Urteil des ArbG Karlsruhe vom 22.07.2003

ArbG Karlsruhe: einstweilige verfügung, betriebsrat, wesentlicher nachteil, firma, mitbestimmungsrecht, abspaltung, einheit, unternehmen, unterlassen, reform

ArbG Karlsruhe Beschluß vom 22.7.2003, 6 BVGa 2/03
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Betriebsänderung - einstweiliger Rechtsschutz
Tenor
Die durch Beschluß vom 30.06.2003 erlassene einstweilige Verfügung wird bestätigt.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über einen Anspruch des Antragstellers auf Unterlassung der
Durchführung der Abspaltung eines Betriebsteils der Antragsgegnerin.
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Die Antragsgegnerin (künftig: Arbeitgeberin) ist ein Einzelhandelsunternehmen. Sie betreibt bundesweit Filialen (Märkte). Der Antragsteller
(künftig: Betriebsrat) ist der für die Filiale in Karlsruhe gebildete Betriebsrat. In der Filiale in Karlsruhe sind insgesamt 387 Mitarbeiter/innen
(nach Köpfen) beschäftigt. Dort gab es bisher ebenso wie in 18 anderen Filialen der Arbeitgeberin eine sogenannte Cafeteria. In der
Cafeteria in Karlsruhe beschäftigte die Arbeitgeberin bisher 19 Arbeitnehmer und wandte auf die Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge des
Einzelhandels an. Die Cafeteria liegt ebenso wie die Küche im unteren Stockwerk. Im darüber gelegenen Stockwerk befinden sich die
Räume der Personalkantine. Dort wird von Mitarbeitern der Küche und der Cafeteria das in der Küche gekochte Essen an die Mitarbeiter
ausgegeben. Die Arbeitgeberin informierte ihre Arbeitnehmer mit Schreiben vom 28.05.2003 "Mitarbeiterinformation zum Betriebsübergang
gem. § 613 a BGB" darüber, daß ab dem 01.07.2003 der Betriebsteil Cafeteria in der Filiale in Karlsruhe auf die S GmbH, ... (künftig: Firma S)
übertragen werde. Ab dem 01.07.2003 werde die Leitung des Betriebsteils von dieser Firma ausgeübt, zukünftig finde ein Haustarifvertrag
mit der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten auf die betroffenen Arbeitsverhältnisse Anwendung (Anlage zur Antragsschrift, Abl. 31 –
32). Die Arbeitgeberin teilte mit Schreiben vom 30.05.2003 den entsprechend betroffenen Wirtschaftsausschüssen mit, daß die Restaurants
an insgesamt 19 Standorten, darunter auch die Cafeteria in Karlsruhe, zum 01.07.2003 an die Firma S übergeben würden und daß diese
Betriebsübernehmerin sämtliche Arbeitnehmer übernehmen werde (Anlage zur Antragsschrift, Abl. 33 bis 34). Mit Schreiben vom 03.06.2003
forderte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der gleichzeitig der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale in Karlsruhe ist, die
Arbeitgeberin auf, mit den Gesamtbetriebsräten Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan aufzunehmen (Anlage zur
Antragsschrift, Abl. 35 – 36). Mit Schreiben vom 10.06.2003 lehnte die Arbeitgeberin dies ab (Anlage zur Antragsschrift, Abl. 37 – 38). Mit
Schreiben vom 20.06.2003 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, mit ihm Verhandlungen über einen Interessenausgleich und
Sozialplan wegen der Ausgliederung der Cafeteria aufzunehmen, da es sich um eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG handele
(Anlage zur Antragsschrift, Abl. 39 – 40). Die Arbeitgeberin lehnte dies mit Schreiben vom 25.06.2003 ab (Anlage zur Antragsschrift, Abl. 41).
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Mit seiner Antragsschrift vom 30.06.2003 machte der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die geplante Maßnahme
geltend. Auf die dort formulierten Anträge wird Bezug genommen (Abl. 23). Das Arbeitsgericht Karlsruhe erließ am 30.06.2003 ohne
mündliche Verhandlung einen Beschluß mit dem nachstehenden Tenor:
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1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, bis zum Abschluß von Interessenausgleichsverhandlungen
mit dem Betriebsrat, ggf. auch in der Einigungsstelle, im Betrieb W die Abspaltung des Betriebsteils "Cafeteria" durchzuführen durch
Übertragung der betrieblichen Leitungsmacht bezüglich der Cafeteria auf die Firma S.
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2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung gemäß Nr. 1 dieses Beschlußtenors wird der Antragsgegnerin ein
Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen an den Geschäftsführern der persönlich haftenden
Gesellschafterin der Antragsgegnerin, angedroht.
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Hiergegen legte die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 08.07.2003 Widerspruch ein.
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Der Betriebsrat vertritt die Auffassung, Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund seien gegeben. Eine geplante Betriebsänderung liege
vor, denn es handele sich um eine "Spaltung von Betrieben" i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG. Auf die Größe des abgespaltenen Teils,
insbesondere auf die Relevanzgrenzen des § 17 KSchG, komme es im Rahmen des § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht an. Im übrigen seien
von der hier vorliegenden Spaltung alle Arbeitnehmer des Betriebs betroffen. Der Betriebsrat habe einen Anspruch auf Unterlassung der
Durchführung der Betriebsänderung, da anderenfalls der Betriebsrat vor vollendete Tatsachen gestellt würde und der Anspruch des
Betriebsrats, vor der Betriebsänderung über einen Interessenausgleich zu verhandeln, leerliefe. Der erforderliche Verfügungsgrund folge
daraus, daß nach der Durchführung der Betriebsänderung der Betriebsrat keine Möglichkeiten mehr habe, seine Gegenvorstellungen zur
Durchführung des "ob und wie" der geplanten Betriebsänderung wirksam geltend zu machen.
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Der Betriebsrat beantragt,
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den Widerspruch gegen die durch Beschluß vom 30.06.2003 erlassene einstweilige Verfügung zurückzuweisen.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den zugrundeliegenden Antrag zurückzuweisen.
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Die Arbeitgeberin vertritt die Auffassung, es fehle sowohl der Verfügungsanspruch, als auch der Verfügungsgrund. Es liege keine
Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vor. Die auf S. übergehenden Mitarbeiter seien hinreichend durch § 613 a BGB geschützt. Der
übrigen Belegschaft erwachse kein wesentlicher Nachteil, da S weiterhin ein verbilligtes Sozialessen zum Preis von 2,55 EUR
(entsprechend dem bisherigen Preis für ein verbilligtes Mitarbeitermenü) für die Arbeitnehmer anbieten wolle und zu diesem Zweck im
bisherigen Kantinenraum eine separate Verkaufsstelle für die Mitarbeiter betrieben werden solle. Es handele sich nicht um eine "Spaltung
von Betrieben" i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG. Denn sogenannte Bagatellausgründungen seien von § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht erfaßt.
Wende man die Grenze des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG an, müßten bei einem 387 Arbeitnehmer umfassenden Betrieb mindestens 10 % der
regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mehr als 25 Arbeitnehmer in dem herauszulösenden Betriebsteil beschäftigt sein. Tatsächlich
machten die 19 Kantinenmitarbeiter nur 4,9 % der Arbeitnehmer aus. Da somit die Grenze des § 17 KSchG bei weitem nicht erreicht sei,
handele es sich um eine Bagatellausgründung. Ein Mitbestimmungsrecht könne dem Betriebsrat auch deshalb nicht zuerkannt werden, weil
die Cafeteria sogar geschlossen werden könne, ohne daß der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht habe. Denn im Rahmen des § 111 Satz
3 Nr. 1 BetrVG komme es auf die Zahlenwerte des § 17 KSchG an, die hier nicht erfüllt seien. Ein derartiger Wertungswiderspruch könne nur
vermieden werden, wenn man auch im Rahmen de § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG zumindest annähernd das Erreichen der Zahlenwerte des § 17
KSchG verlange. Darüber hinaus habe der Betriebsrat, selbst wenn es sich um eine Betriebsänderung handele, nicht den geltend
gemachten Unterlassungsanspruch. Die Beteiligungsrechte könnten auch nach Durchführung der Betriebsänderung wahrgenommen
werden. § 113 Abs. 3 BetrVG sehe eine ausreichende Sanktion in Gestalt individueller Ansprüche der Arbeitnehmer vor. Außerdem seien die
Beteiligungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 111, 112 BetrVG nicht als erzwingbare Mitbestimmungsrechte ausgestaltet. Selbst bei der
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes habe der Gesetzgeber trotz des bekannten Meinungsstreits keinen Unterlassungsanspruch
normiert. Ein Verfügungsgrund liege nicht vor, weil mangels eindeutiger Rechtslage im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens
nicht eindeutig geklärt werden könne, daß das Verhalten der Arbeitgeberin den Betriebsrat in dessen Rechten verletze.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der Anlagen sowie auf das
Protokoll über den Anhörungstermin vom 22.07.2003 Bezug genommen.
II.
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Die Kammer hat die durch Beschluß vom 30.06.2003 erlassene einstweilige Verfügung gem. § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i. V. m. §§ 925 Abs. 2,
936 ZPO nach dem Widerspruch der Arbeitgeberin bestätigt. Denn sowohl der erforderliche Verfügungsanspruch, als auch der erforderliche
Verfügungsgrund sind hier gegeben.
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1. Ein Verfügungsanspruch ist gegeben, weil die Arbeitgeberin eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. BetrVG plant, dem
Betriebsrat deshalb ein Verhandlungsanspruch über einen Interessenausgleich gem. § 112 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG zusteht und weil
aus diesem Verhandlungsanspruch ein Unterlassungsanspruch bezüglich der Durchführung der Betriebsänderung vor Durchführung des
Interessenausgleichs folgt.
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a) In der geplanten Aufgabe der Leitungsmacht der Arbeitgeberin hinsichtlich der Cafeteria/Kantine durch Übertragung der
Leitungsmacht auf die Firma S liegt eine Spaltung des Betriebs i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. BetrVG. Die Kantine/Cafeteria ist eine
organisatorisch verselbständigte abgrenzbare Einheit. Eine Spaltung liegt vor, wenn der Unternehmer eine derartige Einheit
ausgliedert, d. h. der bisherigen organisatorischen Leitung entzieht, z. B. um die Einheit auf ein anderes Unternehmen zu übertragen
(vgl. dazu BAG 10.12.1996 – 1 ABR 32/96 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu B II 1 b der Gründe;
Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 111 Rn. 88). Der Annahme einer Spaltung steht nicht entgegen, daß es sich
bei der Cafeteria/Kantine, in der 19 Arbeitnehmer beschäftigt sind, um eine verhältnismäßig kleine Abteilung der Filiale handelt, in
der insgesamt 387 Arbeitnehmer beschäftigt sind. § 111 Satz 3 Nr. 3 2. Alt. BetrVG stellt nicht auf die Abspaltung eines erheblichen
oder wesentlichen Teils eines Betriebs ab (BAG 10.12.1996 – 1 ABR 32/96 – a. a. O., zu B II 1 b der Gründe). Die in der
höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher offengelassene Frage, ob "Bagatellausgründungen" dennoch ausgenommen sind,
bedarf hier keiner Entscheidung (zur Streitfrage vgl. BAG 10.12.1996 – 1 ABR 32/96 – a. a. O., zu B II 1 b der Gründe m. w. N. sowie
die Nachweise bei Moll RdA 2003, 129, 135 Rn. 65). Denn die Ausgliederung einer Cafeteria mit Kantinenfunktion ist bereits
qualitativ keine Bagatelle. Durch ihre Versorgungsfunktion ist eine derartige Einrichtung von erheblicher Bedeutung für die gesamte
Belegschaft des Betriebs. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht darauf an, daß der Betriebsübernehmer
ebenfalls ein verbilligtes Mittagessen anbieten will. Daran kann sich zum einen jederzeit etwas ändern, zum anderen ändert es
nichts an dem Umstand, daß es sich um eine Organisationsänderung von nicht nur völlig untergeordneter Bedeutung handelt. Auch
wenn man mit Hanau/Kania verlangt, daß der abgespaltene Betriebsteil eine gewisse Bedeutung hat, die jedenfalls bei
Unterschreiten der Zahlengrenze des § 1 BetrVG nicht mehr gegeben sei, liegt im vorliegenden Fall eine Betriebsänderung vor (vgl.
ErfK-Hanau/Kania 3. Aufl. § 111 BetrVG Rn. 14). Denn einer Cafeteria mit Kantinenfunktion muß eine "gewisse Bedeutung"
zugesprochen werden. Die Zahlengrenze des § 1 BetrVG (fünf Arbeitnehmer, davon drei wählbar) ist hier mit 19 Arbeitnehmern
ersichtlich ebenfalls überschritten, da nicht anzunehmen ist, daß von diesen 19 Arbeitnehmern nicht wenigstens drei wählbar sind.
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Nicht gesondert ist zu prüfen, ob wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft aus der
Betriebsänderung folgen können, da diese in § 111 Satz 1 BetrVG enthaltene Voraussetzung in den einzelnen Fällen des § 111
Satz 3 BetrVG nicht gesondert zu prüfen ist, sondern als gegeben unterstellt wird (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt a. a. O. §
111 Rn. 42 und 43).
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Dem so gefundenen Ergebnis steht nicht der von der Arbeitgeberin angeführte Wertungswiderspruch zum Fall der Schließung der
Cafeteria/Kantine entgegen. Zwar würde sich im Falle der Schließung der Cafeteria/Kantine die Frage, ob eine Betriebsänderung
vorliegt, nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG richten mit der Folge, daß sie ein "wesentlicher Betriebsteil" sein müßte und quantitativ die
Grenze des § 17 KSchG zu beachten wäre. Jedoch ist es nach dem klaren Wortlaut des § 111 BetrVG eine vom Gesetzgeber
getroffene Entscheidung, insoweit zwischen der Schließung und der Spaltung zu differenzieren. Diese gesetzgeberische
Entscheidung haben die Gerichte für Arbeitssachen zu respektieren.
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b) Nach der Unterrichtung des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung haben beide Seiten gem. § 112 Abs. 1 und Abs. 2
BetrVG darüber zu beraten, ob, wann und wie die geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll. Ziel der Beratungen ist ein
Interessenausgleich. Der Betriebsrat hat einen Anspruch auf entsprechende Interessenausgleichsverhandlungen
(Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt a. a. O. §§ 112, 112 a Rn. 11; LAG Berlin 07.09.1995 – 10 TaBV 5/95 – AP BetrVG 1972 § 111
Nr. 36, zu 2.2.1.2 der Gründe). Ob der Betriebsrat nicht nur diesen Verhandlungsanspruch, sondern auch einen
Unterlassungsanspruch dahingehend hat, daß der Arbeitgeber die Durchführung der Betriebsänderung – vorläufig – insoweit
unterlassen muß, als der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung (noch) nicht erfüllt ist, ist in
der Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten (zum Meinungsstand vgl. Fitting/Heither/Kaiser/Engels/Schmidt a. a. O. § 111 Rn.
131).
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Nach Auffassung der beschließenden Kammer gibt es einen derartigen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats, da nur so
mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers effektiv verhindert werden kann. Durch die Durchführung der
Betriebsänderung – hier der Spaltung – würden unwiederbringlich Tatsachen geschaffen, die den Anspruch des Betriebsrats
faktisch untergehen ließen, da sie bei realistischer Betrachtung nicht mehr rückgängig zu machen wären.
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Der hier vertretenen Meinung steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber einen derartigen Unterlassungsanspruch auch anläßlich
der letzten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nicht ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen hat. Aus der
Reformgesetzgebungsgeschichte sind der Kammer keine Anhaltspunkte dafür bekannt, daß ein solcher Anspruch in einem Entwurf
enthalten gewesen wäre und dann in einem späteren Stadium gestrichen worden wäre. Nur der Umstand, daß der Gesetzgeber die
Normierung eines derartigen Anspruchs unterlassen hat, spricht angesichts des anerkannt hohen Anteils von Richterrecht im
Arbeitsrecht keine entscheidende Rolle.
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Nicht überzeugend sind des weiteren die vom LAG Baden-Württemberg mit Beschluß vom 28.08.1985 (– 2 TaBV 8/85 – DB 1986,
805 f) aufgeführten Gründe. Das LAG Baden-Württemberg hat in dieser Entscheidung ausgeführt, gegen eine Einschränkung des
Unternehmers durch einen Unterlassungsanspruch spreche, daß der Gesetzgeber nicht bestimmt habe, daß eine ohne Beachtung
der §§ 111, 112 BetrVG durchgeführte Betriebsänderung unwirksam sei, während dies in § 102 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich geregelt
sei. Der Gesetzgeber habe dem Betriebsrat hinsichtlich des Zustandekommens eines Interessenausgleichs über eine
Betriebsänderung kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht eingeräumt. Schließlich sehe § 113 Abs. 3 BetrVG eine ausreichende
individualrechtliche Sanktion gegen den Arbeitgeber vor.
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Alle drei Argumente überzeugen die beschließende Kammer nicht. Dem erstgenannten Gesichtspunkt steht entgegen, daß der
Gesetzgeber dem Betriebsrat gerade als Korrelat zu der fehlenden Mitbestimmung über die Betriebsänderung selbst ein
Beteiligungsverfahren zugesprochen hat, innerhalb dessen der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber Vorschläge unterbreiten
und diese mit dem Arbeitgeber beraten können soll. Zu dieser Konzeption würde die vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
vermißte Nichtigkeitsfolge nicht passen (LAG Berlin 07.09.1995 – 10 TaBV 5/95 – a. a. O., zu 2.2.1.2 der Gründe). Entsprechendes
gilt für das Argument, der Betriebsrat könne den Interessenausgleich nicht erzwingen. Auch insoweit ist zu unterscheiden zwischen
dem Ergebnis einerseits und dem Schutz des Betriebsrats durch die Vorgabe bestimmter Verfahrensschritte andererseits. Hätte der
Gesetzgeber die Einhaltung dieses Verfahrens nicht zwingend vorgeben wollen, hätte er insoweit lediglich Sollvorschriften
geschaffen. Schließlich verfängt auch die auf § 113 Abs. 3 BetrVG gestützte Argumentation nicht. Alleine die Existenz einer
Schutznorm für den einzelnen Arbeitnehmer bedeutet nicht, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats schutzlos bleiben sollen.
Gerade weil die Betriebsänderung selbst ungeachtet einer fehlenden Beteiligung des Betriebsrats im Ergebnis wirksam ist, ist § 113
BetrVG als komplementäre Vorschrift sinnvoll. Diesen Sinn verliert die Vorschrift nicht, wenn man dem Betriebsrat eigenständige
Ansprüche auf Durchsetzung der Beratungs- und Verhandlungsansprüche im Rahmen der §§ 111, 112 BetrVG einräumt (LAG
Berlin 07.09.1995 – 10 TaBV 5/95 – a. a. O., zu 2.2.1.2 der Gründe). Abschließend ist die Kammer der Auffassung, daß es nicht im
Sinne des Gesetzgebers sein kann, diejenigen Unternehmen zu privilegieren, die sich über vom Gesetzgeber vorgesehene
zwingende Verfahrensschritte hinwegsetzen gegenüber denjenigen Unternehmen, die die Vorschriften des
Betriebsverfassungsgesetzes ernst nehmen und die in § 2 Abs. 1 BetrVG vorgesehene vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem
Betriebsrat tatsächlich praktizieren.
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2. Der Verfügungsanspruch des Betriebsrats ist im Wege der einstweiligen Verfügung gem. § 85 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 940 ZPO zu sichern
(Däubler in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 8. Aufl. §§ 112, 112 a Rn. 23 m. w. N.). Zu Lasten des Betriebsrats würden durch die
Durchführung der Spaltung unwiederbringlich Tatsachen geschaffen, die den Anspruch des Betriebsrats faktisch untergehen ließen. Dies
kann nur durch eine besonders schnelle Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren verhindert werden.
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3. Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf § 890 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO.
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Steer