Urteil des ArbG Hagen vom 27.09.2005

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Arbeitsgericht Hagen, 1 Ca 1168/05
Datum:
27.09.2005
Gericht:
Arbeitsgericht Hagen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ca 1168/05
Schlagworte:
Aussonderung, Insolvenz, Rückkaufswert einer Lebensversicherung
Tenor:
1. Der Beklagte wird verurteilt, die Freigabe des beim Amtsgericht
Dortmund, AZ.: 4 HL 255/04 hinterlegten Betrages von 5.533,02 EURO
nebst Zinsen in Höhe von eins vom Tausend monatlich seit dem
05.05.2005 zu bewilligen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 5.533,02 EURO festgesetzt.
Tatbestand :
1
Die Parteien streiten um die Frage, wem der von der V1-Lebensversicherung AG beim
AG Dortmund hinterlegte Rückkaufswert einer Lebensversicherung zusteht.
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Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der C1 T1 AG mit Sitz in D2;
das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des AG Dortmund am 30.04.2004
eröffnet (Bl. 6, 7 d.A.). Die Insolvenzschuldnerin ihrerseits ist hervorgegangen aus der
S3 C3 AG, bei der der Beklagte auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages
(Bl. 59 –64 d.A.) seit dem 16.06.1999 als Entwicklungsleiter beschäftigt war. Unmittelbar
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übertrug die Klägerin das
Sachanlagevermögen, den Firmenwert sowie weitere Beteiligungen der
Insolvenzschuldnerin an die S3 S4 GmbH, bei der der Beklagte noch heute beschäftigt
ist. In einer Mitteilung an den Beklagten vom 30.04.2004 (Bl. 79a, b d.A.) wies die
Klägerin den Beklagten darauf hin und erläuterte, es handele sich um einen
Betriebsübergang. Über diese rechtliche Bewertung streiten die Parteien nicht.
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Die S3 C3 AG schloss mit Wirkung zum 01.07.1999 eine Direktversicherung als
Versicherungsnehmerin zugunsten des Beklagten als versicherte Person bei der V1
Lebensversicherung AG unter der Versicherungsscheinnummer T 1234567.1-123 ab.
Eine Kopie des Versicherungsscheins ist zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 67-77 d.A.).
Sowohl auf Bl. 8 des Versicherungsscheines (Bl. 74 d.A.) als auch im dazugehörigen
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Antrag vom 30.06.1999 ( Bl. 8, 8a d.A.) heißt es u.a. wörtlich:
Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der ... Versicherung ..... ein nicht
übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht unter
nachstehendem Vorbehalt eingeräumt:
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Dem Versicherungsnehmer bleibt das Recht vorbehalten, alle
Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn das
Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, die
versicherte Person hat die Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit nach dem
Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt.
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Zwischen der S3 C3 AG und dem Beklagten wurde ergänzend am 25.04.2003
vereinbart, dass die arbeitsvertraglich vereinbarte Sonderzahlung als Umwandlung von
Barlohn in die Versicherung einfließt und der Beklagte unwiderruflich bezugsberechtigt
ist. Auf die Vereinbarung (Bl. 65, 66 d.A.) wird Bezug genommen. Diese Vereinbarung
der Unwiderruflichkeit des Bezugsrechts wurde gegenüber der V1 Lebensversicherung
AG nicht angezeigt und fand keinen Eingang in das Versicherungsvertragsverhältnis
zwischen der S3 C3 AG und dem Versicherungsunternehmen, wie die Parteien
übereinstimmend im Kammertermin erklärt haben.
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Die Klägerin verlangte die Auskehrung des Rückkaufswertes der Versicherung zuletzt
mit Schreiben vom 12.08.2004 (Bl. 20 – 22 d.A.) von der V1. Diese wiederum hinterlegte
den Rückkaufswert beim AG Dortmund zum AZ 4 HL 255/04 (Bl. 23, 24 d.A.).
Aufforderungen zur Einwilligung in die Freigabe des hinterlegten Betrages an den
Beklagten zuletzt unter Fristsetzung zum 04.05.2005 lehnte dieser ab.
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Die Klägerin meint, sie sei aufgrund der Vereinbarung zum eingeschränkt widerruflichen
Bezugsrecht im Versicherungsvertrag zwischen ihr als Partei kraft Amtes und der V1
befugt, die Lebensversicherungssumme zur Masse zu ziehen. Dies entspreche der
ständigen arbeitsgerichtliche Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts.
Soweit der Bundesgerichtshof jüngst eine andere Auffassung vertreten habe, folge die
Klägerin dieser nicht.
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Die Klägerin beantragt
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den Beklagten zu verurteilen, die Freigabe des beim Amtsgericht Dortmund ,
AZ 4 HL 255/04, hinterlegten Betrages von € 5.533,02 nebst Zinsen in Höhe
von eins vom Tausend monatlich seit dem 05.05.2005 an die Klägerin zu
bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Auffassung, mit der neuesten Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes sei davon auszugehen, dass die Regelung im
Versicherungsvertrag zum Bezugsrecht dahingehend auszulegen sei, dass dieses im
Insolvenzfalle des Arbeitgebers vollständig unwiderruflich werde. Denn der Zweck des
Vorbehalts zum BetrAVG liege darin, den Arbeitnehmer bis zur Unverfallbarkeit seiner
Anwartschaft zur Betriebstreue anzuhalten. Dieser Zweck könne in der Insolvenz nicht
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mehr erreicht werden.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die
ausgetauschten und zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze.
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Entscheidungsgründe :
16
A.
17
Die Klage ist zulässig.
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Die Rechtswegzuständigkeit ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
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Die Klägerin als Insolvenzverwalterin ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die
Stelle der früheren Arbeitgeberin des Beklagten, der Firma C1 T1 AG, getreten und übt
als Partei kraft Amtes für diese deren Rechte aus (vgl. zur Amtstheorie nur BAG,
04.12.1986, NZA 1987, S. 460; 10.08.1988, ZIP 1988, 1587 (1588)). Die Kammer folgt
dieser Rechtsprechung; das BAG vertritt auch weiterhin die Amtstheorie (BAG, Urteil
03.04.2001 auch– 9 AZR 143/00 – Pressemitteilung; Urteil 11.12.01 – 9 AZR 459/00 –
Pressemitteilung; vgl. auch Lakies, Die Verfügungsansprüche der Arbeitnehmer in der
Insolvenz, in: NZA 2001, S. 521 ff. (524)).
20
B.
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Die Klage ist auch begründet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Einwilligung in die Auskehrung des beim AG
Dortmund hinterlegten Betrages aus dem Rückkaufswert der oben näher bezeichneten
Versicherung aus § 812 Abs. 1, S. 1, 2 Alt. BGB zuzüglich der geltend gemachten
Zinsen dem Beklagten gegenüber, weil der Beklagte die aus der Hinterlegung durch die
V1 entstandene Rechtsposition ohne Rechtsgrund und auf Kosten der Klägerin erlangt
hat (vgl. zur Anspruchsgrundlage Palandt-Heinrichs, BGB, vor § 372 Anm. 6). Denn die
Klägerin ist berechtigt, die zu Gunsten des Beklagten abgeschlossene
Lebensversicherung bei der V1 Lebensversicherung AG der Insolvenzmasse
zuzuführen.
23
a)
24
Dem Beklagten steht nämlich ein Aussonderungsrecht nach §§ 47, 48 InsO nicht zu,
weshalb der Rückkaufswert in die Vermögenszuständigkeit der Insolvenzmasse fällt.
25
aa)
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG, der sich die erkennende Kammer anschließt,
müssen das Versicherungsverhältnis und das zwischen dem Unternehmen und dem
Beschäftigten bestehende Versorgungsverhältnis voneinander unterschieden werden
(siehe nur BAG, Urteil vom 26.02.1991 – 3 AZR 213/90 -, in: NZA 1991, S. 845 ff; Urteil
vom 17.10.1995 – 3 AZR 622/94 –, in: DB 1996, S. 1240 ff.; Urteil vom 08.06.1999 – 3
AZR 136/98 -, in: NZA 1999, S. 1103 ff.). Bei einer Direktversicherung besteht ein
sogenanntes Dreiecksverhältnis. Der Unternehmer ist Versicherungsnehmer. Der
Beschäftigte ist Versicherter. Dem Beschäftigten stehen nur die im Versicherungsvertrag
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Beschäftigte ist Versicherter. Dem Beschäftigten stehen nur die im Versicherungsvertrag
vereinbarten Bezugsrechte zu. Stimmen diese Bezugsrechte nicht mit der
Versorgungszusage überein, so hat der Unternehmer seine arbeits- bzw.
dienstvertraglichen Versorgungspflichten nicht vollständig erfüllt. Der Beschäftigte hat
dann gegen den Unternehmer einen Anspruch auf Abänderung des Bezugsrechts. Die
Rechte aus dem Versicherungsvertrag hängen nur insoweit von den Rechten aus dem
arbeits- bzw. dienstvertraglichen Versorgungsverhältnis ab, als dieses Rechtsverhältnis
aufgrund einer versicherungsvertraglichen Vereinbarung oder kraft Gesetzes auf das
Versicherungsverhältnis einwirkt.
In einer solchen Konstellation kann der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht aufgrund
des Versicherungsvertrages widerrufen, wenn dies in diesem Vertragsverhältnis
möglich ist. Er handelt dann zwar möglicherweise arbeitsvertragswidrig, wenn dem
betroffenen Arbeitnehmer arbeitsvertraglich ein unwiderrufliches Bezugsrecht zugesagt
worden ist und macht sich deshalb schadensersatzpflichtig im Verhältnis zu dem/der
betroffenen Arbeitnehmer/in. Bezüglich eines daraus resultierenden
Schadensersatzanspruch ist der/die betroffene Arbeitnehmer/in jedoch auf eine
Anmeldung zur Insolvenztabelle zu verweisen (BAG, 08.06.1999, a.a.O., NZA 1999, S.
1105); ggf. handelt es sich um einen Masseanspruch, was hier nicht zu entscheiden
war.
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Dies folgt daraus, dass der Insolvenzverwalter Vermögensgegenstände, an denen kein
Aus- oder Absonderungsrecht besteht, der Insolvenzmasse erhalten und für die
möglichst weitgehende gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzforderungen sorgen
muss (BAG, Urteil vom 26.02.1991, a.a.O., unter III der Gründe; Urteil vom 17.10.1995,
a.a.O., unter II. 3. der Gründe).
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Vorliegend war die Unwiderruflichkeit der Bezugsrechte aus der Lebensversicherung,
die die damalige S3 C3 AG zugunsten des Beklagten bei der V1 Lebensversicherung
AG abgeschlossen hatte, nur im Verhältnis Beklagter zu S3 C3 AG vereinbart
(Vertragsabrede vom 25.04.2003, vom Beklagten vorgelegt). Die Unwiderruflichkeit war
nicht Gegenstand des Versicherungsvertragsverhältnisses der S3 C3 AG zum
Versicherungsunternehmen geworden. Die Klägerin konnte daher wirksam die
Lebensversicherung Nr. T 1234567.1-123 bei der V1 Lebensversicherung AG
widerrufen und den Rückkaufswert auch zur Insolvenzmasse ziehen, ohne sich aus §§
47, 48 InsO zahlungspflichtig dem Beklagten gegenüber zu machen. Er ist auf die
Geltendmachung einer arbeitsvertraglichen Schadensersatzforderung zu verweisen, s.o.
30
bb)
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Der Beklagte kann sich für ein Recht am Rückkaufswert der Versicherung auch nicht auf
ein etwaiges Treuhandverhältnis stützen, aus dem ihm ein Aussonderungsrecht
zugestanden habe, das die Klägerin verletzt habe (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil
vom 06.03.1992 – 17 U 201/91 – DB 1992, 1981 (Leitsatz)). Denn dadurch würden im
Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und
Bundesverwaltungsgerichts die arbeitsrechtlichen und versicherungsrechtlichen
Rechtsbeziehungen vermengt (so BAG, Urteil vom 08.06.1999 a.a.O. NZA 1999, S.
1104).
32
cc)
33
Aus eben diesen Gründen folgt die erkennende Kammer nicht der Entscheidung des
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Bundesgerichtshofes vom 08.06.2005 (IV ZR 30/04; u.a. ZInsO 2005, 768; vgl. zur Kritik
an der Entscheidung auch Hinkel, ZInsO 2005, 796-797). Der BGH hat hier (anders
noch im Urteil vom 18.07.2002, IX ZR 264/01, bei juris abrufbar) darauf abgestellt, dass
eine Auslegung des im Versicherungsvertrag vereinbarten Vorbehalts ergebe, dass
dieses im Insolvenzfalle strikt unwiderruflich werde (so auch OLG Düsseldorf, NZA RR
2001, 601). Nach Auffassung der Kammer berücksichtigen diese Entscheidungen nicht,
dass eine Auslegung einer Erklärung im Versicherungsverhältnis rechtsdogmatisch nur
dann möglich ist, wenn sich in der Beziehung zwischen Arbeitgeber und
Versicherungsgesellschaft eine auslegungsfähige Unklarheit ergibt. Umstände aus dem
Arbeitsverhältnis müssen hier unberücksichtigt bleiben, wenn sie, wie der vorliegende
Rechtsstreit zeigt, dem Versicherungsunternehmen verborgen bleiben. Im
Rechtsverhältnis zur V1 Lebensversicherung AG ist hingegen kein Spielraum für eine
Auslegung des Vorbehalts, da dieser eindeutig ist: Die Inbezugnahme der gesetzlichen
Unverfallbarkeitsvoraussetzungen des BetrAVG beschreibt ohne jeden Zweifel den
Inhalt des Vorbehalts: er folgt § 1 BetrAVG.
dd)
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Die Insolvenzverwalterin handelt auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie
Vermögensgegenstände, an denen kein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, der
Insolvenzmasse zuführt und für die möglichst weitgehende gleichmäßige Befriedigung
der Insolvenzforderungen sorgt (vgl. erneut BAG, Urteil vom 08.06.1999 a.a.O. NZA
1999, S. 1105). Soweit die von der Insolvenzschuldnerin übernommenen vertraglichen
Pflichten dann nicht erfüllt werden, verweist das Insolvenzrecht auf
Schadensersatzansprüche, s.o.
36
ee)
37
Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Verzug des Beklagten zur Erteilung der
Freigabeerklärung ab 05.05.2005, vgl. § 286 BGB.
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C.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 91 ff. ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich gemäß §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ff. ZPO.
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