Urteil des ArbG Düsseldorf vom 29.10.2007

ArbG Düsseldorf: abmahnung, betriebsrat, begründung der kündigung, gefahr, persönliche daten, juristische person, allgemeine lebenserfahrung, fristlose kündigung, ordentliche kündigung

Arbeitsgericht Düsseldorf, 3 Ca 1455/07
Datum:
29.10.2007
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 1455/07
Schlagworte:
private Internetnutzung am Arbeitsplatz, Rufschädigung,
Arbeitszeitbetrug, Beweisverwertungsverbot
Normen:
§ 626 BGB, § 28 BDSG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Die unberechtigte Privatnutzung des am Arbeitsplatz zur Verfügung
gestellten Internetanschlusses kann aufgrund einer zu befürchtenden
Rufschädigung des Arbeitgebers, als unberechtigte Nutzung der
Betriebsmittel und wegen der Verletzung der Arbeitspflicht eine
kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellen.
2. Zu der Frage eines Beweisverwertungsverbotes bei
mitbestimmungswidrig erlangten Beweismitteln und bei Auswertung von
Internetzugriffsdaten.
3. Einzelfallentscheidung zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bei zeitlich geringem Umfang einer unberechtigten
privaten Internetnutzung.
4. Zur Frage der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität.
Tenor:
1) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
Kündigung der Beklagten vom 9.2.2007 nicht aufgelöst worden ist.
2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3) Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 5/8 und die
Beklagte zu 3/8.
4) Der Streitwert beträgt 25.361,33 €.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen ihres
Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte.
2
Der am 6.11.1964 geborene, in Lebenspartnerschaft lebende Kläger steht seit dem
1.7.1998 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, einer H. Er ist Mitglied des im
Beschäftigungsbetrieb gebildeten Betriebsrates sowie des Aufsichtsrates der Beklagten
und wurde zuletzt als Sachbearbeiter in deren Marketing-Abteilung eingesetzt. Sein
Arbeitsplatz enthält einen Internetzugang. Zu seinen dienstlichen Aufgaben gehörte es
indes nicht, Internetrecherchen anzustellen. Sein Jahresbruttoeinkommen betrug 36.938
€ zuzüglich einer Leistungszulage von 52 € und dem Arbeitgeberanteil VL in Höhe von
40 € monatlich.
3
Bei der Beklagten besteht eine Rahmenbetriebsvereinbarung Technologie vom
1.12.2002 sowie eine Detailbetriebsvereinbarung Technologie - Intranet/Internet vom
11.8.2003. In § 4 der Detailbetriebsvereinbarung ist geregelt, dass eine private Nutzung
des den Arbeitnehmern eröffneten Internetzugangs nur an besonderen, hierfür
vorgesehenen Computern und nur während der Pausenzeiten erlaubt ist. Nach § 5 der
Betriebsvereinbarung dienen die durch die Nutzung von Internet-Diensten entstehenden
Daten und Spuren nicht der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Einzelauswertungen
sind grundsätzlich ausgeschlossen, Aufträge hierzu können nur von Vorstand und
Betriebsrat gemeinsam erteilt werden. Außer bei missbräuchlicher Nutzung können
personenbezogene Daten - nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung - zu keinen
Benachteiligungen einzelner Nutzer führen. Bei Verdacht des Missbrauchs können
Verbindungs- und Inhaltsdaten von je einem Vertreter der Geschäftsleitung und des
Betriebsrates ausgewertet werden. Als - ausdrücklich unter den Vorbehalt
disziplinarischer bzw. rechtlicher Konsequenzen gestellter - Missbrauch des
Internetzugangs ist insbesondere das Abrufen sexistischer und gewaltverherrlichender
Inhalte erklärt (§ 7). Gemäß § 8 Abs. 1 der Rahmenbetriebsvereinbarung Technologie ist
eine automatisierte Verarbeitung von Daten, die Rückschlüsse auf die Leistung und das
Verhalten einzelner Arbeitnehmer ermöglicht, nur mit Zustimmung des Betriebsrates
zulässig. Nach § 8 Abs. 4 der Betriebsvereinbarung dürfen Erkenntnisse und
Maßnahmen aus solchen Anwendungen bei arbeitsgerichtlichen Verfahren nur mit
Zustimmung des Betriebsrates verwendet werden. Zur Stellung der
Aufsichtsratmitglieder ist unter § 3 lit. d) der nachwirkenden Betriebsvereinbarung
Persönliche Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 12.3.2004 ein
Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG für die Arbeitnehmermitglieder geregelt.
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Am 17.7.2006 wies der Betriebsrat in einem an die Mitarbeiter gerichteten Schreiben
unter Hinweis auf §§ 4 und 7 der Detailbetriebsvereinbarung darauf hin, dass die private
Internetnutzung ausschließlich an den dafür vorgesehenen PCs zulässig sei, der Aufruf
von Seiten mit gewaltverherrlichendem oder sexistischen Inhalt generell verboten sei
und zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen sprich Kündigung führen könne. Ebenfalls
wies der Betriebsrat darauf hin, dass der Vorstand plane, alle zwei Monate eine
(zunächst nicht personenbezogene) Auswertung des Nutzungsverhaltens anzufordern.
5
Am 4.1.2007 erhielt der Vorstand der Beklagten eine nicht personenbezogene
Gesamtauswertung über die Internetzugriffe der Mitarbeiter im Monat Dezember 2006 in
Form einer Top 100-Liste . Diese Liste wurde dem Betriebsrat bekannt gegeben und
dieser um Zustimmung zur personenbezogenen Einzelauswertung der Internetzugriffe
im Dezember 2006 auf die Seiten www.swingerclub.de, www.gayromeo.com,
www.poppen.de, www.spinnes-bord.de, www.logmein.com und www.llmwd.net
gebeten.
6
In der Folge teilte der Kläger der Betriebsratsvorsitzenden unaufgefordert mit, die
7
Internetseite www.gayromeo.com aufgerufen zu haben. Zudem suchte der Kläger am
24.1.2007 eigeninitiativ den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn S., auf und
teilte diesem mit, über den Firmenrechner die Seite www.gayromeo.com aufgesucht zu
haben. Hierbei handelt es sich um eine sog. Community-Internetseite , auf der jeder
Nutzer sein privates und auch geschäftliches Leben organisieren kann. Das Portal
richtet sich an homosexuelle männliche Nutzer und eröffnet neben Diensten wie
Wohnungsbörse, Reisebuchungsservice und Messenger unter anderem auch
Möglichkeiten der Partnersuche und enthält in erheblichem Umfang persönliche Daten
inklusive Körpermaßen und Nacktbildern der Nutzer.
Die Betriebsratsvorsitzende lud die Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung in ihrem
Büro am 26.1.2007 ein. Der Kläger wurde zu dieser Sitzung nicht eingeladen. Am
selben Tage teilte die Betriebsratsvorsitzende der Beklagten die Zustimmung des
Betriebsrates zu der beabsichtigten Einzelauswertung mit.
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Mit Schreiben vom 2.2.2007 forderte die Beklagte den Kläger unter Bezug auf das
Gespräch mit Herrn S. zu einer Konkretisierung seiner Aussagen hinsichtlich Art und
Umfang der Internetnutzung bis zum 7.2.2007 auf. Eine Äußerung des Klägers zur
Sache erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht. Eine Verlängerung der gesetzten Frist
lehnte die Beklagte gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ab.
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Spätestens am 5.2.2007 erhielt der Vorstand der Beklagten die gewünschte
Einzelauswertung bezüglich der Internetseiten www.swingerclub.de, www.poppen.de,
www.gayromeo.com. Von den hinter der Nutung der erstgenannten Seiten stehenden
externen Kooperationspartnern trennte die Beklagte sich mit sofortiger Wirkung. Die
Überprüfung der Zugriffe auf die Seite www.gayromeo.com ergab, dass der Kläger diese
getätigt hatte. Für ihn wurden im Dezember 2006 insgesamt 16.298 hits auf den Seiten
dieses Portals registriert. Der Vorstand erbat sodann vom Betriebsrat die Zustimmung
zur Auswertung der gesamten Internetnutzung des Klägers für den Zeitraum, den das
Rechenzentrum der Beklagten längstens darstellen kann. Per email teilte die
Betriebsratsvorsitzende am 7.2.2007 den zustimmenden Beschluss des Betriebsrates
mit.
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Mit Antrag vom 8.2.2007 begehrte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrates zur
beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Klägers. In dem
Anhörungsschreiben wirft die Beklagte dem Kläger vor, unter Verstoß gegen die
Betriebsvereinbarung Intranet/Internet während der Arbeitszeit Internetseiten mit
sexistischem Inhalt an dem ihm zur Verfügung gestellten PC mehrfach aufgerufen und
betrachtet zu haben. Die Unzumutbarkeit einer Vertragsfortsetzung begründet sie auch
mit der Gefahr einer Ansehensschädigung bei Bekanntwerden der vorgeworfenen
Internetnutzung. Hilfsweise stützt sie die Kündigung auf den dringenden Verdacht der
verbotswidrigen Internetnutzung. Unter dem 9.2.2007 teilte die Betriebsratsvorsitzende
der Beklagten schriftlich die beantragte Zustimmung des Betriebsrates mit.
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Mit Schreiben vom 9.2.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis
außerordentlich mit sofortiger Wirkung.
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Am 12.2.2007 erhielt der Vorstand der Beklagten die personenbezogene Auswertung
der Internetnutzung des Klägers für den Zeitraum Januar bis November 2006. Dem
Betriebsrat wurden auch diese Ergebnisse mitgeteilt. Aus den auch zur Gerichtsakte
gereichten Zugriffsprotokollen ergibt sich, dass von der untersuchten IP-Adresse in
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erheblichem Ausmaß Seiten der Themenbereiche Bodybuilding, Ernährung und Beauty
sowie Bulldoggen/Hunde, Mode, Kontaktpflege, Zeitungen/Magazine und TV
aufgesucht wurden.
Mit Schreiben vom 16.2.2007 wurde dem Kläger Gelegenheit gegeben, zu diesem
neuen Sachverhalt Stellung zu beziehen. Ein für den 22.2.2007 anberaumtes
gemeinsames Gespräch ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten
ablehnen.
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Am 21.2.2007 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrates zu einer
hilfsweisen weiteren außerordentlichen und fristlosen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Unter Bezugnahme auf die nunmehr vorliegenden
weiteren Erkenntnisse begründet die Beklagte die Kündigung mit dem Vorwurf, dass der
Kläger seinen Internetzugang in erheblichem zeitlichen und datenmäßigen Umfang
privat genutzt und zudem Seiten mit sexistischem Inhalt aufgerufen habe. Hilfsweise
stützt sie die Kündigung auf einen entsprechenden Verdacht. Am 22.2.2007 erhielt die
Beklagte die schriftliche Zustimmung des Betriebsrates auch zu dieser Kündigung.
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Mit Schreiben vom 22.2.2007 sprach die Beklagte sodann eine weitere
außerordentliche fristlose Kündigung aus. Das von Herrn C. am frühen Vormittag des
23.2.2007 in den Hausbriefkasten des Klägers geworfene Kündigungsschreiben fand
der Kläger am 26.2.2007 in seinem Briefkasten vor.
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Der Kläger wendet sich gegen beide ihm ausgesprochenen Kündigungen und
behauptet, während seiner Arbeitszeit nicht mit Arbeit ausgelastet gewesen zu sein.
Dies habe er Kollegen und auch dem für ihn zuständigen Ansprechpartner Herrn T. -
welcher indes unstreitig nur kurze Zeit sein Vorgesetzter war - mitgeteilt.
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Er ist der Ansicht, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses nicht vorliege. Die private Nutzung des Internets am Arbeitsplatz
sei auch außerhalb der Pausen erlaubt gewesen. Die Beklagte habe durch ihre
dauerhafte Duldung der privaten Internetnutzung durch die Mitarbeiter das in der
Detailbetriebsvereinbarung enthaltene Verbot selbst konterkariert und private
Reisebuchungen sogar ausdrücklich erlaubt. In jedem Falle habe der Kläger nicht damit
rechnen müssen, dass ein Verstoß sofort und ohne Abmahnung zu einer fristlosen
Kündigung führe. Vor Ausspruch einer Kündigung sei auch deshalb zunächst eine
Abmahnung auszusprechen gewesen, weil der Kläger sich nicht hartnäckig und
vollkommen uneinsichtig gezeigt habe. Die von der Beklagten vorgelegten Beweise für
die behaupteten Pflichtverletzungen unterlägen wegen Verstößen gegen
datenschutzrechtliche und betriebliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche
Bestimmungen einem Beweisverwertungsverbot. Hinsichtlich beider Kündigungen sei
die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, da die Frist jeweils bereits
mit Kenntnis des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn S., von der Nutzung der
Seite www.gayromeo.com durch den Kläger am 24.1.2007 zu laufen begonnen habe.
Die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft, weil dem Betriebsrat nicht sämtliche
entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt worden seien. Schließlich seien die
Kündigungen auch wegen der darin liegenden Diskriminierung des Klägers aufgrund
seiner sexuellen Identität und Verstoßes gegen das AGG unwirksam. Obwohl sich ein
sexueller Bezug aus dem Namen der Seite nicht ergebe, habe der Vorstand der
Beklagten den Begriff gay zum Anlass weiterer Nachforschungen genommen, was
ansonsten nur bei Seiten mit eindeutig sexuellem Bezug geschehen sei. Hierin sei eine
18
diskriminierende Ungleichbehandlung zu sehen.
Den zunächst gestellten allgemeinen Feststellungsantrag hat der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vom 24.9.2007 mit Zustimmung der Beklagten für erledigt
erklärt.
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Der Kläger beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 9.02.2007, dem Kläger am 10.2.2007
zugegangen, nicht aufgelöst worden ist.
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2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.02.2007 nicht aufgelöst worden ist.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Sachbearbeiter in der Abteilung Marketing
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten
Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte hat Klageabweisungsantrag angekündigt.
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Die Beklagte stützt beide Kündigungen auf die behaupteten Pflichtverletzungen und
hilfsweise auf einen entsprechenden Tatverdacht. Sie behauptet, dass die vorgelegten
Zugriffsprotokolle dem Kläger zuzuordnen seien. Die Seite www.gayromeo.com hält sie
für sexistisch und gewaltverherrlichend. Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen
des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt seien, weil der Kläger sehr schwerwiegende
arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen dadurch begangen habe, dass er trotz eines
ausdrücklichen Verbotes den ihm zu dienstlichen Zwecken eingerichteten
Internetzugang exzessiv während der Arbeitszeit privat genutzt habe.
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Nach der mündlichen Verhandlung vom 24.9.2007 beantragte der Kläger die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, für den Fall, dass die Kammer die
Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 19.9.2007, dem Klägerbevollmächtigten
am 2.10.2007 zugestellt, für erheblich halte.
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Im Übrigen wird auf die beiderseitigen Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen
Verhandlungen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Es war eine streitige Entscheidung über die gestellten Klageanträge zu treffen. Obwohl
in der mündlichen Verhandlung vom 24.9.2007 kein Klageabweisungsantrag
protokolliert worden ist, ergibt sich dieses Begehren der Beklagten aus ihrer
Ankündigung des klageabweisenden Antrags vor dem Termin und die wenigstens
konkludente Abweisung des Klagebegehrens auch in der mündlichen Verhandlung.
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Die Klage ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die
Kündigung der Beklagten vom 9.2.2007 nicht aufgelöst worden, womit dem Klageantrag
zu 1) stattzugeben war. Dagegen ist der Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der
zweiten Kündigung der Beklagten vom 22.2.2007 unbegründet. Diese Kündigung hat
das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 23.2.2007 rechtswirksam beendet, womit auch
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der Weiterbeschäftigungsantrag abzuweisen war.
I.
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 9.2.2007 nicht aufgelöst
worden, weil die von der Beklagten herangezogenen Umstände nicht geeignet waren,
einen wichtigen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu liefern.
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1) Das Fehlen eines wichtigen Grundes war zu berücksichtigen, weil die Kündigung
nicht nach §§ 13, 4, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gilt. Die Frist des § 4
KSchG wurde durch Einreichung der Klage am 2.3.2007 gegen die dem Kläger am
9.2.2007 zugegangene Kündigung gewahrt. Nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 495, 271
Abs. 1, 167 ZPO war für die Klageerhebung auf den Zeitpunkt des Klageeingangs
abzustellen, da die Klageschrift der Beklagten am 12.3.2007 und damit demnächst im
Sinne von § 167 ZPO zugestellt wurde (vgl. BAG v. 17.1.2002 - 2 AZR 57/01, BB 2003,
209). Der Kläger hat alles Erforderliche für das sofortige Gelingen der Zustellung getan,
welche auch ohne wesentlichen Zeitabstand nach Fristablauf erfolgte.
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2) Nach Auffassung der Kammer vermögen die dem Kläger vorgeworfenen und von der
Beklagten zum Anlass für diese Kündigung herangezogenen Pflichtverstöße im
Zusammenhang mit der Nutzung des von der Beklagten am Arbeitsplatz bereitgestellten
Internetzugangs eine fristlose außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses
weder als Tat- noch als Verdachtskündigung zu rechtfertigen.
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a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Dienst- und Arbeitsverhältnis außerordentlich ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden. Ein
solcher ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der
beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Rechtsprechung nimmt insofern eine
zweistufige Prüfung vor. Der Sachverhalt muss sich zunächst als an sich geeignet
erweisen, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu liefern. Liegt
ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses dem Kündigenden unter Berücksichtigung der konkreten Umstände
des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist
oder nicht (vgl. BAG v. 27.4.2006 - 2 AZR 386/05, NJW 2006, 2939; v. 7.7.2005 - 2 AZR
581/04, AP Nr. 192 zu § 626 BGB jew. mwN).
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b) Die Kündigung vom 9.2.2007 ist auf Pflichtverletzungen des Klägers gestützt, welche
an sich grundsätzlich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung des Arbeitsverhältnisses darzustellen.
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Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des für Kündigungsschutzsachen
zuständigen zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil v. 31.5.2007 - 2 AZR
200/06, NZA 2007, 922; v. 12.1.2006 - 2 AZR 179/05, AP KSchG 1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54; v. 27.4.2006 - 2 AZR 386/05, NZA 2006, 977; v.
7.7.2005 - 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98) kommen als kündigungsrelevante
Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten bei einer (nicht erlaubten) privaten Nutzung
des Internets ua. in Betracht:
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- das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf
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betriebliche Datensysteme ( unbefugter download ), insbesondere wenn damit
einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des -
betrieblichen - Betriebssystems verbunden sein können oder andererseits von solchen
Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers
kommen kann, beispielsweise weil strafbare oder pornografische Darstellungen
herunter geladen werden;
- die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetanschlusses
als solche, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise - zusätzliche - Kosten
entstehen können und der Arbeitnehmer jedenfalls die Betriebsmittel -
unberechtigterweise - in Anspruch genommen hat;
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- die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während
der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet zu privaten
Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch
seine Arbeitspflicht verletzt.
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Daneben resultiert eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung selbstverständlich auch
aus dem Verstoß gegen ein vom Arbeitgeber ausgesprochenes Verbot, den am
Arbeitsplatz zur Verfügung gestellten Internetzugang für nicht dienstliche, also private
Zwecke zu nutzen (BAG v. 7.7.2005 - 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98).
41
aa) Der Kläger hat durch das Aufrufen der Seite www.gayromeo.com von seinem
Arbeitsplatz gegen das im Beschäftigungsbetrieb bei der Beklagten geltende Verbot der
privaten Internetnutzung am Arbeitsplatz verstoßen.
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(1) Das entsprechende Verbot ergibt sich unmissverständlich aus § 4 Satz 1 der
Detailbetriebsvereinbarung zur Rahmenbetriebsvereinbarung Technologie vom
1.1.2002. Danach ist die private Nutzung des Internets nur an den dafür vorgesehenen
PC und damit gerade nicht von den jeweiligen (Computer-) Arbeitsplätzen der
Arbeitnehmer aus zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers kann aus den von ihm
vorgetragenen Umständen nicht gefolgert werden, dass dieses ausdrückliche Verbot
von Seiten der Beklagten aufgehoben und eine private Internetnutzung am Arbeitsplatz
auch nur konkludent erlaubt worden wäre. Es ist nicht erkennbar, wie aus kontroversen
Diskussionen mit dem Betriebsrat über die Durchführung der Nutzungskontrolle und das
Sperren einzelner Seiten eine Relativierung des Verbotes folgen könnte. Ebenso wenig
folgt dies aus dem Umstand, dass die Beklagte unstreitig bekannt gewordenen
Verstößen nicht in allen bzw. möglicherweise in den meisten Fällen nicht
nachgegangen ist. Dies verkehrt das bestehende und im Sommer 2006 über den
Betriebsrat nochmals eindrücklich betriebsweit kommunizierte Verbot nicht in sein
Gegenteil bzw. lässt die Pflichtwidrigkeit privater Internetnutzung nicht entfallen. Denn
der Arbeitgeber ist zur Aufrechterhaltung einer geltenden Regelung nicht gezwungen,
sämtliche Verstöße hiergegen zu ahnden. Ein bei wenig schwerwiegenden Verstößen
unverhältnismäßiger Verfolgungsaufwand, die bei entsprechenden
Überwachungsmaßnahmen zu befürchtenden Konsequenzen für das Betriebsklima
oder eine Entscheidung, stufenweise und sukzessive vorzugehen, sind nur einige von
vielen denkbaren Gründen, dies nicht zu tun. Der Arbeitnehmer darf daher nicht allein
aufgrund des erkennbar gewordenen Umstandes, dass der Arbeitgeber bestimmte
Verstöße nicht verfolgt, darauf schließen, das zugrunde liegende Verbot solle außer
Kraft gesetzt und Verstöße generell nicht mehr geahndet werden.
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Auch aus dem Umstand, dass einzelne Seiten ausdrücklich gesperrt wurden, und selbst
unterstellt, dass neben der expliziten Freigabe anderer Seiten eine ausdrückliche
Erlaubnis zu privaten Urlaubsbuchungen vom Arbeitsplatz gegeben worden ist, würde
nicht folgen, dass der Besuch nicht gesperrter Seiten bzw. neben den angegebenen
Seiten und den Urlaubsbuchungen auch andere private Nutzungen erlaubt worden
seien. Die Sperrung bestimmter Seiten mag vielmehr der Durchsetzung des in der
Detailbetriebvereinbarung enthaltenen Verbots dienen, auch an den zur privaten
Nutzung freigegebenen Computern bestimmte unzulässige Inhalte aufzurufen (vgl. § 7
der Detailbetriebsvereinbarung). Auch eine explizite Erlaubnis der privaten
Internetnutzung hinsichtlich bestimmter Seiten kommt keiner allgemeinen Erlaubnis
gleich. Vielmehr verdeutlicht dies, dass andere Seiten gerade nicht besucht werden
durften. Sonst hätte es einer solchen Erlaubnis nicht bedurft. Auch trägt der Kläger nicht
vor, dass die Nutzung gerade der von ihm besuchten Seiten des Internetportals
www.gayromeo.com von der Beklagten erlaubt worden wäre. Ohne eine entsprechende
ausdrückliche Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers ist eine private Nutzung des
Internets grundsätzlich aber nicht erlaubt (vgl. BAG v. 7.7.2005 - 2 AZR 581/04, NZA
2006, 98 mwN).
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(2) Gegen das Verbot der privaten Internetnutzung am Arbeitsplatz hat der Kläger durch
das Aufrufen der Seite www.gayromeo.com verstoßen. Der Kläger hat auf die
Bekanntgabe der Top 100-Liste für Dezember 2006 dem Vorstandsvorsitzenden der
Beklagten, Herrn S., mitgeteilt, dass er diese Seite aufgerufen habe. Die von der
Beklagten vorgelegte Einzelauswertung (CBH 4, Bl. 117 d.A.) zeigt, dass in Dezember
2006 innerhalb des Betriebes bzw. Unternehmens lediglich von einer IP-Adresse auf die
Seite www.gayromeo.com zugriffen wurde. Es ist folglich davon auszugehen, dass es
sich um diejenige des Klägers handelte. Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger sich
nicht auf ein einfaches Bestreiten der zutreffenden Zuordnung der IP-Adresse bzw. der
Zugriffsprotokolle beschränken, sondern hätte substantiieren müssen, warum Zweifel an
der Zuordnung der IP-Adresse und der Authentizität der hieraus ermittelten Daten
bestehen. Tatsachen, welche Zweifel an der Korrektheit der Auswertung begründen,
sind nicht vorgetragen. Die Frage, welche Person die Daten zu welchem Zeitpunkt
ausgewertet hat, ist insoweit unerheblich. Da ein nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 138
Abs. 3 ZPO beachtliches Bestreiten nicht vorliegt, ist die Zuordnung der
Zugriffsprotokolle als zugestanden anzusehen.
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Das Aufrufen dieser Seite war nicht dienstlich veranlasst und stellte damit eine
verbotswidrige Privatnutzung dar. Eine dienstliche Nutzung dieses Portals hat der
Kläger nicht behauptet. Zwar hat er vorgetragen, es habe seiner Entscheidung oblegen,
über welche Medien und Portale er sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Betriebs- und
Aufsichtsrat über gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen informiere.
Insoweit er in der Folge aber vom bedauerlichen Entstehen einer Grauzone und von
einer Vermischung privater und dienstlicher Inhalte spricht, macht er deutlich, dass er
selbst von einer immerhin teilweisen Privatnutzung (so auch S. 19 d. klägerischen SS. v.
2.8.2007, Bl. 390 d.A.) und - was auch seine Selbstanzeige vom 24.1.2007 nahe legt -
nicht ernsthaft davon ausgeht, dass der Besuch der Seite www.gayromeo.com als
dienstlich gerechtfertigt werden kann.
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Ob der Kläger auch gegen das in § 7 der Detailbetriebsvereinbarung enthaltene Verbot,
sexistische oder gewaltverherrlichende Inhalte aufzurufen, verstoßen hat, erscheint
unwahrscheinlich kann jedoch angesichts der Wertung der Kammer zum
Abmahnerfordernis [vgl. unten unter c) bb) (2)] dahinstehen. Der Sachvortrag der
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Parteien, insbesondere die von der Beklagten zur Akte gereichten Bilder bieten kaum
ausreichende Anhaltspunkte für sexistische oder gewaltverherrlichende Inhalte. Die
Kammer hat Zweifel, ob im Verhältnis von Homosexuellen untereinander überhaupt von
Sexismus, also Diskriminierung gegenüber dem anderen Geschlecht, geredet werden
kann.
Den Vorwurf, dass die vom Kläger aufgesuchten Internetseiten pornografischen oder
strafbaren Inhalt gehabt hätten, hat die Beklagte nicht erhoben.
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(3) Der Verwertung der Ergebnisse der von der Beklagten veranlassten
Einzelauswertungen stehen keine Beweisverwertungsverbote entgegen.
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(a) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt des Schutzes
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1
Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Privatrechtsverkehr
und damit auch im Arbeitsverhältnis von den Vertragsparteien zu beachten (BAG v.
27.3.2003 - 2 AZR 51/02, AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). Bei der
Erhebung und Speicherung von Daten hinsichtlich der Nutzung des Internets durch den
Arbeitnehmer ist dessen Persönlichkeitsrecht in der Form des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung betroffen. Eine Rechtsgrundlage für eine Kontrolle der dienstlichen
Internetnutzung enthält das Bundesdatenschutzgesetz (das TKG ist dagegen nicht
anwendbar - vgl. Mengel, BB 2004, 2014 [2020]). Nach § 28 BDSG ist das Erheben und
Speichern von personenbezogenen Daten auch ohne Einwilligung des Betroffenen
zulässig, wenn dies berechtigten Interessen des Arbeitgebers dient (vgl. dazu Mengel,
BB 2004, 1445 [1448]). Bei der insoweit vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung
ist zu beachten, dass es einerseits bei nur zur dienstlichen Nutzung freigegebenen
Computern gar nicht zur Speicherung privater Daten kommen darf und andererseits der
Arbeitgeber sich gegen eine dennoch erfolgende missbräuchliche Nutzung seiner
Betriebsmittel durch entsprechende Kontrollen schützen können muss (vgl. LAG Hamm
v. 18.1.2007 - 15 Sa 558/06). Daher ist eine Kontrolle des Internetverhaltens der
Arbeitnehmer an einem ausschließlich zur dienstlichen Nutzung freigegebenen
Internetzugang zulässig (vgl. Mengel, BB 2004, 2014 [2020]). Somit führte die Erhebung
und Auswertung der Internetzugriffsdaten des Klägers von seinem Arbeitsplatz nicht zu
einem unzulässigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Spätestens durch das
Schreiben des Betriebsrates vom 17.7.2006 waren die Arbeitnehmer der Beklagten
zudem vor einer Überprüfung ihres Internetverhaltens am Arbeitsplatz gewarnt und
konnten damit noch weniger von einem vor der Wahrnehmung bzw. dem Zugriff des
Arbeitgebers geschützten Bereich ihres Arbeitsverhaltens ausgehen. Vor dem
Hintergrund des begründeten Verdachts einer strafbaren Pflichtverletzung zu Lasten der
Beklagten (Arbeitszeitbetrug) stand auch der weiteren Verwertung der Daten im Prozess
kein Beweisverwertungsverbot entgegen.
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(b) Ebenso wenig hindern die vom Kläger behaupteten Verstöße gegen
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Erhebung der Daten deren Verwertung
im Kündigungsschutzprozess. Unabhängig davon, ob die Einzelauswertungen
tatsächlich mitbestimmungswidrig erlangt wurden oder nicht und ob ein Verstoß im
Individualprozess des betroffenen Arbeitnehmers überhaupt zu einem
Beweisverwertungsverbot führen kann, scheidet ein solches in casu jedenfalls
deswegen aus, weil der Betriebsrat mit seiner Zustimmung zur außerordentlichen
Kündigung des Klägers konkludent der Verwertung der Ergebnisse im
Kündigungsschutzprozess des Klägers zugestimmt hat. In diesem Falle steht kein über
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den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers hinausgehender Schutzzweck
der (möglicherweise) verletzten betriebsverfassungsrechtlichen Norm einer Verwertung
entgegen. Durch die Zustimmung des Betriebsrates zur Verwertung ursprünglich
mitbestimmungswidrig erlangter Daten ist ausgeschlossen, dass die von diesem -
neben den Individualinteressen des Betroffenen - zu wahrenden kollektiven Interessen
hierdurch verletzt werden (BAG v. 27.3.2003 - 2 AZR 51/02, NZA 2003, 1193; v.
7.12.2006 - 2 AZR 182/06, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung;
v. 27.3.2003 - 2 AZR 51/02, AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung). Ein
eventueller Verstoß gegen Regeln über das Verfahren der Mitbestimmung wird durch
die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrates geheilt und kann keinesfalls allein als
Sanktion gedacht zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Dem steht die aus § 46
Abs. 2 ArbGG iVm. § 286 Abs. 1 ZPO und Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht des
Gerichts zur Berücksichtigung sämtlicher Beweisangebote und das daraus folgende
grundrechtsgleiche Recht des Beweisführenden entgegen (vgl. BAG v. 27.3.2003 - 2
AZR 51/02, NZA 2003, 1193; Schlewing, NZA 2004, 1071 (1072 f.); Altenburg/Leister,
NJW 2006, 469 [470]).
bb) In der unzulässigen Privatnutzung ist der Kategorisierung der Pflichtverstöße durch
das Bundesarbeitsgericht folgend auch eine unberechtigte Nutzung der Betriebsmittel
zu sehen, worin eine gesonderte Vertragsverletzung begründet liegt, ohne dass es
darauf ankommt, ob hierdurch tatsächlich zusätzliche Kosten für den Arbeitgeber
entstehen. Die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des -
betrieblichen - Betriebssystems durch das Aufrufen (i.e. Herunterladen) der Seite
www.gayromeo.com ist - wie bei jeder Internetnutzung - sicherlich abstrakt gegeben.
Jedoch fehlt es insoweit an Anhaltspunkten, dass bei der genannten Seite eine über die
auch bei einer dienstlichen Nutzung zu befürchtenden Störungsmöglichkeiten
hinausgehende Gefahr bestand, so dass diesem Aspekt nach Auffassung der Kammer
kein besonderes Gewicht zukommt.
52
cc) Durch das Aufrufen der Seite www.gayromeo.com hat der Kläger auch deshalb
einen kündigungsrelevanten Pflichtverstoß begangen, weil er damit die Beklagte dem
Risiko ausgesetzt hat, gegen ihren Willen mit diesem Portal in Verbindung gebracht zu
werden (vgl. zum Aspekt der Rufschädigung: BAG v. 27.4.2006 - 2 AZR 386/05, NZA
2006, 977; LAG Hamm v. 18.1.2007 - 15 Sa 558/06; ArbG Hannover v. 1.12.2000 - 1 Ca
504/00 B, NJW 2001, 3500).
53
Es entfließt der Unternehmerfreiheit (Art. 2, 12, 14 GG) des Arbeitgebers zu bestimmen,
mit welchen Internetinhalten und dahinter stehenden Personen und gesellschaftlichen
Gruppierungen er in Verbindung gebracht wird. Seine Kontrolle hierüber ist umso
wichtiger, als ein Bekanntwerden der Nutzung bestimmter - bspw. als anstößig,
verwerflich oder kriminell empfundener - Internetseiten bei Dritten sich durchaus negativ
auf sein Ansehen wie auch auf seine Unternehmung auswirken kann. Eine
Rufschädigung kann auch dann zu befürchten sein, wenn etwa auf den verschiedenen
Seiten eines Internetportals nur teilweise potentiell ansehensgefährdende Inhalte
enthalten sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer von einem solchen
Portal konkret anstößige oder lediglich andere - unverdächtige - Inhalte aufgerufen hat.
Die durch die Nutzung mögliche Verbindung des Arbeitgebers mit dem Portal genügt
nach Auffassung der Kammer, um einen Pflichtverstoß seitens des Arbeitnehmers zu
begründen.
54
dd) Schließlich liegt eine Pflichtverletzung des Klägers auch darin, dass er die Seite
55
www.gayromeo.com während der Arbeitszeit aufgerufen und damit seine Arbeitspflicht
verletzt hat.
Unklar ist das genaue zeitliche Ausmaß der Nutzung dieser Seite, da sich dieses aus
der Anzahl der dokumentierten hits nicht eindeutig bestimmen lässt. Die Kammer geht
bei überschlägiger Auswertung der vorgelegten Zugriffsprotokolle davon aus, dass der
Kläger in Dezember 2006 maximal während insgesamt viereinviertel Stunden auf die
Seite zugegriffen hat. Bezüglich des Einwandes des Klägers, dass in dem
Zugriffsprotokoll auch solche Zeiten erfasst sind, während derer er die Seite lediglich im
Hintergrund aufgerufen hatte, geht die Kammer - ungeachtet der insoweit fehlenden
Substantiierung - von Folgendem aus: Zumindest in Fällen, in denen wenige Minuten
(die Kammer geht von bis zu drei Minuten aus) zwischen Öffnen und Schließen, dh.
zwischen dem ersten Aufruf und dem letzten Aufruf bzw. Ladevorgang liegen, wird der
Kläger idR. keine Arbeit im Vordergrund verrichtet und auch bei einem länger
andauerndem Aufruf zumindest während einer entsprechenden Mindestdauer
tatsächlich die Seite im Vordergrund betrachtet haben. Es wäre unplausibel
anzunehmen, dass er Seiten nur geöffnet und nach einer Weile wieder geschlossen hat,
ohne diese zwischenzeitlich zumindest zeitweise auch zu betrachten. Rechnet man
über drei Minuten währende Aufrufzeiten heraus, so ist noch von maximal 90 Minuten
(aktiver oder Netto-) Nutzung durch den Kläger im Monat Dezember 2006 auszugehen.
Zwar mag der Kläger die Seite www.gayromeo.com teilweise möglicherweise während
seiner Pausenzeiten aufgerufen haben. Doch überwiegend weisen die
Zugriffsprotokolle Zugriffszeitpunkte aus, zu denen nicht von einer Arbeitspause
ausgegangen werden kann. Auch hätte es angesichts des Vortrags der Beklagten einer
substantiierten Darlegung bedurft, welche der mitgeteilten Zugriffszeiten in
Pausenzeiten des Klägers gefallen sind. Es ist mithin von einer Vernachlässigung der
arbeitsvertraglichen Pflichten während der sich aus den Protokollen ergebenden
Zugriffszeiten auf die Seite www.gayromeo.com auszugehen.
56
c) Jedoch rechtfertigen die dem Kläger im Rahmen der außerordentlichen Kündigung
vom 9.2.2007 vorgeworfenen Pflichtverletzungen bei der gebotenen Abwägung der
beiderseitigen Interessen die außerordentliche einseitige Auflösung des
Arbeitsverhältnisses nach Auffassung der Kammer nicht.
57
aa) Bei der Interessenabwägung sind die bisherige Dauer des
Beschäftigungsverhältnisses, das Alter des Arbeitnehmers und die Schwere der
Pflichtverletzung zu berücksichtigen. Nach Auffassung der Kammer ist bei der
Gewichtung des Pflichtverstoßes insbesondere die Dauer der privaten Internet-Nutzung
während der Arbeitszeit von Bedeutung. Zu berücksichtigen ist auch das eventuelle
Ausmaß der Vernachlässigung der Arbeitsaufgaben während der Zeit der Internet-
Nutzung. Auch die Entstehung von Kosten und Schäden beim Arbeitgeber kann im
Rahmen der Interessenabwägung eine Rolle spielen. Schließlich ist zu berücksichtigen,
mit welchen Inhalten der Arbeitnehmer sich während der Internet-Nutzung beschäftigt
hat und ob und inwieweit hierdurch der Arbeitgeber in der Öffentlichkeit in ein
problematisches Licht geraten könnte (vgl. BAG v. 7.7.2005 - 2 AZR 581/04, AuR 2006,
206; LAG Hamm v. 18.1.2007 - 15 Sa 558/06).
58
bb) Aus den Sozialdaten des Klägers folgt keine gesteigerte Schutzbedürftigkeit. Er war
zum Zeitpunkt der Kündigung 44 Jahre alt und seit gut achteinhalb Jahren bei der
Beklagten beschäftigt. Damit stellen sich nach Auffassung der Kammer sein bei der
Beklagten erworbener sozialer Besitzstand nicht als besonders hoch und seine
59
Arbeitsmarktchancen noch nicht als besonders prekär dar. Seine Stellung als
Betriebsratsmitglied begründet erst die ordentliche Unkündbarkeit des
Arbeitsverhältnisses und ist daher bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 626
Abs. 1 BGB nicht erneut zugunsten des Klägers zu berücksichtigen (vgl. BAG v.
27.4.2006 - 2 AZR 386/05, NJW 2006, 2939). Andererseits darf seine herausgehobene
Stellung im Betrieb nicht zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden ( Vorbildfunktion
), da hierin eine nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung liegen würde.
cc) Dennoch überwiegen die Bestandsinteressen des Klägers das Auflösungsinteresse
der Beklagten. Denn die dargelegten Kündigungsgründe machen dieser das Festhalten
am Arbeitsverhältnis nach Auffassung der Kammer nicht unzumutbar. Bei der im
Rahmen der Überprüfung einer außerordentlichen Kündigung vorzunehmenden
Interessenabwägung ist insbesondere auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu
beachten. Aus diesem folgt, dass der Arbeitgeber zur Kündigung nur als ultima ratio
greifen darf (vgl. BAG v. 9.7.1998 - 2 AZR 201/98, EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 1). Es
dürfen also nicht andere mildere Mittel zur Verfügung stehen, bei deren Ergreifen dem
Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar wäre. Als ein solches ist
bei Verhaltenspflichtverletzungen in erster Linie eine Abmahnung angezeigt. Erst bei
einem nach einer einschlägigen Abmahnung gezeigten wiederholten Pflichtverstoß
muss der Arbeitgeber befürchten, dass der Arbeitnehmer sich auch zukünftig
möglicherweise über die durch den Arbeitgeber erkennbar als besonders bedeutsam
hervorgehobenen Verhaltenspflichten hinwegsetzen wird. Erst dies macht im
regelmäßig das weitere Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar. Eine vorherige
Abmahnung ist lediglich dann entbehrlich, wenn auf Seiten des Arbeitnehmers aufgrund
des Gewichts des Pflichtverstoßes kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass der
Arbeitgeber einen solchen Verstoß nicht sanktionslos hinnehmen würde (BAG v.
10.2.1999 - 2 ABR 31/98, NZA 1999, 708; v. 31.5.2007 - 2 AZR 200/06, NZA 2007, 922;
v. 7.7.2005 - 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98).
60
(1) Sowohl was den Verstoß des Klägers gegen das betriebliche Verbot der privaten
Internetnutzung angeht als auch in Bezug auf den anzunehmenden Verstoß gegen die
Arbeitspflicht während der Zeiten der unerlaubten Privatnutzung geht die Kammer
davon aus, dass es einer vorherigen Abmahnung des Klägers vor Ausspruch einer
außerordentlichen Beendigungskündigung bedurft hätte.
61
Weder der zeitliche Umfang der privaten Internetnutzung durch den Kläger, noch der
Umstand, dass er sich hierbei über ein betriebliches Verbot hinwegsetzte, ließen mit
ausreichender Sicherheit erwarten, dass der Kläger eine Abmahnung ignorieren und
seine Pflichten dessen ungeachtet weiterhin verletzen würde.
62
Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Verbot der privaten Internetnutzung am
Arbeitsplatz hätte es einer Klarstellung der Bedeutung des Pflichtverstoßes und
nachdrücklichen Warnung des Klägers im Wege einer Abmahnung schon deshalb
bedurft, weil die Beklagte erkennbar Verstöße gegen das Verbot alleine bislang nicht
zum Anlass von Kündigungen genommen hatte. Nur so lässt sich jedenfalls das
Informationsschreiben des Betriebsrates vom 17.7.2006 interpretieren, aus dem sich die
Kenntnis des Vorstandes der Beklagten von einer wachsenden unzulässigen
Privatnutzung des Internets ergibt, ohne dass dies aber zu konkreten arbeitsrechtlichen
Sanktionen gegenüber den betroffenen Mitarbeitern geführt hätte. Dieses Schreiben
enthält zwar für den Fall des Aufrufs sexistischer oder gewaltverherrlichender Seiten
bereits die Ankündigung arbeitsrechtlicher Konsequenzen einschließlich der
63
Kündigung, nicht jedoch bereits für den bloßen Verstoß gegen das Verbot der privaten
Internetnutzung, so dass es diesbezüglich jedenfalls einer vorherigen Abmahnung des
Klägers bedurft hätte.
Auch hinsichtlich der Vernachlässigung der Arbeitspflichten während der Zeit der
privaten Internetnutzung wäre eine Abmahnung erforderlich gewesen. Zu Recht nimmt
das Bundesarbeitsgericht bei unzulässiger Privatnutzung des Internets die
Entbehrlichkeit einer Abmahnung erst dann an, wenn die unzulässige Privatnutzung in
erheblichem zeitlichen Umfang ( ausschweifend - BAG v. 7.7.2005 - 2 AZR 581/04, NZA
2006, 98) bzw. in exzessiver Weise erfolgt (BAG v. 31.5.2007 - 2 AZR 200/06, NZA
2007, 922). Dahinter steht die Überlegung, dass es jedem Arbeitnehmer klar sein muss,
während der Zeiten privater Internetnutzung am Arbeitsplatz seine Arbeitspflichten zu
vernachlässigen. Denn grundsätzlich ist er während der gesamten als Arbeitszeiten
ausgewiesenen Anwesenheitszeiten im Betrieb mit Ausnahme der Pausen zur Arbeit
verpflichtet. Jedenfalls wenn die Vernachlässigung der vertraglichen Pflichten über
einen gewissen zeitlichen Rahmen hinausgeht, kann kein Arbeitnehmer
vernünftigerweise darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten billigen
werde und der Bestand des Arbeitsverhältnisses ungefährdet bliebe. Ein solches
Verhalten beeinträchtigt unmittelbar das vertragliche Äquivalenzverhältnis und stellt
einen für den Arbeitgeber schwer aufzudeckenden Arbeitszeitbetrug dar. Dem
Arbeitgeber wird damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Regel
unzumutbar werden, wenn nicht die private Internetnutzung die Erheblichkeitsschwelle
unterschreitet. Denn bei einer privaten Internetnutzung in geringem zeitlichen Umfang ist
die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erst nach wiederholter Pflichtverletzung und
nach Abmahnung unzumutbar. Der nicht exzessiv surfende Arbeitnehmer rechnet
möglicherweise nicht mit einer Gefährdung seines Arbeitsplatzes (zum Teil wird eine
private Internetnutzung in geringem zeitlichen Umfang als möglicherweise
sozialadäquat angesehen - vgl. etwa LAG Rheinland-Pfalz v. 12.7.2004 - 7 Sa 1243/03,
NZA-RR 2005, 303; LAG Köln v. 11.2.2005 - 4 Sa 1018/04, NZA 2006, 106) und würde
die Pflichtverstöße nach einer Abmahnung jedenfalls einstellen.
64
Die Voraussetzung einer zeitlich erheblichen bzw. exzessiven privaten Internetnutzung
ist nach Auffassung der Kammer durch den maximal während viereinviertel Stunden
andauernden Aufruf der Seite www.gayromeo.com im Monat Dezember 2006 nicht
gegeben. Anders als bei den im Rahmen der zweiten Kündigung erhobenen Vorwürfen
stellt dies keine zeitlich so erhebliche private Internetnutzung dar, dass der Kläger in der
bei der Beklagten gegebenen Situation in keinem Fall mehr davon ausgehen konnte,
hierdurch den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht zu gefährden. Auf einen
Tagesdurchschnitt herunter gebrochen ist ihm eine arbeitstägliche unzulässige
Internetnutzung von maximal einer knappen Viertelstunde und einer mit Sicherheit
anzunehmenden aktiven Nutzung von maximal knapp fünf Minuten vorzuwerfen. Dies
stellt weder eine exzessive noch eine erkennbar zeitlich erhebliche Internetnutzung dar
(anders als beispielsweise in dem der Entscheidung des BAG v. 7.7.2005 - 2 AZR
581/04, NZA 2006, 98 zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem deutlich über einer
Stunde pro Tag liegende Nutzungszeiten vorlagen).
65
(2) Auch hinsichtlich des dem Kläger vorgeworfenen unzulässigen Aufrufens
sexistischer und gewaltverherrlichender Seiten hätte es - unabhängig davon, ob
einzelne Seiten des Portals tatsächlich als sexistisch oder gewaltverherrlichende Inhalte
aufweisen und der Kläger diese aufgesucht hat - einer vorherigen Abmahnung bedurft.
Eine solche ist nicht etwa deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil der Kläger beim
66
Aufruf der Seite www.gayromeo.com in keinem Fall von einer sanktionslosen Billigung
durch die Beklagte ausgehen durfte. Es ist nicht vorgetragen, dass die Seite
pornographische oder strafbare Inhalte enthält, in welchem Falle eine Abmahnung
sicherlich entbehrlich wäre. Der - für die Kammer nicht offenbare - Umstand allein, dass
möglicherweise sexistische oder gewaltverherrlichende Inhalte auf einzelnen Seiten
des Portals zu sehen sind, würde nach Auffassung der Kammer ebenfalls eine
Abmahnung nicht entbehrlich machen. Zunächst ist unklar und nicht mehr zu
rekonstruieren, welche Seiten des Portals der Kläger konkret aufgerufen hat. Zudem
treten weder Gewaltverherrlichung noch Sexismus auf den aktenkundig gemachten
Seiten so eindeutig zu Tage, dass dies jeder Betrachter entsprechend subsumieren
würde und sich eine Duldung durch den Arbeitgeber aufgrund des Verstoßes gegen das
Missbrauchsverbot der Detailbetriebsvereinbarung jedenfalls als ausgeschlossen
darstellen würde. Dies zeigt schon die unklare Vorstellung der Beklagten zu der
Begrifflichkeit sexistisch , die sie als sexuell verstanden wissen will. Wegen der
Unklarheit, ob die Seite www.gayromeo.com sexistische oder gewaltverherrlichende
Inhalte enthält, konnte keinesfalls auf eine Klarstellung der Sichtweise der Beklagten in
Form einer Abmahnung verzichtet werden. Das Schreiben des Betriebsrates vom
17.7.2006 enthält keine ausreichende Klarstellung, dass die Beklagte gerade das
Aufrufen der Seite www.gayromeo.com als missbräuchliche Internetnutzung im Sinne
des § 7 der Detailbetriebsvereinbarung bzw. aus sonstigen Gründen als unzulässig und
kündigungsrelevant ansieht. Angesichts der schon im Verfahren deutlich gewordenen
Schwierigkeiten bei der Auslegung beider Begriffe sieht es die Kammer als
ungerechtfertigt an, dem Kläger insoweit das Risiko der zutreffenden Auslegung
aufzuerlegen.
(3) Ebenso wenig kann nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der Gefahr einer
möglichen Rufschädigung der Beklagten bei Bekanntwerden der Nutzung der Seite
www.gayromeo.com durch einen ihrer Mitarbeiter von einem ausreichend gewichtigen
Verstoß ausgegangen werden, der ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche
Kündigung stützen könnte. Die Möglichkeit der Rückverfolgung der Seitenaufrufe durch
den Portalbetreiber erscheint eher theoretisch (vgl. LAG Hamm v. 3.5.2007 - 15 Sa
1880/06). Es sind keine Umstände vorgetragen, welche eine Gefahr nahe legen würden,
die Betreiber des Portals www.gayromeo.com würden die Identität ihrer Nutzer
aufzuklären suchen. Auch die allgemeine Lebenserfahrung führt nicht zur Annahme
einer solchen Gefahr. Die Beklagte selbst hat auf Nachfrage in der mündlichen
Verhandlung ihre diesbezüglichen Befürchtungen auch eher auf eine interne
Verbreitung des Wissens um den Internetmissbrauch gestützt. Eine solche Verbreitung
dürfte indes kaum zu der befürchteten Rufschädigung führen, da die Mitarbeiter der
Beklagten ihr Bild vom Unternehmen und von der Beklagten als Arbeitgeberin wohl
kaum auf das (Fehl-) Verhalten eines Kollegen stützen dürften. Wenn sie ihr Wissen um
den Internetmissbrauch ihrerseits an externe Dritten weitergeben würden, stellte dies
einen eigenen Treueverstoß dar. Auch diese Gefahr erscheint indes eher theoretischer
Natur und verleiht dem vom Kläger begangenem Pflichtverstoß jedenfalls nicht ein
solches Gewicht, dass dieser alleine deshalb schon mit einer Kündigung durch die
Beklagte rechnen musste. Der Kammer erscheint auch dieser Pflichtverstoß als
(lediglich) abmahnwürdig.
67
(4) Gleiches gilt hinsichtlich der Gefahr von Störungen des Betriebssystems oder der
Frage möglicher Zusatzkosten durch die unzulässige Internetnutzung. Die Beklagte hat
keine konkreten Schäden bzw. Zusatzkosten vorgetragen. Da mit Internetzugang
versehene betriebliche EDV-Systeme heute üblicherweise gegen Störungen durch
68
Computerviren und Ähnlichem geschützt sind, musste der Kläger auch hier nicht allein
aufgrund der Herbeiführung dieses - auch bei einer dienstlichen Nutzung, wenn auch
möglicherweise nicht in gleichem Maße gegebenen - Risikos mit einer sofortigen
Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechnen.
(5) Die mit dem Aufrufen der Seite www.gayromeo.com verbundenen einzelnen
Pflichtverstöße stellen jeweils keine solch schweren Verfehlungen dar, dass sie bei
Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ohne Abmahnung zu einer
außerordentlichen Kündigung führen könnten. Auch kumulativ betrachtet erreichen sie
nach Auffassung der Kammer kein ausreichendes Gewicht für eine außerordentliche
Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Angesichts der jeweils als milderem Mittel
vorzuziehenden Möglichkeit der Abmahnung konnte nicht von der Unzumutbarkeit der
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden.
69
d) Auf die zur Begründung der zweiten außerordentlichen Kündigung herangezogenen
weiteren Erkenntnisse über die private Internetnutzung durch den Kläger lässt sich die
Kündigung vom 9.2.2007 nicht stützen. Zwar war objektiv zu diesem Zeitpunkt auch
schon der gesamte für die Kündigung vom 22.2.2007 herangezogene Sachverhalt
gegeben. Doch hindert schon die auf die Nutzung der Internetseite www.gayromeo.com
in Dezember 2006 beschränkte Betriebsratsanhörung, diese Umstände zur Begründung
der Kündigung vom 9.2.2007 heranzuziehen. Denn der Arbeitgeber kann sich zur
Begründung der von ihm ausgesprochenen Kündigung lediglich auf solche Umstände
berufen, bezüglich derer er den Betriebsrat informiert hat. Teilt er ihm bekannte Gründe
nicht mit, verletzt er dadurch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates mit der Folge,
dass diese im Kündigungsschutzprozess nicht verwertbar sind (BAG v. 3.4.1986 - 2
AZR 324/85, NZA 1986, 677; v. 2.8.1989 - 2 AZR 280/88, NZA 1989, 755).
70
e) Auch als Verdachtskündigung ist die außerordentliche Kündigung vom 9.2.2006 nicht
wirksam. Der Verdacht zielt auf den identischen Sachverhalt ab, der wie unter c) erörtert
die außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen
vermag. Der entsprechende Verdacht kann daher erst recht nicht zur außerordentlichen
Kündigung führen. Einen auf die seinerzeitigen Erkenntnisse gestützten
weitergehenden Verdacht hat die Beklagte weder dem Betriebsrat noch im
Kündigungsschutzprozess vorgetragen.
71
3) Eine Umdeutung der ausgesprochenen außerordentlichen in eine ordentliche
Kündigung kommt nicht in Betracht. Durch eine solche konnte das Arbeitsverhältnis der
Parteien von Seiten der Beklagten nicht aufgelöst werden, da der Kläger als Betriebs-
und Aufsichtsratsmitglied den besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG (iVm. der
Betriebsvereinbarung zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder) genoss.
72
II.
73
Der Klageantrag zu 2) war abzuweisen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten
vom 22.2.2007 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 23.2.2007 beendet.
74
1) Der den Kläger treffende Verdacht der unzulässigen privaten Internetnutzung
während der Arbeitszeit in erheblichem Umfang berechtigte die Beklagte zur
außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund.
75
a) Auch der schwerwiegende Verdacht einer schuldhaften Pflichtverletzung kann einen
76
wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen.
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann für den Arbeitgeber auch dann
unzumutbar sein, wenn objektive Indiztatsachen die große Wahrscheinlichkeit
begründen, dass der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung begangen hat. Vor Ausspruch
der Kündigung muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung
des Sachverhalts unternommen und insbesondere den Arbeitnehmer Gelegenheit zur
Stellungnahme gegeben haben (St. Rspr., vgl. nur BAG v. 14.9.1994 - 2 AZR 164/94,
NZA 1995, 269; v. 18.11.1999 - 2 AZR 743/98, AP Nr. 32 zu § 626 BGB Verdacht
strafbarer Handlung).
b) Aus den bei Ausspruch der Kündigung vorliegenden Erkenntnissen ergab sich für die
Beklagte der schwerwiegende Verdacht einer exzessiven privaten Internetnutzung des
Klägers während der Arbeitszeit im Zeitraum Januar bis November 2006. Diesen durfte
sie berechtigter Weise zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen.
77
Der Verdacht beruht auf den für diesen Zeitraum erstellten Zugriffsprotokollen. Diese
weisen beispielsweise für den Monat August 2006 regelmäßig weit mehr als eine
Stunde täglich an offensichtlich privater Internetnutzung auf (vgl. Anlage zum SS. d. Bkl.
v. 21.6.2007, Bl. 267 d.A.). Aus der Gesamtdauer der Zugriffe und den Zugriffszeiten
ergibt sich, dass diese ganz überwiegend während der Arbeitszeit des Klägers erfolgt
sein dürften. Es fehlt an substantiiertem Vortrag des Klägers dazu, welche der Zugriffe
nicht während seiner Arbeitszeit erfolgten. Dessen hätte es angesichts des Vortrags der
Beklagten mit den genauen Zugriffszeiten für ein beachtliches Bestreiten bedurft.
78
Die Protokolle für die übrigen Monate ähneln der Anzahl der dokumentierten hits nach
dem für den Monat August 2006 sehr stark, so dass auch ohne Detailauswertung für den
gesamten Zeitraum der Verdacht einer zeitlich ganz erheblichen privaten
Internetnutzung bestand. Die Protokolle dokumentieren Zugriffe auf Seiten aus den
Themenbereichen Bodybuilding, Ernährung und Beauty sowie Bulldoggen/Hunde.
Auch wenn der Kläger mit Blick auf seine Betriebs- und Aufsichtsratstätigkeit von einem
Graubereich zwischen dienstlicher und privater Nutzung spricht, kann nicht ernsthaft
davon ausgegangen werden, dass die entsprechenden Seiten zu dienstlichen Zwecken
aufgerufen worden sind. Der Kläger selbst gesteht eine zumindest gelegentliche private
Nutzung des Internets ein. Sein - auch im Kammertermin vom 24.9.2007 vorgebrachter -
Einwand, die Seiten teilweise nur im Hintergrund geöffnet gehabt zu haben, ist
angesichts der sekundengenau dargelegten Zugriffe ebenfalls nicht ausreichend
substantiiert (vgl. LAG Hamm v. 3.5.2007 - 15 Sa 1880/06). Ohnehin vermag er den
Verdacht der privaten Internetnutzung in exzessivem Umfang nicht entscheidend zu
relativieren. Die dokumentierten Zugriffszeiten sind, selbst wenn man bei längerer
Zugriffsdauer einen Teil der Zugriffszeit als nur im Hintergrund geschehen unterstellte,
noch durchaus erheblich. Auch ohne die genaue Dauer der aktiven Betrachtung der
aufgerufenen Seiten und damit den Umfang der Vernachlässigung seiner
arbeitsvertraglichen Pflichten bestimmen zu können, begründen die Protokolle doch
zumindest den schwerwiegenden Verdacht einer erheblichen Vernachlässigung
arbeitsvertraglicher Pflichten durch die private Internetnutzung.
79
Die dokumentierten Zugriffszeiten sind der Überprüfung zugrunde zu legen, obwohl der
Kläger die Zuordnung der IP-Adresse und Zugriffe bestritten hat. Sein Bestreiten ist aus
den bereits angeführten Gründen [vgl. oben I. 2b)aa) (2)] unbeachtlich.
80
Ebenso wenig wird der im Raume stehende Pflichtverstoß des Klägers durch sein
81
Vorbringen relativiert, er habe gegenüber seinem direkten Vorgesetzten Herrn T.
angezeigt, mit den ihm übertragenen Aufgaben nicht ausgelastet zu sein. Ein solches,
entlastendes Vorbringen ist im Kündigungsrechtsstreit auch dann noch zu
berücksichtigen, wenn es dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Verdachtskündigung
unbekannt war (BAG v. 18.11.1999 - 2 AZR 743/98, NZA 2000, 418). Zum Teil wird
angenommen, dass eine Kündigung wegen privater Internetnutzung während der
Arbeitszeit dann nicht gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer darlegen und beweisen
könne, dass er in dem konkreten Zeitraum mangels Arbeitanfall ohnehin hätte untätig
sein müssen und letztlich eine Annahmeverzugssituation bestand (BAG v. 7.7.2005 - 2
AZR 581/04, NZA 2006, 98; Mengel, NZA 2005, 752 [753]). Die Kammer hält eine
solche Rechtfertigung allenfalls dann für denkbar, wenn der Arbeitnehmer dem
Arbeitgeber Anzeige von der fehlenden Auslastung gemacht hat und der Arbeitgeber
von der privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit wusste oder zumindest damit
rechnen konnte. Im Falle des Klägers hätte es einer solchen Anzeige umso mehr
bedurft, als die Beklagte angesichts seiner besonderen Situation als Betriebs- und
Aufsichtsratsmitglied in Ermangelung einer solchen nicht ohne weiteres auf eine
fehlende Auslastung des Klägers schließen konnte. Denn der genaue Umfang seiner
Inanspruchnahme als Betriebs- und Aufsichtsrat dürfte ihr verborgen gewesen sein.
Vorliegend ist der Vortrag der Nichtauslastung durch den Kläger hinsichtlich der
betroffenen Zeiträume bereits zu unsubstantiiert, um beurteilen zu können, während
welcher Zeiten der privaten Internetnutzung er keine Arbeitsaufgaben zu erfüllen hatte
(vgl. LAG Hamm v. 3.5.2007 - 15 Sa 1880/06). Angesichts teilweise mehrerer Stunden
privater Internetnutzung pro Tag erscheint eine auf fehlende Auslastung gestützte
Rechtfertigung schwerlich möglich. Jedenfalls fehlt es an einer entsprechenden Anzeige
an die Beklagte, ohne die der Kläger jedenfalls nicht mit einer konkludenten Billigung
seines Internetverhaltens durch die Beklagte rechnen durfte. Herr T. war nur für kurze
Zeit Vorgesetzter des Klägers. Der Kläger hat nicht vorgetragen, in dem erheblichen
Zeitraum Januar bis November 2006 und jeweils für die Tage privater Internetnutzung
dem zuständigen Vorgesetzten Meldung über seine mangelnde Auslastung gemacht zu
haben.
Die Beklagte hat ihrer Pflicht, alles Zumutbare zur Ermittlung des Sachverhalts zu
unternehmen, genüge getan. Insbesondere hat sie dem Kläger mit Schreiben vom
16.2.2007 Gelegenheit gegeben, zu den neuen Vorwürfen Stellung zu beziehen. Ein
gemeinsames Gespräch ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten
ablehnen.
82
Der Verwertung der Ergebnisse der von der Beklagten veranlassten
Einzelauswertungen stehen keine Beweisverwertungsverbote entgegen. Insoweit wird
auf die Ausführungen unter I. 2b) aa) (3) verwiesen.
83
c) Desweiteren hat der Kläger durch sein im Zeitraum zwischen Januar und November
2006 gezeigtes Verhalten gegen das im Betrieb bestehende Verbot der privaten
Internetnutzung verstoßen und die Beklagte der Gefahr von Störungen des betrieblichen
EDV-Systems und von Rufschädigungen ausgesetzt. Insoweit wird auf das oben unter I.
2) b) aa), bb) und cc) Gesagte verwiesen.
84
d) Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt, dass aufgrund des den Kläger im
Rahmen der zweiten Kündigung treffenden Verdachts schwerwiegender Pflichtverstöße
und des damit einhergehenden Vertrauensverlustes auf Seiten der Beklagten dieser die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar und sie zur außerordentlichen
85
Kündigung berechtigt war. Zwar war die Beklagte über den genauen zeitlichen Umfang
der unerlaubten privaten Internetnutzung durch den Kläger im Unklaren. Doch konnte
sie angesichts der für den Zeitraum Januar bis November 2006 vorgenommenen
Einzelauswertung nur davon ausgehen, dass der Kläger während ganz erheblicher
Teile der täglichen Arbeitszeit keine Arbeitsleistung erbracht, sondern privat den am
Arbeitsplatz zur Verfügung gestellten Internetzugang genutzt hatte. Dieser neben den
feststehenden Vertragsverletzungen bestehende Verdacht war geeignet, ihr Vertrauen
in den Kläger unwiederbringlich zu zerstören.
Damit überwog das Auflösungsinteresse auf Seiten der Beklagten die
Bestandsinteressen des Klägers. Neben dem nach achteinhalbjähriger - störungsfreier -
Betriebszugehörigkeit erreichten sozialen Besitzstand war zugunsten des Klägers zu
berücksichtigen, dass der Beklagten neben der entgangenen Gegenleistung während
der privat genutzten Arbeitszeiten keine konkreten Schäden entstanden sind. Die Gefahr
einer Rufschädigung war nach Auffassung der Kammer nicht besonders gewichtig.
Jedoch wiegen der Verstoß gegen das betriebliche Verbot der privaten Internetnutzung
sowie der dringende Verdacht, dass dies in ganz erheblichem Umfang während der
Arbeitszeit erfolgte, so schwer, dass aus Sicht der Kammer der Beklagten eine
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar war. Bei einer privaten
Internetnutzung während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer grundsätzlich seine
(Hauptleistungs-) Pflicht zur Arbeit. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je
mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in
zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (BAG v. 27.4.2006 - 2 AZR 386/05,
NZA 2006, 977).
86
Auch der ultima ratio-Grundsatz steht der außerordentlichen Kündigung nicht entgegen.
Angesichts der Dauer der anzunehmenden privaten Nutzungszeiten von
durchschnittlich über einer Stunde täglich konnte der Kläger nicht damit rechnen, dass
die Beklagte seine Pflichtverletzungen hinnehmen und lediglich eine Abmahnung
aussprechen würde. Nach den oben bereits dargestellten Grundsätzen [vgl. I 2) c) cc)
(1)] war damit eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung entbehrlich. Der Kläger
hat sich sehenden Auges über die erkennbaren Interessen der Beklagten hinweggesetzt
und schwerwiegend gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Sein
nachträgliches Bemühen um Wiedergutmachung und die gezeigte Reue konnten das
bereits zerstörte Vertrauen auf Seiten der Beklagten nicht wieder herstellen, zumal er
die anzunehmenden Pflichtverstöße nicht vollständig, sondern nur in Hinblick auf die
Nutzung der Seite www.gayromeo.com eingestanden hat. Die einseitige
außerordentliche Lösung vom Kläger durch die Beklagte war vor dem Hintergrund des
gegen diesen sprechenden schwerwiegenden Verdachts nicht unverhältnismäßig.
87
d) Die Kündigung ist nicht aufgrund einer unzulässigen Diskriminierung wegen der
sexuellen Identität des Klägers unwirksam. Es ist umstritten, wie der europarechtlich
gebotene Schutz von Arbeitnehmern vor einer Diskriminierung wegen eines der in den
einschlägigen Richtlinien (RL 2000/43/EG, 2000/78/EG und 76/207/EWG in der
Fassung der Richtlinie 2002/73/EG) genannten Merkmale bei Kündigungen zu
gewährleisten ist. Insbesondere ist strittig, ob die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 4
AGG als europarechtswidrig unbeachtlich und damit das AGG anwendbar ist oder die
Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes sowie der §§ 138, 242, 626 BGB einen
den europarechtlichen Erfordernissen genügenden und abschließenden Schutz vor
Diskriminierungen bieten (vgl. zum Streitstand nur: LAG BW 18.6.2007 - 4 Sa 14/07;
ArbG Osnabrück v. 5.2.2007 - 3 Ca 724/06, NZA 2007, 626; Hamacher/Ulrich NZA
88
2007, 657; Wisskirchen, DB 2006, 1491; Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887;
Bayreuther, DB 2006, 1842; Willemsen/Schweibert, NJW, 2006, 2583; Sagan, NZA
2006, 1257).
Eine Streitentscheidung kann dahinstehen, da hinsichtlich der Kündigung vom
22.2.2007 keine Hinweise auf eine nach dem AGG unzulässige Diskriminierung des
Klägers wegen seiner sexuellen Identität vorliegen. Die Beklagte stützt die Kündigung
ausweislich des Anhörungsschreibens vom 21.2.2007 auf eine private Internetnutzung
am Arbeitsplatz in daten- und zeitmäßig erheblichem Umfang sowie auf das Aufrufen
von Seiten mit sexistischem Inhalt. Beide Vorwürfe sind nicht geeignet, den Kläger
aufgrund seiner sexuellen Identität zu benachteiligen. Eine private Internetnutzung am
Arbeitplatz von erheblicher Dauer stellt in der Regel eine schwerwiegende Verletzung
der arbeitsvertraglichen Pflichten sowie ein strafrechtlich beachtliches Verhalten dar.
Der Aufruf sexistischer Internetseiten ist bei der Beklagten qua Betriebsvereinbarung
verboten und stellt mithin ebenfalls eine Vertragspflichtverletzung dar. Beide Vorwürfe
stehen in keinem Zusammenhang mit der sexuellen Identität des Betroffenen. Dabei
kann dahinstehen, ob die Beklagte den Begriff sexistisch zutreffend interpretiert hat oder
hierunter lediglich sexuelle Inhalte verstand. In beiden Fällen folgt daraus keine
Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität. Denn ihr Vorgehen in Bezug auf die
Nutzer der Seiten www.poppen.de und www.swingerclub.de zeigt, dass sie generell
gegen die Nutzung solcher Seiten vorgehen wollte, die sich aus ihrer Sicht wegen der
Freizügigkeit der gezeigten Inhalte als anstößig - bzw. nach ihrem Verständnis
sexistisch - darstellten. Die Seiten www.poppen.de und www.swingerclub.de sind nicht
auf homosexuelle Besucher ausgerichtet. Es liegt mithin kein Hinweis darauf vor, dass
sich die Maßnahme gerade gegen Homosexuelle richtete. Die vom Kläger genutzte
Internetseite www.gayromeo.com ist mit den genannten Seiten in der hier allein
interessierenden Hinsicht auch vergleichbar. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass
das von ihm besuchte Portal möglicherweise zu erheblichen Teilen nicht anstößige
Inhalte präsentiert. Doch enthält es jedenfalls in nicht unerheblichem Umfang auch
Inhalte, die als ebenso anstößig empfunden werden können wie die der Seiten
www.poppen.de und www.swingerclub.de. Der Arbeitgeber kann ein berechtigtes
Interesse daran haben, nicht mit solchen Seiten in Verbindung gebracht zu werden. Ob
sich - wie der Kläger meint - in der initialen Entscheidung der Beklagten, die Seite
www.gayromeo.com besonders zu überprüfen, eine von Vorurteilen gegenüber
homosexuellen Männern behaftete Einstellung offenbarte, kann dahinstehen. Diese
Entscheidung ist nicht Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage des Klägers. Eine
hierin liegende unzulässige Benachteiligung könnte sich auch nicht auf die Wirksamkeit
der ausgesprochenen Kündigung auswirken, da sie nicht einmal den Motivbereich
dieser Kündigung berührt, sondern allenfalls eine noch vorgelagerte Vorstellung der
maßgeblichen Entscheidungsträger, deren Verfolgung zur Offenbarung eines
kündigungserheblichen Sachverhaltes geführt hat. Unabhängig davon, dass eine
Diskriminierung schon deswegen nicht vorliegen dürfte, weil sich die Vorstellungen der
Beklagten über die Anstößigkeit der dort gezeigten Inhalte gerade bewahrheitet haben,
handelt es sich hierbei nicht um einen im Kündigungsrechtstreit beachtlichen Umstand.
Liegt ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender Pflichtverstoß vor, so kann es
für deren Wirksamkeit nicht darauf ankommen, was auf Seiten des Arbeitgebers den
Anstoß für Vorfeldermittlungen gegeben hat.
89
2) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.
90
a) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur binnen zwei
91
Wochen erfolgen. Der Lauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt mit dem Zeitpunkt, in
dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis von den für die Kündigung maßgeblichen
Tatsachen Kenntnis erlangt. Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und
möglichst vollständige positive Kenntnis des Kündigungssachverhalts an. Zur
Aufklärung des Sachverhalts kann der Kündigungsberechtigte die ihm nach
pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführen,
insbesondere dem Kündigungsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Durch
derartige Maßnahmen kann die Ausschlussfrist aber nicht länger als unbedingt nötig
hinausgeschoben werden. Ihr Beginn ist nur solange gehemmt, wie der
Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch
Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des
Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG v. 31.3.1993 - 2 AZR 492/92, AP Nr.
32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist mwN).
b) Am 12.2.2007 erhielt der Vorstand durch die Auswertung der Internetzugriffe des
Klägers zwischen Januar und November 2006 Kenntnis davon, dass und in welchem
Ausmaß der Kläger in diesem Zeitraum seinen dienstlichen Internetzugang privat
genutzt hatte. Dies ist der früheste Zeitpunkt, ab dem die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu
laufen beginnen konnte. Denn zuvor bestand aufgrund der bereits bekannten Zugriffe
des Klägers auf die Seite www.gayromeo.com in Dezember 2006 lediglich ein Verdacht
weiterer unerlaubter Internetnutzung. Dieser Verdacht bedurfte der weiteren Aufklärung
unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates. Die Beklagte ist hierbei
mit der gebotenen Eile vorgegangen, so dass der Lauf der Kündigungsfrist so lange
gehemmt war. Zunächst hatte die Beklagte aufgrund der Offenbarung des Klägers vom
24.1.2007 lediglich Kenntnis davon, dass der Kläger von seinem Arbeitsplatz aus die
Seite www.gayromeo.com aufgerufen hatte, ohne aber vom Kläger über die Art der
Inhalte und vor allem das Ausmaß der privaten Nutzung aufgeklärt zu werden. Vor einer
Entscheidung über die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte und
musste die Beklagte daher den Sachverhalt näher aufklären und erhielt aufgrund der
vorgenommenen Einzelauswertung spätestens am 5.2.2007 Kenntnis von der Anzahl
der hits auf den Seiten des Portals in Dezember 2006. Diese Erkenntnisse hat die
Beklagte zum Anlass einer weiteren Überprüfung des Internetverhaltens des Klägers
genommen und dabei - auch unter Berücksichtigung der notwendigen Beteiligung des
Betriebsrates - die Aufklärung nicht unangemessen verzögert. Noch am 7.2.2007 erhielt
die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrates zu der weiteren Einzelauswertung des
Internetverhaltens des Klägers in 2006. Deren Ergebnisse wurden dem Vorstand erst
am 12.2.2007 bekannt, also noch innerhalb von zwei Wochen vor Zugang der
Kündigung spätestens am 26.2.2007. Die Frage, ob der Beginn der Zweiwochenfrist für
die von der Beklagten ausgesprochene Tatkündigung erst mit Ablauf der dem Kläger
gesetzten Stellungnahmefrist zu laufen begann, kann daher dahinstehen.
92
3) Die nach §§ 103 Abs. 1 BetrVG, 15 Abs. 1 S. 1 KSchG und § 3 d) der
Betriebsvereinbarung Persönliche Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter im
Aufsichtsrat erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen
Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ist rechtzeitig erfolgt.
93
a) Da die Zustimmung des Betriebsrats als Wirksamkeitsvoraussetzung vor dem
Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vorliegen muss, ist der Arbeitgeber
verpflichtet, wie bei der Anhörung des Betriebsrats zu jeder anderen beabsichtigten
außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 1 BetrVG, dem
Betriebsrat die Kündigungsabsicht und die maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen,
94
welche den wichtigen Grund für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung
darstellen sollen. Die für das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG geltenden
Grundsätze sind insoweit auch für § 103 Abs. 1 BetrVG entsprechend anzuwenden
(BAG v. 18.8.1977 - 2 ABR 19/77, AP Nr. 10 zu § 103 BetrVG 1972; v. 17.2.1994 -2 AZR
673/93). Hierzu gehört im Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG insbesondere der
Hinweis, dass der zu kündigende Arbeitnehmer dem Sonderkündigungsschutz des § 15
Abs. 1 KSchG unterfällt und das Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG eingeleitet
werden soll.
b) Das Anhörungsschreiben vom 21.2.2007 genügt den an eine ordnungsgemäße
Betriebsratsanhörung nach § 103 Abs. 1 BetrVG zu stellenden Anforderungen. Es gibt
neben den Sozialdaten des Klägers auch dessen Stellung als Betriebsrat und
Aufsichtsratsmitglied wieder und enthält ausdrücklich einen Antrag auf Zustimmung zur
außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nach §§ 103
Abs. 1 BetrVG, 15 Abs. 1 S. 1 KSchG und § 3 d) der Betriebsvereinbarung Persönliche
Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat . Der Sachverhalt, auf den die
Beklagte die Kündigung stützen will, ist hinreichend detailliert beschrieben.
Insbesondere bezieht sich die Beklagte hierin ausdrücklich auf eine verbotswidrige
private Internetnutzung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit in erheblichen
zeitlichen und datenmäßigen Umfang. Ausdrücklich stützt sie die Kündigung hilfsweise
auf den Verdacht entsprechender Pflichtverstöße. Durch die Beifügung einer CD-Rom
mit der Einzelauswertung der Internetnutzung vom Arbeitsplatz des Klägers hat sie dem
Betriebsrat den maßgeblichen der Kündigung zugrunde gelegten Sachverhalt offen
gelegt. Daneben bedurfte es nicht mehr einer gesonderten Beschreibung der auf den
entsprechenden Seiten gezeigten Inhalte. Es obliegt dem Betriebsrat, wie er diese -
jederzeit öffentlich zugänglichen - Seiten bewertet.
95
Mit Schreiben vom 22.2.2007 hat der Betriebsrat der beabsichtigten hilfsweise erneuten
Kündigung des Klägers vor Ausspruch zugestimmt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum
23.2.2007 aufgelöst, weil das Kündigungsschreiben an diesem Tage in den
Machtbereich des Klägers gelangte und mit einer Kenntnisnahme noch am selben Tage
gerechnet werden konnte.
96
III.
97
Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist
rechtswirksam aufgelöst.
98
IV.
99
Die mündliche Verhandlung war nicht nach § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 156 ZPO wieder
zu eröffnen, da die Kammer ihr Urteil nicht auf die nur im Schriftsatz vom 19.9.2007
enthaltenen Tatsachen stützt.
100
V.
101
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 92 Abs. 1 ZPO und
spiegelt das teilweise Unterliegen und Obsiegen der Parteien nach dem zugrunde
gelegten Streitwerten (vgl. unter VI.) wieder.
102
VI.
103
Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Für die
Kündigungsschutzanträge sind jeweils drei, für den unbedingt gestellten
Weiterbeschäftigungsantrag zwei Bruttomonatsgehälter des Klägers angesetzt worden.
104
Rechtsmittelbelehrung
105
Gegen dieses Urteil kann von jeder Partei
106
B e r u f u n g
107
eingelegt werden.
108
Die Berufung muss
109
innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat
110
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
111
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
112
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
113
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
114