Urteil des ArbG Lörrach vom 16.10.2009

ArbG Lörrach: wichtiger grund, leiter, abmahnung, einseitiges rechtsgeschäft, fristlose kündigung, anhörung, abfall, haus, verfügung, vertreter

ArbG Lörrach Urteil vom 16.10.2009, 4 Ca 248/09
Außerordentliche Kündigung - Diebstahl von 6 Maultaschen
Leitsätze
Der Diebstahl von 6 Maultaschen aus übriggebliebener Bewohnerverpflegung durch eine Altenpflegerin ist geeignet eine außerordentliche
Kündigung zu rechtfertigen, wenn ein ausdrückliches und der Arbeitnehmerin auch bekanntes Verbot hinsichtlich der Verwertung von Resten durch
das Personal besteht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 6.808,11 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
2
Die 58-jährige, verheiratete Klägerin ist seit 01.11.1992 bei der Beklagten, einer rechtsfähigen Stiftung öffentlichen Rechts, als Altenpflegerin im
Umfang von 80 % einer Vollzeitstelle im Haus T beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt nach Entgeltgruppe 7 a TVöD betrug
zuletzt 2.269,37 EUR.
3
Es besteht ein schriftlicher Arbeitsvertrag, wegen dessen gesamten Inhalts auf Anlage K1, Aktenblatt 4-5 verwiesen wird. Unter Datum vom
23.05.2008 wurde zwischen den Parteien ein Altersteilzeitvertrag geschlossen, der im Blockmodell die Arbeitsphase vom 01.06.2008 bis
31.05.2011 und die Freizeitphase vom 01.06.2011 bis 31.05.2014 vorsieht (vgl. Anlage K3, ABl. 7). Der Altersteilzeitvertrag ist unterzeichnet vom
Leiter der Stiftungsverwaltung Herrn W.
4
Bei der Beklagten ist ein Personalrat gebildet.
5
Am 21.04.2009 kam es - insoweit unstreitig - zu folgendem Vorfall:
6
Die Klägerin hatte Frühschicht von 06.30 bis 13.00 Uhr mit einer 30-minütigen Pause zwischen 9.45 und 10.45 Uhr. Ab 14.15 Uhr war eine
Fortbildungsveranstaltung im Krankenhaus K angesetzt, zu der die Klägerin mit dem Bus fahren musste. In der Zeit zwischen 11.30 Uhr und
12.30 Uhr war die Klägerin auf der Station 2 des Pflegebereichs (im 2. Stock des Hauses T) mit der Essensausgabe beschäftigt. Die Küche
befindet sich im 1. Stock des Gebäudes, das Essen wird von dort aus in die einzelnen Stationen gebracht. Es herrscht das sogenannte Schöpf-
Prinzip, das heißt, das Essen kommt in Warmhaltebehältern in die Stationsküchen und wird für die Bewohner auf Teller geschöpft und
angerichtet. An diesem Tag gab es unter anderem Maultaschen, die in der Brühe schwimmend in einem Behälter warm gehalten wurden. Nach
Erledigung der Essensausgabe und der Aufräumarbeiten schöpfte sich die Klägerin einige Maultaschen aus dem Behälter, ihrer Schätzung nach
3-4 Stück, und füllte sie in eine in der Stationsküche üblicherweise verwendete Porzellangemüseschale. Später, etwa gegen 13.15 Uhr, steckte
sie diese Schale mit den Maultaschen in eine Stofftasche.
7
Die Klägerin wollte sodann von der Station im 2. Stock in den 1. Stock gehen, als sie ihrer Vorgesetzten, der Zeugin E, begegnete. Frau E ging ihr
nach und forderte die Klägerin im 1. Stock - in Anwesenheit der Zeugin R (seinerzeit S) - auf, ihr den Inhalt der Stofftasche zu zeigen. Die
Klägerin packte die Schale mit den Maultaschen aus und beließ sie letztlich in der Stationsküche im 1. Stock.
8
Am 23.04.2009 fand ein Personalgespräch wegen dieses Vorgangs statt, an dem neben der Klägerin und deren Tochter die
Personalratsvorsitzende Frau W, die Heimleiterin Frau B, die Personalsachbearbeiterin Frau K und Frau E teilnahmen. Die Klägerin behauptete,
die Maultaschen genommen zu haben um sie zu essen, da sie großen Hunger gehabt und am Nachmittag noch zu der Schulung gemusst habe.
Die Klägerin räumte ein, dass eine Erstattung der Kosten von ihr nicht beabsichtigt war und machte geltend, dass sie sich nichts weiter dabei
gedacht habe.
9
Am 24.04.2009 hörte die Beklagte gemäß § 77 Absatz 3 LPVG den Personalrat zur außerordentlichen Kündigung wegen Diebstahls an. Wegen
des Anhörungsschreibens im Einzelnen wird auf die Anlage B2, Aktenseite 41-43, Bezug genommen. Im Rahmen der Anhörung ging die
Beklagte aufgrund der von ihr gewonnenen Erkenntnisse von insgesamt 6 mitgenommenen Maultaschen aus und wies insbesondere darauf hin,
dass der Klägerin die Praxis im Hause bekannt sei, wonach es Beschäftigten aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht gestattet ist, Reste
aus der Bewohnerverpflegung zu verzehren. Diesbezüglich wurde auf einen der Anhörung beigefügten Aushang vom 20.09.2002 des Leiters der
Stiftungsverwaltung W ausdrücklich Bezug genommen (vgl. Anlage B1, ABl. 40), der der Klägerin im Rahmen des Personalgesprächs am
23.4.2009 auch vorgehalten worden war. Dieser
Hinweis zur Personalverpflegung
10
Sehr geehrte MitarbeiterInnen,
11
bei einem Gespräch mit den Heimleitungen haben wir unter anderem den Punkt „Resteessen“, d. h. den Verzehr von Resten aus der
Bewohnerverpflegung durch das Personal besprochen. Aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus erinnere ich Sie daran, dass die
Reste aus der Bewohnerverpflegung immer an die ausliefernde Küche zurückzugeben sind. Ein Verzehr durch die MitarbeiterInnen
kann nicht gestattet werden.
12
Für alle MitarbeiterInnen steht unsere Personalverpflegung zur Verfügung und ich empfehle Ihnen, bei Bedarf davon Gebrauch zu
machen. Die Kosten für die Personalverpflegung sind durch einen Zuschuss des Arbeitgebers reduziert.
13 Der Personalrat widersprach der Kündigungsabsicht der Beklagten unter Datum vom 28.04.2009 und ersuchte die Beklagte, „auf eine juristisch
korrekte, aber menschlich unverständliche“ Kündigung zu verzichten. Der Personalrat bat „trotz des Diebstahls, um den es sich handle“,
insbesondere um Wahrung der Verhältnismäßigkeit, mahnte den christlichen Gesichtspunkt der Vergebung an und verwies auf die Möglichkeit
einer schriftlichen Abmahnung (vgl. Anl. B3, ABl. 44 - 45).
14 Am 30.04.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich; das Kündigungsschreiben hatte der Leiter der Stiftungsverwaltung,
Herr W, unterzeichnet. Die Kündigung ging der Klägerin am gleichen Tag zu. Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2009 ließ die Klägerin die
Kündigungserklärung gemäß § 174 BGB zurückweisen, weil ihr keine Originalvollmacht für Herrn W beigefügt war. Außerdem wurde die
Kündigungserklärung vorsorglich wegen fehlender oder nicht ausreichender Vertretungsmacht des Herrn W gemäß §§ 177, 180 BGB
zurückgewiesen. Dass dies unverzüglich geschah, wurde zwischenzeitlich unstreitig gestellt.
15 Am 07.05.2009 reichte die Klägerin Kündigungsschutzklage zum erkennenden Gericht ein.
16 Die Klägerin bestreitet die Wirksamkeit der Kündigung in formaler Hinsicht damit, dass sich aus der Satzung der Beklagten lediglich ergebe, dass
der Oberbürgermeister der Stadt K die Stiftung vertrete. Eine gesetzliche oder gesetzesähnliche Vertretungsberechtigung des Leiters der
Stiftungsverwaltung W folge daraus hingegen nicht. Die Zuständigkeitsordnung, die die Beklagte als Anlage B2 (ABl. 46-57) vorgelegt habe in
Verbindung mit der Anlage zur Zuständigkeitsordnung sei in ihrer rechtlichen Qualität zweifelhaft. Es dürfte sich dabei allenfalls um eine
einseitige Dienstanweisung des Oberbürgermeisters handeln. Diese begründe jedoch keine gesetzliche oder gesetzesähnliche, etwa
satzungsmäßige Vertretungsmacht. Der Leiter der Stiftungsverwaltung könne - wenn überhaupt - allenfalls rechtsgeschäftlich bevollmächtigter
Vertreter sein, für den § 174 BGB gelte. § 174 Satz 2 BGB sei jedoch nicht einschlägig, denn der Leiter der Stiftungsverwaltung sei gerade nicht
in eine Stellung berufen worden, die - für jedermann erkennbar - die Vertretungsberechtigung im Zusammenhang mit dem Ausspruch von
arbeitsrechtlichen Kündigungen beinhalte. Schon die von der Beklagten vorgelegte Anlage zur Zuständigkeitsordnung spreche gegen diese
Version: Die dortige Nr. 22 differenziere bezüglich der Personalentscheidungen nach den jeweiligen Entgeltgruppen.
17 Bis Entgeltgruppe 8 solle die Spitalstiftung als Dienststelle zuständig sein, für Entgeltgruppe 9-11 hingegen der Dezernent. Danach gebe es also
keine umfassende oder allgemeine Kündigungsbefugnis des Leiters der Stiftungsverwaltung. Die Klägerin hat darüber hinaus bestritten, dass am
Ende des Personalgesprächs vom 23.04.2009 darauf hingewiesen worden sei, dass die endgültige Kündigungsentscheidung Herrn W obliege.
Sie habe daher zu Recht die Kündigungserklärung zurückgewiesen, weil keine Originalvollmacht beigefügt gewesen sei.
18 In materiellrechtlicher Hinsicht hat die Klägerin bestritten, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorliege, der der Beklagten die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.05.2014 unzumutbar mache. Entgegen den Behauptungen der Beklagten habe die Klägerin
nicht 6 sondern lediglich 3-4 Maultaschen genommen, um sie zu verzehren. Keineswegs hätte sie diese Maultaschen zur Bevorratung
genommen, sondern hätte sie vielmehr zunächst in die Mikrowelle der Stationsküche im 2. Stock gestellt, um sie bis zum Arbeitsende um 13.00
Uhr warm zu halten. Sie hätte dann die Maultaschen in der Stationsküche des 1. Stocks verzehren wollen, um dort zugleich auf eine Kollegin zu
warten, die mit ihr die Fortbildung besuchen wollte. Die Klägerin habe starken Hunger gehabt und keine Möglichkeit, sich außer Haus etwas zum
Essen zu kaufen. Sie sei seit 05.00 Uhr morgens unterwegs gewesen und um die Fortbildungsveranstaltung pünktlich zu erreichen, hätte sie um
13.37 Uhr den Bus nehmen müssen. Zur beabsichtigten Einnahme der Mahlzeit seien ihr also ca. 20 Minuten verblieben. Weder habe sie die
Schale mit den Maultaschen mit einer Frischhaltefolie abgedeckt noch habe sie eine Zeitung darüber gelegt, um sie in der Stofftasche zu
verbergen. Soweit die Beklagte behaupte, die Klägerin hätte ein nervöses und deshalb auffälliges Verhalten an den Tag gelegt, das ihre
Vorgesetzte Frau E bemerkt habe, sei sie lediglich wegen der Fortbildung unter Zeitdruck gewesen. Die Maultaschen habe sie in der
Stationsküche zwischen 13.15 und 13.30 Uhr verspeisen wollen, um ihren Hunger zu stillen. Die mitgenommene Menge habe in etwa einer
Mahlzeit und nicht weit mehr als einer solchen entsprochen. Es hätte auch gar keinen Sinn gemacht, die Maultaschen mit nach Hause zu
nehmen, da die Klägerin zuvor noch die Fortbildung zu absolvieren gehabt habe. Das behauptete Verbot vom 20.09.2002, Reste zu verzehren
sei der Klägerin nur vom Hörensagen über Kollegen bekannt gewesen. Die Anlage B1 (Hinweis zur Personalverpflegung) habe die Klägerin bis
zum Vorhalt durch Frau K im Personalgespräch vom 23.4.2009 nicht gekannt.
19 Von Seiten der Köche seien mehrfach Aufforderungen an das Personal ausgesprochen worden, Reste zu essen. Es sei auch in der gesamten
Belegschaft des Hauses T gang und gäbe, dass Reste der Bewohnerverpflegung vom Personal gegessen würden. Die Maultaschen hätten
maximal einen Materialwert von 1,20 EUR gehabt und wären im übrigen als Abfall weggeworfen worden. Die übrig gebliebenen Maultaschen
hätten also für die Beklagte überhaupt keinen wirtschaftlichen Wert mehr dargestellt. Dies werde auch daran deutlich, dass sich im Nachgang
zum Auspacken der Maultaschen aus der Stofftasche dann niemand mehr für deren Verbleib interessiert hätte. Vor diesem Hintergrund sei eine
außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses bereits nicht verhältnismäßig. Die Klägerin sei 58 Jahre alt, nahezu 17 Jahre beschäftigt
und befinde sich im Altersteilzeitverhältnis. In dieser Situation hätte es die Beklagte bei einer Ermahnung oder Abmahnung belassen müssen.
20 Die Klägerin hat beantragt:
21
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten
vom 30.04.2009 nicht aufgelöst wurde.
22
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis bis zum 31.05.2014 fortbesteht.
23 Die Beklagte hat beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25 Die Beklagte hat die Vertretungsbefugnis und Zuständigkeit des Leiters der Stiftungsverwaltung W auf Ziffer 2.1 der Zuständigkeitsordnung (im
folgenden: ZO) für die Stadtverwaltung K vom 24.11.2006 in Verbindung mit Nr. 22 der Anlage zur ZO gestützt. Der Leiter der Stiftungsverwaltung
sei danach qua Delegation rechtmäßiger Vertreter des Oberbürgermeisters für alle Personalentscheidungen einschließlich Kündigung bis zur
Entgeltgruppe 8. § 174 BGB sei daher nicht anwendbar. Im übrigen sei die Zurückweisung aber gemäß § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da
Herr W als Leiter der Stiftungsverwaltung eine derart herausgehobene Stellung habe, dass für jeden objektiven Beobachter von der Gewissheit
seiner Kündigungsbefugnis auszugehen sei. Auch den Altersteilzeitvertrag der Klägerin habe er unterzeichnet sowie eine Fülle von
Kündigungen oder Abmahnungen in anderen Fällen.
26 Nicht zuletzt sei die Klägerin im Verlauf des Personalgesprächs am 23.04.2009 auch darauf hingewiesen worden, dass Herr W die
Kündigungsentscheidung zu treffen haben werde.
27 Die außerordentliche Kündigung sei auch verhältnismäßig. Die Entwendung von 6 Maultaschen in einer Keramikschale stelle einen vollendeten
Diebstahl gemäß § 242 StGB dar. Ausgehend davon, dass ein (bezuschusstes) Standardmittagessen für Mitarbeiter zum Preis von 3,35 EUR
abgegeben werde, sei der Wert einer Maultasche in der hier hergestellten Größe mit ca. 2,00 EUR anzusetzen. Normalerweise stellten ein bis
zwei Stück (mit Salatbeilage) eine vollständige Mahlzeit dar. Trotz des verhältnismäßig geringen Sachwerts sei insoweit entscheidend, dass die
Klägerin deutlich mehr Maultaschen genommen habe, als sie ihrer Behauptung nach zum Mittagessen am 21.04.2009 hätte verzehren können.
Es handele sich um eine zusätzliche vertrauensverletzende Schutzbehauptung, die besonders schwer wiege, weil die Maultaschen mit einer
Folie abgedeckt gewesen seien und die Klägerin eine Zeitung darüber gelegt habe. Auch daraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass
die Maultaschen zur Bevorratung hätten mitgenommen werden sollen. Die Klägerin hätte überdies in der Mittagspause ohne weiteres die zur
Verfügung stehende Personalverpflegung in Anspruch nehmen können. Der Vertrauensverlust auf Seiten der Beklagten sei unüberbrückbar und
auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit der Klägerin von überwiegendem Gewicht. Bezüglich der Bewohnerverpflegung müsse
ein absolut korrekter Umgang vorausgesetzt werden und dem entspreche auch die Bekanntmachung der Beklagten vom 20.09.2002 mit dem
ausdrücklichen Verbot. Bis vor circa einem Jahr seien diese Hinweise in den Stationsküchen ausgehängt gewesen. Die Klägerin habe im
Rahmen der Anhörung vom 23.04.2009 auf Vorhalt dieses Papiers vom 20.09.2002 durch Frau K auch eingeräumt, dass ihr das Verbot bekannt
gewesen sei. Weder sei gang und gäbe, dass die Mitarbeiter Reste äßen noch werde dazu vom Küchenpersonal aufgefordert. Aus den Stationen
an die Küche zurückgehende Esswaren seien auch insoweit von Bedeutung, als die jeweilige Menge künftige Budgetierung und Kalkulation der
Essensmengen erlaube.
28 Das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus grundsätzlichen und präventiven Erwägungen überwiege das
Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Das tatsächliche Verhalten der Klägerin gebe Anlass zu der Sorge, dass
schon in der Vergangenheit derlei Taten vorgekommen und auch in Zukunft zu befürchten seien.
29 Mit einer Abmahnung sei es angesichts der Gesamtumstände des Falles und auch im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung nicht getan.
30 Die Beklagte hat im übrigen darauf hingewiesen, die Klägerin habe unter dem 30.10.2008 eine Abmahnung wegen Schlechtleistung
(Missachtung der Vorschriften des BTM-Gesetzes am 30.05.2008) erhalten sowie eine Ermahnung wegen Schlechtleistung in 4 verschiedenen
Fällen im Zeitraum vom 11.05.2008 bis 29.06.2008, ebenfalls datiert vom 30.10.2008 (vgl. Anlage B5, ABl. 116 und Anlage B6, ABl. 117-118).
31 Die Klägerin hat den Erhalt der Abmahnung vom 30.10.2008 gemäß der Anlage B5 bestritten.
32 Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Anlagen und das nicht angekündigte mündliche
Parteivorbringen im Gütetermin vom 30.06.2009 und im Kammertermin vom 22.09.2009 Bezug genommen. Die Kammer hat Beweis erhoben
durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen Frau E, Frau K und Frau R (seinerzeit S) sowie des Zeugen Herrn H. Wegen des Inhalts ihrer
Aussagen wird auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 22.09.2009 ABl. 159-170 vollumfänglich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A)
33 Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und demgemäß abzuweisen. Die außerordentliche Kündigung vom 30.04.2009 hat das
Arbeitsverhältnis der Klägerin mit ihrem Zugang am gleichen Tag beendet. Auch das Weiterbeschäftigungsbegehren der Klägerin bis zum
31.05.2014 ist damit unbegründet.
34 Die Kündigung wurde berechtigtermaßen durch den Leiter der Stiftungsverwaltung Herrn W ausgesprochen (dazu unter I.).
35 Das Kündigungsschutzgesetz findet vorliegend Anwendung, da die Klägerin länger als 6 Monate beschäftigt ist und die Beklagte insgesamt etwa
220 Mitarbeiter hat, §§ 1 Abs. 1, 23 KSchG. Nach § 2 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis der Bundesangestellten-Tarifvertrag
und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Daher gilt § 34 TV-L für
die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin ist gemäß § 34 Abs. 2 TV-L ordentlich unkündbar, da sie das 40. Lebensjahr vollendet hat
und mehr als 15 Jahre im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 TV-L beschäftigt ist. Die Beklagte hat jedoch das Arbeitsverhältnis
berechtigtermaßen gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich gekündigt, da Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfalles der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Altersteilzeitvertrages am 31.05.2014 unzumutbar machen
(dazu unter II.).
I.
36 Die Kündigung ist formwirksam; der Vorlage einer Originalvollmacht durch den Leiter der Stiftungsverwaltung W bedurfte es entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht - sie konnte daher die Kündigungserklärung nicht nach § 174 BGB zurückweisen.
37 1. § 174 Satz 1 BGB gilt nach seinem Wortlaut und seiner Stellung im Gesetz nur für rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter (vgl. BAG Urteil
vom 10.02.2005, 2 AZR 584/03 - juris). Beruht die Vertretungsmacht nicht auf der Erteilung einer Vollmacht durch den Vertretenen sondern auf
gesetzlicher Grundlage, scheidet eine Zurückweisung aus.
38 Die gesetzliche Vertretungsmacht beruht nämlich nicht auf einer Willensentscheidung des Vertretenen; sie kann auch nicht durch eine Vollmacht
nachgewiesen werden.
39 2. Gemessen an den vorgenannten Voraussetzungen kommt vorliegend eine Zurückweisung der Kündigung gemäß § 174 Satz 1 BGB nicht in
Betracht. Bei der Beklagten handelt es sich um eine rechtsfähige örtliche Stiftung des öffentlichen Rechts im Sinne des § 31 Stiftungsgesetz für
Baden-Württemberg und des § 101 Gemeindeordnung Baden-Württemberg. § 6 Abs. 2 der Satzung der Beklagten aus dem Jahr 2007 weist den
Oberbürgermeister der Stadt K als Vorsitzenden des Stiftungsrates als Vertreter der Stiftung aus. Er kann Aufgaben auf den für die Spitalstiftung
zuständigen Dezernenten delegieren (vgl. Satzung der Spitalstiftung Anlage K12, ABl. 94/95). Nach dem Dezernatsverteilungsplan aus dem April
2009 gehört die Spitalstiftung - aufgegliedert in Klinikum K und Stiftungsverwaltung - zum Dezernat II. Nach der Zuständigkeitsordnung für die
Stadtverwaltung K, die nach ihrer Ziffer 1 auch für die Spitalstiftung K gilt, regelt diese auch die Befugnis der Dezernenten und der Dienststellen,
die Stiftung nach außen zu vertreten. In der Anlage zur Zuständigkeitsverordnung für die Stadtverwaltung K sind unter Nr. 22 nach der Tabelle zu
§ 5 der Hauptsatzung ausdrücklich folgende Aufgaben der Spitalstiftung übertragen: Personalentscheidungen bei Beschäftigten (Einstellung,
Übertragung höherwertiger Tätigkeiten, Umgruppierung, Kündigung) bis Entgeltgruppe 8. Für die Entgeltgruppen 9 - 11 ist die Zuständigkeit auf
den Dezernenten übertragen; also für die Spitalstiftung auf den Leiter des Dezernats II. Damit ist der Leiter der Stiftungsverwaltung W mit
satzungsmäßiger Vertretungsbefugnis ausgestattet, sodass er auch eine Kündigungserklärung ohne den Nachweis seiner Bevollmächtigung
abgeben kann. Die rechtlichen Zweifel, die die Klägerin an der Wirksamkeit der Zuständigkeitsordnung und an deren rechtlicher Qualität
geäußert hat, waren mangels entsprechender weiterführender Angaben und gegebenenfalls anders lautender, später wirksam gewordener
Regelungen nicht rechtserheblich.
40 3. Selbst bei Verneinung satzungsmäßiger Vertretungsbefugnis und Anwendung des § 174 BGB ist jedoch die Zurückweisung der Kündigung
gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
41 Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde
nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn
der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat (§ 174 Satz 2 BGB). § 174 BGB gilt bei allen
empfangsbedürftigen einseitigen Willenserklärungen, insbesondere auch für die Kündigung. Ein Zurückweisungsrecht besteht nur dann, wenn
der Kündigungsempfänger keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich
gelten lassen muss (BAG, Urteil vom 29.10.1992, 2 AZR 460/92 - juris). Eine Ungewissheit, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der
Vertretene diese Erklärung wirklich gegen sich gelten lassen muss, kann bei Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung dann nicht
bestehen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass ein bestimmter Mitarbeiter zu derartigen
Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt ist. Dies kann insbesondere dadurch geschehen, dass der betreffende Mitarbeiter in eine
Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG bedeutet die
Berufung eines Mitarbeiters zum Beispiel in die Stellung als Leiter der Personalabteilung, als Prokurist oder als Generalbevollmächtigter in der
Regel, dass die Arbeitnehmer des Betriebes auch im Sinne des § 174 Satz 2 BGB davon in Kenntnis gesetzt sind, dass der Betreffende zur
Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt ist. Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung ist dabei stets auf der Grundlage der Umstände
des Einzelfalles festzustellen, wie sich die Position des Erklärenden für einen objektiven Betrachter darstellt, ob also mit einer derartigen Stellung
die Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt. Das In-Kenntnis-Setzen ist insoweit ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage der
Vollmachtsurkunde. Eine derartige Bekanntmachung ist beispielsweise wiederum dann zu bejahen, wenn die entsprechende
Vertretungsregelung in einem Geschäftsverteilungsplan niedergelegt ist, welcher von den jeweiligen Arbeitnehmern zur Kenntnis genommen
werden kann (vgl. BAG Urteil vom 20.08.1997, 2 AZR 518/96; BAG Urteil vom 03.07.2003, 2 AZR 235/02 - beide juris).
42 4. Diesen Grundsätzen folgend wäre selbst dann, wenn man den Leiter der Stiftungsverwaltung als rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertreter
ansehen würde und § 174 BGB Anwendung fände, jedenfalls davon auszugehen, dass der Leiter der Stiftungsverwaltung eine Stellung inne hat,
die - für jedermann erkennbar - die Vertretungsberechtigung im Zusammenhang mit dem Ausspruch von arbeitsrechtlichen Kündigungen
beinhaltet. Die entsprechende Vertretungsregelung ist in der Zuständigkeitsordnung und der Anlage dazu auch in hinreichender Form bekannt
gemacht und jederzeit zugänglich. Die insoweit von der Klägerin beanstandete Einschränkung aus Ziff. 22 der Anlage zur Zuständigkeitsordnung
„bis Entgeltgruppe 8“ vermag hieran nichts zu ändern: Die Abgrenzung hinsichtlich der jeweiligen Zuständigkeiten des Leiters der
Stiftungsverwaltung und des Leiters des Dezernats II ist zweifelsfrei, nicht auslegungsbedürftig und eindeutig. Die Klägerin mit Entgeltgruppe 7
unterfällt der Zuständigkeit des Leiters der Stiftungsverwaltung. Die Klägerin hat auch offen gelassen, welche andere Person denn ihrer
persönlichen Wahrnehmung nach befugt gewesen sein sollte, eine Kündigung auszusprechen. Sämtliche aus der vorliegenden Akte
ersichtlichen, sie persönlich betreffenden arbeitsrechtlichen Maßnahmen hatte im Vorfeld jeweils der Leiter der Stiftungsverwaltung unterzeichnet
- den Altersteilzeitvertrag der Klägerin, die Abmahnung vom 30.10.2008 sowie die Ermahnung vom 30.10.2008.
43 5. Nicht zuletzt war die Klägerin im Rahmen des Personalgesprächs am 23.04.2009 nach Aufklärung des gesamten Sachverhalts und Anhörung
der Klägerin zum Vorfall vom 21.04.2009 von der Personalsachbearbeiterin, der Zeugin K, ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die
endgültige Entscheidung über arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung von dem Leiter der Stiftungsverwaltung Herrn W
getroffen werde. Dies hat die Zeugin K im Rahmen ihrer Zeugeneinvernahme im Kammertermin am 22.09.2009 bestätigt. Das diesbezügliche
Bestreiten der Klägerin hat die Kammer in Würdigung der entgegenstehenden Aussage der Zeugin K für widerlegt erachtet. Die Zeugin hat im
Rahmen der Schilderung des Ablaufs dieses Personalgesprächs deutlich bekundet, dass die Arbeitgeberseite sich nach den gewonnenen
Erkenntnissen noch zusammensetzen müsse und eine Besprechung mit Herrn W erfolgen werde.
44 Außerdem war darauf hingewiesen worden, dass dann Herr W die Entscheidung obliege, welche Maßnahme letztendlich ergriffen werde. Das
Gericht hatte keinen Grund, an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin Zweifel zu hegen. Die Zeugin als Personalsachbearbeiterin hatte
erklärtermaßen die Aufgabe, den Vorgang vom 21.04.2009 aufzuarbeiten, weitergehend aufzuklären und eine entsprechende
Personalmaßnahme vorzubereiten. Dass dies und nicht etwa eine endgültige Entscheidung ihre Aufgabe war, hat sie dann ihren Angaben
zufolge auch gegenüber der Klägerin bekundet, die sich ja im Rahmen der Anhörung entschuldigt hatte und naturgemäß eine Erwartungshaltung
hegte, zu erfahren, was nun mit ihr geschehen werde. Dass in diesem Zusammenhang auf die Verantwortlichkeit des allein zu
Kündigungsmaßnahmen berechtigten Leiters der Stiftungsverwaltung ausdrücklich und namentlich verwiesen wird, ist nachvollziehbar und
entspricht auch der tatsächlichen und rechtlichen Sachlage. Insofern war die Klägerin -spätestens - eine Woche vor Zugang der von Herrn W
unterzeichneten Kündigung ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Entscheidung hierüber und die entsprechende Umsetzung einer
arbeitsrechtlichen Maßnahme ihm oblag. Auf Unkenntnis im Sinne des § 174 Satz 2 BGB kann sich die Klägerin hiernach zweifelsfrei nicht mehr
berufen.
II.
45 Die außerordentliche Kündigung vom 30.4.2009 ist auch begründet, da der Beklagten ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur
Seite steht, der es ihr unter Berücksichtigung alle Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Ende der Altersteilzeit am 31.05.2014 fortzusetzen.
46 1. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtfertigen von Arbeitnehmern zu Lasten des Arbeitgebers begangene
Vermögensdelikte in der Regel eine außerordentliche Kündigung (vgl. BAG, Urteil vom 17. Mai 1984, 2 AZR 3/83; Urteil vom 20. September
1984, 2 AZR 633/82; Urteil vom 11. Dezember 2003, 2 AZR 36/03; Beschluss vom 16. Dezember 2004, 2 ABR 7/04; BAG, Urteil vom 13.12.2007,
2 AZR 537/06 - alle juris). Ein Arbeitnehmer, der während seiner Arbeitszeit strafrechtlich relevante Handlungen begeht, die sich gegen das
Vermögen seines Arbeitgebers richten, verletzt damit schwerwiegend seine arbeitsvertraglichen (Loyalitäts-) Pflichten und missbraucht das in ihn
gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise.
47 Der Arbeitnehmer bricht durch eine Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des
Arbeitgebers (vgl. BAG Urteil vom 12.08.1999, 2 AZR 923/98 - juris). Das Eigentum des Arbeitgebers kann auch nicht zu einem Bruchteil zur
Disposition der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer stehen.
48
Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
beziehungsweise der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und
unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist (Prüfung auf der 2. Stufe des § 626 Abs. 1 BGB) kann zu der Feststellung
der Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung führen (vgl. BAG vom 11.12.2003, 2 AZR 36/03 - juris).
49 2. Die streitgegenständliche Kündigung hält einer Überprüfung an diesem Maßstab stand. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der
Verhandlung vom 22.09.2009 und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nämlich zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin
am 21.04.2009 nicht lediglich 3-4 sondern 6 Maultaschen aus der Bewohnerverpflegung entnommen hat, um sie sich rechtswidrig zuzueignen
und dies, obwohl ein entsprechendes Verbot des Arbeitgebers bestand, das die Klägerin auch kannte. Diese Maultaschen wollte die Klägerin
auch nicht in der verbleibenden Mittagspause verzehren, sondern wollte sie mit außer Haus nehmen.
50
a) Nach der Einvernahme der Zeuginnen E und R ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin nicht, wie von ihr
geschätzt, 3-4 Maultaschen genommen hatte, sondern dass es sich insgesamt um 6 Stück gehandelt hat. Die beiden Zeuginnen haben
hinsichtlich eben dieser Stückzahl keinen Zweifel gehabt und keinerlei Unsicherheit gezeigt. Vielmehr war auch für die Kammer, die
eine entsprechende Gemüseschale mit dem Inhalt von 6 Maultaschen im Kammertermin in Augenschein nehmen konnte, ganz deutlich
erkennbar, dass ein einziger Blick in diese Schale genügt, um die Anzahl der darin befindlichen Maultaschen zu erkennen. Eine
„Zählung“ ist nicht erforderlich, da die Schale so viel Platz für die Maultaschen lässt, dass sie einzeln erkennbar, voneinander
unterscheidbar und in ihrer Zahl erfassbar sind.
51
Beide Zeuginnen hatten die Schale angesehen, nachdem die Klägerin sie aus ihrer Stofftasche herausgenommen hatte und insoweit
kamen auch keine weitergehenden, etwa ablenkenden oder verwirrenden zusätzlichen Ereignisse hinzu, die in irgendeiner Form die
Wahrnehmung hätten beeinträchtigen können. Die Sicherheit der Zeuginnen, mit der sie die Anzahl der entnommenen Maultaschen auf
sechs beziffert haben, war für das Gericht überzeugend. Ebenso hat die Kammer den Umstand für erwiesen erachtet, dass die
Gemüseschale, in der sich die Maultaschen befanden, mit einer Folie abgedeckt war. Klarsichtfolie ist in der Stationsküche des Hauses
T vorhanden und beide Zeuginnen haben sich konkret daran erinnert und auch hieran keinerlei Zweifel gelassen, dass die Schale mit
Folie abgedeckt war.
52
b) Weiter war die Kammer nach den Angaben der Zeuginnen E und R auch davon überzeugt, dass die Klägerin nicht vorhatte, die
Maultaschen in der Stationsküche im 1. Stock sofort zu verzehren, weil sie Hunger hatte, dringend zu einer Fortbildung musste und
keine andere Gelegenheit hatte, sich zu verpflegen. Diese Einlassungen der Klägerin hat die Kammer als Schutzbehauptung gewertet,
die dazu dienen sollte, glauben zu machen, es habe sich lediglich um eine Art harmlosen (laienhaft ausgedrückt) “Mundraub“
gehandelt. Hiergegen sprach zum einen die glaubhafte, in sich widerspruchsfreie und übereinstimmende Schilderung beider
Zeuginnen, dass die Klägerin mit den Maultaschen in der Stofftasche das Haus T verlassen wollte: Die Zeugin E hatte nachvollziehbar
und plastisch geschildert, wie sie der Klägerin nach deren auffälligem Verhalten im 2. Stock zunächst in den 1. Stock nachgegangen war
und nach den dortigen weiteren Verrichtungen der Klägerin feststellen musste, dass diese sich nun verabschiedete und das Haus
verlassen wollte. Die Zeugin hat in eben dieser Situation einen sofortigen Handlungsbedarf gesehen, weil ihr - so wörtlich - „die
Situation ansonsten entgleiten“ würde. Auch die Zeugin R hat bestätigt, dass die Klägerin sich nach dem mit ihr geführten
Übergabegespräch mit einem Gruß in den Raum hinein verabschiedet hatte und gehen wollte. Erst dann war sie von ihrer Vorgesetzten
Frau E aufgefordert worden, in die Stationsküche zu kommen und die Tasche mitzubringen.
53
Zum anderen stützt sich die Überzeugung der Kammer, von einer “bevorratenden Mitnahmehandlung“ der Klägerin ausgehen zu
müssen auf folgende Erwägungen: Auf die vor Eintritt in die Beweisaufnahme an die Klägerin gestellte Frage, weshalb sie die
Maultaschen nicht einfach in der Gemüseschale in die Stationsküche im 1. Stock getragen hatte um sie zu verzehren - wenn es doch
„gang und gäbe“ war, dass das Personal sich so verhält - sondern das Essen in einer Stofftasche transportieren wollte, hatte die
Klägerin die Angabe gemacht, dass sie zunächst noch weitere Tätigkeiten im Stationszimmer und auf der Station im 2. Stock verrichtet
habe und dabei die Schüssel nicht ständig in der Hand haben wollte. Selbst wenn man dies als plausible Erklärung hinnehmen wollte,
ist jedoch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin sich bereits verabschiedet hatte und das Haus verlassen wollte, als sie zum
Vorzeigen der Stofftasche aufgefordert wurde. Keineswegs hatte sie sich nämlich zuvor in die Stationsküche begeben in der Absicht, die
Maultaschen auszupacken und zu essen. Nach der ständig wiederholten Behauptung der Klägerin, es sei üblich, übrig gebliebene
Bewohnerverpflegung zu verzehren und das Küchenpersonal fordere dazu sogar auf, hätte es für sie eigentlich mit dem Verzehr gar
kein Problem geben dürfen. Diese, wenn auch vollkommen pauschale, unsubstantiierte und damit nicht im Einzelnen einlassungsfähige
und überprüfbare Behauptung der Klägerin würde nämlich - ihre Richtigkeit unterstellt -konsequenterweise bedeuten, dass ein dann an
sich natürlicher Umgang (auch ihrer eigenen Person) mit Resten möglich gewesen wäre. Dann aber hätte sich der Vorgang am
21.04.2009 gar nicht in der Form abgespielt, wie er sich für die Zeuginnen E und R dargestellt hat.
54
Die Zeugin E hat erläutert, dass die Klägerin sofort beim Auspacken der Tasche schon geäußert hat „Ich weiß schon, worauf du hinaus
willst“. Des weiteren hat die Zeugin R bekundet, dass sie sich überhaupt nicht erklären konnte, warum diese Maultaschen sich in der
Tasche der Klägerin befanden - wo doch bekannt sei, dass man kein Essen nehmen dürfe. Schon die Ausführungen der Klägerin in
ihren Schriftsätzen haben ein sehr karges Bild von der Kontrollsituation am 21.04.2009 gezeichnet:
55
In Übereinstimmung mit den Angaben der Zeuginnen ist festzustellen, dass die Klägerin keinerlei tiefergehende Diskussion geführt hat,
sich rechtfertigte oder gar darauf hinwies, dass das doch ganz üblich sei und was man denn überhaupt von ihr wolle. Genau eine solche
Reaktion wäre jedoch denknotwendig die Richtige, wenn denn tatsächlich übrig gebliebenes Bewohneressen für die Mitarbeiter - wenn
auch nur aus deren Sicht - zur freien Verfügung stünde. Tatsächliches Verhalten der Klägerin und von ihr behauptete übliche Praxis
haben also in keiner Weise zusammengepasst.
56
Dahingestellt bleiben konnte letztlich, ob die Klägerin die unstreitig in der Tasche befindliche Zeitung auch noch über die Maultaschen
gelegt hatte oder ob sich die Zeitung einfach außerdem in der Tasche befand. Das erwiesene Abdecken mit der Folie sowie das
angestrebte Verlassen des Hauses genügten hinlänglich zur Annahme eines Bevorratungswillens und -handelns.
57
c) Zur Überzeugung des Gerichts steht ferner fest, dass die Klägerin den im Betrieb bis vor circa einem Jahr aushängenden Hinweis auf
Personalverpflegung vom 20.09.2002 sehr wohl kannte und ihr dessen Inhalt auch absolut bewusst war. Zweifelsfrei hat die Zeugin K
bestätigt, dass die Klägerin im Personalgespräch am 23.04.2009 auf ihren konkreten Vorhalt und die Vorlage des Aushangs vom
20.09.2002 hin bestätigt hatte, diesen zu kennen. Die Zeugin hat im Einzelnen geschildert, aus welchen Gründen sie sich im Vorfeld des
Gesprächs dieses Papier herausgesucht hatte und es dann in das Personalgespräch mitgenommen hatte. Die Zeugin hat sich auf
dieses Gespräch vorbereitet und den entsprechenden Aushang mitgenommen, um zu erwartenden, in diese Richtung gehenden
Ausflüchten der Klägerin begegnen zu können. Dass sich zwar die Zeugin K an den Vorhalt dieses Aushangs erinnern konnte, nicht
aber die Zeugin E, die nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob die Klägerin ihre Kenntnis des entsprechenden Hinweises zugegeben
hatte, ist für das Gericht nachvollziehbar und macht beide Aussagen nicht weniger glaubhaft: Die Zeugin E hatte im Anhörungsgespräch
am 23.04.2009 ihren Part zu leisten, indem sie den Vorfall vom 21.04., die Kontrolle der Klägerin und das Auffinden der Maultaschen zu
beschreiben hatte.
58
Aus dieser für sie sicherlich nicht sehr angenehmen Situation konzentrierte sich ihr Erinnerungsvermögen vor allem auf diesen Teil des
Personalgesprächs. Die Zeugin K als Personalsachbearbeiterin hingegen war letztlich dafür zuständig, den gesamten Sachverhalt
weitergehend aufzuklären und zu erörtern und eine Entscheidung des Leiters der Stiftungsverwaltung vorzubereiten. Dadurch, dass sie
sich auf das Gespräch vorbereitet und den Hinweis zur Personalverpflegung auch extra mitgenommen hatte, resultiert natürlicherweise
auch ihre Erinnerung an die damit dann im Zusammenhang stehenden von der Klägerin abgegebenen Erklärungen.
59
d) Aus dem Hinweis zur Personalverpflegung vom 20.09.2002 ergibt sich auch mit hinreichender Deutlichkeit, dass es nicht gestattet ist,
Reste aus der Bewohnerverpflegung zu verzehren. Zugleich wurde ausdrücklich auf die Personalverpflegungsmöglichkeit hingewiesen.
Mit diesem Hinweis hat die Beklagte ganz eindeutig ein Verbot ausgesprochen, das sie in seiner Sinnhaftigkeit auch nicht im Einzelnen
zu begründen verpflichtet ist. Wenn in anderen Einrichtungen mit Essensresten anders verfahren wird, sie zur freien Verfügung der
Mitarbeiter gestellt werden oder zu minimalen Geldbeträgen abgegeben werden, ist das ein anderer und vom hier vorliegenden
Sachverhalt abweichender Fall. Es steht im Ermessen des Arbeitgebers, wie er mit seinem Eigentum verfährt und welche Regelungen er
auch trifft für die Verwertung von Resten, selbst wenn sie letztlich nichts Anderes als Abfall darstellen. Der Arbeitgeber hat sich auch
nicht dafür zu rechtfertigen, warum er eine solche Entscheidung trifft und es ist nicht zu diskutieren, ob es möglicherweise sinnvoller
wäre, Nahrungsmittel, die ohnehin entsorgt werden, dem Personal unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Vorgesetzte der Klägerin,
die Zeugin E, hat darauf hingewiesen, dass sämtlichen langjährig beschäftigten Mitarbeiterinnen dieser Hinweis zur
Personalverpflegung hinlänglich bekannt ist und der Aushang deshalb entfernt wurde, weil es seit etwa ein bis zwei Jahren eine
Checkliste bei Einstellungen gibt, nach der sie verfährt und im Rahmen derer sie den neu einzustellenden Mitarbeiterinnen dieses bei
der Beklagten bestehende Verbot jeweils individuell mitteilt und es damit zum Bestandteil der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen
macht.
60
e) Die Tatsache, dass Reste von Bewohnerverpflegung, die aus den Stationsküchen zurückkommen, als Abfall und aufgrund
lebensmittelrechtlicher Vorschriften entsorgt werden müssen, vermag nichts daran zu ändern, dass auch diese zum
Arbeitgebereigentum gehörenden Bestandteile der Disposition der Mitarbeiter entzogen sind. Nach den Angaben des als Koch
beschäftigten Zeugen H wären alle Maultaschen, die am 21.04.2009 aus der Stationsküche im 2. Stock in die Küche zurückgekommen
wären, als Bio-Abfall entsorgt worden. Die von der Klägerin in der Stationsküche im 1. Stockwerk letztlich zurückgelassenen
Maultaschen sind ebenso - wohl - in den Mülleimer gewandert. Eine weitergehende Verwendung der Maultaschen durch den
Arbeitgeber hätte also nicht stattgefunden; es ist daher bei der Beurteilung der Gesamtumstände des vorliegenden Falles der
Materialwert in der Größenordnung zwischen 2,00 und 3,00 EUR zugrunde zu legen. Hätte die Klägerin am 21.04.2009
Personalverpflegung in Anspruch genommen (bestehend aus zwei Maultaschen mit Salatbeilage) hätte sie dafür 3,35 EUR zu bezahlen
gehabt. Der Zeuge H hat entgegen dem Bestreiten der Klägerin ausgeführt, dass täglich etwa 4-5 Personalessen in Anspruch
genommen werden; wenn die Vorbestellung nicht am Tag vorher erfolge, sei ein Essen auch bei Bestellung am selben Tag verfügbar.
Dieses Essen wird im Tablettsystem für die Mitarbeiter hergerichtet. Das am 21.04.2009 mögliche rechtmäßige Alternativverhalten der
Klägerin hätte also darin bestanden, sich entweder am Tag zuvor oder auch noch am gleichen Tag ein Personalessen zu bestellen, das
sie in der ihr verbleibenden Mittagspause vor Antritt der Fortbildung hätte verzehren können. Selbst wenn sie also am 21.04.2009 ihre
Wohnung um 5.00 Uhr morgens verlassen musste, um zur Dienstübergabe um 6.15 Uhr ihre Arbeit anzutreten und bis um 13.00 Uhr
keinerlei Möglichkeit hatte, sich etwas zu essen zu kaufen, hat sie dennoch zur Frage der Nichtinanspruchnahme von
Personalverpflegung im Hause keinerlei Erklärung abzugeben vermocht.
61
f) Gemäß § 286 ZPO kann das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung eine Behauptung als bewiesen ansehen, wenn es von ihrer
Wahrheit überzeugt ist.
62
Hierfür genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und die Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das
praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, ein für einen vernünftigen, den Lebenssachverhalt klar überschauenden Menschen
so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGHZ 53, 254
(256); Thomas - Putzo, ZPO, 21. Auflage § 286 Rn. 2).
63
Einen solchen Grad von Gewissheit vom Vorliegen der Handlungsabläufe und der Vorgehensweise der Klägerin am 21.04.2009
vermochte sich die Kammer zu verschaffen, weil die diesbezüglichen Aussagen der Zeuginnen E, R und K bei Heranziehen der
üblichen vernehmungstechnischen Erkenntnismethoden eine Reihe beachtlicher Anhaltspunkte für ihre Glaubwürdigkeit, aber keine
Lügensignale aufweisen. Die Zeugin E ist Vorgesetzte der Klägerin und 17 Jahre jünger als diese; die Zeugin R ist ebenfalls
Vorgesetzte der Klägerin und 24 Jahre jünger als diese. Beiden Zeuginnen war noch im Rahmen ihrer Befragung deutlich anzumerken,
dass ihnen die gesamte Situation gegenüber ihrer älteren Kollegin am 21.04.2009 unangenehm war und von keinerlei - wie auch immer
geartetem - Triumphgehabe begleitet war. Beiden Zeuginnen war das völlige Unverständnis über die Handlungsweise der Klägerin
immer noch anzumerken und ihr gesamtes Aussageverhalten hat in keinem Punkt den Eindruck vermittelt, man habe nun endlich eine
Mitarbeiterin bei einem kündigungsrelevanten Vorgehen erwischt, die man ohnehin habe loswerden wollen. Die von der Klägerin im
Kammertermin (vage) aufgestellte Behauptung, man habe sich lediglich auf einfache Weise einer teuren, älteren Mitarbeiterin
entledigen wollen, konnte die Kammer weder bei den Zeuginnen E und R noch bei der Personalsachbearbeiterin K auch nur
ansatzweise feststellen. Die Zeugin E hat auf Frage des Klägervertreters im Zusammenhang mit dem geringen Wert der Maultaschen die
ganz klare und schlichte Erklärung abgegeben, dass es sich nach ihrer Sichtweise um Diebstahl gehandelt habe. Den gleichen
unmittelbaren Eindruck angesichts des Tascheninhalts der Klägerin hatte die Zeugin R und war auch gerade deshalb so geschockt, wie
sie es ausdrückte.
64
Beide Zeuginnen haben in keiner Weise dramatisiert, übertrieben oder erkennbar den Abläufen erst nachträglich eine Bedeutung
beigemessen, die auf entsprechendem Hinweis und Rücksprache mit den Vorgesetzten beruhte. Hierfür gab es keine Anhaltspunkte.
Die Zeuginnen haben keine blühenden Schilderungen und weitschweifig ausgeschmückten Beschreibungen über das Verhalten
Klägerin geliefert, statt dessen aber authentische und damit umso glaubhaftere Formulierungen gefunden. Die durchaus wichtige Frage
etwa, welcher konkrete Grund denn die Zeugin E zur absoluten Ausnahmehandlung der Taschenkontrolle bei einer Kollegin veranlasst
hatte, hat sie zusammenfassend damit beantwortet: „Das war nicht die Wa., die ich kannte“. Vergegenwärtigt man sich, in welchen
Bruchteilen von Sekunden sich die Wahrnehmung abspielt, dass ein anderer etwas tut, das nicht sofort einzuordnen ist, aber irritiert, ist
ebenso schlüssig die weitere Reaktion: sich zu fragen, „Was war das denn“ und der Sache im wahrsten Sinne des Wortes nachzugehen.
Gerade ihre knappe, aber einprägsame Schilderung des Geschehensbeginns im 2. Stock führte dazu, dass die Kammer sich den Ablauf
bildlich vorstellen konnte.
65
Dem Aussageverhalten der Zeuginnen war auch in keiner Weise zu entnehmen, dass es irgendwelche Vorbehalte sonstiger Art
gegenüber der Klägerin gegeben hat. Die Zeuginnen waren weder von Antipathien gegenüber der Klägerin bestimmt noch haben sie
ihre Schilderungen in einem vorwurfsvollen oder anklagenden Ton vorgebracht. Es gab keinerlei Anhaltspunkte für die Kammer, aus
denen hätte geschlossen werden können, dass bei den Vorgesetzten der Klägerin oder der Personalsachbearbeiterin ein wie auch
immer geartetes Interesse daran bestanden haben könnte, die Klägerin loswerden zu wollen. Die Aussagen der Zeuginnen E und R, die
unmittelbar mit der Entdeckung der mitgenommenen Maultaschen befasst waren, wirkten nicht abgesprochen oder koordiniert sondern
entsprachen dem jeweiligen Erinnerungsvermögen der Zeuginnen, das in Einzelheiten und Kleinigkeiten durchaus voneinander
abwich. Gerade diese Tatsache machte für die Kammer die Aussagen der Zeuginnen umso glaubhafter; in der für sie
außergewöhnlichen Situation haben die Zeuginnen unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Wahrnehmungen gehabt.
66
Auch der Zeuge H hat auf das Gericht einen sehr glaubwürdigen Eindruck gemacht; er ist erst seit etwa einem Jahr bei der Beklagten als
Koch beschäftigt und hat dennoch zweifelsfrei verneint, dass Reste der Bewohnerverpflegung vom Personal verzehrt würden. Der
Zeuge hat die Gepflogenheiten in der Küche, die gesetzlichen Vorgaben und die Abläufe im Rahmen der Personalverpflegung in sich
stimmig, widerspruchsfrei und offen geschildert; weder seine Körpersprache noch seine Ausführungen haben zu irgendeinem Zeitpunkt
der Kammer den Eindruck vermittelt, die Küche handle gegebenenfalls verbotswidrig und er müsse dies nun im Rahmen seiner
Aussage vertuschen. Angesichts der vom Zeugen geschilderten strengen lebensmittelrechtlichen Vorgaben hätte er sich nämlich bei
Richtigkeit der pauschalen Behauptung der Klägerin, das Küchenpersonal fordere zum Resteverzehr aus der Bewohnerverpflegung
ausdrücklich auf, durchaus in einer für sich selbst und auch das andere Küchenpersonal sehr kritischen Situation befunden. Von einer
solch zwiespältigen Ausgangssituation im Rahmen seiner Aussage war dem Zeugen jedoch nichts anzumerken. Die Persönlichkeit des
Zeugen - nicht ein Mann des Wortes sondern eher der Tat - ließ nach Einschätzung der Kammer ein solches „winkelzügiges“
Aussageverhalten auch nicht zu.
67 3. In Ansehung des insoweit für die Kammer festgestellten und zu bewertenden Sachverhalts ergab eine Gesamtwürdigung aller Umstände und
die Abwägung der Interessen beider Vertragspartner, dass die außerordentliche Kündigung verhältnismäßig war.
68
a) Für verhaltensbedingte Kündigungen gilt das sogenannte Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für die
Vertragspflichtverletzung in der Vergangenheit, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen in der Zukunft.
Dem entspricht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, dass eine Kündigung wegen Vertragspflichtverletzung grundsätzlich eine
Abmahnung voraussetzt, die an sich das geeignete mildere Mittel darstellt, um künftige gleichartige Vertragsstörungen zu vermeiden.
69
Eine vorherige Abmahnung ist jedoch ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung
nicht erwartet werden kann oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne
weiteres erkennbar ist und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 12.01.2006, 2
AZR 179/05).
70
b) Die Klägerin hat trotz der konkreten und eindeutigen Handlungsanweisung der Beklagten gegen ein bereits bestehendes Verbot
verstoßen und hat sich zwar für ihr Verhalten entschuldigt, hat dieses aber dennoch bagatellisiert. Die Klägerin hat in den Vordergrund
ihrer Argumentation gestellt, dass die Maultaschen ohnehin weggeworfen worden wären, also letztlich Abfall dargestellt hätten und sich
somit die Wegnahmehandlung an sich auf etwas gerichtet habe, das für den Arbeitgeber keinerlei Wert besäße. Mit dieser Haltung setzt
sich die Klägerin aber über den ausdrücklich erklärten Willen des Arbeitgebers hinweg und setzt ihren eigenen Willen sowie ihre
persönliche Einschätzung an dessen Stelle. Die grundsätzliche Entscheidung des Arbeitgebers, dem Abfall zugedachtes Essen der
Dispositionsfreiheit der Mitarbeiter zu entziehen, haben die Arbeitnehmer zu respektieren. Die Verbotsregelung spricht außerdem nicht
nur von „Bewohnerverpflegung“ sondern ausdrücklich von deren „Resten“, nimmt also die Qualifizierung als Abfall durchaus selbst vor.
Aus der ein solches Verbot negierenden Haltung der Klägerin ist die Beklagte zu folgern berechtigt, dass die Gefahr besteht, dass die
Klägerin sich auch in Zukunft eigenmächtig über dieses oder andere Verbote, deren Sinnhaftigkeit sie persönlich nicht zu erkennen
vermag, hinwegsetzen wird. Der Klägerin sind zwar - anders als etwa Kassiererinnen oder Verkäuferinnen - nicht unmittelbar Waren des
Arbeitgebers anvertraut. Dennoch muss der Arbeitgeber in seine Arbeitnehmer unbedingtes Vertrauen setzen können sowohl im
Umgang mit den Betriebsmitteln, der Bewohnerverpflegung als auch letztendlich mit dem Eigentum der Bewohner, das in den Betrieb
eingebracht wird. Dieses Vertrauen hat die Klägerin bewusst aufs Spiel gesetzt, wissend, dass der Arbeitgeber die Handlungsweise der
Mitnahme von 6 Maultaschen aus den Resten der Bewohnerverpflegung nicht dulden würde.
71
Hätte sie Anderes angenommen, so hätte sie in Ansehung ihrer knappen Mittagspause auch eine Vorgesetzte fragen können, ob
gegebenenfalls eine Ausnahme gemacht werden könne. Dieses dann schlicht rechtmäßige Alternativverhalten hat die Klägerin gar nicht
erst in Erwägung gezogen. Daraus konnte das Gericht nur folgern, dass sie sich der Ablehnung ihres Wunsches im Hinblick auf die
Personalanweisung vom 20.09.2002 sicher war. Die pauschale und ohne jegliche Nennung von Beispielsfällen untermauerte
Behauptung der Klägerin zur Üblichkeit ihres Vorgehens auch durch andere MitarbeiterInnen stellt einen zusätzlichen
vertrauensverletzenden Umstand dar. Die Klägerin nennt der Arbeitgeberseite nicht nur keine Namen, was unter dem Gesichtspunkt des
Schutzes anderer Kolleginnen noch verständlich wäre sondern auch keine konkreten von ihr beobachteten Sachverhalte, die
Rückschlüsse darauf zugelassen hätten, dass in der Tat nicht nur Kolleginnen aus der gleichen Hierarchieebene sondern auch
Vorgesetzte der Klägerin beispielgebend und die Sitten verderbend eine entsprechende Vorgehensweise pflegen. Auffallend in diesem
Zusammenhang war für die Kammer vor allem, dass die Klägerin offensichtlich auch nicht in der Lage ist, solche Beispiele unter
Bezugnahme auf bestimmte Esswaren zu schildern. Wenn diesbezüglich eine dauernde Wahrnehmung möglich wäre, müsste die
Klägerin andererseits auch in der Lage sein, solche Beispiele anschaulich zu schildern. Die rein pauschale Behauptung der Klägerin
indessen trägt lediglich zu einer Steigerung des Misstrauens durch den Arbeitgeber bei, ohne dass er konkreten Verdachtsmomenten
nachgehen und dann gegebenenfalls auch das streitgegenständliche Verhalten der Klägerin anders gewichten und einordnen kann.
72
Auch der Personalrat hat lediglich aus sozialen Erwägungen heraus der Kündigung widersprochen, nicht aber das Verhalten der
Klägerin als ein „durchaus Übliches“ qualifiziert. Aus dem Gesamtüberblick, den Personalratsmitglieder zu haben pflegen, hätte sich
aber ein Hinweis auf ansonsten nicht so streng geahndete Vergleichsfälle oder auf insgesamt bekannten laxen Umgang mit dem
Resteverwendungsverbot angeboten und wäre durchaus geeignet gewesen, das Verhalten der Klägerin beim Arbeitgeber in einem
milderen Licht erscheinen zu lassen.
73
Nachdem sich der Personalrat nachdrücklich für die Klägerin verwendet hatte, wäre ein solch gewichtiges Argument sicher zu erwarten
gewesen - wenn es denn Grundlagen dafür gegeben hätte.
74
c) Die Tatsache, dass die Maultaschen nur einen sehr geringen materiellen Wert im Rahmen von etwa 2,00 bis 3,00 EUR haben, ist
zwar im Rahmen der Gesamtumstände und der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, kann aber nicht von vornherein die
Verhältnismäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung ausschließen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in zahlreichen
Entscheidungen bereits ausgeführt, (vgl. nur BAG, 12.08.1999, 2 AZR 923/98 - juris). Eine wie auch immer geartete
Geringfügigkeitsgrenze grundsätzlich „freizugeben“ und einem generellen vorherigen Abmahnungserfordernis zu unterwerfen, würde
auch bedeuten, Rechtsunsicherheit im Umgang mit Betriebsmitteln zu erzeugen. Wertigkeitsgrenzen werden individuell unterschiedlich
gezogen, nicht nur durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch innerhalb von Arbeitnehmergruppen je nach Branche und
benutzten Betriebsmitteln.
75
d) Zugunsten der Klägerin war einerseits zu berücksichtigen, dass sie zum Tatzeitpunkt bereits 16,5 Jahre bei der Beklagten beschäftigt
war und damit einen hohen Bestandsschutz genießt, der sie überdies ordentlich unkündbar macht. Die Klägerin ist 58 Jahre alt und ihre
Chancen auf dem Arbeitsmarkt dürften -selbst im Personal suchenden Pflegebereich - schlecht sein. Der aufgrund des erheblichen
Medieninteresses außerdem nunmehr eingetretene Umstand, dass die Klägerin zumindest im Landkreis K „einschlägig bekannt“ sein
dürfte, erleichtert die Arbeitssuche mit Sicherheit nicht. Bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des
Arbeitnehmers vorliegt, geht es allein um die Abwägung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der bei einem
ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer fiktiven Kündigungsfrist dem Arbeitgeber noch zugemutet werden kann. Bei dieser Prüfung
besteht kein hinreichender Anlass, neben dem Alter und der Beschäftigungsdauer die Tatsache der ordentlichen Unkündbarkeit des
Arbeitnehmers erneut zu dessen Gunsten zu berücksichtigen und damit den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer besser zu stellen als
einen Arbeitnehmer ohne diesen Sonderkündigungsschutz bei entsprechenden Einzelfallumständen und beiderseitigen Interessen
(BAG Urteil vom 24.07.2006, 2 AZR 386/05; BAG Urteil vom 10. Oktober 2002, 2 AZR 418/01 - beide juris). Die Interessenabwägung hat
sich damit daran zu orientieren, ob bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne den Sonderkündigungsschutz nach § 34 TV-L unter
denselben Umständen und bei entsprechender Interessenlage ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung ohne Einhaltung
der ordentlichen Kündigungsfrist anzunehmen wäre. Die fiktive ordentliche Kündigungsfrist der Klägerin beliefe sich im vorliegenden
Fall gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 TV-L auf 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Dies hätte am 30.04.2009 eine Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der ordentlichen Frist bis zum 31.12.2009 bedeutet. Diese Fortsetzungsdauer hat die Kammer
für unzumutbar erachtet, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Prävention. Die Beklagte hat mit ihrer Weisung vom 20.09.2002, die
auch allen neu eingestellten Mitarbeitern gegenüber einzelvertraglich als verbindliche Verhaltensmaßregel auferlegt wird, Maßstäbe
gesetzt, wird zugestanden, dieses Verbot unterlaufen zu können, würde dies den Umgang mit Resten aus der Bewohnerverpflegung
einer gewissen Beliebigkeit öffnen. Die Vorbildrolle einer langjährig beschäftigten Mitarbeiterin gerade auch für jüngere Kolleginnen ist
dabei nicht zu unterschätzen - ebenso darf bei gleichaltrigen und ebenfalls lange beschäftigten Kolleginnen nicht der Eindruck erweckt
werden, solche persönlichen Umstände erlaubten einen großzügigeren Umgang mit den vom Arbeitgeber aufgestellten Regeln. Die
Klägerin ist verheiratet, hat aber ansonsten keine weitergehenden Unterhaltspflichten. Mit der fristlosen Beendigung ihres
Arbeitsverhältnisses erfährt sie zwar persönlich einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Lebensverhältnisse und wirtschaftlichen
Umstände, weitere von ihr abhängige Personen sind davon jedoch nicht betroffen.
76
Die Kammer hat sich auch vor dem Hintergrund der im wesentlichen beanstandungsfreien Tätigkeit der Klägerin über 16 ½ Jahre die
Entscheidung nicht leicht gemacht. Hat es sich - was zugunsten der Klägerin als gegeben zu unterstellen ist - um einen erstmaligen
Verstoß gegen das von der Be-
77
klagten eindeutig ausgesprochene Verbot gehandelt, muss aus Sicht der Klägerin die fristlose Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in
der Tat eine große Härte darstellen.
78
Andererseits darf nicht verkannt werden, dass seit einigen Monaten eine - auch in der Öffentlichkeit und nicht nur in juristischen Kreisen
- breit angelegte Diskussion über die Frage geführt wird, ob unter Umständen auch geringwertige Vermögensdelikte ordentliche oder
außerordentliche Kündigungen (immer noch) rechtfertigen können. Eine Sensibilisierung für die Thematik als solche ist daher an sich
von jedem Arbeitnehmer zu erwarten und auch eine innere Überprüfung seiner bisherigen Haltung in Ansehung etwa im Betrieb
bestehender Gebote oder Verbote. Zugunsten der Klägerin hat das Gericht auch gewertet, dass sie sich sowohl bei ihrer Vorgesetzten
als auch im Anhörungsgespräch vom 23.04.2009 entschuldigt hat. Eine Entschuldigung setzt eine gewisse Einsicht in entstandene
Schuld voraus. Die gleichwohl bagatellisierende Argumentation der Klägerin und insbesondere die im Rahmen der Beweisaufnahme
erfolgte Widerlegung ihrer Behauptung, sie habe nur 3-4 Maultaschen genommen, nämlich diejenige Menge, die man auch bei großem
Hunger höchstens essen kann, hat für die Kammer diese Entschuldigung in ihrer Ernsthaftigkeit wiederum entwertet. Der auf Seiten der
Beklagten entstandene Vertrauensverlust wiegt gegenüber den Interessen der Klägerin schwerer. Die Beklagte kann über das von ihr
grundsätzlich seit langem ausgesprochene Verbot hinaus nicht ständige Kontrollen durchführen, um die Einhaltung des Verbots zu
überprüfen und sicherzustellen. Aufgrund der gesamten Sachverhaltsumstände konnte die Beklagte auch der Klägerin nicht zugute
halten, dass sie lediglich aus einer Augenblickssituation heraus ihren Hunger stillen wollte, etwa weil bestellte Personalverpflegung
nicht bereit gestellt worden war und eine Vorgesetzte zur ausnahmsweisen Erlaubniserteilung betreffend die vorhandenen Reste nicht
anwesend war. Solche Umstände etwa hätten die Beklagte durchaus befähigt, eine Ausnahmesituation anzuerkennen und eine solche
(auch anderen Mitarbeitern gegenüber) hinreichend plausibel entweder gänzlich zu entschuldigen oder die Klägerin deshalb lediglich
zu ermahnen oder abzumahnen.
79
All solche Entlastungsgründe standen aber der Beklagten in Ansehung der Präventivfunktion, auf die zu achten sie durchaus berechtigt
ist, nicht zur Seite.
80 4. Der Personalrat wurde nach § 77 Abs. 3 LPVG zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß angehört; überprüfbare und
berücksichtigungsfähige Einwendungen der Klägerin hinsichtlich des Inhalts der Anhörung hatte die Kammer nicht zu prüfen.
81 Soweit die Klägerin im Rahmen der Kammerverhandlung nach Durchführung der Beweisaufnahme in Würdigung der Aussage der Zeugin K
beanstandet hatte, dass die Formulierung in Absatz 2 Seite 2 der Anhörung nicht zutreffend formuliert sei, konnte sich die Kammer diesen
Erwägungen nicht anschließen. Vielmehr hat die Zeugin K genau das bekundet, was in der Personalratsanhörung auch Niederschlag gefunden
hat: die Kenntnis der Klägerin von der im Haus bestehenden Regelung zum Resteverzehr der Bewohnerverpflegung. Die Notwendigkeit einer
wortgetreuen Wiedergabe dessen, was im Anhörungsgespräch am 23.04.2009 diesbezüglich erörtert wurde, hat sich schon deshalb erübrigt,
weil die Personalratsvorsitzende Frau W persönlich anwesend war und somit einen unmittelbaren und direkten Eindruck von den Äußerungen
der Klägerin und den Vorhalten der Frau K hatte gewinnen können.
82 Nach allem ist die außerordentliche Kündigung vom 30.04.2009 wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit dem Zeitpunkt ihres Zugangs am
30.04.2009 beendet.
B.
83 Nachdem die Klage abgewiesen wurde, hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91
Abs. 1 ZPO.
C.
84 Der Streitwert für das vorliegende Verfahren ergab sich aus § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 42 Abs. 4 GKG. Der Betrag entspricht dem 3-
fachen Bruttomonatsentgelt der Klägerin.