Urteil des ArbG Heilbronn vom 03.04.2007

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ArbG Heilbronn Urteil vom 3.4.2007, 5 Ca 12/07
Tarifliche Eingruppierungsregelung - Berufsjahr - Nichtberücksichtigung der Elternzeit - kein Verstoß
gegen das AGG
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Streitwert: EUR 1.455,00.
4. Die Berufung wird, soweit sie nicht kraft Gesetzes statthaft ist, nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin nach Berufsjahren.
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Die am 01.10.19... geborene, verheiratete Klägerin ist seit 01.08.1991 bei der beklagten Bank beschäftigt.
Zunächst wurde sie zur Bankkauffrau ausgebildet und ist seitdem als Basisberaterin für Privatkunden im
Anlagenbereich und der Kreditvergabe bis EUR 50.000,00 tätig. Aufgrund einer arbeitsvertraglichen
Inbezugnahme sind auf das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Tarifverträge für die Volksbanken und
Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken anwendbar.
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Die Klägerin befand sich von 08.09.2001 bis 16.08.2006 zunächst im Beschäftigungsverbot nach den §§ 3
Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG und sodann in Elternzeit. Ihr erstes Kind wurde am 14.10.2001, ihr zweites Kind am
17.02.2003 geboren.
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Die Klägerin ist unstreitig in die Tarifgruppe 5 des § 2 des Gehaltstarifvertrages für die Volksbanken und
Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken vom 08.07.2004 eingruppiert. Die
Tarifgruppen nach diesem Tarifvertrag sehen eine Steigerung nach Berufsjahren vor (Bl. 38 d. A.). Die Beklagte
gruppierte die Klägerin nach Rückkehr aus der Elternzeit am 17.08.2006 in die Tarifgruppe 5, 9. Berufsjahr ein.
Bei der Ermittlung der Berufsjahre berücksichtigte sie die Elternzeit der Klägerin nicht.
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Die Klägerin begehrt hingegen die Eingruppierung in die Tarifgruppe 5, 11. Berufsjahr und dementsprechend die
Zahlung der Vergütungsdifferenz.
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Die Klägerin ist der Ansicht,
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die Elternzeit vom 08.09.2001 bis 16.08.2006 sei bei der Ermittlung der Berufsjahre zu berücksichtigen. Eine
Nichtberücksichtigung dieser Zeiten sei eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts. Es seien
überwiegend Frauen, die die Elternzeit in Anspruch nehmen würden. Diese würden hierdurch gegenüber
Männern benachteiligt werden. Die Klägerin würde wegen ihrer Mutterschaft und der Elternzeit unmittelbar
benachteiligt, jedenfalls aber mittelbar benachteiligt werden. Eine sachliche Rechtfertigung sei hierfür nicht
gegeben.
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Die Klägerin
beantragt:
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.455,00 brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 1.205,00 brutto seit Rechtshängigkeit und aus EUR
250,00 brutto seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung zu bezahlen.
10 Die Beklagte
beantragt
11 Die Beklagte ist der Ansicht,
12 in der Nichtberücksichtigung der Elternzeit liege keine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung von
Frauen. Jedenfalls sei die Nichtberücksichtigung der Ruhenszeiten gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien
hätten eine differenzierte und sachgerechte Regelung getroffen, nach der abhängig von der Tarifgruppe und
damit abhängig von der auszuübenden Tätigkeit das höchste Berufsjahr unterschiedlich früh erreicht werde.
Der Tarifvertrag würde die Berufserfahrung in diesem differenzierten Modell honorieren, welches ein legitimes
Ziel der Entgeltpolitik sei.
13 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den in der mündlichen Verhandlung
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
14 Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
16 Die Klage ist zulässig. Der Streitgegenstand ist hinreichend gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt. Die
Klägerin begehrt für den Zeitraum vom 01.08.2006 bis 28.02.2007 die Bezahlung eines monatlichen
Arbeitsentgelts in Höhe der Differenz zwischen der Tarifgruppe 5, 9. Berufsjahr und der Tarifgruppe 5, 11.
Berufsjahr des Gehaltstarifvertrages für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die
genossenschaftlichen Zentralbanken vom 08.07.2004 (im folgenden: Gehaltstarifvertrag Volksbanken).
II.
17 Die Klage ist nicht begründet. Die Eingruppierung der Klägerin in die Tarifgruppe 5, 9. Berufsjahr ist für den
streitbetroffenen Zeitraum nicht zu beanstanden.
18 1. Das Vergütungssystem des § 2 Gehaltstarifvertrag Volksbanken knüpft zum einen an die Tätigkeit des
Arbeitnehmers durch die Eingruppierung in Tarifgruppen und zum anderen an die Zahl der Berufsjahre an. Mit
dem letztgenannten Kriterium meint der Tarifvertrag die Zeit, in denen der Arbeitnehmer tätig war, also
Arbeitsleistungen erbracht wurden (vgl. § 8 Abs. 3 Manteltarifvertrag für die Volksbanken und Raiffeisenbanken
sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken). Elternzeiten nach den §§ 15 ff. Bundeserziehungsgeldgesetz
(in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung) bzw. nach den §§ 15 ff. des Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetzes vom 05.12.2006 sind keine Berufsjahre im Sinne des Tarifvertrages.
19 2. Die Nichtberücksichtigung der Elternzeiten bei der Ermittlung der Berufsjahre verstößt weder gegen die
Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) noch gegen sonstiges Recht.
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a.) Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts nach den §§ 1, 3 Abs. 1 AGG liegt nicht
vor. Der Tarifvertrag differenziert nicht nach der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Die
Nichtberücksichtigung der Elternzeiten trifft sowohl Frauen als auch Männer, die dieses Recht in
Anspruch nehmen.
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b.) Allerdings führt die tarifvertragliche Regelung zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung von Frauen
gegenüber Männern. Es steht empirisch außer Zweifel, dass weitaus mehr Mütter die Möglichkeit der
Elternzeit in Anspruch nehmen als Väter. Die Nichtberücksichtigung der Elternzeit bei der Ermittlung
der Berufsjahre trifft daher überwiegend Frauen. Hierin liegt jedoch keine mittelbare Benachteiligung
wegen des Geschlechts nach den §§ 1, 3 Abs. 2 AGG. Denn diese unterschiedliche Behandlung ist
aufgrund der beruflichen Anforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.
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Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes
(Geschlecht) zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der
Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt,
sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Die Klägerin übt als Bankkauffrau
und Basisberaterin für Privatkunden eine verantwortungsvolle Tätigkeit aus. Sie hat die Privatkunden
bei Kapitalanlagen und bei der Vergabe von Krediten bis zu einer Darlehenssumme von EUR 50.000,00
zu beraten. Die Tarifvertragsparteien haben hinsichtlich dieses Tätigkeitsbildes, das nach der
Tarifgruppe 5 bewertet wird, eine siebenstufige Staffelung nach Berufsjahren vorgesehen. Sie wollten
damit die Berufserfahrung, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten,
honorieren. Der Europäische Gerichtshof hat das Modell der Gehaltssteigerung nach Berufsjahren als
ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik des Arbeitgebers akzeptiert (Urteil vom 03.10.2006 - C - 17/05,
EuZW 2006, 693). Verwendet der Arbeitgeber ein Entgeltsystem, in welchem er die Berufserfahrung
gehaltssteigernd berücksichtigt, so muss er nicht besonders darlegen, dass der Rückgriff auf das
Kriterium der Berufserfahrung für den konkreten Arbeitsplatz geeignet ist. Vielmehr gilt die Regel, dass
die Berufserfahrung den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten.
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Diese vom EuGH für einen einzelnen Arbeitgeber aufgestellten Grundsätze gelten erst recht für einen
Tarifvertrag. Aufgrund dessen Richtigkeitsgewähr ist die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, das
Entgeltsystem u. a. an die Berufserfahrung anzuknüpfen, zu respektieren.
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Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte vorgetragen, die das Entgeltsystem des Gehaltstarifvertrags
Volksbanken ernstlich in Frage stellen könnten. Die Beklagte muss daher nicht näher darlegen,
weshalb die Berufserfahrung für die Tätigkeit der Klägerin von Bedeutung ist. Auch wenn die
Anwendung der tarifvertraglichen Regelung tatsächlich die überwiegende Zahl der betroffenen Frauen
gegenüber Männern nicht gleichbehandelt, so ist dies daher als Folge des Entgeltsystems
hinzunehmen (EuGH, Urteil vom 03.10.2006, a.a.O.). Nach § 8 Abs. 1 AGG ist die
Nichtberücksichtigung der Elternzeiten im Hinblick auf die auszuübende Tätigkeit und die Bedeutung
der Berufserfahrung gerechtfertigt.
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c.) Aus den vorgenannten Gründen kann auch kein Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz oder Artikel 141 EG-Vertrag angenommen werden. Die
Tarifvertragsparteien haben ein differenziertes Modell entwickelt, das nicht als unverhältnismäßig
angesehen werden kann. Sie haben berücksichtigt, dass in den unteren Tarifgruppen andere
Berufserfahrungszeiten vorhanden sind, als in höheren Tarifgruppen. Für die Tarifgruppe 5 haben sie
sich dazu entschieden, nach dem 11. Berufsjahr keine weitere Differenzierung vorzunehmen. Für die
Klägerin bedeutet dies, dass nach dem Erreichen des 11. Berufsjahres die Kindererziehungszeiten
nicht mehr von Bedeutung sind.
26 3. Hinsichtlich der streitbefangenen Zeiträume war die Klägerin damit nach § 8 Ziff. 3 des Manteltarifvertrages
für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken (Bl. 7 d. A.)
zutreffend eingruppiert.
27 Die Klage war daher abzuweisen.
28 4. Als unterliegende Partei trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1
ZPO). Die Streitwertfestsetzung entspricht der Bezifferung der Klage (§§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO). Ein Grund
zur Zulassung der Berufung, soweit sie nicht kraft Gesetzes statthaft ist, ist nicht gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG
gegeben. Die Kammer hat sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 141 EG-Vertrag
angeschlossen.