Urteil des ArbG Frankfurt an der Oder vom 23.02.2010

ArbG Frankfurt: betriebsrat, fehlerhaftigkeit, gesetzlicher vertreter, ausländisches recht, england, kündigungsfrist, name, insolvenz, arbeitsbedingungen, unternehmen

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Gericht:
ArbG Frankfurt 18.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 Ca 7714/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 125 Abs 1 S 1 Nr 1 InsO, §
113 InsO, § 1 Abs 2 S 1
KSchG, § 111 BetrVG, § 112
Abs 1 S 1 BetrVG
Betriebsbedingte Kündigung bei Insolvenz eines
konzernverbundenen Unternehmens im europäischen
Ausland - Anwendbarkeit des deutschen
Insolvenzarbeitsrechts bei Kündigung durch einen
englischen Administrator
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen, soweit nicht durch Teilvergleich vom 23. Februar
2010 erledigt.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht durch
Teilvergleich vom 23. Februar 2010 geregelt.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 20.346,30 festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen die Kündigung der Beklagten vom 28. August 2009, er
begehrt Weiterbeschäftigung.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01. September 1991 beschäftigt. Er
erzielt ein Monatsbruttogehalt in Höhe von € 6.782,10.
Die Beklagte ist als Teil der weltweit agierenden ...-Gruppe einer der führenden
Anbieter von Telekommunikationslösungen. Angesichts der wirtschaftlichen
Situation des ...-konzerns wurden weltweit Insolvenzverfahren eingeleitet und der
Entschluss getroffen, die einzelnen Geschäftsfelder der ...-Gruppe in einem
koordinierten Verfahren in den USA, in Kanada und in Europa zu verkaufen, um so
ein möglichst gutes Ergebnis für die Insolvenzgläubiger erzielen zu können.
In diese Verkäufe sollten auch die Geschäftsbereiche der Beklagten in Deutschland
einbezogen werden. Es handelt sich dabei um den Geschäftsbereich "Enterprice
Solutions", "M. Assernet Networks" sowie den Geschäftsbereich "Carrier Networks."
Hierzu waren außerdem tiefgreifende Restrukturierungsmaßnahmen die
Voraussetzung. Des Weiteren entschied die Geschäftsleitung, dass in den
einzelnen Geschäftsbereichen mehrere Arbeitsplätze gestrichen werden sollten.
Zur Umsetzung des beschlossenen Personalabbaus haben die Beklagte, deren
Gesamtbetriebsrat und deren lokale Betriebsräte der Standorte in Frankfurt am
Main, Stuttgart und München sowie Friedrichshafen am 17. Juli 2009 einen
Interessenausgleich abgeschlossen und sich darauf verständigt, den Abbau primär
durch die Errichtung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft und den
Abschluss von Aufhebungsverträgen und nur soweit erforderlich durch Ausspruch
betriebsbedingter Kündigungen durchzuführen. Nachdem sich 176 Mitarbeiter zu
einem Wechsel in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft bereit erklärt
hatten, sprach die Beklagte bezogen auf die einzelnen Geschäftsbereiche
betriebsbedingte Kündigungen aus.
Hierzu wurde unter dem 22. Juli 2009 aus Seiten des Betriebsrats sowohl von dem
bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrat als auch dem bei der Beklagten
am Standort in Frankfurt am Main gebildeten Betriebsrat ein Interessenausgleich
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am Standort in Frankfurt am Main gebildeten Betriebsrat ein Interessenausgleich
unterzeichnet. Dieser Interessenausgleich wurde sowohl von dem
stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, aber auch durch den
Vorsitzenden des Betriebsrats unterzeichnet. Auf Seiten der Beklagten wurde der
Interessenausgleich am 27. Juli 2009 durch den Administrator, Herrn ...,
unterzeichnet. Wegen der Einzelheiten dieses Interessenausgleichs wird Bezug
genommen auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober
2009 (Bl. 46 ff. d. A.). Diesem Interessenausgleich war als Anlage eine
Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG oder § 125 InsO beigefügt. Wegen der
Einzelheiten dieser Anlage zum Interessenausgleich wird auf die Anlage B 2 zum
Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 62 ff. d. A.) verwiesen. Auf
dieser Namensliste findet sich der Name des Klägers.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2009 hat zuvor der englische High Court of Justice
ein Administrationsverfahren über das Vermögen der englischen ... Networks UK
Ltd. und einiger Tochtergesellschaften innerhalb der Europäischen Union eröffnet.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2009 hat der High Court außerdem über das
Vermögen der Beklagten, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen
ebenfalls in UK hat, ein Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren im
Sinne der Europäischen Insolvenzordnung (Verordnung EG Nr. 1346/2000 des
Rates vom 29. Mai 2000) eröffnet. Die Herren ... wurden mit diesem Beschluss zu
"Joint Administrators" (Administratoren) der Beklagten bestellt. Wegen der
Einzelheiten dieses Beschlusses vom 14. Januar 2009 wird auf die Anlage B 1 zum
Schriftsatz der Beklagten vom 06. Oktober 2009 (Bl. 27 ff. d. A.) verwiesen.
Die Eröffnung des Administrationsverfahrens wurde vom Amtsgericht Frankfurt am
Main am 27. Januar 2009 öffentlich bekannt gemacht und sodann in das
Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht.
Unter dem 20. August 2009 hat die Beklagte das betriebsverfassungsrechtliche
Anhörungsverfahren durchgeführt. Der Betriebsrat hat der Kündigung nicht
widersprochen. Wegen des Inhalts des Schreibens der Beklagten vom 20. August
2009 wird auf die Anlage B e6 zum Schriftsatz der Beklagten vom 16. November
2009 (Bl. 83 ff. d. A.) verwiesen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die ausgesprochene Kündigung sozialwidrig sei.
Schließlich hält er sowohl § 125 InsO als auch § 113 InsO nicht für anwendbar.
Ausländisches Recht habe nämlich außer Betracht zu bleiben. Die
Insolvenzeröffnung in England habe deshalb keine Auswirkungen auf die
Anwendbarkeit bundesrepublikanischen Arbeitsrechts und Insolvenzrechts. Da nur
ein englischer Administrator eingesetzt worden sei, sei der Interessenausgleich
auch nicht vom Insolvenzverwalter abgeschlossen worden. Daraus folgert der
Kläger zugleich, dass § 1 Abs. 5 KSchG nicht anwendbar sei. Die Anwendbarkeit
ergebe sich auch nicht aus Art. 10 der Europäischen Insolvenzordnung, denn diese
Bestimmung schreibe nur vor, dass ausschließlich deutsches Recht anwendbar sei.
Schließlich hält der Kläger die Betriebsratsanhörung für fehlerhaft.
Dem Betriebsrat sei nämlich mitgeteilt worden, dass sich 176 Mitarbeiter bereit
erklärt hätten, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Deswegen seien aber nur
20 Mitarbeiter in den Interessenausgleich einzubeziehen gewesen. Dazu habe aber
der Kläger nicht gehört.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.08.2009 zum 30.11.2009 nicht
beendet wurde, sondern über den 30.11.2009 hinaus fortbesteht;
2. für den Fall des Obsiegens mit dem vorstehenden Antrag zu 1.: Die
Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als
Manager Business Finance weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Kündigung als betriebsbedingte Kündigung für wirksam. Sie
ist des Weiteren der Ansicht, dass diese Kündigung allenfalls an § 1 Abs. 5 KSchG
oder § 125 InsO zu messen sei. Bei der Sozialauswahl sei eine grobe
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oder § 125 InsO zu messen sei. Bei der Sozialauswahl sei eine grobe
Fehlerhaftigkeit nicht gegeben, die Kündigungsfrist ergebe sich aus § 113 InsO.
Die Beklagte ist hierzu der Auffassung, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
in England auch in Deutschland anzuerkennen sei, ohne dass es hierzu
irgendwelcher weiterer Förmlichkeiten bedurfte. Nach § 4 Abs. 1 der Europäischen
Insolvenzordnung führe dies grundsätzlich zur Anwendbarkeit des Insolvenzrechts
des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden sei. Eine Abweichende
Regelung treffe Art. 10 Europäische Insolvenzordnung. Danach müssten die
Wirkung des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag durch das Recht des
Mitgliedstaates, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist, Auswirkungen haben.
So gesehen müssten aber sowohl § 125 InsO und § 1 Abs. 5 KSchG zur
Anwendung kommen. Des Weiteren gelte dies für § 113 InsO.
Die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung würden vorliegen, denn es soll zu
einem Abbau von 196 Arbeitsplätzen kommen. Der Interessenausgleich mit der
Namensliste sei auch wirksam von Herrn ... als Administrator zu unterschreiben
gewesen. Dem ausländischen Insolvenzverwalter würden nämlich entsprechende
Befugnisse verliehen werden. Da aber § 125 InsO zur Anwendung komme, würden
dringende betriebliche Erfordernisse vermutet werden. Schließlich sei auch nicht
von einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl auszugehen.
Hierzu behauptet die Beklagte, dass der Arbeitsplatz des Klägers in Folge der
Umsetzung der oben dargelegten Unternehmerentscheidung weggefallen sei. Ein
freier Arbeitsplatz, auf dem der Kläger angesichts seiner Qualifikationen,
Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzbar gewesen wäre, habe im Zeitpunkt der
Kündigung nicht bestanden. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens
der Beklagten hierzu wird auf Bl. 22 f. ihres Schriftsatzes vom 10. Februar 2010 (Bl.
189 f. d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Sozialauswahl auch nicht grob fehlerhaft
sei.
Hierzu behauptet die Beklagte, dass die mit dem Betriebsrat im
Interessenausgleich vom 17. Juli 2009 vereinbarte Namensliste nach Durchführung
einer Sozialauswahl aufgestellt worden sei, die ihrerseits auf einem Punkteschema
basiere. Wegen der Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten
hierzu wird Bezug genommen auf Bl. 24 ff. ihres Schriftsatzes vom 10. Februar
2010 (Bl. 191 ff. d. A.).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klage ist unbegründet, weil sich die Kündigung der Beklagten vom 28. August
2009 als wirksam erweist.
Diese Kündigung ist wirksam, weil die Kündigung sozial gerechtfertigt ist gemäß § 1
Abs. 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG i. V. m. § 125 Abs. 1 InsO. Des Weiteren
hat die Beklagte durch Ausspruch dieser Kündigung auch nicht gegen § 102
BetrVG verstoßen.
Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der
Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Die Sanktion der
Unwirksamkeit einer ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochenen Kündigung
nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG gilt aufgrund einer teleologischen Auslegung
dieser Norm auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung (BAG vom
16.09.1993, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 84).
Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat den Namen des Arbeitnehmers anzugeben,
dies gilt auch für die grundlegenden Sozialdaten des Arbeitnehmers, wie das Alter,
den Familienstand, die Betriebszugehörigkeit, die Schwerbehinderung.
Auf den zu den Akten gereichten Anhörungsbogen, dessen Existenz und
Verwendung durch die Beklagte von dem Kläger nicht bestritten wurde, ist das
Lebensalter, der Familienstand, die Schwerbehinderung und das Eintrittsdatum in
den Konzern eigens aufgeführt. Damit sind die grundlegenden Sozialdaten
aufgeführt.
Des Weiteren wird auch die Art der Kündigung angegeben. Schließlich hat die
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Des Weiteren wird auch die Art der Kündigung angegeben. Schließlich hat die
Beklagte in dem Anhörungsbogen auch die Kündigungsgründe ausreichend und
umfänglich dargelegt. Eine pauschale, schlag- oder stichwortartige Bezeichnung
des Kündigungsgrundes reicht nicht aus, sondern die Beklagte hat alle Gründe, auf
die sie die Kündigung stützen will, dem Betriebsrat mitzuteilen. Vom Arbeitgeber
her gesehen hat das Anhörungsverfahren also auch eine subjektive Seite
("subjektive Determination"). Die Beklagte nimmt nämlich in dem
Anhörungsbogen Bezug auf ein Administrationsverfahren über das Vermögen der
englischen ... und dass der Verkauf einzelner Geschäftsbereiche des
Unternehmens ansteht. Des Weiteren teilt die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass
eine Anzahl von Mitarbeitern, nämlich 176, durch den Abschluss dreiseitiger
Verträge mit der ... und der Transfergesellschaft sich bereit erklärt hätten, in die
Transfergesellschaft zu wechseln. Insgesamt gehe es um einen umfangreichen
Personalabbau an den Standorten Frankfurt, Stuttgart, München und
Friedrichshafen. Des Weiteren wird auch mitgeteilt, dass die Stelle des Klägers Teil
des vereinbarten Personalabbaus ist und die Betriebsparteien sich auf eine
Namensliste gemäß § 125 InsO oder § 1 Abs. 5 KSchG geeinigt hätten.
Damit gehen vor dem Hintergrund der subjektiven Determination der
Beklagtenseite sämtliche wesentlichen Kündigungsgründe aus dieser Schilderung
hervor. Es wird Bezug genommen auf ein Insolvenzverfahren in England, es werden
auf dessen Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb der Beklagten in Deutschland
und den beabsichtigten Personalabbau hinreichend deutlich Bezug genommen.
Dabei wäre es unschädlich, wenn vor dem Hintergrund der subjektiven
Determination die genaue Mitarbeiterzahl, die in die Transfergesellschaft zu
wechseln beabsichtigt und die Mitarbeiter, die zur Kündigung anstehen, nicht
genau genannt würden. Die Beklagte ist nämlich nur in der Lage, vor dem
Hintergrund der aktuellen Situation dem Betriebsrat zu schildern, welche
Personalabbaumaßnahmen beabsichtigt sind. Dies hat sie auf der Grundlage ihrer
zulässigen subjektiven Determination so getan. Damit hat die Beklagte dem
Betriebsrat neben den Tatsachen, aus denen sich die Betriebsbedingtheit der
Kündigung ableitet, auch die Gründe zur Sozialauswahl hinreichend deutlich
mitgeteilt. Sie nimmt nämlich Bezug auf die Vereinbarung einer Namensliste.
Damit kann der Betriebsrat klar ersehen, aufgrund welcher Sozialauswahlkriterien
die Namensliste zu Stande gekommen ist, was vor dem Hintergrund des
Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG die vollständige Information hierüber
begründet.
Die Kündigung ist auch nicht unwirksam, weil sie nicht sozial gerechtfertigt wäre, §
1 Abs. 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG. Vorliegend wird nämlich vermutet, dass
die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse,
die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist, § 125 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Zudem ist die soziale Auswahl im Hinblick auf die Dauer der
Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und den Unterhaltspflichten nur auf grobe
Fehlerhaftigkeit nachzuprüfen. Tatsachenvortrag, der diese Vermutungswirkung
erschüttern oder gar widerlegen könnte, ist vom Kläger nicht abgeleistet. Damit ist
die Kündigung sozial gerechtfertigt und damit wirksam.
§ 125 InsO ist anwendbar.
Dies liegt daran, dass in England ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der
...-Gruppe eröffnet wurde, und die hier Beklagte in einem Konzernverbund zu
diesem Unternehmen steht. Dieses Hauptinsolvenzverfahren in England hat
ausschlaggebende Bedeutung für die Anwendbarkeit bundesrepublikanischen
Arbeitsrechts in der Insolvenz.
Nach Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedsstaat der EU
sind die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedsstaats der EU, in dem kein
Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, grundsätzlich verpflichtet, alle
Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren
anzuerkennen und notfalls zu vollstrecken. Sie sind nicht berechtigt, nach dem
Recht des anderen Mitgliedsstaates Insolvenznormen in Bezug auf in diesem
anderen Mitgliedsstaat befindliche Vermögenswerte des Schuldners anzuordnen.
Im Einzelfall bedeutet dies, dass sich ein in England eröffnetes Insolvenzverfahren
wegen der universalen Geltung des Hauptinsolvenzverfahrens auf alle
Vermögenswerte einschließlich der in Deutschland befindlichen erstreckt und nicht
nur die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch dessen Durchführung
und Beendigung englischem Recht unterliegt (EuGH vom 21.01.2010, Rs. C-
444/07, MG Probud Gdynia sp. z. o.).
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Daraus geht hervor, dass die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England
gleichzeitig die Wirkung haben muss, dass die in der Bundesrepublik befindlichen
Vermögenswerte und das Unternehmensvermögen diesem Insolvenzverfahren
unterzogen werden.
Für die Arbeitsverträge gilt allerdings Art. 10 der EU InsO. Damit ist für die
Arbeitsverträge und das Arbeitsverhältnis das Recht der Bundesrepublik
maßgebend.
Zur Bestimmung des maßgeblichen Rechts verweist Art. 10 der Europäischen
InsolvnzVO nicht unmittelbar auf die anwendbaren Sachnormen, sondern auf die
Kollissionsnormen der Mitgliedstaaten für Arbeitsverträge. Art. 10 Europäische
Insolvenzverordnung knüpft allerdings nur insoweit an das Recht des Arbeitsortes
an, als die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf
das Arbeitsverhältnis betroffen sind. Der Zweck der Norm besteht damit darin, die
Arbeitnehmer vor der Anwendung ausländischer Vorschriften zu schützen. Dies
führt aber zur Anwendbarkeit des § 125 InsO.
Sämtliche Voraussetzungen des § 125 Satz 1 InsO liegen vor. Es muss eine
geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorliegen, es ist eine namentliche
Bezeichnung der zu Kündigenden vorzunehmen, die Schriftform muss gewahrt
sein und es muss ein Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und
Betriebsrat zu Stande gekommen sein.
Demgemäß setzt § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO voraus, dass einer der in § 111 Satz 2
BetrVG genannten Fälle der Betriebsänderung vorliegt (BAG vom 16.05.2002, NZA
2003, S. 93; BAG vom 26.04.2007, AP InsO § 125 Nr. 4). Diese kann auch in einer
erheblichen Personalreduzierung bestehen, wobei die Angaben in § 17 Abs. 1
KSchG herangezogen werden.
Vorliegend ist deshalb von einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 2
BetrVG auszugehen. Die Beklagte plant einen Personalabbau von insgesamt 196
Mitarbeitern. 176 hiervon haben sich bereits bereit erklärt, in eine
Beschäftigungsgesellschaft zu wechseln. Damit liegen die Voraussetzungen des §
17 Abs. 1 KSchG vor, von einer Betriebseinschränkung oder teilweisen
Betriebsschließung ist dann vorliegend auszugehen.
Die zu kündigenden Arbeitnehmer sind auch namentlich bezeichnet worden auf
einer Liste. Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Zweck des Gesetzes folgt,
dass Insolvenzverwalter und Betriebsrat sich mit jedem Arbeitnehmer, der
gekündigt werden soll, zumindest insoweit auseinandergesetzt haben müssen,
dass dessen Name auf der Liste erscheint. Dies ist vorliegend geschehen. Der bei
der Beklagten gebildete Betriebsrat und der Insolvenzverwalter haben nämlich auf
der Grundlage bestimmter Sozialauswahlkriterien festgelegt, welcher
Arbeitnehmer auf die Namensliste zu setzen ist. Darunter findet sich auch der
Name des Klägers. Deswegen ist von einer ausreichenden Kenntnisnahme, von
einer ausreichenden Individualisierung vorliegend auszugehen.
Der Interessenausgleich bedarf nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Schriftform
und der Unterschrift durch den Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat. Die
zugehörige Namensliste muss jedoch nicht unterzeichnet werden, wenn sie mit
dem Interessenausgleich eine einheitliche Urkunde bildet (BAG vom 26.04.2007,
EzA InsO § 125 Nr. 6; Erfurter Kommentar-Eisenbeis, § 125 InsO RdN. 6;
KR/Weigand, § 125 InsO RdN. 12).
Ein Interessenausgleich liegt vor. Gemäß der Anlage B 2 hat der bei der Beklagten
gebildete Gesamtbetriebsrat und die ... GmbH in Administration eine
Betriebsvereinbarung über die beabsichtigte Betriebsänderung abgeschlossen.
Diese Vereinbarung ist von Herrn ... für die Beklagte und für die einzelnen am
Standort gebildeten Betriebsräte unterzeichnet worden.
Während keinerlei Zweifel aufkommen im Hinblick auf die Zeichnungsbefugnis der
bei der Beklagten gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungsgremien,
hat die Klägerseite eingewandt, dass Herr ... nicht befugt gewesen sei, den
Interessenausgleich wirksam für die Beklagte zu unterzeichnen. Davon ist aber
nicht auszugehen.
Herr ... war aber als gesetzlicher Vertreter bevollmächtigt, den Interessenausgleich
mit Namensliste abzuschließen. Dies ergibt sich aus seiner Eigenschaft als
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mit Namensliste abzuschließen. Dies ergibt sich aus seiner Eigenschaft als
Administrator der Beklagten und der hieraus zu folgernden Vertretungsbefugnis.
Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der Europäischen
Insolvenzverordnung; Danach ist bestimmt, dass soweit die Verordnung nichts
anderes regelt, für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht
des Betriebsstaates gilt, in dem das Verfahren eröffnet worden ist. Das Recht des
Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das
Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es
regelt dabei insbesondere die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des
Verwalters. Das Insolvenzverfahren ist im Vereinigten Königreich eröffnet worden.
Die Vertretungsmacht des Herrn ergibt sich aus Abs. 69 von Anhang B 1 des
Insolvency Act 1986. Der Eröffnungsbeschluss des High Court of Justice vom 14.
Januar 2009 ordnet in Ziff. 9 an, dass die Administratoren jeweils einzeln
vertretungsbefugt sind. Daraus ist die Einzelvertretungsbefugnis des Herrn ... zu
folgern.
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird dem Insolvenzverwalter die obliegende
Darlegungs- und Beweislast erleichtert. Liegen nämlich die Voraussetzungen nach
§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vor, vorliegend wurde dies von der Kammer bejaht,
so wird vermutet, dass die Kündigungen der namentlich bezeichneten
Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer
Weiterbeschäftigung, auch zu unveränderten Arbeitsbedingungen im Betrieb
entgegenstehen, bedingt ist. Damit ist klargestellt, dass sich die
Vermutungswirkung auf den betriebsbedingten Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2
Satz 1 KSchG einschließlich einer fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im
Beschäftigungsbetrieb oder Unternehmen erstreckt (Erfurter
Kommentar/Eisenbeis, § 125 InsO RdN. 7 a; Fischermeier, NZA 1997, S. 1089, S.
1096 f.; KR/Weigand, § 125 InsO RdN. 16; Lakies, BB 1999, S. 206, 207 f.). Die
Vermutungswirkung wurde von dem Kläger nicht erschüttert oder gar widerlegt.
Der Kläger hat in seinem tatsächlichen Vorbringen nämlich entscheidend auf die
Anwendbarkeit des § 125 InsO auf der Grundlage eines ausländischen
Insolvenzverfahrens abgestellt. Dabei hat der Kläger zusammenfassend die
Auffassung vertreten, dass ausländisches Insolvenzrecht nicht § 125 InsO und §
113 InsO zur Anwendung bringen könnte. Tatsächliches Vorbringen dahingehend,
dass der Kläger konkret im Hinblick auf den Wegfall seiner
Beschäftigungsmöglichkeiten abgestellt hat, sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat
des Weiteren nur darauf abgehoben, dass 20 Mitarbeiter in den
Interessenausgleich einzubeziehen seien. Dies läge daran, dass sich 176
Mitarbeiter bereit erklärt hätten, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Dieses
tatsächliche Vorbringen bezieht sich aber nicht auf die Arbeitsaufgabe oder die
Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers nach der unternehmerischen
Entscheidung, den Personalabbau durchzuführen. Jedenfalls widerlegen sie oder
beeinträchtigen sie die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht.
Schließlich kann auf der Grundlage des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die soziale
Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Der
Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
InsO ändert an der dem Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegenden
Darlegungslast nichts. Nach überwiegender Meinung betrifft das Merkmal der
groben Fehlerhaftigkeit nicht nur den Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO
angesprochene Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und
Unterhaltspflichten, sondern auch die Festlegung des auswahlrelevanten Kreises
der Arbeitnehmer (BAG vom 28.08.2003, NZA 2004, S. 432; BAG vom 21.07.2005,
NZA 2006, S. 163).
Die Beklagte hat die vereinbarte Namensliste nach Durchführung einer
Sozialauswahl aufgestellt. Die Sozialauswahlkriterien waren die
Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten, der Familienstand
und eine Schwerbehinderung. Unter Anwendung dieser Kriterien wurde eine
Punkteliste aller Mitarbeiter erstellt. Auf der Grundlage dieser Liste wurden dann
die sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer ermittelt und in die
Namensliste eingestellt. Gleichfalls hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 10.
März auf Bl. 25 ff. dargelegt, wie der vergleichbare Mitarbeiterkreis gebildet worden
ist.
Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer groben Fehlerhaftigkeit der
Sozialauswahl durch die Beklagte gesprochen werden. Der Kläger hat seinerseits
auch keinerlei Tatsachenvortrag abgeleistet, der auf eine grobe Fehlerhaftigkeit
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auch keinerlei Tatsachenvortrag abgeleistet, der auf eine grobe Fehlerhaftigkeit
der von der Beklagten durchgeführten Sozialauswahl schließen lassen könnte.
Auch wenn der Kläger andere Mitarbeiter als sozial weniger schutzwürdig benennt,
so sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beklagte den vergleichbaren
Mitarbeiterkreis und die Gewichtung der Sozialdaten dieses Mitarbeiterkreises grob
verkannt oder gar grob fehlerhaft gewichtet hätte. Dies wäre aber Voraussetzung
dafür, dass von einer groben Fehlerhaftigkeit ausgegangen werden könnte.
Die Beklagte hat auch die Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO eingehalten.
§ 113 InsO ist vorliegend anwendbar.
Nach § 113 InsO kann ein Arbeitsverhältnis vom Insolvenzverwalter oder vom
Arbeitnehmer unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum
Monatsende gekündigt werden, sofern nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Das
Hessische Landesarbeitsgericht hat sich dafür ausgesprochen, dass § 113 InsO in
den Anwendungsbereich des Art. 10 Europäische Insolvenzverordnung fällt (LAG
Hessen, vom 05.03.2007 – 17 Sa 122/06 –). Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug
auf die oben in den Urteilsgründen referierten Entscheidungsgründe des
Europäischen Gerichtshofs und die daraus zu folgernde Anwendung des
bundesrepublikanischen Insolvenzarbeitsrechts.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91
Abs. 1 ZPO, da der Kläger in vollem Umfang unterlegen ist.
Bei der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ist die Kammer gemäß §
12 Abs. 5 GKG im Hinblick auf den Kündigungsrechtsstreit von drei
Bruttomonatsgehältern ausgegangen, während der hilfsweise gestellte
Weiterbeschäftigungsantrag nicht eigens zu bewerten war.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.