Urteil des ArbG Duisburg vom 14.09.2009

ArbG Duisburg (fristlose kündigung, kündigung, bag, unwirksamkeit der kündigung, grad des verschuldens, raucherraum, arbeitgeber, arbeitnehmer, juristische person, wichtiger grund)

Arbeitsgericht Duisburg, 3 Ca 1336/09
Datum:
14.09.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Duisburg
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 1336/09
Schlagworte:
Fristlose Kündigung, Raucherpause
Normen:
§ 626 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Gilt im Betrieb die Regelung, dass die Beschäftigten bei Raucherpausen
auszustempeln haben, ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt, wenn
eine Arbeitnehmerin trotz Abmahnung wiederholt Pausen im
Raucherraum verbringt, ohne die vorgeschriebene Zeiterfassung zu
bedienen.
Tenor:
1)Die Klage wird abgewiesen.
2)Die klagende Partei trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3)Der Streitwert beträgt 6.947,46 Euro.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung
2
Die 59jährige, geschiedene Klägerin trat zum 1.5.1990 als kaufmännische Angestellte in
die Dienste der Beklagten, einer Anstalt öffentlichen Rechts mit mehr als 10
Arbeitnehmern. Zuletzt verdiente die Klägerin monatlich 2.315,82 € brutto. Auf das
Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.
3
In einer Bekanntmachung 13/2007 vom 22.3.2007, einer Bekanntmachung 06/2008 vom
18.2.2008 sowie in der Mitarbeiterinformation 33/2008 vom 19.12.2008 wurde seitens
der Beklagten darauf hingewiesen, dass vor einer Raucherpause auszustempeln ist.
Die Klägerin wurde zudem persönlich mit E-Mail vom 31.5.2007 über diese Regelung
informiert.
4
Die Klägerin wurde aufgrund von Verstößen gegen die Pflicht zum Aus- und
Einstempeln bei Raucherpausen am 3.4.2008 und mit zwei zeitgleich erfolgten
letztmaligen Abmahnungen vom 7.7.2008 aufgefordert, künftig ihren Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis nachzukommen. Die Abmahnungen enthalten eine
Kündigungsandrohung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen zur
5
Klageerwiderung (vgl. Bl. 30 - 34 der Akte) Bezug genommen.
Seit Dezember 2008 steht den Beschäftigten und damit auch der Klägerin ein
Raucherraum zur Verfügung. Der Stempelautomat befindet sich ca. 5 m nach links
versetzt neben der Tür. Die Klägerin hat deshalb von ihrem Büro kommend zunächst am
Raucherraum vorbei zu gehen zum Stempelautomat und sodann zum Raucherraum
zurückzukehren.
6
Am 27.4.2009 befand sich die Klägerin um 14:35 Uhr im Raucherraum und rauchte. Am
28.4.2009 wurde die Klägerin erneut um 11:40 Uhr beim Rauchen im Raucherraum
gesehen. Am 29.4.2009 wurde die Klägerin wiederum um 10:47 Uhr rauchend im
Raucherraum angetroffen.
7
Für die vorgenannten Zeiten weist die Zeiterfassung der Klägerin weder eine Aus- noch
eine Einstempelung auf. Bis zum 5.5.2009 ging kein Korrekturbeleg ein.
8
Die Klägerin suchte den Raucherraum an den genannten Tagen weitere Male auf. Bei
diesen Gelegenheiten bediente die Klägerin die Zeiterfassung ordnungsgemäß.
9
Am 5.5.2009 wurde die Klägerin um 15:30 Uhr zur Sachverhaltsaufklärung angehört.
10
Mit Schreiben vom 12.5.2009, das die Klägerin am 12.5.2009 erhielt, kündigte die
Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise außerordentlich mit sozialer
Auslauffrist.
11
Mit bei Gericht am 25.5.2009 eingegangener, der Beklagten am 4.6.2009 zugestellter
Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.
12
Die Klägerin behauptet, ein wichtiger Grund liege nicht vor. Die Frist nach § 626 Abs. 2
BGB sei nicht eingehalten.
13
Die hilfsweise erklärte Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Weder in ihrem Verhalten
noch in ihrer Person lägen Kündigungsgründe vor.
14
Sie habe die Stempeluhr nicht wissentlich und vorsätzlich falsch bei den von ihr
eingelegten Raucherpausen bedient.
15
Sie könne sich das fehlende Ausstempeln nur damit erklären, dass sie gedanklich so
sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen sei, dass sie die Bedienung des
Stempelautomaten vergessen habe.
16
Das Computerprogramm sei relativ neu gewesen und habe nicht fehlerfrei gearbeitet.
17
Sie habe der Beklagten sofort das Angebot unterbreitet, für die Raucherpausen einen
Tag Urlaub anzurechnen.
18
Die ordnungsgemäße Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Personalrates sei
mit Nichtwissen zu bestreiten.
19
Die Klägerin ist zudem der Ansicht, die Kündigung sei aus formalen Gründen
unwirksam. Der Personalrat sei gemäß § 74 Abs. 1 LPVG zu der hilfsweisen
20
außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung angehört worden. Dort sei jedoch
lediglich die ordentliche Kündigung geregelt.
Die Klägerin beantragt,
21
1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die
fristlose noch die hilfsweise erklärte Kündigung der Beklagten vom 12.5.2009
beendet wird,
22
2.im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, sie
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu
unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als kaufmännische
Angestellte weiter zu beschäftigen.
23
Die Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Die Beklagte behauptet, der Personalbereich habe von Herrn B., Arbeitsgruppenleiter
WBD-GA1, am 27.4.2009 die Information erhalten, die Klägerin habe im Raucherraum
um 14:35 Uhr geraucht. Herr B. habe auch am 28.4.2009 für die Zeit um 11:40 Uhr eine
entsprechende Information erhalten. Am 29.4.2009 habe Herr B. die Klägerin um 10.47
Uhr wiederum selbst im Pausenraum rauchen gesehen.
26
Der Personalrat sei unter dem 6.5.2009 beteiligt worden.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug
genommen.
28
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
I.
30
1.
31
Die Kündigung vom 12.5.2009 hat das Arbeitsverhältnis fristlos beendet.
32
a)
33
Nach § 34 Abs. 2 TVöD können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40.
Lebensjahr vollendet haben und für die die Regelungen des Tarifgebiets West
Anwendung finden, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den
Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden.
34
Diese Voraussetzungen liegen bei der 59jährigen Klägerin, die seit 1990 bei der
Beklagten in Duisburg beschäftigt ist, vor.
35
Die Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses
ergeben sich aus den allgemeinen Vorschriften für den Ausspruch einer fristlosen
Kündigung.
36
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis fristlos beendet werden, wenn
Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht
zugemutet werden kann.
37
Die Prüfung des wichtigen Grundes erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen (vgl. BAG v. 26.3.2009, 2 AZR 953/07, DB 2009,
1772; BAG v. 27.4.2006, 2 AZR 386/05, NZA 2006, 1033). Auf der ersten Stufe ist
zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des
Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt
ein an sich geeigneter Kündigungsgrund vor, ist auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände
des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist
oder nicht.
38
(1)
39
Die Klägerin hat gegen die ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis
in besonders schwerwiegender Weise verstoßen.
40
Unstreitig herrscht bei der Beklagten die Regelung, dass bei Einlegung einer
Raucherpause auszustempeln ist. Eine solche Regelung ist zulässig und verletzt nicht
das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist berechtigt,
das Rauchen am Arbeitsplatz zu untersagen (BAG v. 19.5.2009, 9 AZR 241/08, NZA
2009, 1540; grundlegend BAG v. 19.1.1999, 1 AZR 499/98, NZA 1999, 546). Ein
Anspruch auf bezahlte Raucherpausen besteht - sofern nicht vom Arbeitgeber gestattet -
nicht. Die Klägerin hat die Verbindlichkeit dieser Regelung, die auch in der
Mitarbeiterinformation 33/2008 ausdrücklich vom Vorsitzenden des Personalrates unter
der Überschrift „Vorstand und Personalrat informieren gemeinsam“ unterzeichnet
worden ist, nicht in Abrede gestellt. Im Gegenteil hat sie die grundsätzliche
Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens eingeräumt.
41
Ist für eine Raucherpause auszustempeln, so bedeutet dies, dass Raucherpausen nicht
zur bezahlten Arbeitszeit gehören. Der Arbeitnehmer kann von dem Arbeitgeber keine
Bezahlung dieser - allein seinem persönlichen Bedürfnis geschuldeten - Zeit verlangen.
Besteht eine Regelung zum Ausstempeln und bedient ein Arbeitnehmer die
vorgeschriebene Zeiterfassung nicht, so veranlasst er den Arbeitgeber, ihm Entgelt zu
zahlen, ohne die geschuldete Leistung erbracht zu haben.
42
Verstöße in diesem Bereich rechtfertigen eine fristlose Kündigung. Erledigt ein
Arbeitnehmer während der Arbeitszeit private Angelegenheiten, ohne - wie für
Arbeitsunterbrechungen vorgesehen - in der Arbeitszeiterfassung eine entsprechende
Korrektur vorzunehmen, so rechtfertigt dies auch ohne vorangehende Abmahnung den
Ausspruch einer Kündigung (LAG Hamm v. 30.5.2005, 8 (17) Sa 1773/04, NZA-RR
2006, 353). Das unbefugte Verlassen des Arbeitsplatzes kann im Einzelfall nach
vorangegangener Abmahnung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (LAG
Rheinland-Pfalz v. 1.4.2004, 11 Sa 1383/03, n. v.). Ein - auch einmaliger -
Arbeitszeitbetrug rechtfertigt in der Regel eine außerordentliche Kündigung (BAG v.
24.11.2005, 2 AZR 39/05, NZA 2006, 484).
43
Das Verhalten der Klägerin ist den vorgenannten Fällen gleichzustellen. Sie legt - rein
privat - eine Pause ein und erhält entgegen den vertraglichen Vereinbarungen diese
Zeit bezahlt. Selbst wenn dies ohne Vorsatz erfolgt sein sollte, was angesichts der
vagen Einlassung der Klägerin sehr fraglich ist, ist die fristlose Kündigung gerechtfertigt.
Denn es handelt sich um ein schwerwiegendes Fehlverhalten. Könnte die Beklagte der
Klägerin Vorsatz nachweisen, so bedürfte es - wie ausgeführt - der vorhergehenden
Abmahnungen nicht. Den wiederholten Entzug von Arbeitsleistung ohne sachlichen
Grund hat der Arbeitgeber aber auch dann nicht hinzunehmen, wenn er nicht vorsätzlich
erfolgt sein sollte. Zumindest die Erbringung der Arbeitsleistung in der geschuldeten Zeit
ist die Hauptpflicht, die der Arbeitnehmer schuldet. Verstöße in diesem Bereich
berühren den Kernbereich des gegenseitigen Austauschverhältnisses. Der Arbeitgeber
kann von dem Arbeitnehmer, der keinen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung
schuldet, wenigstens verlangen, dass er die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich erbringt.
Nur für diesen Fall schuldet er auch das vollständige Entgelt.
44
Aufgrund der Abmahnungen war die Klägerin ausreichend gewarnt. Die Klägerin war
erst vor gut einem Jahr das erste Mal für ein entsprechendes Verhalten abgemahnt
worden. Die Abmahnung beschreibt genau das Fehlverhalten, benennt die
beanstandete Pflichtverletzung und enthält den Hinweis auf eine mögliche Kündigung
im Wiederholungsfall. Anschließend ist die Klägerin ca. fünf Monate später, also nur
neun Monate vor dem jetzigen Verstoß, nochmals zweimal abgemahnt worden.
Spätestens seitdem hätte die Klägerin besonders sensibilisiert sein müssen. Ein
„Vergessen“ ist kein Rechtfertigungsgrund für ein Fehlverhalten (LAG Hamm v.
17.2.2006, 10 Sa 1869/05, n. v.). Die Klägerin, die zudem selbst einräumt, dass sie
mehrmals am Tag den Raucherraum aufsuchte, hatte deshalb besonders darauf zu
achten, dass es in Zukunft nicht wieder zu einem „Vergessen“ kommt.
45
Ist ein Arbeitnehmer nicht in der Lage, dieser Obliegenheit nachzukommen, so
rechtfertigt dies bereits die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der
Arbeitgeber muss es nicht hinnehmen, einen besonders „vergesslichen“ Arbeitnehmer
beschäftigen zu müssen, der immer wieder Arbeitszeit bezahlt bekommt, ohne hierfür
gearbeitet zu haben.
46
(2)
47
Die fristlose Kündigung ist auch unter Würdigung der beiderseitigen Interessen
gerechtfertigt.
48
Notwendig ist eine umfassende Güter- und Interessenabwägung. Es sind das Interesse
des Kündigenden an der Auflösung und das Interesse des Kündigungsempfängers an
der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses gegenüberzustellen. Hinzutreten können
Art und Schwere der Verfehlung, Umfang des verursachten Schadens,
Wiederholungsgefahr, Beharrlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens, Grad des
Verschuldens, Lebensalter, Folgen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, Größe des
Betriebes sowie der soziale Besitzstand des Arbeitnehmers (BAG v. 27.4.2006, 2 AZR
386/05, NZA 2006, 1033).
49
Zugunsten der Klägerin sind ihr Lebensalter und die lange Beschäftigungsdauer zu
berücksichtigen. Andererseits handelt es sich - da es um eine Arbeitszeitverfehlung aus
rein privatem Anlass geht - um ein besonders schweres Fehlverhalten. Zudem besteht
50
eine besondere Wiederholungsgefahr. Die Klägerin war mehrfach abgemahnt worden.
Gleichwohl hat sie an drei aufeinander folgenden Tagen nicht ausgestempelt. Damit ist
das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstört. Auch
eine Fortsetzung bis zum Ablauf einer sozialen Auslauffrist entsprechend der längsten
Kündigungsfrist gem. § 34 Abs. 1 S. 1 TVöD von sechs Monaten zum Quartalsende,
also bis zum 31.12.2009, ist nicht zumutbar. Bei einer Arbeitnehmerin, die mehrfach
täglich Raucherpausen in Anspruch nimmt, und die trotz mehrfacher Abmahnungen an
drei aufeinander folgenden Tagen das „Ausstempeln“ einfach vergessen haben will,
kann nicht erwartet werden, dass sich dieses Verhalten bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist nicht wiederholen wird.
Das Fehlverhalten ist auch nicht deshalb nur als gering einzustufen, weil es sich jeweils
nur um wenige Minuten gehandelt hat. Wie ausgeführt, ist bei einem Arbeitszeitbetrug
auch bei einer geringfügigen Zeitdifferenz die fristlose Kündigung gerechtfertigt.
Gleiches hat zu gelten, wenn es sich um ein nach dreimaliger Abmahnung nochmals an
drei aufeinander folgenden Tagen auftretendes Fehlverhalten handelt. Die wenigen
Minuten für eine Raucherpause addieren sich zu einem erheblichen Zeitverlust. Würde
man argumentieren, der Schaden sei gering, gäbe es letztlich keine Grenze mehr, bei
der man von einer Unzumutbarkeit ausgehen könnte.
51
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Toleranz von Verstößen gegen die
Zeiterfassung bei Raucherpausen dazu führen würde, dass sich potentiell mehr
Beschäftigte nicht mehr an die Vorgaben halten. Eine Generalprävention gegenüber
anderen Mitarbeitern ist im Rahmen der Interessenabwägung ein nur begrenzt
tragfähiger Gesichtspunkt (BAG v. 28.7.2009, 3 AZN 224/09, NZA 2009, 859; BAG v.
16.12.2004, 2 ABR 7/04, AP Nr. 191 zu § 626 BGB). Auch wenn demnach dieser Aspekt
nur begrenzt zu berücksichtigen ist, so fällt er vorliegend zu Lasten der Klägerin ins
Gewicht. Raucherpausen sind, wenn sie unbezahlt geduldet werden, gerichtsbekannt in
den meisten Betrieben Gegenstand kontroverser Diskussionen. Um solche
Diskussionen zu vermeiden und so letztlich die Zusammenarbeit aller zu fördern,
besteht ein anerkennenswertes und nachvollziehbares Interesse der Beklagten an der
Durchsetzung der getroffenen Regelung.
52
Dem Umstand, dass jedem Menschen einmal Fehler unterlaufen können, hat die
Beklagte bereits hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass sie sich bei den ersten
drei Verstößen auf eine Abmahnung beschränkt hat und die Kündigung erst
ausgesprochen hat, nachdem die Klägerin weitere dreimal - zudem an unmittelbar
aufeinander folgenden Tagen - die Vorschriften nicht eingehalten hat. Der Beklagten
kann auch gerade nicht vorgeworfen werden, sie hätte die Klägerin sofort am ersten Tag
ansprechen müssen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Beklagte die Klägerin bewusst
habe „vorführen“ wollen oder dass sie sie etwa „in ein offenes Messer“ habe laufen
lassen wollen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie es zunächst bei Abmahnungen
belassen hat. Es ist einem Arbeitgeber nicht anzulasten, dass er nicht am ersten Tag
eines erkannten Fehlverhaltens reagiert. Dies kann sich auch zu Gunsten des
Arbeitnehmers auswirken, nämlich dann, wenn der Arbeitgeber bei einem einmaligen
Verstoß von weiteren Maßnahmen absieht. Da die Klägerin sich aus- und
einzustempeln hat, hat sie aber insgesamt sechs Handlungen unterlassen, die sie als
starke Raucherin routinemäßig beherrscht haben dürfte.
53
Zugunsten der Klägerin kann auch nicht ihre Einlassung berücksichtigt werden, an den
genannten Tagen habe sie ein „relativ“ neues Computerprogramm bedienen müssen
54
und sie sei sehr beschäftigt gewesen, weil das Programm nicht fehlerfrei gearbeitet
hätte. Dieser Vortrag ist bereits wenig konkret. Es fehlen jegliche Einzelheiten, was an
diesen drei Tagen anders gewesen sein soll. Auch ist nicht angegeben, was unter
einem „relativ“ neuen Programm zu verstehen sein soll.
Der Vortrag ist auch wenig überzeugend. Wäre es so gewesen, wie die Klägerin
behauptet, ist nicht zu erklären, warum sie bei den ca. fünf weiteren Raucherpausen an
den genannten Tagen das Ausstempeln nicht vergessen hat. Da bereits diese
Einlassung die Klägerin nicht entlastet, kam es auf den Vortrag der Beklagten, das
Programm sei bereits seit mehreren Jahren eingeführt gewesen, die Klägerin sei
mehrfach geschult worden und an den genannten Tagen seien keine
Störungsmeldungen eingegangen, nicht mehr an. Einer besonderen Schriftsatzfrist zur
Erwiderung auf den letzten Schriftsatz bedurfte es deshalb nicht.
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Dies gilt auch unter Berücksichtigung des besonderen Kündigungsschutzes gem. § 34
Abs. 2 TVöD, der eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ausschließt. Die
tarifliche „Unkündbarkeit“ kann zugunsten des Arbeitnehmers ins Gewicht fallen, wenn
es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt hätte. Bei einer Wiederholungsgefahr ist
dies jedoch anders zu sehen (so ausdrücklich BAG v. 14.2.1996, 2 AZR 274/95, NZA
1996, 873). Auch der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer kann nicht darauf vertrauen,
dass er immer wieder - sanktionslos - vergessen darf, das erforderliche Ein- und
Ausstempeln vorzunehmen. Die mildere Sanktion - nämlich eine Abmahnung - hatte die
Beklagte bereits für drei Verfehlungen im Ergebnis erfolglos versucht.
56
Die Beklagte muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, der Klägerin nachträglich
einen Tag Urlaub gutzuschreiben. Selbst wenn die Klägerin einen entsprechenden
Vorschlag im Rahmen der Anhörung am 5.5.2009 unterbreitet haben sollte - die
Beklagte bestreitet dies - so ändert dieser Vorschlag nichts am Fehlverhalten. Ein
rechtswidriges Verhalten wird nicht dadurch rechtmäßig, dass nach Entdeckung eine
anderweitige Kompensation vorgeschlagen wird.
57
Aus den gleichen Gründen kam auch eine Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht in
Betracht. Grund für die Kündigung ist das fehlende Vertrauen in die Klägerin, die
Vorschriften zur Arbeitszeit einzuhalten. Da die Beklagte die Klägerin nicht ständig
überwachen kann, ist nicht auszuschließen, dass es in Zukunft zu weiteren
Pflichtverletzungen kommen wird.
58
Schließlich fällt die geschiedene Klägerin, die nach Aktenlage aktuell keine
Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, auch nicht in den „sozialen Ruin“, wie der Personalrat
ausgeführt hat. Sicherlich hat sie erhebliche Einbußen hinzunehmen. Angesichts der
vorhandenen sozialen Sicherungssysteme kann dies jedoch nicht als „sozialer Ruin“
bezeichnet werden.
59
b)
60
Die Kündigung ist rechtzeitig gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen
erfolgt.
61
Die Kündigungserklärungsfrist beginnt gem. § 626 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt,
in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen
Kenntnis erlangt (BAG v. 23.10.2008, 2 AZR 388/07, AP Nr. 217 zu § 626 BGB).
62
Die Beklagte hat vom maßgebenden Kündigungsgrund frühestens am 27.4.2009
Kenntnis erlangt. In Bezug auf die Verstöße vom 28.4.2009 und 29.4.2009 ist die
Kündigung noch innerhalb der ab dem Zeitpunkt des Pflichtverstoßes berechneten
Zwei-Wochen-Frist zugegangen. Auch hinsichtlich des Verstoßes am 27.4.2009 ist die
Kündigungserklärungsfrist noch nicht abgelaufen. Bei Dauertatbeständen ist anerkannt,
dass die Erklärungsfrist jeden Tag neu beginnt (BAG v. 22.1.1998, 2 ABR 19/97, NZA
1998, 708). Entsprechendes hat zu gelten, wenn maßgeblich für die Kündigung ein an
drei Tagen hintereinander fortgesetztes Verhalten ist. Der Vorwurf beschränkt sich nicht
darauf, dass die Klägerin gerade am 27.4.2009 ihre Pflichten missachtet hat, sondern
umfasst gerade die wiederholte Pflichtverletzung an drei Tagen.
63
c)
64
Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlender oder unrichtiger Personalratsanhörung
unwirksam.
65
Gem. § 74 Abs. 4 LPVG NW ist vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen
Kündigungen der Personalrat anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte
Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe
der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei
Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.
66
Die Beklagte hat im Einzelnen vorgetragen, dass sie den Personalrat unter Angabe des
wesentlichen Sachverhalts, nämlich der drei Verstöße, der vorangegangenen
Abmahnungen sowie der Einlassung der Klägerin am 6.5.2009 angehört hat.
67
Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin selbst das Antwortschreiben des
Personalrates vom 8.5.2009 vorgelegt hat, aus dem sich ergibt, dass der Personalrat am
6.5.2009 angehört worden ist. Wie die ausführliche Stellungnahme des Personalrats
zeigt, hat dieser sich mit dem Sachverhalt eingehend auseinandergesetzt. Die
Stellungnahme wäre nicht möglich gewesen, wenn der Personalrat nicht die für eine
Anhörung erforderlichen Informationen erhalten hätte.
68
Somit wäre es im Rahmen der ihr obliegenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast
Sache der Klägerin gewesen, konkret zu beanstanden, in welchen Punkten sie das
Verfahren für fehlerhaft hält (vgl. BAG v. 20.01.2000, 2 AZR 378/99, EzA § 1 KSchG
Krankheit Nr. 47; BAG v. 16.03.2000, 2 AZR 75/99, NZA 2000, 1332). Die Klägerin hat
sich hierzu nicht mehr im Einzelnen geäußert, es ist bei dem Bestreiten mit Nichtwissen
innerhalb der Klageschrift geblieben. Im übrigen wurde nur pauschal die Rechtsansicht
vertreten, der Hinweis auf § 74 Abs. 1 LPVG NW in der Anhörung führe zu einem
Formfehler. Ein solches Bestreiten ist unzureichend mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO
(vgl. BAG v.16.03.2000, 2 AZR 75/99, a.a.O.).
69
Daneben liegt ein Formfehler nicht vor. Die Beklagte hat hilfsweise eine
außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgesprochen. Für diese ist der
Personalrat - auch wenn es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt - nach
den Vorschriften der Mitwirkung bei ordentlichen Kündigungen zu beteiligen (BAG v.
18.1.2001, 2 AZR 616/09, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1; BAG v. 18.10.2000, 2
AZR 627/99, NZA 2001, 219; entsprechend zum BetrVG BAG v. 12.1.2006, 2 AZR
242/05, AP Nr. 13 z § 626 BGB Krankheit).
70
Wiederum aus der Stellungnahme des Personalrats ergibt sich bereits, dass er sowohl
nach § 74 Abs. 1 LPVG NW für die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist
als auch gem. § 74 Abs. 4 LPVG NW für die außerordentliche Kündigung angehört
wurde.
71
2.
72
Da die Kündigungsschutzklage abzuweisen ist, ist der nur für den Fall des Obsiegens
gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung nicht mehr zur Entscheidung angefallen.
73
II.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 91 ZPO.
75
Der Streitwert ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO, § 42 Abs. 3 GKG im Urteil
festzusetzen. Er entspricht im Übrigen dem gem. § 63 Abs. 2 GKG für die
Gerichtsgebühren festzusetzenden Streitwert.
76
Rechtsmittelbelehrung
77
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
78
B e r u f u n g
79
eingelegt werden.
80
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
81
Die Berufung muss
82
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
83
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
84
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
85
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
86
1.Rechtsanwälte,
87
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
88
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
89
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
90
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
91
Hagen
92