Urteil des ArbG Limburg vom 19.11.2008

ArbG Limburg: tarifvertrag, probezeit, kündigungsfrist, gewerkschaft, arbeitsbedingungen, unternehmen, arbeitgeberverband, arbeitsgericht, quelle, aussetzung

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Gericht:
ArbG Limburg 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ca 541/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 2 TVG
(Verfahrensaussetzung - Tariffähigkeit der CGZP)
Leitsatz
Aussetzung des Verfahrens bis zur Klärung der Frage der Tariffähigkeit in einem
Beschlussverfahren
Tenor
Der Rechtsstreit wird bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs. 1
Nr. 4 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft
Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG
ausgesetzt.
Gründe
I. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung. Der
Kläger war mit Arbeitsvertrag vom 14.07.2008 (Bl. 3 – 19 d.A.) bei der Beklagten
seit dem 14.07.2008 eingestellt. Gemäß § 1 Ziff. 4 des Mitarbeitervertrags finden
auf das Arbeitsverhältnis die für den Arbeitgeber fachlich einschlägigen
Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Dies sind z. Zt. die
zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA und
dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V.
abgeschlossenen Tarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag,
Entgelttarifvertrag und Beschäftigungssicherungstarifvertrag). Hinsichtlich der
Kündigungsfrist wird im Mitarbeitervertrag auf § 20 des Manteltarifvertrags
verwiesen. Dieser enthält gemäß Ziffer 20.1 folgende Kündigungsfristen für die
Probezeit:
„In der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist während der ersten zwei Wochen
1 Werktag, bis zum Ende des ersten Monats 2 Werktage, während des zweiten
Monats 3 Werktage, danach bis zum Ende des dritten Monats eine Woche, vom 4.
bis 6. Monat 2 Wochen.“
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem dem Kläger am Freitag
dem 18.07.2008 oder Samstag, den 19.07.2008 zugegangenen Schreiben zum
Montag den 21.07.2008. Die Behauptung eines späteren Zugangs hat der Kläger
im Kammertermin vom 19.11.2008 nicht mehr aufrechterhalten.
Der Kläger ist der Ansicht, die gesetzliche Kündigungsfrist sei nicht eingehalten.
Der Manteltarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften
Zeitarbeit und PSA (CGZP) und dem Arbeitgeberverband mittelständischer
Personaldienstleister (AMP) sei nicht wirksam, da die Gewerkschaft CGZP nicht
tariffähig sei. Dies wird von der Beklagten unter Hinweis auf den Aufsatz von
Lembke (NZA 2007, 1333) bestritten.
II. Der Rechtsstreit ist bis zu Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs.
1 Nr. 4 ArbGG zur Entscheidung über die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft
Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG
auszusetzen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Frage der
Tariffähigkeit der CGZP ab. Gemäß § 622 Abs. 3 BGB kann ein Arbeitsverhältnis
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Tariffähigkeit der CGZP ab. Gemäß § 622 Abs. 3 BGB kann ein Arbeitsverhältnis
während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von 6 Monaten, mit
einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Gemäß § 622 Abs. 4 BGB können
von § 622 Abs. 3 BGB abweichende Regelungen durch Tarifvertrag vereinbart
werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages gelten die abweichenden
tarifvertraglichen Bestimmungen auch zwischen nicht tarifgebundenen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart
ist. Handelt es sich bei dem Manteltarifvertrag zwischen der CGZP und der AMP
um einen Tarifvertrag i.S. des § 622 Abs. 4 BGB, kann auch die Frist für eine
Kündigung während der Probezeit durch Tarifvertrag verkürzt werden,
möglicherweise bis auf einen Tag. Handelt es sich jedoch nicht um einen
Tarifvertrag, der von einer tariffähigen Vereinigung abgeschlossen wurde, kann nur
mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen gekündigt werden. Da die
Frage der Tariffähigkeit der CGZP in diesem Fall vorgreiflich ist, ist der Rechtsstreit
bis zur Entscheidung über die Tariffähigkeit der CGZP auszusetzen (vgl. zu den
Voraussetzungen näher BAG 28.01.2008 – 3 AZB 30/07, AuR 2008, 313).
Gemäß § 97 Abs. 5 S. 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung
des in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG vorgesehenen Beschlussverfahrens auszusetzen,
wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob die Vereinigung
tariffähig ist. Eine Aussetzungspflicht besteht dabei immer, wenn entweder die
Tariffähigkeit der Gewerkschaft streitig ist oder gegen die Tariffähigkeit der
Gewerkschaft Bedenken bestehen. Dabei sind allgemein bekanntgewordene
Bedenken zu berücksichtigen und vom Arbeitsgericht aufzugreifen. Dabei kann
auch auf Erkenntnisse in der rechtswissenschaftlichen Literatur und sonstige
allgemeine Quellen zurückgegriffen werden (BAG, a.a.O.).
Die Tariffähigkeit der CGZP wird in der ganz überwiegenden Literatur bezweifelt
(vgl. Ulber, AÜG, 3. Aufl. 2005, § 9 Rn. 191; Schüren/Hamann, AÜG, 3. Aufl. 2007, §
9 Rn. 115; Schindele, AuR 2008, 31; D. Ulber, NZA 2008 438; Schüren, NZA 2008,
453; Brors, BB 2006, 101). Inzwischen haben verschiedene Arbeitsgerichte wegen
verschiedener Regelungen in den Tarifverträgen, die die CGZP abgeschlossen hat,
Rechtsstreite gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG ausgesetzt (vgl. nur ArbG Berlin v.
16.01.2007, 81 Ca 27913/05; ArbG Osnabrück, 14.02.2007 – 3 Ca 888/06 (vom
BAG nur wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit aufgehoben); ArbG
Osnabrück, 15.01.2007 – 3 Ca 535/06; ArbG Offenbach, 23.05.2008 – 4 Ca 102/08,
bestätigt von HessLAG 07.07.2008 – 4 Ta 260/08 – alle zitiert in Juris). Inzwischen
ist ein von der Gewerkschaft ver.di eingeleitetes Beschlussverfahren bezüglich der
Tariffähigkeit der CGZP beim Arbeitsgericht Berlin anhängig (35 BV 17008/08).
Begründet werden die Zweifel an der Tariffähigkeit vor allen Dingen damit, dass die
Christlichen Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA mit den von ihr vereinbarten
Entgelttarifverträgen erheblich von dem Grundsatz des § 9 Ziff. 2 AÜG abweichen,
dass grundsätzlich für Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen
Entleiher keine schlechteren Arbeitsbedingungen herrschen sollen, als die im
Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer, und zwar
einschließlich des Arbeitsentgelts. Zwar kann hiervon durch Tarifvertrag
abgewichen werden. Es wird hier jedoch vielfach behauptet, dass die Tarifverträge
der CGZP gerade wegen dieser Möglichkeit der Verschlechterung der
Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer nur durch Tarifvertrag gegenüber dem
Grundsatz des „equal pay“ abgeschlossen worden sind. Auch im Übrigen weichen
die tarifvertraglichen Vereinbarungen der CGZP häufig dort von gesetzlichen
Vorgaben ab, wo dies nur den Tarifvertragsparteien erlaubt ist. Hierzu zählt etwa
die hier fragliche Verkürzung der Kündigungsfristen während der Probezeit, aber
auch die Verlängerung der möglichen befristeten Arbeitsverträge gemäß § 14 Abs.
2 S. 3 TzBfG nach Ziff. 2.3 des Manteltarifvertrags, die Ausweitung der
Ablehnungsgründe für eine Verringerung der Arbeitszeit gemäß § 8 Abs. 4 S. 4
TzBfG durch Ziff. 2.3.2 des Manteltarifvertrags. Darüberhinaus wird auf zahlreiche
Firmentarifverträge der CGZP verwiesen, in denen das Lohnniveau der
Flächentarifverträge von der CGZP bei einzelnen Arbeitgebern noch einmal
unterschritten wird - von Schüren (NZA 08, 453) wird insoweit von einem
Stundenlohn von 4,81 € für ein Unternehmen in Wuppertal berichtet. Da bislang
lediglich für Tarifverträge der CGZP Bedingungen bekannt geworden sind, die stets
vom gesetzlichen Niveau nach unten abweichen, insbesondere, soweit es die
gesetzliche Forderung des equal pay in § 9 Ziff. 2 AÜG betrifft, spricht dies eher
gegen die Durchsetzungskraft und Leistungsfähigkeit der hinter ihr stehenden
Gewerkschaften. Zwar mag man der CGZP nicht absprechen, dass sie aktiv am
Tarifgeschehen teilnimmt; der Nachweis, dass sie dies zu Gunsten der
Arbeitnehmer getan hat, ist jedoch bislang nicht erbracht. Die Tariffähigkeit einer
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Arbeitnehmer getan hat, ist jedoch bislang nicht erbracht. Die Tariffähigkeit einer
Arbeitnehmervereinigung erweist sich aber vor allen Dingen dadurch, dass sie in
der Lage ist, Arbeitsbedingungen zu Gunsten der von ihr vertretenen Mitglieder
durchzusetzen (vgl. BAG 28.03.2006 – 1 ABR 58/04, NZA 2006, 1112).
Darüberhinaus ergibt sich für die Kammer Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP
bereits daraus, dass bislang nicht bekannt ist, über wie viele Mitglieder die CGZP
bzw. die in ihr vereinigten Gewerkschaften verfügen. Darüberhinaus ergeben sich
für die Kammer Zweifel an der Mächtigkeit der in ihr vertretenen Gewerkschaften,
soweit Arbeitgeber für diese Gewerkschaften Mitgliederwerbung betreiben bis hin
zu den in der Literatur dargestellten Phänomenen, dass Arbeitgeber dem
Arbeitsvertrag Aufnahmeformulare für eine in der CGZP vertretene Organisation
Arbeitnehmern beilegen (vgl. Schindele, AuR 2008, 31, 33).
Soweit die Tarifverträge einschließlich des hier zu beurteilenden Tarifvertrags von
einer Tarifgemeinschaft abgeschlossen sind, werden die von der Kammer
gesehenen Zweifel an der Tariffähigkeit nicht dadurch beseitigt, dass
möglicherweise ein oder zwei Mitglieder (CGM und DHV) tariffähig sind. Die
Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation i.S.d. § 2 Abs. 3 TVG ist davon abhängig,
dass alle ihre Mitglieder ihrerseits tariffähig sind (BAG 02.11.1960 – 1 ABR 18/59,
AP Nr. 1 zu § 97 ArbGG 1953; Wiedemann/Oetker, TVG, 6. Aufl. § 2 Rn. 335).
Jedenfalls die Tariffähigkeit der CGPT und der GöD, die Mitglieder der CGZP sein
sollen, ist nicht festgestellt (vgl. Ulber, NZA 2008 438, 439). Diese Mixtur aus
tariffähigen und nichttariffähigen Mitgliedern in der Spitzenorganisation CGZP
begründet jedenfalls Zweifel an der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit der
CGZP.
Wegen dieser Zweifel ist den Parteien dieses Rechtsstreits (§ 97 Abs. 5 S. 2
ArbGG) sowie den in § 97 Abs. 1 ArbGG genannten Organisationen die Möglichkeit
einzuräumen, zunächst die Tariffähigkeit der CGZP zu klären.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.