers kann durch eine Vertragsstrafe gesichert
werden.
Die Vertragsstrafe sichert insbesondere das berechtigte Bedürfnis des
Arbeitgebers, eine arbeitsvertragswidrige Beendigung der Arbeitstätigkeit von
Seiten des Arbeitnehmers, d. h. eine Beendigung ohne Einhaltung der
Kündigungsfrist zu verhindern. Dieser Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Eine Vertragsstrafe kann auch das berechtigte Interesse des Arbeitgebers
schützen, grob vertragswidriges Verhalten im Arbeitsverhältnis zu verhindern. In
Fällen grober Arbeitsvertragsverletzungen und einer fristlosen Kündigung ist die
Darlegung und der Beweis eines konkreten Schadens oft für den Arbeitgeber mit
erheblichen Schwierigkeiten verbunden. In vielen Fällen ist eine konkrete
Schadensdarlegung oder der Schadensnachweis bzw. der Nachweis des
Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden für den
Arbeitgeber nur schwer oder gar nicht zu führen.
Dies sind die Fälle, in denen das Interesse des Arbeitgebers an einer
Vertragsstrafenregelungen anerkennenswert ist. Der Arbeitgeber kann durch diese
Vertragsstrafenregelung bei entsprechendem Fehlverhalten zumindest eine
teilweise Wiedergutmachung seines Schadens durch die Vertragsstrafe erlangen.
Vorliegend ist jedoch auch dieser Fall nicht gegeben. Die Arbeitgeberin war in der
Lage, den von der Beklagten angerichteten Schaden in der Zeit vom 10. Sept. bis
zum 08. Dez. 2004 festzustellen und exakt zu beziffern. Die Beklagte hat diesen
Schadensumfang auch ohne Widerstand anerkannt und durch Schuldanerkenntnis
für die Klägerin abgesichert.
In diesem Falle, d. h. bei der Feststellbarkeit und Nachweisbarkeit des Schadens
sowie der Unterzeichnung eines Schuldanerkenntnisses durch die Schädigerin
stellt die zusätzliche Vertragsstrafenforderung der Arbeitgeberin eine
unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmerin dar, die unter
Berücksichtigung der Gesamtumstände gegen Treu und Glauben verstößt. Die
Vertragsstrafenabrede ist in diesem Falle wegen unangemessener
Benachteiligung der Arbeitnehmerin nach § 307 Abs. 1 BGB rechtsunwirksam.
§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB macht für das Arbeitsrecht nur insoweit eine Ausnahme,
von den allgemeinen AGB-Regeln als Besonderheiten des Arbeitsrechts diese
Ausnahme gebieten.
Eine Ausnahme vom generellen Vertragsstrafenverbot des § 309 Ziff. 6 BGB ist in
den Fällen arbeitsrechtlich geboten, in denen der Arbeitgeber ohne Vertragsstrafe
dem Arbeitnehmer mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert ist. Dies hat das
Bundesarbeitsgericht für die Fälle, die Vertragsbruchs angenommen, in denen der
Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag pflichtwidrig nicht antritt oder in denen er die
vertraglich geschuldete Kündigungsfrist rechtswidrig nicht einhält.
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Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Ausnahmefall für das Arbeitsgericht weiterhin
in den Fällen festgestellt, in denen bei einem grob vertragswidrigen Verhalten des
Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis es dem Arbeitgeber aufgrund der
Beweislastverteilung und der tatsächlichen Gegebenheiten erfahrungsgemäß sehr
schwer fällt, einen angemessenen Schadensnachweis auch nur annähernd zu
führen.
In den Fällen, in denen der Schadensumfang mehr oder weniger feststeht und die
Arbeitnehmerseite ein Schuldanerkenntnis bzw. ein notarielles Schuldanerkenntnis
in Höhe des Schadensbetrages unterzeichnet hat, bestehen keine Besonderheiten
des Arbeitsrechts, die es rechtfertigen würden, vom Vertragsstrafenverbot des §
309 Ziff. 6 BGB eine Ausnahme zu machen.
Schon aus diesem Grunde ist die Vertragsstrafenregelung der Parteien für diesen
Fall wegen Verstoßes gegen § 309 Ziff. 6 BGB rechtlich unwirksam.
Darüber hinaus stellt jedoch die Vertragsstrafe neben dem Schuldanerkenntnis
und der fristlosen Kündigung sowie der strafrechtlichen Verfolgung der Beklagten
eine unangemessene weitere „Zusatzbestrafung“ dar, an der der Arbeitgeber
nach Abwägung aller Umstände kein berechtigtes Interesse besitzt. Die Beklagte
hat durch das notarielle Schuldanerkenntnis und die fristlose Kündigung ihre
Interessen in vollem Umfange gewahrt. Eine darüber hinausgehende
Vertragsstrafe verstößt gegen das Gebot von Treu und Glauben, da die Interessen
der Beklagten soweit wie möglich bereits erfüllt sind.
Die Vertragsstrafe darf gerade auch im Arbeitsverhältnis keine über den konkreten
Schaden hinausgehende Zusatzbestrafung beinhalten.
Unerheblich ist der Einwand der Klägerin, dass nicht sicher sei, ob der Schaden
gänzlich erfasst ist. Nach derzeitigem Stand ist von dem Schuldanerkenntnis jeder
bisher feststellbare Schaden erfasst worden. Die Vertragsstrafenregelung ist nur
zulässig, wenn der Nachweis des Schadens oder des Schadensumfanges dem
Arbeitgeber aufgrund der tatsächlichen Gegebenheit mehr oder weniger
unmöglich ist oder dieser Nachweis mit besonderen, überproportionalen
Schwierigkeiten und Aufwendungen verbunden ist. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Die Klage war deshalb hinsichtlich der Vertragsstrafenforderung der Klägerin
abzuweisen.
II.
Auch der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung der anteiligen Erholungsbeihilfe
ist nicht begründet.
In der von der Klägerin zur Begründung der Rückforderung herangezogenen
Auszahlungsrichtlinie Erholungsbeihilfe ist unter Ziffer 5) geregelt, das
grundsätzlich bei vorzeitigem Ausscheiden vor Vollendung des Kalenderjahres der
zuviel erhaltene Anteil der Erholungsbeihilfe zurückzuzahlen ist. In Klammerzusatz
ist dann weiter definiert, dass sich der Rückzahlungsanspruch auf ein Zwölftel der
Erholungsbeihilfe pro vollem Kalendermonat erstreckt.
Die Beklagte ist mit Kündigung vom 10.Dez. 2004 aus dem Arbeitsverhältnis
ausgeschieden. Die Zeit vom Ausscheiden bis zum Ende des Kalenderjahres 2004
erreichte somit keinen vollen Kalendermonat mehr.
Damit ist nach den “Auszahlungsrichtlinien Erholungsbeihilfe“ des
Urlaubskassenvereins mangels vollem Monat bis zum Ende des Kalenderjahres ein
Rückzahlungsanspruch der Klägerin nicht gegeben.
Die Klage war deshalb auch insoweit abzuweisen.
III.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist, § 91
ZPO.
Die gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Festsetzung des
Gegenstandswerts beruht auf § 3 ZPO und ist an der Höhe des Klagebetrages
orientiert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.