Urteil des ArbG Frankfurt an der Oder vom 14.10.2009

ArbG Frankfurt: sozialplan, versetzung, billigkeit, obsiegen, gleichbehandlung, beendigung, fälligkeit, gruppenbildung, fahrtkosten, ausnahme

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Gericht:
ArbG Frankfurt 14.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 Ca 5546/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 75 Abs 1 S 1 BetrVG, § 112
Abs 1 S 2 BetrVG, Art 3 Abs 1
GG
Zahlung eines Fahrtkostenzuschusses - Sozialplan - Recht
und Billigkeit
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 EUR (in Worten: Sechshundert
und 00/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus jeweils 150,00 EUR (in Worten: Hundertfünfzig und 00/100 Euro)
netto seit dem 16. Juni 2009, seit dem 16. Juli 2009, seit dem 16. August 2009 und
seit dem 16. September 2009 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Monate September 2009 bis
einschließlich März 2010 einen monatlichen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von
150,00 EUR (in Worten: Hundertfünfzig und 00/100 Euro) netto zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 15 % der Kläger und zu 85 % die Beklagte
zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 1.650,– festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung eines Fahrtkostenzuschusses.
Der am 13. April 1970 geborene Kläger ist auf Grundlage des Arbeitsvertrages
vom 2. März 1999 seit dem 27. August 1998 bei der Beklagten bzw. bei deren
Rechtsvorgängerin als Innenreiniger beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 2. März
1999 enthält in Ziff. 15 einen Verweis auf die Tarifverträge für das
Gebäudereinigerhandwerk.
Die Beklagte betreibt ein Reinigungsunternehmen. In ihrer Niederlassung Frankfurt
am Main waren etwa 1.200 Mitarbeiter beschäftigt. Von dort setzte sie
Reinigungskräfte in verschiedenen Objekten, ua. in Hanau ein. Auch der Kläger
wurde von der Beklagten ursprünglich in Hanau eingesetzt. Die Reinigungsobjekte
der Beklagten in Hanau ... ... und "..." gerieten zum 31. März 2008 auf Grund des
Verlusts der Aufträge in Wegfall.
Unter dem 19. Februar 2008 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten
Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste und einen Sozialplan (Bl. 3
ff. d. A.), der auszugsweise die folgenden Bestimmungen enthält und auf den im
Übrigen verwiesen wird:
"...
...
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...
..."
Zum Zeitpunkt des Abschlusses von Interessenausgleich und Sozialplan war
beabsichtigt, allen Arbeitnehmern mit Ausnahme der unkündbaren zu kündigen.
Die Beklagte kündigte in der Folge ca. 161 Arbeitsverhältnisse der in den ... und ...
... eingesetzten Reinigungskräfte. Auch der Kläger erhielt unter dem 28. Januar
2008 und dem 21. Februar 2008 betriebsbedingte Kündigungen, gegen die er sich
in dem Vorverfahren 14/8 Ca 1022/08 erfolgreich wandte. Der Kläger wurde von
der Beklagten in der Folgezeit in deren Objekt, ... in Bad Vilbel eingesetzt.
Der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der
Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 ("RTV") enthält in § 22 unter
"Ausschlussfristen" die folgende Regelung:
Der RTV enthält in § 8 auszugsweise die folgende Regelung:
..."
Mit seiner am 30. Juni 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten
am 18. Juli 2009 zugestellten Klage macht der Kläger den Fahrtkostenzuschuss
nach § 4 des Sozialplans vom 19. Februar 2008 für den Zeitraum Mai und Juni
2009 sowie ausstehende Fahrtkosten bis einschließlich März 2010 geltend. Mit
Klage erweiterndem Schriftsatz vom 18. August 2009 hat der Kläger auch die
Ansprüche für die Monate Juli bis September 2009 beziffert geltend gemacht.
Der Kläger hat über die im Kammertermin vom 14. Oktober 2009 gestellten
Klageanträge hinaus ursprünglich noch Anträge auf Zahlung von
Fahrtkostenzuschuss in Höhe von jeweils € 150,00 netto für die Monate März 2009
und April 2009 angekündigt. Diese Anträge hat der Kläger im Kammertermin vom
14. Oktober 2009 zurückgenommen.
beantragt
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 600,00 netto nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 150,00 netto seit dem
16. Juni 2009, seit dem 16. Juli 2009, seit dem 16. August 2009 und seit dem 16.
September 2009 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate September 2009 bis
einschließlich März 2010 einen monatlichen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von €
150,00 netto zu zahlen.
beantragt
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, § 4 des Sozialplans sei nicht auf den Kläger
anwendbar. Er gelte nur für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt seines Abschlusses
aus Sicht der Betriebspartner hätten im Betrieb verbleiben sollen.
Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von
ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird
ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten für den Zeitraum Mai
2009 bis einschließlich März 2010 einen Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des
Sozialplans vom 19. Februar 2008 verlangen. Im Einzelnen:
I.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des Sozialplans
vom 19. Februar 2008 dem Grunde und der Höhe nach zu. Er kann von der
Beklagten einen Fahrtkostenzuschuss von € 150,00 monatlich für den Zeitraum
Mai 2009 bis einschließlich März 2010 verlangen. Die Ansprüche sind nicht nach §
22 RTV verfallen.
1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss nach § 4 des
Sozialplans vom 19. Februar 2008 zu. Nach § 4 des Sozialplans erhalten zwar nur
unkündbare und von Versetzung betroffene Mitarbeiter einen pauschalen
Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150,00 monatlich. Diese Regelung verstößt
aber gegen das an die Betriebsparteien gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
gerichtete Gebot, die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten.
a) § 4 des Sozialplanes vom 19. Februar 2008 ist zunächst nicht dahingehend
auszulegen, dass hiervon auch gekündigte und nach Obsiegen im
Kündigungsschutzprozess von Versetzung betroffene Arbeitnehmer erfasst sind.
Die Betriebsparteien gingen bei Abschluss des Sozialplanes davon aus, dass bis
auf die "unkündbaren" Arbeitnehmer (beispielsweise Betriebsratsmitglieder) alle in
den Objekten ... ... beschäftigten Reinigungskräften gekündigt werden sollte. § 4
des Sozialplans kann vor diesem Hintergrund nur so verstanden werden, dass er
eine Regelung für die aus Sicht der Betriebspartner zu diesem Zeitpunkt im
Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer beinhalten sollte, dh. all diejenigen
Arbeitnehmer, denen gegenüber keine Kündigung ausgesprochen wurde und die
daher von einer Versetzung in ein anderes Objekt betroffen waren. Dies bringt
auch der Wortlaut "Unkündbare und von Versetzung betroffene Mitarbeiter" zum
Ausdruck. Anderenfalls hätten die Betriebspartner das Bindewort "oder" verwandt,
das in diesem Fall dann zwei alternative Voraussetzungen für den Erhalt des
Fahrtkostenzuschusses aufgestellt hätte.
b) Der Sozialplan vom 19. Februar 2008 verstößt aber gegen das an die
Betriebsparteien gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gerichtete Gebot, die
Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben die
Betriebsparteien bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Spielraum für
die Bestimmung des angemessenen Ausgleichs der mit einer Betriebsänderung
verbundenen Nachteile. Sie können grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob, in
welchem Umfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile
ausgleichen oder mildern wollen. Sie können von einem Nachteilsausgleich auch
gänzlich absehen und bei ihrer Regelung nach der Vermeidbarkeit der Nachteile
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gänzlich absehen und bei ihrer Regelung nach der Vermeidbarkeit der Nachteile
unterscheiden
.
Die Betriebsparteien haben allerdings bei Sozialplänen – wie auch sonst bei
Betriebsvereinbarungen – den betriebsverfassungsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten, dem
wiederum der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt
. Er zielt darauf
ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten
sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.
Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen
rechtfertigenden Sachgrunds ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck
.
bb) Macht ein Sozialplan einen Fahrtkostenzuschuss von der Versetzung eines
unkündbaren Arbeitnehmers abhängig, erfolgt eine Gruppenbildung, welche die
Anwendung des Gleichheitssatzes ermöglicht und gebietet. Die Arbeitnehmer,
welche eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage erheben und auf Grund des
Auftragsverlusts nach dem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess ebenfalls in ein
anderes Objekt außerhalb Hanaus versetzt werden, werden hinsichtlich des
Fahrtkostenzuschusses schlechter behandelt als diejenigen Arbeitnehmer, die zur
Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung versetzt worden sind. Denn nach
dem Normzweck des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem
Ausgleich und der Überbrückung der – künftigen – Nachteile, die durch eine
geplante Betriebsänderung entstehen können
. Die künftigen Nachteile (zB. höhere Fahrtkosten
und längere Wegezeiten), welchen die Betriebsparteien mit § 4 des Sozialplans
vom 19. Februar 2008 begegnen wollten, entstehen dem nach Obsiegen im
Kündigungsschutzprozess versetzten Arbeitnehmer aber in gleichem Maße wie
dem zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung versetzten
Arbeitnehmer.
Eine Ungleichbehandlung ist daher nach dem Sinn und Zweck des Sozialplans
sachlich nicht gerechtfertigt.
c) Wird der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, können die benachteiligten
Arbeitnehmer grundsätzlich Gleichbehandlung mit den begünstigten
Arbeitnehmern verlangen. Die damit verbundene Erhöhung des
Sozialplanvolumens ist dann hinzunehmen, wenn die Mehrbelastung des
Arbeitgebers durch die Korrektur im Verhältnis zum Gesamtvolumen nicht ins
Gewicht fällt. Auf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer kommt es nicht an
.
Eine unzumutbare Belastung durch den auf März 2010 begrenzten
Fahrtkostenzuschuss hat die Beklagte nicht geltend gemacht.
Der Kläger kann daher für den Zeitraum Mai 2009 bis einschließlich März 2010
einen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von € 150,00 monatlich nach § 4 des
Sozialplanes vom 19. Februar 2008 verlangen.
2. Die Ansprüche sind nicht nach § 22 RTV verfallen. Der Anspruch für den Monat
Mai 2009 war am 15. Juni 2009 fällig. Die erste und zweite Stufe nach § 22 RTV
wurde mit der am 18. Juli 2009 zugestellten Klage gewahrt. Der Anspruch für den
Monat Juni 2009 war am 15. Juli 2009 fällig. Die erste und zweite Stufe nach § 22
RTV wurde mit der am 18. Juli 2009 zugestellten Klage gewahrt. Ebenfalls gewahrt
wurde die Frist für die nachfolgenden Ansprüche bis März 2010, welche bereits vor
Fälligkeit mit der Klage nach § 259 ZPO geltend gemacht worden sind.
3. Der Zinsanspruch folgt aus § 8 Abs. 2 RTV iVm. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1
BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO iVm. § 46
Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Danach hat die Beklagte die auf die Klageanträge zu 1. und
zu 2. entfallenden Kosten zu tragen. Dem Kläger sind die auf die Klagerücknahme
entfallenden Kosten aufzuerlegen.
Bei der Streitwertfestsetzung werden der Klageantrag zu 1. in Höhe der
Klageforderung und der Klageantrag zu 2. in der Höhe des bis März 2010 zu zahlen
Klageforderung und der Klageantrag zu 2. in der Höhe des bis März 2010 zu zahlen
Fahrtkostenzuschusses berücksichtigt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.