Urteil des ArbG Karlsruhe vom 12.08.2003

ArbG Karlsruhe: aufrechnung, widerklage, verfügung, zentralbank, vergütung, rechtskraft, minusstunden, gegenforderung, zustellung, befreiung

ArbG Karlsruhe Urteil vom 12.8.2003, 2 Ca 127/03
Schuldanerkenntnis bei Urlaubsabgeltungsanspruch - Prozessaufrechnung - Bestimmbarkeit
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.146,96 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
seit 01.07.2001 zu bezahlen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.110,72 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger verfolgt im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Vergütungsansprüche gegen die Beklagte, wohingegen die Beklagte ihrerseits
gegenüber dem Kläger widerklagend Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis der Parteien geltend macht.
2
Der Kläger war bei der Beklagten, die einen ambulanten Pflegedienst unterhält, in der Zeit vom 01.02. bis 30.06.2001 als stellvertretender
Pflegedienstleiter beschäftigt. Sein Gehalt belief sich bei einer monatlichen Regelarbeitszeit von 130 Stunden dabei auf 3.600,00 DM brutto (=
1.840,65 EUR brutto) monatlich.
3
Darüber hinaus stand dem Kläger ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Geschäftsfahrzeug auch zur privaten Nutzung zur Verfügung,
welches in den monatlichen Gehaltsabrechnungen des Klägers in Form eines "geldwerten Vorteils" von 189,00 DM (= 96,63 EUR) seinen
Niederschlag fand.
4
Aus Anlass der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien mit Ablauf des 30.06.2001 wandte sich die Beklagte mit
einem maschinengeschriebenen Schreiben vom 02.07.2001 (Bl. 7 d. A.) an den Kläger, worauf sie handschriftlich den Vermerk "Arbeitsverhältnis
endet zum 30.06.2001. Abgegolten werden noch 81 Stunden." hinzufügte, den sie gesondert eigenhändig unterzeichnete.
5
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des ... vom ... pfändete der Gläubiger ... gesetzlich vertreten durch das ... wegen aufgelaufener
Unterhaltsrückstände die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung des gesamten, auch künftig fällig werdenden
Arbeitseinkommens; dabei setzte das ... den beim Kläger zu verbleibenden pfändungsfreien Betrag auf 1.200,00 DM (= 613,55 EUR) pro Monat
fest (vgl. Bl. 21 d. A.).
6
Der Kläger trägt vor, dass die Beklagte anläßlich eines persönlichen Gespräches der Parteien am 02.07.2001 an ihn mit dem Ansinnen
herangetreten sei, ihn zukünftig nur noch als Pfleger weiterzubeschäftigen, was mit einer entsprechenden Anpassung seines Gehaltes
einhergehen sollte. Da er sich damit nicht habe einverstanden erklären können, seien die Parteien schließlich übereingekommen, das
Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.2001 zu beenden. Auf seinen Einwand hin, dass noch 81 von ihm geleistete Überstunden offenstehen
würden, habe sich die Beklagte nach einigen Diskussionen dazu bereit gefunden, das Arbeitsverhältnis der Parteien ordnungsgemäß
abzuwickeln, d. h. unter Vergütung der in Rede stehenden 81 Überstunden.
7
Seine Forderung beziffert der Kläger daher wie folgt:
8
1.840,65 EUR brutto : 130 Stunden x 81 Stunden = 1.146,96 EUR brutto.
9
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.146,96 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 01.07.2001 zu zahlen.
11 Die Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13 Sie behauptet, dass es sich bei den im Schreiben vom 02.07.2001 angesprochenen "81 Stunden" nicht um vom Kläger geleistete Mehrarbeit,
sondern vielmehr um offenstehenden Resturlaub gehandelt habe. Die Abrechnung und Auszahlung der 81 Arbeitsstunden entsprechenden
Vergütung sei ihr allerdings derzeit nicht möglich, da der Kläger bislang die Einzelnachweise über seine Arbeitsstunden für die Zeit vom 01.02.
bis 30.06.2001 nicht vorgelegt habe. Demzufolge sei für sie nicht zu ersehen, ob während der Beschäftigung des Klägers etwaige
"Minusstunden" angefallen seien, die insoweit bei der ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses in Abzug gebracht werden
müßten.
14 Darüber hinaus hat sie etwaigen Vergütungsansprüchen des Klägers ihrerseits Gegenforderungen gegen den Kläger im Wege der Aufrechnung
gegenübergestellt.
15 So habe der Kläger zum einen in den Monaten Februar, März und April 2001 eine Gehaltsüberzahlung in Höhe von 503,39 EUR erhalten.
16 Aus der von ihr als Anlage vorgelegten Arbeitszeitaufstellung für den Kläger (Bl. 46 d. A.) sei zu ersehen, dass der Kläger zum 30.04.2001 35,55
Fehlstunden aufgewiesen hätte. Dennoch habe er in den Monaten Februar bis April 2001 jeweils seine gesamte Monatsvergütung i. H. v.
3.600,00 DM brutto (= 1.840,65 EUR brutto) erhalten.
17 Demgemäß sei eine Überzahlung von 503,39 EUR (= 35,55 Stunden x 14,16 EUR brutto) erfolgt.
18 Desweiteren sei der Kläger ihr wegen nicht gestatteter Betankungen des ihm zur Verfügung stehenden Geschäftsfahrzeuges auf Kosten der
Beklagten für von ihm durchgeführte Privatfahrten verpflichtet.
19 Bei Übergabe des Firmen-Pkw sei es dem Kläger zwar gestattet worden, für beruflich bedingte Fahrten beim ..., ... auf Kosten der Beklagten zu
tanken. Diese Gestattung habe sich aber nicht auf etwaige Privatfahrten des Klägers erstreckt.
20 Entgegen dieser ausdrücklichen Weisung habe der Kläger auch für seine sämtlichen privat veranlaßten Fahrten auf Kosten der Beklagten
getankt.
21 Im einzelnen:
a)
22 März 2001 79,34 I 991,45 km (bei einem 167,72 DM
Durchschnittsverbrauch
von 8 I je 100 km)
b)
23 April 2001 168,02 I 2125 km 345,20 DM
c)
24 Mai 2001 263,54 I 3294,25 km 599,51 DM (einschließlich
des Erwerbes eines
Reservekanisters zum
Preis von 33,95 DM)
25 insgesamt: 1.112,43 DM
26 Nach den vom Kläger vorgelegten Zeiterfassungsnachweisen seien allerdings hiervon maximal 30 % betrieblich und 70 % der Kosten privat
veranlaßt gewesen. Der private Anteil des Klägers betrage mithin 778,70 DM (= 398,14 EUR).
27 Schließlich habe der Kläger mit dem ihm zur Verfügung gestellten Firmenfahrzeug im privaten Bereich einen Verkehrsunfall verursacht, wobei
der Pkw erheblich beschädigt worden sei.
28 Ohne diese Beschädigungen reparieren zu lassen bzw. diese Beschädigungen der Beklagten zu melden, sei der Kläger auch weiterhin mit dem
Firmenfahrzeug gefahren.
29 Am 18.03.2001 habe der Kläger mit dem Firmen-Pkw einen weiteren Unfall erlitten. Er habe versucht, die bereits am Fahrzeug vorhandenen
Vorschäden auf dieses Unfallgeschehen zurückzuführen und dem dortigen Unfallgegner "unterzuschieben".
30 Ein vom ... im Verfahren Az.: 4 C 300/01 eingeholtes Sachverständigengutachten habe ergeben, dass die am Firmenfahrzeug des Klägers
entstandenen Schäden nicht allein auf das Unfallgeschehen vom 18.03.2001 zurückzuführen gewesen seien.
31 Durch die Beschädigungen seien der Beklagten Schäden i. H. v. insgesamt 2.209,19 EUR (Minderwert des Fahrzeugs und Mietwagenkosten)
entstanden.
32 Nach Aufrechnung gegenüber den vom Kläger klageweise erfolgten Vergütungsansprüchen verbliebe daher noch ein überschießender Betrag
zugunsten der Beklagten i. H. v. 1.963,76 EUR.
33 Im Wege der Widerklage beantragte die Beklagte,
34
den Kläger/Widerbeklagten zu verurteilen, an sie 1.963,76 EUR nebst 4 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank hieraus seit 04.07.2003 zu zahlen.
35 Der Kläger beantragt,
36
die Widerklage abzuweisen.
37 Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
38 Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg (I.), wohingegen der Widerklage kein Erfolg beschieden ist (II.).
39
I.
40 Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.146,96 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der
Europäischen Zentralbank seit 01.07.2001.
41
A
42 Der Kläger kann die Beklagte auf Zahlung von 1.146,96 EUR brutto in Anspruch nehmen.
43 1. Der dahingehende Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich aus den zwischen den Parteien getroffenen arbeitsvertraglichen
Vereinbarungen in Verbindung mit § 611 BGB bzw. § 7 Abs. 4 BUrlG.
44
Mit dem eigenhändigen, handschriftlichen Zusatz auf ihrem Schreiben vom 02.07.2001 ("Abgegolten werden noch 81 Stunden.") hat die
Beklagte gegenüber dem Kläger anerkannt, diesem noch die Vergütung für 81 Stunden zu schulden.
45
Weder mit ihrem Einwand, der Kläger habe bislang die Einzelnachweise über seine Arbeitsstunden vom 01.02. bis 30.06.2001 noch nicht
vorgelegt, so dass sie, die Beklagte, nicht nachvollziehen könne, wieviele "Minusstunden" in der Person des Klägers angefallen sein sollen,
noch mit ihrem Einwand, der Kläger sei infolge der Pfändung seines Arbeitseinkommens mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des ...
vom 28.06.2001 sowie der damit einhergehenden Überweisung der streitgegenständlichen Forderung zur Einziehung an den Gläubiger ...
gemäß § 835 Abs. 1 ZPO nicht mehr zur Verfolgung des in Rede stehenden Vergütungsanspruches aktiv legitimiert, kann die Beklagte
vorliegend gehört werden.
46
Bei dem handschriftlichen Vermerk der Beklagten auf ihrem Schreiben vom 02.07.2001 handelt es sich um ein sogenanntes
deklaratorisches Schuldanerkenntnis.
47
Dieses soll eine bereits bestehende Schuld lediglich bestätigen, dagegen keine neue begründen und ist daher ein
Schuldbestätigungsvertrag. Dieser setzt voraus, dass zwischen den Parteien Streit oder subjektive Ungewissheit über das Bestehen der
Schuld oder rechtserhebliche Punkte besteht und die Parteien durch das Anerkenntnis dieses zwischen ihnen bestehende Schuldverhältnis
insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entziehen wollen.
48
So liegen die Dinge hier.
49
Nach dem von der Beklagten unwidersprochenen Sachvortrag des Klägers bestanden am 02.07.2001 Unstimmigkeiten zwischen den
Parteien, wie das mit Ablauf des 30.06.2001 beendete Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgewickelt werden sollte.
50
Auf den Hinweis des Klägers hin, dass noch 81 Stunden zur Vergütung anstünden, verständigten sich die Parteien nach entsprechender
Diskussion darauf, dass dem Kläger noch 81 Stunden abgegolten werden sollten.
51
Die inhaltliche Auseinandersetzung der Parteien mit etwaigen weiteren Vergütungsansprüchen des Klägers trotz der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.06.2001 bringt zum Ausdruck, dass die Parteien über das Bestehen der Schuld uneins gewesen sind
und durch die Vereinbarung der Verpflichtung der Beklagten zur Abgeltung von 81 Stunden dieses Rechtsverhältnis dem Streit entziehen
wollten.
52
Dieses deklaratorische Schuldanerkenntnis der Beklagten vom 02.07.2001 entfaltet Rechtsfolgen dahingehend, dass es entsprechend
seinem Zweck alle Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur für die Zukunft ausschließt, die der Schuldner bei der Abgabe des
Schuldanerkenntnisses kannte oder mit denen er mindestens rechnete.
53
Dass der Beklagten am 02.07.2001 bewußt gewesen war, dass die Einzelnachweise der Arbeitsstunden des Klägers für die Dauer seiner
Beschäftigung nicht vorlagen, zeigt bereits der Wortlaut des Schreibens vom 02.07.2001. Dort findet sich hinter der Angabe
"Einzelnachweise ihrer Arbeitsstunden vom 01.02.2001 bis 30.06.2001" der handschriftliche Vermerk der Beklagten "stehen noch offen" (vgl.
Bl. 7 d. A.).
54
Desweiteren hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht dargetan, dass ihr der Inhalt des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses des ... vom 28.06.2001 erst nach dem 02.07.2001 zur Kenntnis gelangt wäre. So hat sie im Termin zur
mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 12.08.2003 lediglich mitgeteilt, dass ihr der in Rede stehende Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss im Juli 2001 zugegangen sei. Mangels genauerer Angaben zum Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser bei der Beklagten erst nach dem 02.07.2001 eingegangen
wäre. Sollte dessen Zustellung an die Beklagte aber bis einschließlich 02.07.2001 stattgefunden haben, wäre die Pfändung mit der
Zustellung des Beschlusses an die Beklagte als Drittschuldnerin als bewirkt anzusehen (§ 829 Abs. 3 ZPO), so dass der mögliche Verlust der
Aktivlegitimation des Klägers der Beklagten bei Abgabe des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses bereits bekannt gewesen wäre, so
dass die Beklagte folglich mit dieser Einwendung ausgeschlossen wäre.
55 2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Anspruch des Klägers auf Zahlung von 1.146,96 EUR brutto auch nicht durch die von der
Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.
56
Denn der von der Beklagten erklärten Aufrechnung ist die Rechtswirksamkeit zu versagen.
57
Sie erweist sich sowohl als unzulässig (a), als auch als unbegründet (b).
58
a) Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen
die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung
bewirken kann, § 387 BGB.
59
Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur
Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind, § 389 BGB.
60
Voraussetzung der Aufrechnung ist die Gleichartigkeit des Gegenstandes der Leistungen. An dieser mangelt es jedoch bei der
Gegenüberstellung von Bruttoforderungen des Arbeitnehmers und Nettoforderungen des Arbeitgebers jedenfalls hinsichtlich der aus
dem Bruttolohn für den Arbeitnehmer abzuführenden Steuern und des von diesem zu tragenden Arbeitnehmeranteils an den
Sozialabgaben.
61
Der Arbeitnehmer ist der (alleinige) Steuerschuldner (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und der Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge in
Höhe der Arbeitnehmeranteile. In dieser Höhe hat er die Beiträge "zu tragen" (§ 249 Abs. 1 SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 346 Abs.
1 SGB III, § 58 Abs. 1 SGB XI). Der Arbeitgeber führt die Abgaben kraft gesetzlicher Anweisung (§ 38 Abs. 3 EStG für die Lohnsteuer, §§
28 e Abs. 1, 28 g SGB IV für die Sozialversicherung) im Auftrag, im Namen und für Rechnung des Arbeitnehmers ab, um eine diesen
treffende Schuld zu begleichen.
62
Der Arbeitnehmer kann daher in Betreff der Steuern und Sozialabgaben ohnehin keine Zahlung an sich selbst begehren, sondern hat
gleichsam gegen den Arbeitgeber lediglich einen Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit (gegenüber den Finanzbehörden
und dem Sozialversicherungsträger).
63
Gerade bei Zahlungsansprüche auf der einen und Ansprüchen auf Befreiung von Verbindlichkeiten auf der anderen Seite ist die i. S. v. §
387 BGB erforderliche Gleichartigkeit zu verneinen.
64
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sie grundsätzlich ihre möglichen Gegenansprüche gegenüber den sich jeweils zugunsten des
Klägers ergebenden Nettoauszahlungsbeträgen zur Aufrechnung stellen könnte.
65
Dabei wären aber gemäß § 394 Satz 1 BGB zwingend die in §§ 850 ff. ZPO festgeschriebenen Pfändungsfreigrenzen beim
Arbeitseinkommen zu wahren.
66
Demgemäß setzt die Aufrechnung in derartigen Fallkonstellationen voraus, dass die dem Arbeitnehmer zustehenden Nettobeträge
feststehen.
67
Zudem muss die Aufrechnungslage in den Fällen, in denen sich mehrere verschiedene Forderungen auf Gläubiger- und auf
Schuldnerseite gegenüberstehen, konkret bestimmt sein, d. h. es muss zweifelsfrei erkennbar sein, welche konkrete Forderung des
Schuldners mit welcher einzelnen Forderung des Gläubigers korrespondieren soll. Dies verlangt bereits die Bestimmbarkeit der
materiellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung, denn nach § 322 Abs. 2 ZPO ist, hat der Beklagte die Aufrechnung einer
Gegenforderung geltend gemacht, die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die
Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.
68
Ansonsten könnte in etwaigen Folgeprozessen, in denen der Arbeitgeber seine angebliche Gegenforderungen weiterverfolgt, nicht
ermittelt werden, über welchen Teil der Gegenforderung schon rechtskräftig entschieden worden ist.
69
Bereits diesen formalen Anforderungen genügt die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nicht.
70
So stellt sie zum einen der vom Kläger verfolgten Bruttolohnforderung (vermeintliche) Gegenansprüche auf Nettozahlungen gegenüber,
ohne den dem vom Kläger begehrten Bruttobetrag entsprechenden Nettobetrag exakt zu beziffern. Schließlich ist auch nicht zweifelsfrei
erkennbar, in welcher Reihenfolge die Beklagte ihre Gegenansprüche der berechtigten Forderung des Klägers entgegenhalten will.
71
b) Selbst wenn man die von der Beklagten erklärte Aufrechnung als zulässig betrachten könnte, wäre diese dennoch unbegründet, da die
insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte den an ihre Darlegungs- und Beweislast zu stellenden Anforderungen für das
Vorliegen der tatsächlichen anspruchsbegründenden Umstände nicht gerecht geworden ist.
72
aa) So hat die Beklagte gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von 503,39 EUR (brutto) wegen überzahlter Arbeitsvergütung
in den Monaten Februar bis April 2001. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht unter dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter
Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 BGB.
73
Denn es kann nicht im einzelnen nachvollzogen werden, wie sich die von der Beklagten behaupteten, vom Kläger bestrittenen
35,55 "Minusstunden" zusammensetzen sollen.
74
Insofern hätte es der Beklagten oblegen, die Arbeitszeiten des Klägers im Zeitraum vom 01.02. bis einschließlich 30.04.2001 unter
genauer Angabe von Arbeitsbeginn und -ende aufzulisten. Als Ergebnis dieser Gesamtaufstellung hätte sich sodann ein
Negativsaldo im Bereich der Arbeitszeit von 35,55 Stunden ergeben müssen.
75
bb) Ebensowenig kann von der erkennenden Kammer festgestellt werden, dass der Beklagten gegenüber dem Kläger ein Anspruch
auf Erstattung von 398,14 EUR wegen unberechtigter Privatbetankungen des dem Kläger zur Verfügung gestellten
Firmenfahrzeuges zustehen würde.
76
In diesem Zusammenhang sind keinerlei objektive Anknüpfungspunkte für die Einschätzung der Beklagten ersichtlich, dass
maximal 30 % der vom Kläger verursachten Tankkosten betrieblich veranlaßt gewesen seien. Die von der Beklagte in Bezug
genommene Zeiterfassung des Klägers, auf der diese Berechnung offensichtlich basieren soll, ist von der Beklagten nicht in das
vorliegende Verfahren eingeführt worden. Ohne diese fehlt es jedoch an einer ausreichenden Tatsachengrundlage, um diese
Einschätzung der Beklagten nachvollziehen zu können.
77
cc) Schließlich kann auch ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Zahlung von 2.209,19 EUR nicht bejaht
werden.
78
Insbesondere kann sich die Beklagte dabei nicht auf das Institut der positiven Forderungsverletzung stützen.
79
Nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Ersatz des ihm aus einem
pflichtwidrigen Verhalten des Arbeitnehmers entstandenen Schadens verlangen, wenn sich der Arbeitnehmer in einer von ihm zu
vertretenden Weise in Widerspruch zu seinen arbeitsvertraglichen Pflichten gesetzt hat.
80
Zum einen steht aber vorliegendenfalls nicht fest, dass der bei dem dem Kläger zur Verfügung gestellten Firmen-Pkw vorhandene
Vorschaden, der laut dem Ergebnis des vom ... im Verfahren 4 C 300/01 eingeholten Sachverständigengutachtens nicht dem
Unfallereignis vom ... zuzurechnen sein soll, tatsächlich vom Kläger herbeigeführt worden ist.
81
Der Kläger hat insoweit bestritten, für einen etwa gegebenen Vorschaden des Pkw verantwortlich zu sein. Er hat im Termin zur
mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 12.08.2003 ausgeführt, dass der in Rede stehende Firmen-Pkw bereits vor Antritt
seiner Beschäftigung am 01.02.2001 von anderen Mitarbeitern der Beklagten genutzt worden sei. Daher könne nicht
ausgeschlossen werden, dass bereits bei Übernahme des Fahrzeuges durch ihn Beschädigungen am Pkw vorhanden gewesen
seien. Denn ein entsprechendes Übernahmeprotokoll, aus dem hervorgehe, dass keine Vorschäden vorhanden seien, existiere
unstreitig nicht.
82
Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat es verabsäumt, diesem Vortrag substantiiert entgegenzutreten. Damit
steht nicht fest, dass der Kläger als allein möglicher Schadensverursacher eines etwaigen Vorschadens am Firmen-Pkw in Betracht
kommt.
83
Zudem ist der Vortrag der Beklagten betreffend die Schadenshöhe von 2.209,19 EUR nicht schlüssig. Ersatzfähig wären von
vorneherein nur die infolge eines etwaigen vom Kläger vor dem 18.03.2001 erlittenen Unfalls verursachten Mehrkosten. Eine
Reparatur des Fahrzeuges verbunden mit der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges für die Dauer der Reparatur des Pkw wäre
nämlich ohnehin aufgrund des Unfalls vom 18.03.2001 erforderlich geworden, so dass die dem Unfall vom 18.03.2001
zuzurechnenden Aufwendungen bei der Bemessung einer etwaigen Schadenshöhe hätte außen vor gelassen werden müssen.
84 Damit kann festgehalten werden, dass die von der Beklagten gegenüber den berechtigten Vergütungsansprüchen des Klägers erklärte
Aufrechnung mit Gegenansprüchen ins Leere geht.
85
B
86 Die Vergütungsforderung des Klägers i. H. v. 1.146,96 EUR brutto ist ab 01.07.2001 mit 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank zu verzinsen, §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
87
II.
88 Die von der Beklagten erhobene Widerklage ist sowohl unzulässig (A) als auch unbegründet (B).
89
A
90 Die Unzulässigkeit der Widerklage resultiert aus der mangelnden Bestimmtheit des Gegenstandes der Widerklage.
91 Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift (damit auch die Widerklageschrift) die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des
Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Da, wie bereits oben eingehend erläutert, die Widerklage gemäß § 322 Abs. 2 ZPO an der
materiellen Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung teilnimmt, müßte zweifelsfrei erkennbar sein, welche der von der Beklagten behaupteten
Gegenforderungen gegenüber den vom Kläger verfolgten Vergütungsforderungen zur Aufrechnung gestellt werden und welche (vermeintlichen)
Gegenforderungen bzw. welcher Teil derselben der Widerklage zugrunde liegen soll.
92 Diese der (wider-)klagenden Partei obliegende Bestimmung einer Rangfolge der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen hat die Beklagte
vorliegend nicht vorgenommen, so dass eine eindeutige Bestimmung des Streitgegenstandes der Widerklage nicht möglich ist.
93
B
94 Im übrigen wäre die Widerklage auch unbegründet. Insoweit kann auf die Ausführungen unter I. A 2. b Bezug genommen werden.
95 Nach alledem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben, während die Widerklage abzuweisen war.
96
III.
97 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.
98 Der Rechtsmittelstreitwert gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG war auf 3.110,72 EUR (= Addition des Nennwerts der bezifferten Klage- und
Widerklageforderung) festzusetzen.