Urteil des ArbG Köln vom 06.08.2009

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Arbeitsgericht Köln, 12 Ca 3638/09
Datum:
06.08.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Ca 3638/09
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Kein Leitsatz
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Streitwert: 1.022,25 €.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, eine Einmalzahlung als
weitere ERA-Strukturkomponente für das Jahr 2008 zu zahlen.
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Der Kläger ist seit vielen Jahren als Elektromonteur bei der Beklagten beschäftigt. Auf
das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie für das
Tarifgebiet Hessen Anwendung.
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Im Juni 2003 zahlte die Beklagte die ERA-Strukturkomponente von 0,9% an die
Mitarbeiter aus.
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Am 11. Juni 2003 schlossen verschiedene Metallarbeitgeberverbände und
Industriegewerkschaften Metall aus verschiedenen Bundesländern, unter anderem
NRW und Hessen, für die Beklagte einen ersten Ergänzungstarifvertrag, wonach die für
September 2003 vorgesehene Auszahlung der ERA-Strukturkomponente von 0,5%
entfalle. Am 30. September 2003 schlossen die vorgenannten Tarifvertragsparteien
einen weiteren Ergänzungstarifvertrag (Erg-TV), wonach ab dem 1. Januar 2004 für alle
Standorte der Beklagten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie des
Tarifgebiets Hessen gälten, § 2. Die Präambel des Erg-TV erläutert, dass die Beklagte
einem hohen Kostendruck unterworfen sei. Der Tarifvertrag solle zur Erhaltung und
Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten und zur Erhaltung der
Arbeitsplätze beitragen.
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§ 3 Abs. 2 Erg-TV regelt unter der Überschrift "Zu erwartende Tariferhöhungen", dass zu
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erwartende Tariferhöhungen nach dem Auslaufen des Lohntarifvertrags erst zum 1. Juli
2004 umgesetzt würden, UA 1. Alle weiteren bis 31. Dezember 2006 zu erwartenden
Tariferhöhungen würden jeweils sechs Monate später umgesetzt, UA 2. § 3 Abs. 2 UA 3
Erg-TV bestimmt, dass "die Strukturkomponente September 2003 sowie alle zukünftigen
als Strukturkomponenten (im Volumen von 1,39%) auszuzahlenden Einmalbeträge in
vollem Umfang entfallen". § 3 Abs. 4 Erg-TV bestimmt, dass ab 2006 wieder die volle
betriebliche Sonderzahlung gezahlt wird. § 3 Abs. 5 Erg-TV bestimmt, dass das erhöhte
Urlaubsentgelt im Jahr 2004 zu 1/3, 2005 zu 50%, 2006 zu 2/3 und 2007 voll gezahlt
werde.
§ 4a, b Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds Hessen vom 22. Dezember 2003 (ERA-
APF) bestimmt, dass die jeweils ersten entstehenden Strukturkomponenten zur
Auszahlung fällig, dann dem ERA-Anpassungsfonds zugeführt und zur Deckung
betrieblicher Mehrkosten aus der ERA-Einführung oder zur Auszahlung an die
Beschäftigten verwendet würden. § 4c ERA-APF bestimmt, dass nach dem Ablauf der
Tarifperiode, in der die letzte ERA-Entgeltstrukturkomponente wirksam wird, eine
weitere Strukturkomponente als Einmalzahlung gezahlt wird, wenn ERA betrieblich
noch nicht eingeführt wurde.
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Am 30. September 2004 ergänzten die Tarifvertragsparteien den Erg-TV und
vereinbarten, dass sich bestimmte Vergütungen im Jahre 2007 erhöhen würden. Der
Erg-TV sollte im Übrigen unverändert fortbestehen.
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In Nr. 2 c) der Vereinbarung zum Umgang mit den ERA-Strukturkomponenten ab Januar
2008 der hessischen Metallindustrie vom 7. Dezember 2007 regelten die Tarifparteien,
dass sich die Einmalzahlung nach § 4c ERA-APF auf 2,79% x von der
Einmalzahlung/Zuführung erfasste Monate des Jahres 2008 x Tarifeinkommen des
Auszahlungsmonats beläuft. Für die Monate Januar bis Juni 2008 sei der Monatsfaktor
um jeweils 0,115% Prozentpunkt (zur Einbeziehung der zusätzlichen Urlaubsvergütung)
und für die Monate Juli bis Dezember 2008 jeweils um 0,09 Prozentpunkte (zur
Einbeziehung der betrieblichen Sonderzahlung) anzuheben.
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Die Beklagte führte ERA in den Jahren 2007 und 2008 nicht ein.
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Am 15. Januar 2009 machte der Kläger die Einmalzahlung als weitere
Strukturkomponente für das Jahr 2008 nach § 4c ERA-APF geltend, und zwar 2,79% x
13,23 = 1.022,258 € [entspricht 12 Monate in 2008 plus 6 x 0,115 plus 6 x 0,009 x
Tarifeinkommen des Auszahlungsmonats November 2008]. Am 19. Januar 2009 lehnte
die Beklagte die Zahlung unter Hinweis auf den Erg-TV vom 30. September 2003 ab.
ERA werde im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erst im Jahre 2009 eingeführt.
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Der Kläger meint, die Tarifvertragsparteien hätten mit dem Erg-TV lediglich die jeweils
zuzüglich zu den vereinbarten Tariftabellenerhöhungen auszuzahlenden
Einmalzahlungen ausschließen wollen. Es hätten lediglich die Einmalzahlungen von
0,5% für Juni 2003 und jeweils 0,7% für März 2004 und 2005 einbehalten werden
sollen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.022,25 € brutto nebst Zinsen in Höhe
von 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2008 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, während der Tarifverhandlungen zum Erg-TV habe sich
abgezeichnet, dass die Beklagte die vorgesehenen Strukturkomponenten von 0,5%,
0,7% und weiteren 0,7% nicht als Einmalzahlungen würde leisten können. Im ersten
Erg-TV sei daher bereits geregelt gewesen, dass die für September 2003 vorgesehene
Auszahlung der ERA-Strukturkomponente von 0,5% entfalle. Zwar habe im September
2003 die Gesamtstrukturkomponente von 2,79% festgestanden, nicht indes der genaue
Zeitpunkt und die genaue Aufteilung auf die künftigen Tarifperioden.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 4c ERA-APF auf Zahlung der
Strukturkomponente als Einmalzahlung.
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1. Der Anspruch ist wegen § 3 Abs. 2 UA 3 Erg-TV ausgeschlossen. Die Auslegung
ergibt, dass die Tarifvertragsparteien auch die hier gegenständliche Einmalzahlung
ausschließen wollten.
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a) Die Auslegung des Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der
maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der
wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und
Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren
Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist
abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte,
praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne
Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die
Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten
und praktisch brauchbaren Lösung führt (ständige Rechtsprechung BAG 19. September
2007 - 4 AZR 670/06 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 200).
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b) Der Wortlaut des Erg-TV ist dahin zu verstehen, dass keine Einmalzahlungen als
Strukturkomponente gezahlt werden sollten, also auch für den Fall, dass ERA ab 2007
nicht eingeführt würde. Er erfasst damit auch die Einmalzahlung und weitere
Strukturkomponente nach § 4c ERA-APF. Die Erwähnung von 1,39% im Erg-TV ist
hierbei keine Begrenzung, sondern bezieht sich auch auf die volle Strukturkomponente
in Höhe von 2,79%: Sie ergibt sich aus den gezahlten 0,9% plus dem Verzicht auf 0,5%
plus 1,39% im Erg-TV, also 2,79%. Damit waren weitere Einmalzahlungen der
Strukturkomponente insgesamt ausgeschlossen. Zwar haben die Tarifvertragsparteien
die Strukturkomponente nach § 4c ERA-APF nicht ausdrücklich aufgenommen, als
weitere Strukturkomponente ist sie aber vom Wortlaut ebenfalls erfasst. Auch der
tarifliche Gesamtzusammenhang belegt, dass eine Begrenzung auf die Zeit bis 2006 für
den Ausschluss der Zahlungspflicht der Strukturkomponente nicht gewollt war. Denn die
Tarifvertragsparteien haben in Kenntnis des ERA-APF und der möglichen verspäteten
Einführung von ERA jede Pflicht zur Einmalzahlung der Strukturkomponente für die
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Beklagte ausgeschlossen. Anders als für den Urlaub und die Sonderzahlung haben sie
auch keine Regelung getroffen, dass im Falle der verspäteten ERA-Einführung die
weitere Strukturkomponente dann entgegen § 3 Abs. 2 Erg-TV erstmalig zu zahlen
gewesen wäre. Auch die Tarifgeschichte belegt dies: Die Tarifvertragspartner haben
auch im Jahre 2004 an der Regelung in § 3 Abs. 2 Erg-TV festgehalten. Schließlich
spricht auch der Sinn und Zweck des Erg-TV für dieses Verständnis: Es sollte ein
Beitrag zur Sanierung des Unternehmens geleistet werden. Dieser sollte fest bis Ende
2006 erfolgen und dann ohne Kündigung des Tarifvertrags fortgesetzt werden. Ob
gleichzeitig Zahlungen von der Beklagten an den Anpassungsfonds erbracht wurden,
werden mussten oder ausgeschlossen wurden, hat auf die Auslegung des § 3 Abs. 2
Erg-TV keine Auswirkungen, da die hier maßgeblichen Einmalzahlungen
ausgeschlossen werden sollten. Da die Entlastung des Unternehmens um die
Strukturkomponente als Einmalzahlung insgesamt beabsichtigt war, würde die
Regelung sinnlos, wenn sie wie vom Kläger so zu verstehen wäre, dass die
Einmalzahlungen der Strukturkomponente ab 2007 bis zur Einführung von ERA zu
zahlen wären, ohne dass feststünde, dass der Erg-TV seine Berechtigung verloren
hätte. Es wäre Aufgabe der Tarifvertragsparteien gewesen, wegen der verspäteten
Einführung von ERA bei der Beklagten den Erg-TV in diesem Punkt zu ergänzen oder
insgesamt zu kündigen.
2. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass § 3 Abs. 2 Erg-TV den Anspruch auf
die weitere Strukturkomponente nach § 4c ERA-APF nicht ab 2007 ausschließt, ist die
dann entstehende Tariflücke in diesem Sinne zu schließen.
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a) Eine Tariflücke ist unter den folgenden Voraussetzungen zu schließen: Es darf sich
nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handeln. Aber auch nicht
jede unbewusste Tariflücke darf durch die Gerichte geschlossen werden. Dafür ist es
vielmehr erforderlich, dass sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichende Anhaltspunkte
zum einen dafür ergeben, dass die Tarifvertragsparteien beabsichtigt hatten, eine
entsprechende Regelung zu schaffen (BAG 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 -
BeckRS 2009, 50091).
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b) Unterstellt, die Tarifvertragsparteien gingen die im Jahre 2003 unbewusst davon aus,
dass ERA im Jahre 2007 bei der Beklagten eingeführt sein würde, hätten sie unbewusst
die Auszahlung der weiteren Strukturkomponente nach § 4c ERA-APF nicht geregelt.
Sinn und Zweck des Ausschlusses der Strukturkomponenten war jedoch insgesamt
eine Entlastung der Beklagten. Dafür spricht § 3 Abs. 2 Erg-TV und alle übrigen
Regelungen des Erg-TV. Warum diese Entlastung wegen der Nicht- oder verspäteten
Einführung von ERA im Jahre 2006 enden sollte, erschließt sich aus dem Tarifvertrag
nicht. Vielmehr sollten Einmalzahlungen als Strukturkomponenten, und zwar alle
künftigen, entfallen. Hätten die Tarifvertragsparteien diesen Aspekt im Jahre 2003
beachtet, hätten sie wegen der wirtschaftlichen Situation der Beklagten auch keine
Verpflichtung aufgenommen, ab 2007 erstmalig die weitere Strukturkomponente zu
zahlen. Auch aus dem Kontext der Regelungen zum Urlaub und zur Sonderzahlung
folgt, dass gerade einige Aspekte wieder an die Fläche angeglichen werden sollten und
zwar auch aus der Sicht des Jahres 2003, indes nicht die Einmalzahlungen als
Strukturkomponenten.
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II. Die Kostenentscheidung beruht aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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III. Der Streitwert folgt aus § 3 ZPO.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann
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B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
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Die Berufungsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. Roloff
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