Urteil des ArbG Duisburg vom 28.08.2008

ArbG Duisburg: gerichtliche zuständigkeit, juristische person, internationale zuständigkeit, anwendbares recht, arbeitsort, eugh, hauptniederlassung, arbeitsgericht, geschäftsführer, begriff

Arbeitsgericht Duisburg, 2 Ca 2684/07
Datum:
28.08.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Duisburg
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 2684/07
Schlagworte:
Internationale Zuständigkeit Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001
des Rates vom 22.Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (EuGVVO).
Normen:
Flaggenprinzip
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte nach Art.
19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.Dezember 2000
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(EuGVVO). 2. Das Flaggenprinzip kann grundsätzlich zur Bestimmung
des gewöhnlichen Arbeitsorts nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO
herangezogen werden. Dies gilt nicht, wenn sich ein Binnenschiff
ausschließlich im Hoheitsgebiet wechselnder EU-Mitgliedsstaaten
befindet.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
3. Streitwert: 5.300,88 EURO
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier dem Kläger von der Beklagten
erklärter Kündigungen.
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Der Kläger ist seit dem 14.04.2003 als Binnenschiffer bei der Beklagten, die ihren
Geschäftssitz in Wasserbillig in Luxemburg hat, beschäftigt. Er fuhr ausschließlich auf
Schiffen der in Duisburg ansässigen Konzernmutter der Beklagten, die durch die
Beklagte nach luxemburgischen Recht ausgerüstet werden und sämtlich unter der
Flagge der Bundesrepublik Deutschland laufen, auf der Strecke Rotterdam-Duisburg,
die zu zwei Dritteln auf niederländischem Staatsgebiet verläuft.
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Der Kläger besitzt das Rhein-Kapitänspatent und verdiente zuletzt 1.766,96 € brutto.
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Den Arbeitsvertrag haben die Parteien in Wasserbillig geschlossen. Dieser enthält unter
anderem die folgende Regelung:
"9. Für alle Punkte, welche nicht im Vertrag vereinbart wurden, gelten automatisch die
gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere das abgeänderte Gesetz vom 24. Mai 1989
über den Arbeitsvertrag, sowie die Bestimmungen aus dem zuständigen
Kollektivvertrag."
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Wegen des weiteren Inhaltes des Arbeitsvertrages wird auf die zur Akte gereichte Kopie,
Bl. 69 f. d.A., Bezug genommen.
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Unter dem 10.12.2007 kündigte die Beklagte den Arbeitsvertrag zum 31.12.2007, sowie
vorsorglich zum 15.02.2008.
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Eine eingetragene Niederlassung unterhält die Beklagte in Duisburg nicht. In einem
Stellenangebot bat die Beklagte jüngst um Einreichung von Bewerbungen unter einer
Adresse in Duisburg.
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Der Kläger behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten sei überwiegend in Duisburg
tätig und lediglich an zwei Tagen pro Woche in Wasserbillig; der operative Betrieb der
Beklagten befinde sich in Duisburg. Weiterhin habe der Kläger selbst seine Arbeit
regelmäßig in Duisburg begonnen und beendet.
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Er ist der Meinung, sein gewöhnlicher Arbeitsort habe sich in Deutschland befunden, da
er ausschließlich auf unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen eingesetzt war.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
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Arbeitsverhältnis durch die unter dem 10.12.2007 verfassten
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Kündigungen weder zum 31.12.2007 noch zum 15.02.2008
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sein Ende finden wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, der Kläger habe das Schubboot jeweils an der Stelle betreten oder
verlassen, an welcher sich dieses bei Schichtanfang oder -ende befand, da die Fahrzeit
Rotterdam-Duisburg nicht mit den Schichtzeiten deckungsgleich ist.
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Die Beklagte ist der Meinung, es sei weder die Zuständigkeit der deutschen
Gerichtsbarkeit gegeben, noch sei deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis
anwendbar. Die Angabe einer Duisburger Adresse für die Einreichung von
Bewerbungen sei ein Redaktionsfehler, da Briefpapier der Konzernmutter nicht
vollständig angepasst worden sei.
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Wegen des weiteren Vorbringens, sowie wegen der Einzelheiten, wird auf die
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wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
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A. Die Beklagte ist in Deutschland nicht gerichtspflichtig.
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I. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich nicht aus Art. 19 Nr. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (EuGVVO). Danach können Arbeitgeber an ihrem Wohnsitz verklagt
werden. Der Wohnsitz einer Gesellschaft befindet sich dabei an dem Ort, an dem sich
der satzungsmäßige Sitz, der Ort der Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung
befindet, Art. 60 Abs. 1 EuGVVO.
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1. Der Begriff der Hauptverwaltung nach Art. 60 Abs. 1 lit. b EuGVVO entspricht dem
Begriff der Hauptverwaltung nach Art. 48 Abs. 1 EG. Danach ist die Hauptverwaltung
der Ort, an dem die Willensbildung und die eigentliche unternehmerische Leitung der
juristischen Person erfolgt, also meist der Sitz der Organe. Maßgeblich ist der Ort, an
dem die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden, ohne
dass es der Kundgabe eines entsprechenden Willens durch die juristische Person
bedarf. Es ist weder notwendig, dass die juristische Person an diesem Ort die
Eintragung einer Haupt- oder Zweigniederlassung beantragt, noch dass in diesem
Mitgliedstaat unter bloßer Beibehaltung des satzungsmäßigen Sitzes im
Gründungsstaat die gesamte Geschäftstätigkeit ausgeübt wird (vgl. BAG vom
23.01.2008, 5 AZR 60/07 m.w.N.)
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2. Danach ist ein Wohnsitz der Beklagten in Duisburg nicht erkennbar. Die Beklagte hat
ihren satzungsmäßigen Sitz in Wasserbillig in Luxemburg. Eine eingetragene
Niederlassung in Duisburg ist nicht vorhanden. Der Kläger hat im Verfahren
vorgetragen, das "operative Geschäft" der Beklagten werde in Duisburg abgewickelt.
Dies ist aus Sicht der Kammer nicht ausreichend, um eine Hauptniederlassung in
Duisburg anzunehmen. Es fehlen insbesondere Angaben dazu, welche Tätigkeiten in
welchem Rahmen von Duisburg aus erfüllt werden. Allein aus dem - bestrittenen -
Umstand, der Geschäftsführer der Beklagten sei lediglich 2 Tage in der Woche in
Luxemburg tätig und die übrige Zeit in Duisburg, kann nicht gefolgert werden, dass sich
in Duisburg die Hauptniederlassung befindet. Im Übrigen hat der Geschäftsführer
erläutert, dass in Duisburg hauptsächlich die Gespräche mit der Konzernmutter
stattfinden.
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Wo indes die maßgeblichen Entscheidungen getroffen werden, wo sich etwa die
Disposition oder Personalabteilung der Beklagten befinden, ist vom darlegungs- und
beweisbelasteten Kläger nicht vorgetragen worden. Dabei stellt aus Sicht der Kammer
ein Indiz für eine Verortung der Hauptniederlassung in Wasserbillig dar, dass der Kläger
auch dort den Arbeitsvertrag mit der Beklagten abgeschlossen hat.
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II. Die Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte ergibt sich auch nicht aus Art. 19 Nr. 2
Buchst. a EuGVVO. Danach kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, auch an dem Ort in einem anderen
Mitgliedsstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit
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verrichtet hat.
1. Der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes ist autonom aus der EuGVVO heraus ohne
Rücksicht auf Begriffsbildungen in den nationalen Rechtsordnungen auszulegen (EuGH
vom 27.02.2002, Rs. C-37/00 - Weber ./. Ogden, NJW 2002, 1635; EuGH vom
30.04.2003, Rs. C-437/00 - Pugliese ./. Finmeccanica, NZA 2003, 711; LAG Rostock,
Urteil vom 18.03.2008, 1 Sa 38/07 m.w.N.). Bei einer Erfüllung der Verpflichtung aus
dem Arbeitsvertrag in verschiedenen Staaten ist der gewöhnliche Arbeitsort der Ort, an
dem oder von dem aus der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles den wesentlichen Teil seiner Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber
tatsächlich erfüllt (EuGH vom 27.02.2002, a.a.O.)
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Der gewöhnliche Arbeitsort wird durch Beobachtung der tatsächlichen Umstände der
Arbeitsleistung ermittelt und ohne Rücksicht auf vertragliche Vereinbarungen hierüber.
Damit ist es ein faktisch geprägtes Tatbestandsmerkmal, das sich einer Manipulation
durch eine oder beide Parteien effektiv entzieht. Für die nähere Konkretisierung des
Merkmals muss auch der Sinn und Zweck dieser Regelung berücksichtigt werden. Der
Arbeitnehmer soll an dem Ort klagen können, mit dem er verbunden ist und an dem er
mit dem relativ geringsten Kostenaufwand seine Rechte wahrnehmen kann (EuGH vom
30.04. 2003, a. a. O.; LAG Rostock a.a.O. m.w.N.; Müller, Cornelia "Die internationale
Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte und das auf das Arbeitsverhältnis anwendbare
Recht", Hamburg 2004, S. 64 m.w.N.).
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2. Ein gewöhnlicher Arbeitsort in der Bundesrepublik Deutschland kann nicht
angenommen werden.
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a. Grundsätzlich kann ein gewöhnlicher Arbeitsort auch bei Verrichtung der Tätigkeit in
mehreren Staaten vorliegen, wenn ein Schwerpunkt der Ausführung auszumachen ist
(Müller, Cornelia, a.a.O., S. 66). Der Kläger hat seine Arbeit unstreitig überwiegend auf
niederländischem Hoheitsgebiet ausgeübt.
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b. Hieran ändert auch nichts, dass die betreffenden Schiffe unter deutscher Flagge
fuhren. Grundsätzlich kann die auf einem Schiff geführte Flagge Anhaltspunkt für
Gerichtspflichtigkeit und anwendbares Recht sein (Müller, Cornelia, a.a.O., S. 138 f.
m.w.N.). Es kommt jedoch insofern auf die zu Grunde liegende Frage der nationalen
Zuordnung des Schiffes als regelmäßigem Tätigkeitsort an (ebenda, S. 139 f.). Die
Flagge ordnet das Schiff vlkerrechtlich dem Flaggenstaat zu (ebenda). Durch das
Führen der Bundesflagge werden Schiffe oder Luftfahrzeuge indes nicht zum deutschen
Staatsgebiet. Es erscheint der Kammer dabei als durchaus nachvollziehbar, bei in
internationalen Gewässern fahrenden Seeschiffen (zunächst) von der Flagge des
Schiffes für die Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes auszugehen (LAG Rostock,
a.a.O.; Müller, Cornelia, a.a.O.). Der Kläger ist jedoch auf Binnenschiffen tätig gewesen,
die sich ausnahmslos im Hoheitsgebiet von Mitgliedsstaaten der EU bewegten, nämlich
unstreitig auf dem Gebiet der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland, wobei
der größte Teil der Strecke auf niederländischem Gebiet lag. Insofern besteht gerade ein
deutlicher Bezug zum dem tatsächlichen Tätigkeitsort, nämlich in den Niederlanden, der
den Bezug zum Flaggenstaat bei einem nicht in internationalen Gewässern fahrenden
aus Sicht der Kammer überlagert.
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c. Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger regelmäßig in Duisburg die Arbeit aufnahm
und beendete. Im Einzelfall mag ein Abstellen auf den Arbeitsbeginn unter Auslegung
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von Art. 19 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO angezeigt sein, wenn die Bestimmung des
Haupttätigkeitsortes (etwa nach dem Flaggenprinzip) dem Schutzgedanken von Art. 19
EuGVVO nicht entspräche (so LAG Rostock, a.a.O.). Zum einen entsteht eine solche
Situation hier nicht, da der Kläger dort klagen kann, wo er rein tatsächlich die meiste Zeit
arbeitet. Zum anderen kann von einer solchen Möglichkeit des Abstellens auf den
gewöhnlichen Arbeitsbeginn nur restriktiv Gebrauch gemacht werden (vgl. Reinhard, in
Anm. zu LAG Rostock, 1 Sa 38/07, jurisPR-ArbG 29/2008 Anm. 1). Schließlich ist der
Arbeitnehmer - neben einer sachgerechten Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes
- auch dadurch geschützt, dass er nach Art. 19 Nr. 2 Buchst. b EuGVVO am Ort der
einstellenden Niederlassung klagen kann.
III. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich letztlich nicht aus Art. 19 Nr. 2
Buchst. b EuGVVO. Die einstellende Niederlassung für den Kläger ist die
Niederlassung in Wasserbillig, wo der Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Gründe für
eine abweichende Verortung der einstellenden Niederlassung, wie ein abweichender
Sitz von Disposition und/oder Personalabteilung, sind nicht vorgetragen worden.
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IV. Soweit man entgegen der Kammer nicht von einem konstanten Arbeitsort in den
Niederlanden ausgehen würde, da die Tätigkeit zumindest zu einem untergeordneten
Teil auch in Deutschland ausgeübt wurde, wäre die Zuständigkeit nach Art. 19 Nr. 2
Buchst. b EuGVVO zu bestimmen, nach dem sich wie oben ausgeführt aber gerade kein
Gerichtsstand in Deutschland ergibt.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der
Streitwert war nach §§ 61 S. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen.
Die Berufung ist kraft Gesetzes nach § 64 Abs. 2 Buchst b, c ArbGG zulässig.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
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B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
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Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Pletsch
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