Urteil des ArbG Düsseldorf vom 01.08.2007

ArbG Düsseldorf: einstweilige verfügung, tarifvertrag, urabstimmung, mittel des arbeitskampfes, prinzip der tarifeinheit, juristische person, erlass, örtliche zuständigkeit, friedenspflicht

Arbeitsgericht Düsseldorf, 11 Ga 74/07
Datum:
01.08.2007
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Ga 74/07
Schlagworte:
Arbeitskampf, Spartentarifvertrag, Tarifeinheit, Paritätsprinzip,
einstweilige Verfügung
Normen:
§§ 935, 940 ZPO; §§ 823, 1004 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur
Untersagung eines Arbeitskampfes muss für den Verfügungsanspruch
im Sinne der §§ 935, 940 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht sein,
dass die zu untersagende Arbeitskampfmaßnahme rechtswidrig ist. Es
ist nicht erforderlich, dass die Unzulässigkeit der
Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ist.
a) Ein Streik, der darauf gerichtet ist, einen Spartentarifvertrag
durchzusetzen, der zwar wirksam wäre, aber nach dem Grundsatz der
Tarifeinheit nicht zur Anwendung käme, ist unverhältnismäßig und daher
rechtswidrig. Da in einem Eilverfahren keine Entscheidung des BAG
erreicht werden kann, sollte im Interesse des Vertrauensschutzes im
einstweiligen Verfügungsverfahren von der ständigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Tarifeinheit nicht abgewichen
werden.
b) Bei der Frage, welchem Tarifvertrag nach dem Grundsatz der
Tarifeinheit der Vorrang einzuräumen ist, kommt es auf die Erfordernisse
und Eigenarten des Betriebes und nicht auf das Mehrheitsprinzip an, das
ohne ein Fragerecht des Arbeitgebers nach der
Gewerkschaftszugehörigkeit gar nicht praktikabel wäre.
c) Ein Arbeitskampf verstößt gegen das Paritätsprinzip, wenn nur der
Arbeitnehmerseite Arbeitskampfmittel zur Verfügung stehen und
demgegenüber der Arbeitgeber auf ein Dulden und Durchstehen
beschränkt ist, weil er wegen mit anderen Gewerkschaften
abgeschlossenen Tarifverträgen der Friedenspflicht unterliegt.
2. Ein Verfügungsgrund liegt bereits vor, wenn ohne Erlass der
einstweiligen Verfügung der Verlust des Unterlassungsanspruchs droht
und ein Hauptsacheverfahren nicht mehr rechtzeitig durchgeführt
werden kann. Nicht erforderlich ist die Beendigung der Urabstimmung
und/oder ein konkreter Streikaufruf.
Tenor:
1. Der Verfügungsbeklagten wird es untersagt, ihre Mitglieder und
sonstige Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin zu Streiks aufzurufen
und/oder Streiks in den Betrieben der Verfügungsklägerin
durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages
mit den in Anlage Ast 33 genannten Inhalten durchzusetzen.
2. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung
gegen die unter vorstehender Ziffer 1. genannten Unterlassungspflichten
ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 EUR (i.W.
zweihundertfünfzigtausend Euro, Cent wie nebenstehend), ersatzweise
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihrem
Bundesvorsitzenden, angedroht.
3. Die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung wird auch zur
Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen gestattet.
4. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
5. Der Streitwert beträgt 1.000.000,00 Euro.
T a t b e s t a n d :
1
Mit ihrem Eilantrag verfolgt die Verfügungsklägerin, f., das Ziel, der Antragsgegnerin, f.,
den Aufruf und die Durchführung von Streiks zu untersagen.
2
In der Vergangenheit wurden für die Unternehmen e. jeweils inhaltsgleiche Tarifverträge
zwischen dem B. einerseits und den H. anderseits abgeschlossen. Die
Verfügungsklägerin ist Mitglied des B..
3
Nach einer - nicht bestrittenen - Schätzung der Verfügungsklägerin sind bei der
Verfügungsbeklagten 59 % e. und 10 % e., insgesamt 41 % des G. organisiert. Bei den
beiden übrigen C. sind nach dieser Schätzung 31 % der M. und 70 % e., insgesamt 45
% des G. organisiert. Der B. geht davon aus, dass einige Arbeitnehmer Mitglieder
mehrerer Gewerkschaften sind.
4
Bereits in der Tarifrunde 2003 strebte die Verfügungsbeklagte den Abschluss eines
eigenständigen Spartentarifvertrages für das G. an.
5
Der Aufruf zu Streiks und sonstigen Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung des
Spartentarifvertrages wurde der Verfügungsbeklagten zweitinstanzlich durch das Urteil
des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 02.05.2003 (AZ.: 9 Sa Ga 636/03)
untersagt. Im weiteren Verlauf kam es zu einheitlichen Abschlüssen mit den drei C.,
sowohl in der Tarifrunde 2003 als auch im Rahmen der Entgeltrunde 2005, in der mit
dem 51. ÄnderungsTV wiederum inhaltlich gleiche tarifliche Regelungen für alle
Arbeitnehmer der Unternehmen e. abgeschlossen wurden.
6
Ende Mai 2006 beschloss die Generalversammlung der Verfügungsbeklagten, erneut
einen eigenständigen Tarifvertrag für das gesamte G. für die Unternehmen e. zu fordern.
7
Am 19.03.2007 übergab die Verfügungsbeklagte dem B. den Entwurf eines
Spartentarifvertrages für das G. (FPTV) und forderte ihn zugleich auf, in
Tarifverhandlungen über diesen Entwurf einzutreten. Mit Schreiben vom selben Tag
kündigte sie eine Reihe von Tarifverträgen. Nicht gekündigt wurden der
Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeSiTV), der Tarifvertrag über eine
Erfolgsbeteiligung für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen e. (MaBetTV) und
der Tarifvertrag zur Sicherung und Anpassung von Entgeltdifferenzen (KonzernZÜTV).
8
Am 03.07.2007 führte die Verfügungsbeklagte erstmals flächendeckende Streiks j. zur
Durchsetzung des FPTV durch. Ein für den 10.07.2007 geplanter Warnstreik wurde mit
einstweiliger Verfügung des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.07.2007 (11 Ga 64/07)
auf Antrag der Verfügungsklägerin untersagt. Weitere Untersagungsverfügungen
zugunsten anderer Gesellschaften e. ergingen am 10.07.2007 durch das Arbeitsgericht
Mainz.
9
Der von der Verfügungsbeklagten ausformulierte Entwurf des FPTV, der für das G. in
Betrieben e. gelten sollte, enthielt abschließende Regelung u.a. über die
Rahmenbedingungen, die Gewährung von Job-Tickets sowie ein systematisiertes
Tarifgruppenverzeichnis mit Richtbeispielen nebst einem nach Tarifgruppen geordneten
Entgeltverzeichnis und (teilweise noch offenen) Regelungen zur betrieblichen
Altersversorgung.
10
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.07.2007 ist rechtskräftig. Das
Arbeitsgericht Mainz hat die einstweilige Verfügung vom 10.07.2007 wegen maßgeblich
geänderter Sach- und Rechtslage im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
aufgehoben, nachdem der Hauptvorstand der Verfügungsbeklagten am 11.07.2007
beschlossen hatte, das bisherige Forderungspaket des FPTV nicht aufrecht zu erhalten,
sondern sämtliche friedenspflichtrelevanten Themen und Bereiche aus dem
Forderungspaket dieser Tarifrunde herauszunehmen und eventuelle Friedenspflichten
einzuhalten. Tarifziel war noch allein der Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages
mit Regelungen bezüglich des Entgelts und der Arbeitszeit.
11
Parallel zu diesen Verfahren verhandelte der B. für die Betriebe e. mit der
Tarifgemeinschaft, bestehend aus den beiden anderen D.. Die Verfügungsbeklagte war
nicht bereit, an diesen Tarifverhandlungen zur Entgeltrunde 2007 teilzunehmen.
12
Am 09.07.2007 erzielten der B. und die Tarifgemeinschaft (TG) U. einen Tarifabschluss.
Dieser neue Tarifvertrag wurde mit Wirkung für alle Arbeitnehmer einschließlich des G.
e., mithin auch der Verfügungsklägerin, geschlossen. Er beginnt am 01.07.2007 und
endet am 31.01.2009. Er setzt den bisherigen Konzernentgelttarifvertrag mit
verschiedenen Änderungen (Erhöhung des Monatstabellenentgelts um 4,5 % und der
Ergebnisbeteiligung 2007 um 600,00 EUR) wieder in Kraft. Der zwischen dem B. und
der TG U. geschlossene Arbeitszeittarifvertrag für die Arbeitnehmer von
Schienenverkehrs- und Schieneninfrastrukturunternehmen des B. (AZTV-S), der
inhaltlich dem von der Verfügungsbeklagten gekündigten AZTV-S entspricht, ist nach
wie vor ungekündigt.
13
Am 16.07.2007 beschlossen Hauptvorstand und Tarifkommission der
Verfügungsbeklagten, dass es bei der Forderung nach einem eigenständigen
Tarifvertrag für das G. bleibe. Am 18.07.2007 übergab die Verfügungsbeklagte im
Rahmen der Verhandlungsrunde ein Papier, in dem die nunmehr von ihr verfolgten
Tarifziele wie folgt festgelegt wurden:
14
1. Erhöhung der Monatstabellenentgelte für das G. um mindestens 31 Prozent.
15
2. Ersatzlose Streichung des Arbeitszeit-Erhöhungsfaktors von 1,025 für das G..
16
3. Tarifierung eines verbindlichen Jahresruhetagsplanes für e.
17
4. Veränderung der Arbeitszeitbestimmungen.
18
- Maximale Schichtlänge von 12 Stunden,
19
- Mindestanrechnung von 6 Stunden Arbeitszeit pro Schicht,
20
- Verlängerung der Ruhenszeiträume,
21
- Erhöhung der Anzahl der Ruhetage,
22
- Erhöhung der Wochenendruhen sowie
23
- Festschreibung der vollständigen Schichtsymmetrie,
24
5. Verkürzung der ununterbrochenen Fahrzeit auf der Lokomotive um eine Stunde.
25
Die hierüber geführten Verhandlungen sind am 19.07.2007 gescheitert. Daraufhin
kündigte die Verfügungsbeklagte an, die Urabstimmung über einen unbefristeten Streit
einzuleiten. Am 25.07.2007 wurde mit der Urabstimmung begonnen. Ausweislich einer
Pressemitteilung der Verfügungsbeklagten (Blatt 123 d. A.), werden die bei der
Verfügungsbeklagten organisierten Arbeitnehmer in Unterlagen zur Urabstimmung
gefragt, ob sie einem Streik zur Durchsetzung der GDL-Tarifforderungen zustimmen. In
ihrem Anschreiben vom 24.07.2007 (Blatt 124 d. A.), auf welches sich die
Verfügungsklägerin in ihren Anträgen als Anlage Ast 33 bezieht, führt die
Verfügungsbeklagte noch einmal die fünf Tarifforderungen für einen FPTV auf, die
bereits in dem Papier vom 18.07.2007 enthalten sind und bittet ihre Mitglieder auf dem
beigefügten Abstimmungszettel (Blatt 127 d. A.) anzukreuzen, ob einem Streik zur
Durchsetzung der aufgeführten Tarifforderungen zugestimmt wird oder nicht.
26
Die Individualverträge zwischen der Verfügungsklägerin und ihren Arbeitnehmern
enthalten Verweisungsklauseln, die die in dem Betrieb geltenden Tarifverträge für
anwendbar erklären. Darüber hinaus werden für alle Arbeitnehmer die DB-Tarifverträge
seit Jahren auf alle Arbeitsverhältnisse grundsätzlich einheitlich angewendet.
27
Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass die geplanten Streiks aus folgenden sechs
Gründen rechtswidrig seien:
28
- Jeder Streik zur Durchsetzung eines eigenständigen Spartentarifvertrages, der
ausschließlich für das G. gelte, sei unverhältnismäßig und rechtswidrig, weil er gar nicht
29
erst zur Anwendung gelangen könne, sondern nach dem Grundsatz der Tarifeinheit
verdrängt würde.
- Unabhängig davon verstoße nach dem erfolgten Abschluss des für alle Arbeitnehmer
geltenden Tarifvertrages mit der TG U. jeder auf die Durchsetzung des
Spartentarifvertrages gerichtete Streik gegen das Prinzip der Arbeitskampfparität .
30
Denn die Verfügungsklägerin kenne die Gewerkschaftszugehörigkeit der einzelnen
Arbeitnehmer nicht, so dass sie Arbeitskampfmaßnahmen der Verfügungsbeklagten
ausgesetzt sei, ohne jedoch aufgrund der Friedenspflicht aus den mit der TG
abgeschlossenen Tarifverträgen mit eigenen Kampfmaßnahmen rechtmäßig darauf
reagieren zu können.
31
- Auch nach der Einschränkung der Tarifforderungen auf die Inhalte der Anlage ASt 33
verletze ein Streik zur Durchsetzung von Arbeitszeit- und Entgeltregelungen die
Friedenspflicht der Verfügungsbeklagten aus ungekündigten
32
tarifrechtlichen Regelungen (insbesondere dem BeSiTV, dem MaBetTV sowie § 2 Abs.
3 Satz 3 des KonzernETV und des KonzernZÜTV). Es seien
33
nicht nur solche Kampfmaßnahmen verboten, die auf eine direkte Änderung der
Bestimmungen eines noch laufenden Tarifvertrages gerichtet sind, son- dern auch
solche, die mit einer tariflich geregelten Materie in einem inneren
34
sachlichen Zusammenhang stehen und ihre Erfüllung das wirtschaftliche Gewicht der in
einem weiteren Tarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen verändern würde.
35
- Die Verfügungsbeklagte verletze durch ihre angestrebten Tarifforderungen, die sie im
Wege des Arbeitskampfes durch einen Streik durchsetzen will, ihre obligatorische
Verpflichtung zur Verhandlungen über ein einheitliches Tarif- werk, da in einer
Abschlussvereinbarung vom 28.02.2005 festgelegt sei, die (bereits am 14.12.2004
festgelegte) Reduzierung der Arbeitskosten um 5,5 % auch künftigen Tarifabschlüssen
zugrunde zu legen.
36
- Streiks bei der Verfügungsklägerin seien auch deshalb rechtswidrig, weil sie den
Abschluss eines Tarifvertrages bezwecken, der entsprechend der Kampfforderungen
der Verfügungsbeklagten auch für Gesellschaften ohne G. und für Gesellschaften, die
gar keine Mitgliedsunternehmen im Agv MoVe sind, gelten solle.
37
- Schließlich seien auch die neuen Tarifforderungen aus der Anlage Ast 33 nach der
Abstandnahme vom gesamten Vertragswerk FPTV zu wenig konkret, um als
Arbeitskampfforderungen einen Streik rechtfertigen zu können.
38
Da die Verfügungsbeklagte die Urabstimmung eingeleitet habe, sei auch ein
Verfügungsgrund entstanden. Gegen einen drohenden rechtswidrigen bundesweiten
unbefristeten Streik könne sich die Verfügungsklägerin mit einem
Unterlassungsanspruch im Hauptsacheverfahren nicht rechtzeitig durchsetzen.
39
Die Verfügungsklägerin beantragt zuletzt,
40
1.
41
a) Der Verfügungsbeklagten zu untersagen, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer
der Verfügungsklägerin zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der
Antragstellerin durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages
mit den in der Anlage Ast 33 genannten Inhalten durchzusetzen;
42
b) hilfsweise zu 1.a),
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der Verfügungsbeklagten es für die Dauer der Laufzeit des BeSiTV, des MaBetTV, des
KonzernZÜTV zu untersagen, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der
Verfügungsklägerin zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der
Antragstellerin durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages
mit den in Anlage ASt 33 genannten Inhalten durchzusetzen;
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2. der Verfügungsklägerin für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter
vorstehender Ziffer 1. genannten Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe
von 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an
ihrem Bundesvorsitzenden, anzudrohen;
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3. die Zustellung der richterlichen Entscheidung auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und
Feiertagen zu gestatten.
46
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
48
Sie behauptet, dass Streikmaßnahmen gegenüber der Verfügungsklägerin als
Arbeitskampfmittel bei positivem Ausgang der Urabstimmung noch gar nicht
feststünden. Dies gelte auch für Dauer und Ort eines möglichen Streiks.
49
Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass die Mitglieder der Verfügungsbeklagten
und unorganisierte Arbeitnehmer des G. der Verfügungsklägerin nach Art. 9 Abs. 3 GG
berechtigt seien, einem Aufruf der Verfügungsbeklagten zur Teilnahme an
Arbeitskampfmaßnahmen Folge zu leisten.
50
Die Verfügungsbeklagte verstoße mit ihrem Verhalten nicht gegen die tarifvertragliche
Friedenspflicht aus noch ungekündigten tariflichen Bestimmungen. Denn mit der
Reduzierung der Tarifforderungen von dem kompletten Vertragswerkes FPTV auf fünf
Positionen aus dem Papier vom 18.07.2007 werde klargestellt, dass keine Forderungen
mehr erhoben würden, die mit irgendwelchen tariflichen Friedenspflichten kollidieren
könnten. Es gehe der Verfügungsbeklagten nunmehr noch allein um Fragen des
Entgelts und der Arbeitszeit für das G. und diese Tarifverträge seien zum 30.06.2007
fristgerecht gekündigt worden. Eine Verzahnung bzw. ausstrahlende Wirkung
ungekündigter tarifvertraglicher Bestimmungen auf die tariflichen Forderungen fände
nicht statt.
51
Auch das Prinzip der Tarifeinheit führe nicht dazu, dass der von der
Verfügungsbeklagten geforderte Tarifvertrag für das G. von den mit der TG U.
geschlossenen Tarifverträgen verdrängt werde. Das Dogma der vom BAG
angenommenen Tarifeinheit sei im Lichte des Artikel 9 Abs. 3 GG nicht mehr haltbar. Im
Übrigen setze die Frage, welcher unter mehreren Tarifverträgen Anwendung fände,
52
zunächst den Abschluss mehrer Tarifverträge voraus. Ein Streikverbot verhindere
bereits den Abschluss eines Tarifvertrages für das G..
In diesem Zusammenhang verweist die Verfügungsbeklagte auf die Entscheidungen
des LAG Rheinland-Pfalz vom 14.06.2007 (11 Sa 208/07) und des LAG Hessen vom
02.05.2003 (9 Sa Ga 637/03).
53
Sie ist weiterhin unter Hinweis auf eine in ihrem Auftrag vorgenommene Stellungnahme
von Thüsing der Ansicht, dass selbst bei Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit
der von der Verfügungsbeklagten angestrebte Tarifvertrag für das G. zur Anwendung
käme. Wolle man innerhalb des G. die Anwendung konkurrierender Tarifverträge
vermeiden, komme es darauf an, ob innerhalb des G. die Mehrheit der organisierten
Arbeitnehmer bei der Verfügungsbeklagten oder der TG U. organisiert sei.
54
Zu einem möglichen Verstoß gegen das Prinzip der Arbeitskampfparität durch einen auf
Abschluss eines Spartentarifvertrages für das G. gerichteten Streik hat sich die
Verfügungsbeklagte auch auf Nachfrage durch die Kammer nicht erklärt.
55
Ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben, da die Verfügungsbeklagte verbindlich erklärt
habe, vor Abschluss der Urabstimmung (frühestens am 06.08.2007) keine
Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen und nicht klar sei, wie die Urabstimmung
ausgehe. Selbst wenn die zuständigen Organe der Verfügungsbeklagten
Arbeitskampfmaßnahmen beschließen würden, sei noch offen, ob Arbeitnehmer der
Verfügungsklägerin einbezogen würden. Die Anträge der Verfügungsklägerin würden
ein unzulässiges Gutachten vom Gericht verlangen.
56
Auf die von der Verfügungsbeklagten erhobene Rüge der örtlichen Zuständigkeit hat der
Vorsitzende am 31.07.2007 vorab über die örtliche Zuständigkeit entschieden.
57
Wegen des weitern Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 01.08.2007 Bezug genommen.
58
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
59
I.
60
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.
61
1.
62
Das Arbeitsgericht Düsseldorf ist nach dem (unanfechtbaren) Beschluss vom
31.07.2007 örtlich zuständig.
63
2.
64
Der Untersagungsantrag zu 1.a) genügt dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO. Die Verfügungsklägerin hat den Antrag den in der Anlage ASt 33 genannten
Tarifforderungen der Verfügungsbeklagten angepasst und zulässigerweise diese
Anlage in Bezug genommen.
65
Durch die persönliche Begrenzung des Antrages auf die Mitglieder der
Verfügungsbeklagten und sonstige Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin und die
inhaltliche Begrenzung auf den Aufruf zu Streiks und/oder die Durchführung von Streiks
in den Betrieben der Verfügungsklägerin ist der Antrag für sich gesehen bereits
bestimmt genug, um die Reichweite der begehrten Unterlassung zu präzisieren.
66
II.
67
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.
68
Die Verfügungsklägerin hat den nach §§ 935, 940 ZPO erforderlichen
Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund.
69
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf
bestimmen sich gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG nach den allgemeinen Regeln der
Zivilprozessordnung (§§ 935, 940 ZPO). Hinsichtlich des Verfügungsanspruchs muss
substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht sein, dass die zu untersagende
Arbeitskampfmaßnahme rechtswidrig ist (ErfK/Kissel, Art. 9 GG, Rz 235). Es ist nicht
erforderlich, dass die Unzulässigkeit der Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ist (LAG
Hamm 31.05.2000, 18 a Sa 858/00, NZA-RR 2000, 535 ff.). Weiter muss ein
Verfügungsgrund vorliegen. Dabei ist die Dringlichkeit zu prüfen, ob die einstweilige
Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist.
70
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt sowohl ein Verfügungsanspruch als
auch ein Verfügungsgrund für die begehrte einstweilige Verfügung vor.
71
1.
72
Die Verfügungsklägerin hat einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf
Unterlassung beabsichtigter Streikmaßnahmen zur Durchsetzung eines Tarifvertrages
mit den in der Anlage Ast 33 genannten Inhalten. Der Anspruch ergibt sich aus den §§
823 Abs. 1, 1004 BGB. Der beabsichtigte Streik wäre ein rechtswidriger Eingriff in das
durch Art. 14 GG geschützte Recht der Verfügungsklägerin auf den eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb (vgl. BAG AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG AP
Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Die Verfassungsgarantie aus Art. 9 Abs. 3 GG steht
dem nicht entgegen, da sie nur für rechtsmäßige Arbeitskämpfe gilt (Brox/Rüthers,
Arbeitskampfrecht, 2. Auflage, RZ 766; LAG Rheinland-Pfalz 22.06.2004, 11 Sa
2096/03). Denn das Grundgesetz gewährleistet sowohl den Kernbereich der
Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG als auch der Unternehmensautonomie als Teil der
Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG. Weder die Unternehmensautonomie noch die
Tarifautonomie dürfen so ausgeübt werden, dass das jeweils andere Grundrecht
leerläuft. Deshalb sind die Grundrechtsgewährungen so auszudeuten, dass beide
bestmöglich wirksam werden.
73
Ein Streik der Verfügungsbeklagten ist rechtswidrig, weil er darauf gerichtet ist, einen
Tarifvertrag durchzusetzen, der nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nicht zur
Anwendung kommen würde, so dass der Arbeitskampf gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstößt und weil das Prinzip der Arbeitskampfparität durch einen
Streik gestört wäre.
74
a) Ein Streik zur Durchsetzung eines eigenständigen (Sparten)- Tarifvertrages
75
mit den in der Anlage Ast 33 genannten Inhalten ist unverhältnismäßig.
76
Nach ständiger Rechtssprechung müssen Arbeitskämpfe unter dem Gebot der
Verhältnismäßigkeit stehen. Streiks dürfen nur insoweit eingeleitet und durchgeführt
werden, als sie zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden
Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich sind. Arbeitskämpfe, die sich als
unnötig oder ungeeignet erweisen oder außer Verhältnis zum erstrebten Ziel stehen,
sind unzulässig (BAG 19.11.1985, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; 10.06.1980, AP
Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; 12.03.1985, AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
77
Da die von der Verfügungsbeklagten angestrebten Regelungen nach dem Grundsatz
der Tarifeinheit nicht zur Geltung kämen, verstößt die kampfmäßige Erzwingung eines
solchen Tarifvertrages gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ( vgl. LAG
Rheinland-Pfalz 22.06.2004, 11 Sa 2096/03; Buchner, BB 2003, 2121 ff.; Rolfs/Clemens
NZA 2004, 410 ff.).
78
aa) Bei Abschluss eines Spartentarifvertrages zwischen der Verfügungsbeklagten und
dem B. mit Anwendungsbereich für die Verfügungsklägerin käme es zu einer
Tarifpluralität.
79
Denn die zwischen dem B. und der TG U. abgeschlossenen Tarifverträge erfassen nach
ihrem Geltungsbereich alle Arbeitnehmer der Verfügungsklägerin, also auch das bei
diesen beiden Gewerkschaften organisierte G.. Mit den beabsichtigten Streiks verfolgt
die Verfügungsbeklagte das Ziel, für das gesamte G. einen Tarifvertrag durchzusetzen.
Die Verfügungsklägerin ist jedoch als Mitglied des B. bereits an die zwischen diesem
und der TG U. geschlossenen Tarifverträge gebunden. Bei Abschluss eines
eigenständigen Tarifvertrages für das G. zwischen der Verfügungsbeklagten und dem B.
hätten beide Tarifverträge im persönlichen Anwendungsbereich des G. einen
überschneidenden Geltungsbereich.
80
Die Fälle der Tarifpluralität löst das Bundesarbeitsgericht nach den gleichen
Grundsätzen wie diejenigen der so genannten Tarifkonkurrenz, die vorliegt, wenn für ein
Arbeitsverhältnis die Individualnormen konkurrierender Tarifverträge unmittelbar und
zwingend gelten, sei es aufgrund von Tarifgebundenheit oder kraft
Allgemeinverbindlichkeitserklärung (vgl. BAG 05.09.1990, 4 AZR 459/90).
81
Nach dieser Rechtssprechung kommt nur der speziellere Tarifvertrag zur Anwendung.
82
Diese Rechtssprechung war schon immer erheblicher Kritik aus dem Schrifttum und
auch der Rechtssprechung ausgesetzt (vgl. LAG Hessen 02.05.2003, 9 Sa Ga 638/03;
ArbG Kiel 30.06.2006, 1 Ga 11 b/06; Thüsing/v. Medem ZIP 2007, 510). Das BAG hat
seine Ansicht (bisher) unter Hinweis auf die Gebote der Rechtssicherheit und der
Rechtsklarheit verteidigt und die Auffassung vertreten, die Koalitionsfreiheit sei nicht
berührt. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge, die von verschiedenen
Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden seien, in einem Betrieb nebeneinander
führe zu praktisch kaum lösbaren Schwierigkeiten. Die betriebseinheitliche Anwendung
des branchenspezifischen Tarifvertrages unter Anknüpfung an die Tarifbindung des
Arbeitgebers sei geeignet, derartige Schwierigkeiten zu vermeiden. Sollte man auch auf
die Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer abstellen, setze dies eine rechtlich
nicht begründbare und tatsächlich nicht durchsetzbare Pflicht zu deren Offenbarung
83
voraus. Hinzu kämen die Schwierigkeiten durch Wechsel in der
Gewerkschaftszugehörigkeit (BAG 05.09.1990, 4 AZR 459/90; 20.03.1991, 4 AZR
455/90; 26.01.1994, 10 AZR 611/92; 04.12.2002, 10 AZR 113/02).
Das BAG sieht damit in ständiger Rechtssprechung die Einschränkungen der einzelnen
Gewerkschaften und ihrer Mitglieder als gerechtfertigt an, um die Tarifautonomie als
Institution insgesamt zu sichern (vgl. Buchner, BB 2003, 2121 ff.).
84
Die Kammer folgt dieser Rechtssprechung gerade im Eilverfahren, um im Interesse des
Vertrauensschutzes nicht von der ständigen höchstrichterlichen Rechtssprechung
abzuweichen (vgl. ebenso LAG Rheinland-Pfalz 22.06.2004, 11 Sa 2096/03). Denn in
einem Eilverfahren kann eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht erreicht
werden. Das Landesarbeitsgericht entscheidet letztinstanzlich über die von der
Verfügungsklägerin beantragte einstweilige Verfügung.
85
Diese Bewertung ist entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten auch kein
Widerspruch zu der von ihr zitierten neueren Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz
vom 14.06.2007, 11 Sa 208/07. Denn das LAG Rheinland-Pfalz hat in der
Hautpsacheentscheidung, die der Überprüfung durch das BAG unterliegt, ausdrücklich
klargestellt, dass die bisherigen entgegenstehenden Entscheidungen unter Anwendung
des Grundsatzes der Tarifeinheit in einem einstweiligen Verfügungsverfahren nach
summarischer Prüfung erfolgten. Ob die Kammer im Hauptsacheverfahren auch den
Grundsätzen des BAG zur Tarifeinheit ebenso folgt, kann dahinstehen. Jedenfalls lässt
die summarische Prüfung im einstweiligen Verfügungsverfahren auch vor dem
Hintergrund, dass eine Entscheidung des BAG nicht erlangt werden kann, für eine
Abweichung der immer noch vertretenen höchstrichterlichen Rechtssprechung des BAG
keinen Raum.
86
bb) Aus dem Grundsatz der Tarifeinheit ergibt sich vorliegend im Sinne der
Rechtssprechung des BAG, dass ein von der Verfügungsbeklagten erkämpfter
Tarifvertrag für das G. ohnehin nicht zur Anwendung käme.
87
Denn ein Tarifvertrag, der nur das G. e., also weniger als 1/3 der gesamtbeschäftigten
Arbeitnehmer umfasst, ist im Sinne der Rechtssprechung des BAG nicht spezieller als
derjenige, der auch für das G. und alle übrigen Arbeitnehmer gilt (vgl. auch
Rolfs/Clemens NZA 2004, 410 ff.; Buchner, BB 2003, 2121 ff.). Der Grundsatz der
Tarifeinheit räumt damit dem Tarifvertrag den Vorrang ein, der dem Betrieb räumlich,
betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen
und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung
trägt (BAG 25.07.2001, 10 AZR 599/00; 20.03.1991, 4 AZR 455/90). Im Fall des
Nebeneinanders von den mit der TG U. geschlossenen Tarifverträgen, die auch für das
G. gelten, mit Tarifverträgen, die ausschließlich das G. erfassen, müssen letztere
danach zurücktreten.
88
Die von der Verfügungsbeklagten unter Hinweis auf die Stellungnahme von Thüsing
vertretene Auffassung, die Anwendung konkurrierender Tarifverträge dadurch
vermeiden zu können, dass das Mehrheitsprinzip Anwendung findet, ist nicht
praktikabel.
89
Würde man tatsächlich darauf abstellen, ob innerhalb des G. die Mehrheit der
organisierten Arbeitnehmer bei der Verfügungsbeklagten oder U. organisiert sind,
90
müsste man (wie die Verfügungsbeklagte im Kammertermin selbst eingeräumt hat)
entweder dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch über die
Gewerkschaftszugehörigkeit zuerkennen oder es auf eine Klageflut der einzelnen
Arbeitnehmer ankommen lassen, die sich auf einen bestimmten Tarifvertrag berufen.
Diese rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeit, die zudem mit einer Änderung der
höchstrichterlichen Rechtssprechung des BAG verbunden ist, kann nicht das Ergebnis
eines einstweiligen Verfügungsverfahrens sein.
cc) Ein Streik der Verfügungsbeklagten mit dem Ziel, einen Tarifvertrag für das G.
abzuschließen bzw. über dessen Abschluss zu verhandeln, der dann nicht zur
Anwendung kommt, verstößt gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot (LAG Rheinland-
Pfalz 22.06.2004, 11 Sa 2096/03; Buchner, BB 2003, 2121 ff.; Rolfs/Clemens NZA 2004,
410 ff.). Nach Auffassung der Kammer ist der Aufruf oder die Durchführung von Streiks
zur Durchsetzung dieses Tarifvertrages daher unverhältnismäßig im engeren Sinne. Ein
Streik stünde außer Verhältnis zum erstrebten Ziel, nämlich dem Abschluss eines
ohnehin nicht anwendbaren Tarifvertrages. Dabei geht die Kammer durchaus davon
aus, dass ein Tarifvertrag zwischen der Verfügungsbeklagten und dem B. für das G.
wirksam wäre. Denn ansonsten könnte nicht von einer Tarifpluralität gesprochen
werden. Aber er käme während des Bestehens der mit der TG U. abgeschlossenen und
im Sinne der oben dargestellten Rechtssprechung spezielleren Tarifverträge nicht zur
Anwendung, sondern würde verdrängt. Die Mitglieder der Verfügungsbeklagten könnten
aus dem durch Streik herbeigeführten Tarifvertrag keine Rechte herleiten.
91
Das LAG Rheinland-Pfalz hat in der Entscheidung vom 22.06.2004, 11 Sa 2096/03 im
Hinblick auf die abweichende Entscheidung des LAG Hessen vom 02.05.2003 - 9 Sa
Ga 637/03 dazu folgendes zutreffend ausgeführt:
92
Es ginge also um einen Arbeitskampf wegen eines Tarifvertrages, der den für ihn
allgemein vorgesehenen Zweck der normativen Regelung der von ihm erfassten
Arbeitsverhältnisse grundsätzlich nicht, sondern nur unter gewissen, von dem
Verfügungsbeklagten nicht beeinflussbaren Umständen erzielen würde. Es steht
deshalb das Mittel des Arbeitskampfes außer Verhältnis zum Kampfziel (Buchner aaO;
Rolfs/Clemens aaO; Rieble aaO S. 1228; Löwisch/Rieble, aaO S. 1228; Löwisch/Rieble,
aaO), was nichts mit verbotener Tarifzensur zu tun hat, da es nicht um die Beurteilung
des Inhalts der Forderung geht, sondern ausschließlich um die Frage ihrer normativen
Wirkung.
93
Entgegen der Auffassung des Verfügungsbeklagten folgt kein anderes Ergebnis aus
den vom Hessischen Landesarbeitsgericht (02.05.2003 NZA 2003, 679, 680)
herangezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 20.03.1991 (aaO)
und vom 26.10.1971 ( - 1 AZR 113/68 - AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 44). Beide
Entscheidungen betrafen gerade nicht den Fall eines Arbeitskampfes um einen
Tarifvertrag, der nach seiner Entstehung wegen eines vorrangig anzuwendenden
Tarifvertrages verdrängt wird. So betont das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung
aus dem Jahr 1971 auch gerade das Interesse an einer normativen Wirkung, die
vorliegend gerade nicht zum Tragen käme.
94
dd) Für den geltend gemachten vorbeugenden Unterlassungsanspruch besteht auch die
so genannte Erstbegehungsgefahr durch die Verfügungsbeklagte. Zwar ist richtig, dass
offen ist, welches Ergebnis die Urabstimmung der Verfügungsbeklagten hat und welche
Betriebe wann mit welchen konkreten Arbeitskampfmitteln betroffen wären. Dies ist aus
95
kampftaktischen Gründen auch durchaus verständlich.
Aus der Stellungnahme der Verfügungsbeklagten gegenüber der AP vom 23.07.2007
ergibt sich jedoch, dass ab dem 06. 08.2007 mit Streiks gerechnet werden muss. Auch
nach dem Bericht der Nachrichtenagentur S. vom 25.07.2007 ist die
Verfügungsbeklagte der festen Überzeugung, dass die erforderliche Mehrheit für einen
Streik erreicht werde. Der Bundesvorsitzende der Verfügungsbeklagten erklärte
gegenüber der Agentur S. (Blatt 128 d. A.):
96
Die Zeit ist überreif für einen Streik . Gegenüber der X. und C. für eine Ausgabe vom
21.07.2007 erklärte er, dass 90 % der Mitglieder für Streik votieren. In diesem Fall
könnte es im ganzen Land mehrere Tage zu einem Ausstand kommen (Blatt 129 d. A. ).
Schließlich äußerte er am 19.07.2007 gegenüber der Nachrichtenagentur S., dass das
Ergebnis des Votums für den 03. oder 06. August zu erwarten sei und danach der
unbefristete Streik beginnen könnte (Blatt 130 d. A. ). Die Abstimmungszettel zur
Urabstimmung der Verfügungsbeklagten (Blatt 127 d. A. ) stellen auch nur die Frage
nach einem Streik zur Durchsetzung der Tarifforderungen, nicht zu sonstigen
Arbeitskampfmaßnahmen.
97
Es besteht deshalb die ernstliche Gefahr, dass die Verfügungsbeklagte (gegebenenfalls
24 Stunden nach Ablauf des 06.08.2007) Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin
veranlasst.
98
b) Streiks zur Durchsetzung des von der Verfügungsbeklagten geforderten Sparten-
Tarifvertrages für das G. sind auch wegen des Verstoßes gegen das Paritätsprinzip
rechtswidrig.
99
Schon in der ersten Entscheidung des großen Senats des BAG von 1955 (BAG GS
28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hat das BAG den Arbeitskampf als
Ringen um gleichwertige Verhandlungschancen verstanden und daraus ein
maßstabbildendes Strukturprinzip des gesamten Arbeitskampfes abgeleitet: Das
Paritätsprinzip. Das BAG hat darin zum Ausdruck gebracht, dass es im Rahmen der
Tarifautonomie durch Verhandlungen und notfalls durch Ausübung von Druck und
Gegendruck zum Abschluss von Tarifverträgen und damit zu einer kollektiven Regelung
von Arbeitsbedingungen kommen soll. Wenn nur die Arbeitnehmerseite Kampfmittel zur
Verfügung hätte und der Arbeitgeber auf ein Dulden und Durchstehen des
Arbeitskampfes beschränkt wäre, besteht danach die Gefahr, dass die Regelung von
Arbeitsbedingungen nicht mehr auf einem System freier Vereinbarungen beruht.
100
Das Aussperrungsrecht des Arbeitgebers sah das BAG durch dieses Prinzip begründet.
Dieser Ansatz wurde dann in den drei Aussperrungsentscheidungen vom 10.06.1980
(BAG AP Nr. 64, 65 und 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ausdifferenziert. Danach geht es
nicht um eine formale Symmetrie der Kampfmittel, sondern um ihre tatsächliche Wirkung
bei Tarifverhandlungen in einer abstrakt/typisierenden Form bezogen auf die
Verhandlungsstärke im aktuellen Tarifkonflikt (ErfK Art. 9 GG, Rz 128). Das Prinzip der
Kampfparität wird seitdem als eine Voraussetzung der Funktionsfähigkeit des gesamten
Tarifsystems betrachtet, denn nur bei paritätischer Kampfstärke der Tarifvertragsparteien
ist deren Verhandlungsgleichgewicht bei Abschluss eines Tarifvertrages gewährleistet
(vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rz 1-6).
101
Im vorliegenden Fall könnte die Verfügungsklägerin auf die beabsichtigten Streiks der
102
Verfügungsbeklagten nicht durch eigene Kampfmaßnahmen reagieren. Die
Verfügungsklägerin weist zutreffend darauf hin, dass sie Streikmaßnahmen dulden und
durchstehen müsste, was es nach der Rechtsprechung des großen Senats des BAG zu
verhindern gilt. Denn aufgrund des Tarifabschlusses mit der TG U. stehen der
Verfügungsklägerin die im Arbeitskampf üblichen arbeitgeberseitigen Kampfmittel zur
Erwiderung auf einen Streik nicht wirksam zur Seite. Dies gilt insbesondere für das
Lohnverweigerungsrecht gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die in den
Gewerkschaften U. und H. organisiert sind und für das Kampfmittel der Aussperrung
gegenüber diesen Arbeitnehmern. Denn die Verfügungsklägerin kann nur gegenüber
denjenigen Arbeitnehmern diese Arbeitskampfmittel einsetzen, für die der von der
Verfügungsbeklagten geforderte Tarifvertrag gelten soll. Arbeitnehmer, für die bereits ein
anderer Tarifvertrag gilt, können aufgrund der aus diesem Tarifvertrag bestehenden
Friedenspflicht nicht ausgesperrt werden. Gleiches gilt für das Lohnverweigerungsrecht
gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die aufgrund des Streiks nicht eingesetzt werden
können und Mitglieder der Gewerkschaften U. oder H. sind. Auch das Recht der
Lohnverweigerung wird ausschließlich mit dem Gedanken der Kampfparität begründet
(bgl. Henssler/Willemsen/Kalb, ArbK Artikel 9 GG, Rz 215).
Dementsprechend kann die Verfügungsklägerin im Falle eines von der
Verfügungsbeklagten durchgeführten Streiks gegenüber den Mitgliedern der
konkurrierenden Gewerkschaften U. und H. die Arbeitskampfmittel der
Lohnverweigerung und der Aussperrung nicht anwenden, obwohl dies die nach der
Rechtssprechung des BAG die zulässigen Kampfmittel auf Arbeitgeberseite sind, um
ein Verhandlungsgleichgewicht zum Abschluss eines Tarifvertrages zu gewährleisten.
103
Da die Verfügungsklägerin die Gewerkschaftszugehörigkeit ihrer Arbeitnehmer nicht
kennt und diese auch nicht erfragen darf, kann sie demzufolge auch nicht zu den oben
genannten Arbeitskampfmitteln greifen, ohne das Risiko einzugehen, gegen die
Friedenspflicht aus den Tarifverträgen mit der TG U./ H. (zuletzt Tarifvertrag vom
09.07.2007) zu verstoßen. Dadurch wäre die Arbeitskampfparität derart grundlegend
gestört, dass im konkreten Fall ein Streik zur Erzwingung eines Tarifvertrages durch die
Verfügungsbeklagte rechtswidrig wäre.
104
2.
105
Da sich ein Verfügungsanspruch bereits aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB ergibt, kann
dahinstehen, ob sich ein Unterlassungsanspruch auch aus der tariflichen Friedenspflicht
herleiten lässt, wie die Verfügungsklägerin aufgrund von mehreren ungekündigten
tarifvertraglichen Bestimmungen meint. Ebenso auch kann dahingestellt bleiben, ob ein
Verstoß gegen die Verpflichtung zur Verhandlung über ein einheitliches Tarifwerk, die
Durchsetzung von Kampfforderungen gegenüber anderen Unternehmen und wenig
konkrete Arbeitskampfforderungen zur Rechtswidrigkeit des beabsichtigten Streiks
hätten führen können.
106
3.
107
Es liegt auch ein Verfügungsgrund für den Erlass der einstweiligen Verfügung vor.
108
a) Es ist zunächst die Notwendigkeit des Erlasses der beantragten einstweiligen
Verfügung deshalb zu bejahen, weil die Verfügungsklägerin, die nach dem Vorgesagten
einen Unterlassungsanspruch hat, ohne Erlass einer einstweiligen Verfügung der
109
Verlust dieses Anspruchs durch Zeitablauf droht. Es liegt bereits auf der Hand, dass bis
zum Ende der Urabstimmung bei der Verfügungsbeklagten (06.08.2007) kein
Hauptsacheverfahren mehr durchgeführt werden kann. Die Vereitelung des
Rechtsverlustes der Verfügungsklägerin ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung
begründet die Eilbedürftigkeit und damit den Verfügungsgrund. Nicht erforderlich ist die
Beendigung der Urabstimmung und/oder ein konkreter Streikaufruf, wie dies das
Arbeitsgericht Mainz in einer Parallelentscheidung vom 31.07.2007 (4 Ga 24/07) wohl
voraussetzt. Würde die Verfügungsklägerin das Ergebnis der Urabstimmung abwarten,
würde die verbleibende Zeit zwischen der Beendigung der Urabstimmung und dem
Streikbeginn nicht ausreichen, um den rechtswidrigen Streik im Wege eines (erneuten)
gerichtlichen Eilverfahrens wirksam zu unterbinden, auch wenn die Verfügungsbeklagte
eine Ankündigungsfrist von 24 Stunden wahren sollte. Die Verschiebung des
Anknüpfungspunktes für eine Eilbedürftigkeit würde nur dazu führen, dass keine
mündliche Verhandlung mehr durchgeführt werden kann und komplexe Rechtsfragen
innerhalb weniger Stunden beurteilt werden müssten.
b) Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung geht zugunsten der
Verfügungsklägerin aus.
110
Weil es sich bei einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung um eine
Befriedigungsverfügung handelt, die nicht nur eine vorläufige Sicherung bewirkt,
sondern für die Dauer ihrer Geltung vollendete Tatsachen schafft, hat im Rahmen der
Prüfung des Verfügungsgrundes eine Interessenabwägung stattzufinden (LAG
Rheinland-Pfalz 05.03.1986, 1 Ta 50/86; 23.06.2004, 11 Sa 2096/03). Dabei ist in erster
Linie der zu erwartende Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen (LAG
Hamm 31.05.2000 - 18 Sa 858/00).
111
Je wahrscheinlicher ein Obsiegen des Arbeitgebers in der Hauptsache ist, umso mehr
gehen seine Interessen der Gewerkschaft vor.
112
Danach ergibt sich ein Überwiegen der Interessen der Verfügungsklägerin, da ihr
Obsiegen im Hauptsacheverfahren sehr wahrscheinlich ist. Der Verfügungsanspruch
war jedenfalls aufgrund der (noch) gefestigten Rechtssprechung des
Bundesarbeitsgerichts zu den Grundsätzen der Tarifeinheit und der Behandlung von
Tarifpluralität und wegen des im Arbeitskampfrecht geltenden Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit sowie des Prinzips der Arbeitskampfparität als Voraussetzung der
Funktionsfähigkeit des gesamten Tarifsystems zu bejahen. Die Tatsachen sind insofern
unstreitig.
113
Mangels besonderer Umstände vermögen die Interessen der Verfügungsbeklagten eine
schutzwürdigere Position nicht zu begründen. Sie hat sich lediglich auf den
Gesichtspunkt berufen, dass nicht entschieden sei ob, wann und wo und in welcher
Intensität gestreikt werde. Eine gegenüber den Interessen der Verfügungsklägerin
schutzwürdigere Position kann daraus offensichtlich nicht hergeleitet werden. Darüber
hinausgehende Gesichtspunkte wie etwa eine besonders aufwändige
Streikvorbereitung für eine große Anzahl von Mitgliedern ist hingegen nicht ersichtlich.
Der Sachvortrag der Verfügungsbeklagten dazu ist substanzlos.
114
Im Übrigen ist zugunsten der Verfügungsklägerin zu berücksichtigen, dass die von ihr zu
erbringenden bzw. zu ermöglichenden Verkehrsdienst- und Transportleistungen anders
als etwa Produktionsleistungen zeitgebunden und kaum nachholbar sind (vgl. Buchner,
115
BB 2003, 2121 ff.). Wer Termine wahrzunehmen hat oder eine kurzfristige S. plant, hat
oft an einer auch nur wenige Stunden verzögerten Zugverbindung kein Interesse mehr.
Auch C. können die durch die Verzögerung nicht geleistete Arbeit oft nicht mehr
nachholen. Es ist daher (trotz beschäftigter Beamter als M.) nicht möglich, etwa durch
Mehrarbeit eintretende Einbußen auszugleichen, wie dies im produzierenden Gewerbe
denkbar ist. Von daher besteht auch für die Verfügungsklägerin neben dem
Rechtsverlust, wenn keine einstweilige Verfügung ergeht, die Gefahr nicht wieder
gutzumachender wirtschaftlicher Einbußen.
III.
116
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
117
Die Verfügungsbeklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreit zu
tragen.
118
IV.
119
Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Bei der Höhe des
Streitwerts hat die Kammer wirtschaftliche Auswirkungen eines möglichen Streiks auf
die Verfügungsklägerin und die Tatsache, dass Streik auch den Berufspendlerverkehr
im bevölkerungsreichsten Bundesland erfassen kann, berücksichtigt.
120
Rechtsmittelbelehrung
121
Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
122
B e r u f u n g
123
eingelegt werden.
124
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
125
Die Berufung muss
126
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
127
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
128
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
129
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
130
deren Satzung durchführt.
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
131
gez. L.
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