Urteil des ArbG Lörrach vom 24.03.2005

ArbG Lörrach: unwirksamkeit der kündigung, ordentliche kündigung, unmittelbare anwendbarkeit, innerstaatliches recht, europarechtskonforme auslegung, entlassung, eugh, beendigung, kündigungsfrist

ArbG Lörrach Urteil vom 24.3.2005, 2 Ca 470/04
Massenentlassungsanzeige - richtlinienkonforme Auslegung von § 17 KSchG
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf EUR 4.608,--.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
2
Der 1964 geborene Kläger ist seit dem 18.08.2000 bei der Beklagten als Bauhelfer tätig. Er erzielte zuletzt einen Monatslohn von EUR 1536.--
brutto. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen für den Tief- und Straßenbau, das in der Form einer GmbH betrieben wird, die sich
mittlerweile in Liquidation befindet. Sie beschäftigt jedenfalls weit mehr als 10 Arbeitnehmer.
3
Mit Schreiben vom 28.10.2004, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2004. Die
Kündigung wird von der Beklagten damit begründet, dass der Betrieb stillgelegt werden müsse, da die wirtschaftliche und finanzielle Situation
eine Fortführung des Unternehmens nicht gestatte.
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Der Kläger hält die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung für unwirksam. Es werde bestritten, dass die Beklagte die Stilllegung und
Liquidation wie behauptet zum 31.05.2005 beschlossen habe. Ergänzend werde bestritten, dass die Beklagte überhaupt eine Betriebsstilllegung
plane.
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Weiterhin werde gerügt, dass die Beklagte die ihr obliegende Mitteilungspflicht gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit gem. § 17 KSchG bei
Massenentlassungen nicht vorgenommen habe.
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Der
Kläger beantragt daher
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Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 28.10.2004, zugegangen am gleichen Tag, zum 31.12.2004
nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 31.12.2004 fortbesteht.
8
Die
Beklagte beantragt
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Klagabweisung.
10 Sie hält die angegriffene Kündigung für wirksam. Ein Stilllegungsbeschluss der Beklagten läge vor. Insgesamt habe es zwei
Gesellschafterversammlungen der Erbengemeinschaft des verstorbenen Gesellschafters der Beklagten, Herrn B., gegeben. Am 15.10.2004 habe
eine außerordentliche Gesellschafterversammlung stattgefunden, in welcher die sofortige Stilllegung der Beklagten beschlossen worden sei.
Konkret sei beschlossen worden, dass die Beklagte ab sofort keine neuen Aufträge mehr annehme und nicht mehr an weiteren Ausschreibungen
teilnehmen werde. Weiterhin sei am 15.10.2004 beschlossen worden, dass nach Beendigung des operativen Tiefbaugeschäftes das bewegliche
Anlagevermögen veräußert werde. Eine weitere Gesellschafterversammlung habe am 20.10.2004 stattgefunden, in welcher die Liquidation der
Beklagten mit Wirkung zum Ablauf des 31.05.2005, die Abberufung des Herrn B. als Geschäftsführer der Beklagten und die gleichzeitige
Bestellung zum alleinigen Liquidator der Beklagten beschlossen worden sei. Die von der Rechtsprechung geforderten greifbaren Formen im
Rahmen der Stilllegung eines Betriebes lägen ebenfalls vor. Diese seien in den erwähnten Beschlüssen, in der ersten
Massenentlassungsanzeige vom 29.10.2004 an die Agentur für Arbeit L. sowie in der Einstellung der werbenden und akquisitorischen Tätigkeit
ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassungen zu sehen. Hinzu kämen die Kündigung von Mietverträgen, die Kündigung von Handy- und
Telefonverträgen, die Kündigung von Wartungsverträgen sowie von Verträgen zum Bezug von Zeitschriften.
11 Hintergrund der Betriebsschließung sei, dass die Beklagte in der Vergangenheit seit Jahren große Verluste erwirtschaftet habe. In rechtlicher
Hinsicht sei auszuführen, dass der Stilllegungsbeschluss eine Unternehmerentscheidung darstelle, die von den Gerichten nicht auf ihre
Zweckmäßigkeit zu überprüfen sei. Es müsse einem Unternehmer freigestellt bleiben, seinen Betrieb einzustellen. Weitere kündigungsrechtliche
Gesichtspunkte, die der Wirksamkeit der Kündigung entgegenstehen könnten, seien nicht ersichtlich. Bei Betriebsschließungen sei für eine
Sozialauswahl schon begrifflich kein Raum, andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestünden naturgemäß nicht. Mangels Bestehen eines
Betriebsrats könne die Kündigung auch nicht an betriebsverfassungsrechtlichen Erfordernissen scheitern.
12 Die Massenentlassungsanzeigen seien ordnungsgemäß erfolgt. Ein anderes Ergebnis könne sich auch nicht aus europarechtlichen
Gesichtspunkten ergeben. Dies folge schon daraus, dass die §§ 17 und 18 KSchG nicht europarechtskonform ausgelegt werden könnten in dem
Sinne, dass mit "Entlassung" die Kündigung gemeint sei. Dies deshalb, weil das Kündigungsschutzgesetz eindeutig zwischen Kündigung und
Entlassung unterscheide. Folge hiervon sei, dass nach nationalem Recht eine Massenentlassungsanzeige nicht vor Ausspruch der Kündigung,
sondern erst vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Zudem seien Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes
zu beachten. Die Beklagte habe sich genau so verhalten, wie es das nationale Recht und die bisherige nationale Anschauung verlangten. Es
könne nicht sein, dass ein am 27.01.2005 durch den EuGH ergangenes Urteil nunmehr zu Lasten der Beklagten angewendet werde. Im Übrigen
hätte dieses angesprochene Urteil keine Auswirkungen auf die nationale Rechtslage.
13 Bezüglich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf deren Schriftsätze sowie auf die Verhandlungsprotokolle vom 06.12.2004 sowie vom
02.03.2005 verwiesen.
Entscheidungsgründe
14 Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist wirksam.
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I.
16 Die Kündigung ist wegen dringender betrieblicher Erfordernisse - hier aufgrund Betriebsstilllegung - sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG.
17 1. Dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen, können sich aus der unternehmerischen
Entscheidung ergeben, den gesamten Betrieb stillzulegen. Eine solche Unternehmerentscheidung ist nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu
überprüfen. Erforderlich ist der ernstliche und endgültige Entschluss des Unternehmers, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmern für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzuheben. Eine aus
diesem Grund erklärte ordentliche Kündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn die auf eine Betriebsstilllegung gerichtete unternehmerische
Entscheidung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen hat und eine vernünftige betriebswirtschaftliche
Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer entbehrt werden kann (vgl. statt vieler: BAG
Urt. v. 18.01.2001, Az 2 AZR 514/99, BAGE 97, 10).
18 2. Nach Durchführung der Kammerverhandlung hatte das Gericht keine Zweifel mehr daran, dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind.
Von Klägerseite wurde im Termin nicht mehr ernsthaft bestritten, dass die Beklagte am 15.10.2004 beschlossen hat, die Gesellschaft aufzulösen.
Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier nicht um einen ernstlichen und endgültigen Entschluss des Unternehmers handelt, liegen nicht vor. Die
Beklagte hat den Stilllegungsbeschluss konkret dargelegt sowie durch Vorlage der entsprechenden Aktennotizen/Gesellschafterbeschlüsse
nachgewiesen. Diese unternehmerische Entscheidung hat auch greifbare Formen, welche die Gründe für die Stilllegungsabsicht oder auch ihre
Durchführungsformen betreffen können (BAG Urt. v. 19.06.1991, Az 2 AZR 127/91), angenommen. Die Beklagte hat zahlreiche diesbezügliche
Maßnahmen, etwa die Schreiben an Auftraggeber oder die Kündigung von diversen Verträgen, dargelegt und nachgewiesen. Aufgrund dieser
Umstände war auch die Prognose gerechtfertigt, dass bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist der Kläger entbehrt werden kann. Die von
Klägerseite vorgebrachten Einwände hält das Gericht hingegen für nicht stichhaltig. Das Gericht kann dem Klägervortrag keinerlei Tatsachen
entnehmen, die gegen das Vorliegen einer Stilllegungsentscheidung und einer tatsächlichen Betriebsstilllegung sprechen. Entsprechende
Äußerungen wurden auch von den anderen beim Kammertermin anwesenden Arbeitnehmern nicht getätigt.
19
II.
20 Die Kündigung ist auch nicht wegen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 KSchG unter Berücksichtigung der Richtlinie 98/59/EG unwirksam. Nach der
gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nicht zur
Unwirksamkeit der Kündigung ( BAGUrt. v. 18.09.2003, Az 2 AZR 79/02). Hieran ändert auch die erwähnte Richtlinie in der durch den EuGH
erfolgten Auslegung (Urt. v. 27.01.2005, RSC 188/03 Junk/Kühnel) nichts.
21 1. Die Artikel 2-4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über
Massenentlassungen sind nach dem EuGH dahin auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als
Entlassung gilt. Dies bedeutet, dass das europäische Recht verlangt, dass der Arbeitgeber bei Massenentlassungen die diesbezügliche Anzeige
bei den zuständigen Behörden bereits vor Ausspruch der Kündigung zu tätigen hat.
22 2. Diese "europäische" Rechtslage hat im konkreten Fall allerdings keinerlei Auswirkungen auf das nationale Recht. Insofern verbleibt es bei der
bisherigen nationalen Rechtslage, dass die Massenentlassungsanzeige auch nach Ausspruch der Kündigung erfolgen kann und ein Verstoß
gegen die Anzeigepflicht nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt (siehe BAG Urt. v. 24.10.1996, Az 2 AZR 895/95; BAGE 84, 267; Urt. v.
11.03.1999, Az 2 AZR 461/98, BAGE 91, 107; Urt. v. 13.04.2000, Az 2 AZR 215/99).
23 a) Eine direkte Anwendung der Richtlinie 98/59/EG scheidet im vorliegenden Fall aus. Gem. Art. 249 EG-Vertrag treten die Regelungen einer
Richtlinie nicht automatisch an die Stelle der nationalen Rechtsvorschrift, sondern die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, ihr innerstaatliches
Recht an die Gemeinschaftsbestimmungen anzupassen. Zur Wirksamkeit einer Richtlinie im Verhältnis zu einem Einzelnen bedarf es demnach
eines Umsetzungsaktes durch die Mitgliedsstaaten. Grundsätzlich werden danach erst durch die Umsetzung in innerstaatliches Recht Einzelne
berechtigt und verpflichtet. Auch die hiervon eingeführte Ausnahme durch die Rechtsprechung des EuGH (siehe z.B. Rechtssache 41/74 Van
Duyn/Home-Office, Sammlung 1974, 1337; Rechtssache 8/81 Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt, EuGHE I. 1982, 53), dass Richtlinien dann
entgegen dem Grundsatz direkt anzuwenden sind, wenn der betreffende Mitgliedsstaat einer Umsetzungspflicht nicht oder nur unzulänglich
nachkommt, kommt vorliegend nicht zum Tragen. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien beschränkt sich im Sinne dieser
Rechtsprechung auf das Verhältnis Staat / Bürger ("vertikale unmittelbare Wirkung"). Soweit es -wie hier- um das Verhältnis zweier
Privatrechtssubjekte geht, lehnt der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine unmittelbare Anwendbarkeit ab (keine
"horizontale unmittelbare Wirkung"; vgl. bspw. Urt. v. 07.03.1996, Rechtssache C 192/94 El Corte Ingles SA, EuGHE I. 1996, 1281).
24 b) Eine danach verbleibende und gebotene richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Vorschrift des § 17 KSchG ist angesichts dessen
klaren Regelungsgehalts nicht möglich (siehe zum Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung durch staatliche Organe bspw. EuGH, Urt. v.
05.05.1994, Rechtssache C 421/92 Gabriele Habermann-Beltermann/Arbeiterwohlfahrt, EuGHE I. 1994, 1657 - Scherzberg, JURA 1993, 225).
25 aa)Unter welchen Voraussetzungen eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist und welchen Grenzen sie unterliegt, ergibt sich aus
nationalem Recht. Das europäische Recht verlangt allerdings, dass das innerstaatliche Gericht das nationale Gesetz "unter voller Ausschöpfung
des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt" bzw. soweit wie möglich "richtlinienkonform auszulegen hat" (siehe BAG Urt.
v. 18.09.2003, Az 2 AZR 79/02 mit weiteren Nachweisen). Danach werden die Grenzen einer gemeinschaftskonformen Auslegung durch die
allgemeinen Auslegungsregeln bestimmt (näher hierzu: BAG a.a.O.).
26 bb)Unter Beachtung der allgemeinen Auslegungsregeln ist eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG dahingehend, dass eine
Massenentlassungsanzeige bereits vor Ausspruch der Kündigung getätigt werden muss, nicht möglich. Das Kündigungsschutzgesetz
unterscheidet in seiner Systematik eindeutig zwischen Kündigung und Entlassung. Insofern ist es nach dem nationalen Recht nicht möglich, als
Entlassung bereits die Kündigung anzusehen (ebenso BAG a.a.O.; Bauer/Krieger/Powietzka, Der Betrieb 2005, 445, 446). Der Gesetzgeber
wollte in den §§ 17 ff. KSchG den Begriff der Entlassung ersichtlich im Sinne der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden
wissen. Insofern ist es auch Aufgabe des Gesetzgebers, für einen europarechtskonformen Zustand des nationalen Rechts zu sorgen; eine
Herstellung eines europarechtskonformen nationalen Rechtszustandes durch die Rechtsprechung ist mangels eines vorhandenen
Auslegungsrahmens nicht möglich.
27 cc) Selbst wenn man eine richtlinienkonforme Auslegung in einem ersten Schritt für möglich halten sollte, scheitert diese letztlich an
Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes. Die Kammer möchte hierbei nicht unerwähnt lassen, dass sie eine europarechtskonforme Auslegung
zwar nicht für möglich hält, diese Ansicht aber durchaus als vertretbar ansieht. Dafür spricht zum einen, dass nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch das Wort "Entlassung" durchaus auch als Kündigungsausspruch aufgefasst werden kann. Zudem geht die Kammer davon aus,
dass der deutsche Gesetzgeber bei der Normierung der §§ 17 ff. KSchG nicht hinter den europarechtlichen Regelungen zurückbleiben wollte.
Letztlich scheitert eine derartige Auslegung jedoch an Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Es ist anerkannt, dass die Prinzipien der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung von nationalen Gesetzen Anwendung finden
müssen (Streinz, Europarecht, 6. Aufl. 2003, Rdnr. 403 ff., Ress, DÖV 1994, 489, 491). Durfte eine Partei danach mit der Fortgeltung der
bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen der anderen Partei und den Anliegen der
Allgemeinheit den Vorzug, ist eine Rückwirkung unzulässig (Bauer/Krieger/Powietzka, Der Betrieb 2005, 445, 449).
28 Berücksichtigt man, dass bisher in den Merkblättern der Bundesagentur für Arbeit sowie in den Formularen zur Erstattung von
Massenentlassungsanzeigen der Arbeitgeber ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung ankomme, sondern auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (letzter Arbeitstag), scheint es kaum vertretbar, dem Arbeitgeber
nunmehr anzulasten, dass die von ihm ausgesprochene Kündigung wegen Verstoßes gegen Anzeigepflichten unwirksam sein soll. Der
Vertrauensschutz ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Arbeitsgericht Berlin mit Beschluss vom 30.04.2003 die Frage der Auslegung
der Richtlinie 98/59/EG dem EuGH zur Entscheidung vorlegte. Von einem "gewöhnlichen" Arbeitgeber kann nicht erwartet werden, dass er über
Kenntnisse verfügt, die noch nicht einmal - wie das vorliegende Masseverfahren zeigt - Fachanwälte für Arbeitsrecht aufweisen können.
Schließlich spricht nach Auffassung der Kammer ein weiterer Gesichtspunkt für die Gewährung von Vertrauensschutz. Nach einhelliger Meinung
scheidet eine horizontale Direktwirkung von Richtlinien aus, weil sich diese zu Lasten eines Privaten auswirken könnte. Zieht man in Betracht,
dass die Grenzen zwischen unmittelbarer Anwendung einer Richtlinie und richtlinienkonformer Auslegung häufig fließend sind und zu
identischen Ergebnissen führen können, scheint bei der richtlinienkonformen Auslegung zu Lasten einzelner Vorsicht geboten.
29
III.
30 Weitere Gesichtspunkte, die der Wirksamkeit der Kündigung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Aufgrund der Betriebsstilllegung
sind insbesondere die Fragen einer möglichen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger sowie der ordnungsgemäßen Sozialauswahl
nicht zu stellen. Die Beklagte war nicht gehalten, eine soziale Auswahl dergestalt einzuhalten, dass sie sämtlichen Arbeitnehmern auf den
beabsichtigten Stilllegungstermin -31.05.2005- hätte kündigen müssen. Vielmehr ist es zulässig, die Kündigung unter Wahrung der jeweiligen
Kündigungsfrist auszusprechen (BAG Urteil vom 07.03.2002, NZA 2002, Seite 1111), wonach es einer Sozialauswahl nicht bedarf, wenn der
Arbeitgeber die werbende Tätigkeit mit sofortiger Wirkung einstellt, allen Arbeitnehmern wegen der Betriebsstellung gleichzeitig kündigt und den
Arbeitnehmern mit den längsten Kündigungsfristen die Durchführung der Restarbeiten überträgt, gegebenenfalls unter Einbeziehung von
Subunternehmern. Denn hierbei handelt es sich nach dem Bundesarbeitsgericht a.a.O. nicht um eine etappenweise Betriebsstillegung bei der
die Kündigungen dem zeit- und abschnittsweisen Abbau der betrieblichen Funktionen angepasst werden, vielmehr beabsichtigt in einem
solchen Fall der Arbeitgeber die schnellstmögliche Stilllegung und kann diesen Entschluss nur auf diese Weise vertragsgerecht umsetzen.
Betriebsverfassungsrechtliche Fragen sind mangels Bestehen eines Betriebsrats bei der Beklagten ebenfalls nicht zu erörtern.
31
IV.
32 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 2 ff. ZPO, 42 Abs. 4 GKG.
33 gez. Dr. G.,..... gez. G.,..... gez. G.,.....