Urteil des ArbG Düsseldorf vom 12.06.2008

ArbG Düsseldorf: betriebsrat, deklaratorische wirkung, juristische person, eingliederung, abstimmung, entstehung, form, unternehmen, stimmenmehrheit, integration

Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 BV 58/08
Datum:
12.06.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 BV 58/08
Schlagworte:
...
Normen:
...
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1) Ein Beschluss zur Errichtung eines unternehmenseinheitlichen
Betriebsrates nach § 3 Abs.3 BetrVG setzt die Zustimmung der
absoluten Stimmenmehrheit der Arbeitnehmer voraus.
2) Eine Wahl zur Errichtung eines unternehmenseinheitlichen
Betriebsrates, der auf einem Beschluss beruht, der lediglich mit der
Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Arbeitnehmer gefasst wurde, ist
nichtig. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob dieser Mangel
offenkundig war oder nicht.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller am Standort S. der Beteiligten
zu 2. ein Übergangsmandat im Sinne des § 21a
Betriebsverfassungsgesetz hat.
I: Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, welcher von zwei Betriebsräten nach einer
Umstrukturierung fortbesteht.
2
Der Antragsteller ist der neunköpfige Betriebsrat eines Betriebes in S.. Dieser Betrieb
mit rund 270 wahlberechtigten Arbeitnehmern gehörte bis zum 31.03.2008 zur T. Dieses
Unternehmen wurde auf der Grundlage eines Verschmelzungsvertrages auf die
Beteiligte zu 2) übertragen, die ihrerseits über einen Standort in S. verfügt mit rund 340
wahlberechtigten Arbeitnehmern. Beide Betriebe, die räumlich 4 km voneinander
entfernt liegen, waren bis dahin bereits eng miteinander verbunden. Die personelle
Leitung erfolgte für den Betrieb der T. in der Vergangenheit durch den dortigen
Personalleiter T. der alle Standorte der T. in Mitbestimmungsfragen betreute. Mit der
Verschmelzung wird die Leitung, wie für den zweiten Standort in S. auch, durch die
Zentrale in Waldorf ausgeübt.
3
Die Beteiligte zu 2) verfügt über einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat, den
Beteiligten zu 3), der 23 Mitglieder zählt. Dieser Betriebsrat wurde am 08.12.2006
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Beteiligten zu 3), der 23 Mitglieder zählt. Dieser Betriebsrat wurde am 08.12.2006
gewählt. Der Wahl ging eine Abstimmung in der Belegschaft voraus zur Frage, ob ein
unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gewählt werden soll. Diese Abstimmung ergab
eine deutliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen für einen
unternehmenseinheitlichen Betriebsrat, es stimmte jedoch nicht mehr als die Hälfte der
wahlberechtigten Belegschaft dafür.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass die Wahl zum unternehmenseinheitlichen
Betriebsrat bei der jetzigen Arbeitgeberin nichtig war. Deshalb könne nur er als wirksam
konstituierter Betriebsrat das Mandat für die Belegschaft in S. wahrnehmen in Form
eines Übergangsmandats gem. § 21a BetrVG.
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Der Antragsteller beantragt:
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Es wird festgestellt, dass der Antragsteller am Standort S. der Beteiligten zu 2) ein
Übergangsmandat im Sinne des § 21a BetrVG hat.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Die Beteiligte zu 2) vertritt die Ansicht, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen für
die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates nicht vorgelegen haben
sollten, dieser Fehler nicht so wesentlich und offensichtlich ist, dass er zur Nichtigkeit
des Beteiligten zu 3) führen könnte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
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II:
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Der Antrag ist zulässig.
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Bei Streitigkeiten über das Bestehen eines Übergangsmandates im Verhältnis
Betriebsrat und Arbeitgeber und zwischen mehreren Betriebsräten ist im
Beschlussverfahren nach § 2a Abs.1 Nr.1 und Abs.2 ArbGG zu entscheiden.
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Der Antragsteller verfügt über das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse,
ob er oder der Beteiligte zu 3) die Arbeitnehmer am Standort in S. gegenüber der
Beteiligten zu 2) vertritt.
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Zulässig im Sinne des § 81 Abs.3 BetrVG ist auch die Antragsänderung in der
mündlichen Verhandlung vom 12.06.08, die die Vorsitzende angeregt und auf die sich
die Beteiligten zu 2) und 3) rügelos eingelassen haben.
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Der Antrag ist auch begründet.
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Der Antragsteller verfügt über ein Vollmandat in Form eines Übergangsmandates im
Sinne des § 21a Abs.2 i.V.m. Abs.1 BetrVG gegenüber der Beteiligten zu 2) für den
nunmehr einheitlichen Standort S..
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§ 21 a Abs.2 BetrVG setzt für die Entstehung eines Übergangsmandates die
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Zusammenfassung mehrerer Betriebe oder Betriebsteile zu einem Betrieb voraus.
Eine solche Zusammenfassung ist durch die Integration des Standortes der T. in den
Betrieb der Beteiligten zu 2) erfolgt.
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Es ist in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten übereinstimmend klar
gestellt worden, dass die beiden S. Standorte schon in der Vergangenheit eng verzahnt
waren und nunmehr auch von einer einheitlichen Leitungsmacht, die von der Zentrale
der Beteiligten zu 2) in X. ausgeübt wird, geführt werden. Entsprechend wurde in der
Antragsänderung berücksichtigt, dass nunmehr ein einheitlicher Betrieb oder zumindest
ein qualifizierter Betriebsteil im Sinne des § 4 Abs.1 BetrVG in S. besteht.
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Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) ist die Entstehung eines
Übergangsmandates beim Antragsteller nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine
Eingliederung in den eigenen Standort erfolgte, der mit dem Beteiligten zu 3) bereits
über einen Betriebsrat verfügt.
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Gem. § 21a Abs.2 S.2 i.V.m. Abs.2 S.1 BetrVG entsteht kein Übergangsmandat für den
Betriebsrat eines Betriebes, der in einen anderen Betrieb eingegliedert wird, wenn der
aufnehmende Betrieb seinerseits über eine Arbeitnehmervertretung verfügt.
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Eine Eingliederung des Standortes der T. in den der Beteiligten zu 2) ist erfolgt.
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Von einer Eingliederung ist auszugehen, wenn die Arbeitnehmer des aufgenommenen
Betriebes in die Abteilungen des aufnehmenden Betriebes verteilt werden und dort
gegebene Tätigkeiten wahrnehmen, wenn also der aufnehmende Betrieb in seiner
Organisationsstruktur unverändert bleibt. Der aufnehmende Betrieb wird lediglich
größer, ohne dass er dadurch tiefgreifende Veränderungen erfährt (LAG Frankfurt,
06.05.2004, 9 TaBvGa 61/04, juris; Feudner, DB 2003,882; Thüsing, DB 2002, 738,739).
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Insoweit tragen die Beteiligten übereinstimmend vor, dass die beiden Standorte schon
in der Vergangenheit in einer Form zusammenarbeiteten, dass diese Zusammenarbeit
einem Gemeinschaftsbetrieb sehr nahe kam. Dies gilt sowohl hinsichtlich des jeweiligen
Betriebszwecks, - Integration bzw. Implementierung von T. beim Kunden, - als auch
hinsichtlich des wechselseitigen Einsatzes von Mitarbeitern. Hinsichtlich der Ausübung
der personellen Leitungsmacht gab es bis zur Verschmelzung allerdings noch eine klare
Trennung. Diese ist mit der Übernahme der Leitungsmacht durch die Beteiligte zu 2), die
diese bisher nur für den eigenen Standort wahrnahm, nunmehr aber zusätzlich für den
ehemaligen Standort der T. wahrnimmt, auch in einer Hand. Das bedeutet, dass sich
weder hinsichtlich des Orts und Inhalts der Tätigkeit noch der Organisation für die
Mitarbeiter an beiden Standorten Änderungen ergeben haben. Es ist lediglich für den
ehemaligen Betrieb der T. zu einem Wechsel des Leitungsapparates gekommen.
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Verlangt man für die Annahme einer Eingliederung darüber hinaus, dass der
aufnehmende Betrieb wesentlicher größer sein muss als der andere Betrieb oder
Betriebsteil (so etwa GK/Kreitz, BetrVG, 7.Aufl., § 21a Rz.61), entsteht nach Auffassung
der Beteiligten zu 2) ebenso wenig ein Übergangsmandat des Antragstellers. Dieses
läge nach Auffassung der Beteiligten zu 2) gem. § 21a Abs.2 BetrVG beim Beteiligten zu
3) als dem Betriebsrat des größeren Betriebes.
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Der aufnehmende Standort in S. verfügt jedoch nicht über einen wirksam errichteten
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Betriebsrat.
Der Beteiligte zu 3) ist nicht wirksam errichtet worden. Denn eine entsprechende
Betriebsratswahl zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates hätte nicht
stattfinden dürfen.
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Die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates
lagen bei der Beteiligten zu 2) nicht vor.
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Nach § 3 BetrVG kann durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Abstimmung in der
Belegschaft ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat errichtet werden, wenn dies die
Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der
Interessen der Arbeitnehmer dient.
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Eine solche Abstimmung fand bei der Beteiligten zu 2) am 11.09.06 statt. Von den
zumindest 3.388 wahlberechtigten Arbeitnehmern stimmten 1.534 Mitarbeiter für die
Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates.
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Damit waren die Voraussetzungen für die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen
Betriebsrates nach § 3 Abs.3 BetrVG nicht erfüllt.
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Die Abstimmung durfte zwar mangels bestehenden Tarifvertrages und Betriebsrates
durchgeführt werden. Die Arbeitnehmer hätten die Errichtung eines
unternehmenseinheitlichen Betriebsrates jedoch mit "Stimmenmehrheit" beschließen
müssen. Die absolute Stimmenmehrheit aller Arbeitnehmer des Unternehmens wäre
demnach erforderlich gewesen (Fitting, BetrVG, 24.Aufl., § 3 Rz. 95; GK-Kraft, BetrVG
7.Aufl., § 3 Rz. 34; Däubler, BetrVG 9.Aufl., § 3 Rz. 137; Richardi, BetrVG, 10.Aufl., § 3
Rz. 87). Diese wurde nicht erreicht.
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Die Beteiligte zu 2) scheint es demgegenüber zumindest für vertretbar zu halten, dass
die erreichte Mehrheit der abgegebenen Stimmen den Weg zur Errichtung des
Beteiligten zu 3) frei gemacht hat.
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Sie bezieht sich hierzu auf § 20 Abs.1 S.1 SprAuG, wonach die Bildung eines
Unternehmensausschusses möglich ist, wenn die "Mehrheit der leitenden Angestellten"
dies verlangt. Die unterschiedliche Formulierung weise darauf hin, dass der
Gesetzgeber auch in der Sache unterschiedliche Regelungen habe treffen wollen.
Warum allerdings der Gesetzgeber das Ziel gehabt haben sollte, für die Bildung eines
Unternehmenssprecherausschusses eine höhere demokratische Legitimation zu
verlangen als für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, erläutert die
Beteiligte zu 2) nicht und lässt sich wohl auch nicht tragfähig begründen. Und die
unterschiedliche Formulierung der beiden Normen lässt sich schlicht damit begründen,
dass § 20 SprAuG kein Abstimmungsverfahren mit einer entsprechenden Stimmabgabe
vorsieht, sondern mit Blick auf die meist überschaubare Zahl der leitenden Angestellten
in einem Unternehmen lediglich ein "Verlangen" der Mehrheit voraussetzt. Auch zeigt
ein Blick in die weiteren Regelungen des BetrVG, in denen mit wortgleichen
Formulierungen qualifizierte Mehrheiten verlangt werden, wie etwa in § 27 Abs.2 S.1
BetrVG oder auch § 36 BetrVG, dass der Gesetzgeber in der Wahl seiner Formulierung
in § 3 Abs.3 BetrVG durchaus konsequent und eindeutig war und nicht lediglich
vergessen hat, das Wort "abgegebene" Stimmen einzufügen.
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Die Beteiligte zu 2) geht in ihrer Argumentation weiter. Selbst wenn ein Fehler im
Vorfeld der Wahl des Beteiligten zu 3) unterlaufen sei, liege hierin kein derart
schwerwiegender und offensichtlicher Fehler, dass er über die Anfechtungsfrist hinaus
als Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden könne.
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Doch auch diese Auffassung überzeugt die Kammer nicht.
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Zutreffend ist der Ausgangspunkt, dass Wahlmängel gem. § 19 BetrVG in der Regel nur
innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses
geltend gemacht werden können.
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Eine Wahlanfechtung aus Gründen, die zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl führen, ist
im Betriebsverfassungsgesetz weder hinsichtlich der Nichtigkeitsvoraussetzungen noch
hinsichtlich der Nichtigkeitsfolgen gesetzlich geregelt. Es entspricht jedoch einem für
das Betriebsverfassungsgesetz allgemein anerkannten Grundsatz, dass neben den im
gesetzlich geregelten Wahlanfechtungsverfahren geltend zu machenden Wahlmängeln
auch solche Gesetzesverstöße vorliegen können, die das Entstehen einer
Arbeitnehmervertretung von vornherein ausschließen (BAG, 29.04.1998, 7 ABR 42/97,
AP Nr.58 zu § 40 BetrVG 1972). Eine Betriebsratswahl ist nichtig, wenn gegen
wesentliche Grundsätze des Wahlrechts in einem so hohen Maße verstoßen worden ist,
dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt.
Erforderlich ist ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche gesetzliche
Wahlregeln. In diesen Fällen hat der Ausspruch der Nichtigkeit der Wahl nur
deklaratorische Wirkung (BAG, 29.04.1998, 7 ABR 42/97, AP Nr.58 zu § 40 BetrVG
1972; 11.04.1978, 6 ABR 22/77, AP Nr.8 zu § 19 BetrVG 1972).
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Hieran knüpft die Beteiligte zu 2) an, wenn sie darauf hinweist, dass das Nichterreichen
der erforderlichen Stimmenmehrheit in der Abstimmung nach § 3 Abs.3 BetrVG kein
grober und auch kein offensichtlicher Fehler sei.
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Auch diese Auffassung teilt die Kammer nicht.
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Die Tatsache, dass die Hälfte von 3.388 Arbeitnehmerstimmen nicht bei 1.534 liegt, ist
offensichtlich. Dieser Fehler stellt gleichzeitig einen groben Verstoß dar, weil er zur
Einleitung einer Wahl führte, die gar nicht hätte stattfinden dürfen. Insoweit ist diese
Konstellation durchaus mit dem Fall vergleichbar, dass sich die vierköpfige Belegschaft
eines Betriebes einen Betriebsrat wählt, obwohl die Voraussetzungen für seine
Errichtung nach § 1 BetrVG nicht vorliegen. Die Beteiligte zu 2) sieht hingegen eine
Vergleichbarkeit mit den Fällen, in denen eine Wahl unter Verkennung des
Betriebsbegriffes erfolgt, was regelmäßig lediglich zur Anfechtbarkeit, nicht zur
Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt (vgl. etwa BAG, 31.05.2000, 7 ABR 78/98, AP
Nr.12 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb). Eine Vergleichbarkeit würde sich
höchstens dann ergeben, wenn in Verkennung des Unternehmensbegriffs
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falsch entschieden wurde, wer zur Stimmabgabe berechtigt ist. Und selbst dann lässt
sich die im Einzelfall rechtlich schwierige Frage, was ein Betrieb oder ein qualifizierter
Betriebsteil ist, kaum vergleichen mit der ungleich leichteren Frage, welcher
Arbeitnehmer welchem Unternehmen zuzuordnen ist. Hierfür dürfte in der Regel ein
Blick in den Arbeitsvertrag genügen. Bei der Abstimmung nach § 3 Abs.3 BetrVG im
Unternehmen der Beteiligten zu 2) wurde jedoch nicht verkannt, welche Arbeitnehmer
stimmberechtigt sind. Es wurde verkannt, dass die erforderliche Stimmenmehrheit nicht
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erreicht wurde. Der Beteiligte zu 1) nimmt sogar an, dass wider besseren Wissens um
die rechtlichen Voraussetzungen die Wahl zum Beteiligten zu 3) durchgeführt wurde. Er
weist hierzu auf entsprechende Wahlaufrufe hin, die darauf hinweisen, dass
"Nichtabstimmung" die Gefahr eines dezentralen Betriebsrates" erhöhe [Bl.274 der
Akten]. Diese Frage konnte jedoch offen bleiben, denn der Fehler ist zumindest
offensichtlich, das heißt, er hätte gesehen werden müssen.
Unabhängig hiervon erscheint es der Kammer durchaus fraglich, ob bei einem Verstoß
gegen § 3 BetrVG und der damit verbundenen Frage der Wirksamkeit der Errichtung
eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates nur offensichtliche Fehler über die
Anfechtungsfrist hinaus berücksichtigt werden.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine
Betriebsratswahl auch dann nichtig, wenn sie in einem Betrieb durchgeführt wird, der
nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht unter den Geltungsbereich des
Betriebsverfassungsgesetzes fällt, weil es sich um eine karitative und erzieherische
Einrichtung einer Religionsgemeinschaft handelt. Denn insoweit fehlt es von Anbeginn
an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl. Das
Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes ist in aller Regel nicht offenkundig (BAG,
29.04.1998, 7 ABR 42/97, AP Nr.58 zu § 40 BetrVG 1972; 09.02.1982, 1 ABR 36/80, AP
Nr.24 zu § 118 BetrVG 1972).
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Die Kammer sieht hierbei durchaus, dass die Beteiligte zu 2) nicht unter die
Ausnahmevorschrift des § 118 Abs.2 BetrVG fällt. Doch die Begründung, aus der das
BAG die Nichtigkeit der Betriebsratswahl herleitet, ist übertragbar. Denn die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Wahl fehlten auch beim
Beteiligten zu 3). Die Beteiligte zu 2) hielt diesem Argument im Anhörungstermin
entgegen, dass für Betriebe im Sinne des § 118 Abs.2 BetrVG aus
verfassungsrechtlichen Gründen der Anwendungsbereich des
Betriebsverfassungsgesetzes von vornherein nicht eröffnet sei, für die Beteiligte zu 2)
hingegen schon. Deshalb seien diese Konstellationen nicht miteinander vergleichbar.
Richtig ist natürlich, dass die Beteiligte zu 2) unter den Anwendungsbereich des
Betriebsverfassungsgesetzes fällt. Nun ist aber § 3 Abs.3 BetrVG eine
Ausnahmevorschrift, die Unternehmen mit mehreren Betrieben eine Abweichung von
der gesetzlichen Konzeption des örtlichen Betriebsrates, die das
Betriebsverfassungsgesetz vorsieht, erlaubt. Wenn nun, weil dies die
Tarifvertragsparteien, die Betriebspartner oder die Belegschaft wünschen, die
Konzeption des BetrVG verlassen werden soll, ist es durchaus vertretbar zu verlangen,
dass die Voraussetzungen für eine solche Abweichung unabhängig von ihrer
Offensichtlichkeit erfüllt sein müssen. Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 19 BetrVG.
Im Interesse der Rechtssicherheit für die Betriebspartner können Verstöße gegen
Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren nur im
Rahmen einer Wahlanfechtung geltend gemacht werden. Der rechtliche Mangel ist hier
jedoch nicht in der Art der Durchführung der Wahl begründet, sondern in dem Umstand,
dass überhaupt eine solche stattgefunden hat. Wenn die Voraussetzungen für die
Errichtung eines Betriebsrates jedoch nicht vorliegen, ob sich dies nun aus § 1, § 3 oder
§ 118 Abs.2 BetrVG herleitet, kann ein solcher Mangel schwerlich durch den Ablauf
einer Anfechtungsfrist zu Fragen der Art der Durchführung einer Wahl geheilt werden.
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Und zuletzt steht der Entstehung eines Übergangsmandates beim Antragsteller nicht
entgegen, dass § 21a BetrVG reduzierend dahin auszulegen sei, dass im Fall der
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Integration eines Betriebes in einen bereits bestehenden, betriebsratslosen Betrieb kein
Übergangsmandat entstehe.
Soweit hierzu eine Gegenmeinung vertreten wird (Richardi/Thüsing, BetrVG, 10.Aufl.,
Rz. 10; GK-Kreitz, BetrVG, 7.Aufl., Rz.61; Löwisch/Kessel, BB 2001, 2162), ist zunächst
zu differenzieren.
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Denn teilweise wird die Auffassung, dass eine Eingliederung nicht die Entstehung eines
Übergangsmandates im Sinne des § 21a BetrVG verlange, damit verknüpft, dass von
einer Eingliederung nur ausgegangen werden könne, wenn der aufnehmende Betrieb
wesentlich größer sei (GK-Kreitz, BetrVG, 7.Aufl., Rz.62), so dass man nach dieser
Auffassung dazu käme, dass ein Übergangsmandat besteht. Denn die beiden Standorte
mit jeweils 270 und 370 Arbeitnehmern sind in ihrer Größenordnung nicht weit
voneinander entfernt.
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Soweit unabhängig von den jeweiligen Größenordnungen angenommen wird, dass eine
Integration ein Übergangsmandat nicht erfordere, wird zum einen mit dem Wortlaut
argumentiert. § 21a Abs.2 BetrVG verlange, dass der größere Betrieb den Betriebsrat
stelle. Wenn dieser fehle, scheide eine unmittelbare Anwendung des § 21a BetrVG aus
(Richardi/Thüsing, BetrVG, 10.Aufl., § 3 Rz.87). Nach dieser Auffassung dürfte auch im
Fall einer Zusammenfassung mehrerer Betriebe zu einem neuen Betrieb kein
Übergangsmandat entstehen, wenn der größte Betrieb oder Betriebsteil betriebsratslos
ist. Warum jedoch im Fall einer Spaltung nach Abs.1 der übergehenden Belegschaft
mehr Schutz gewährt werden soll als im Fall des Zusammenschlusses, lässt sich weder
mit dem Regelungszweck des § 21 a BetrVG noch mit der Systematik der Vorschrift
vereinbaren. Nach § 21a BetrVG soll dem Betriebsrat bei jeder Form der
Betriebsspaltung oder Zusammenlegung ein Übergangsmandat zustehen, wenn die
Organisationsänderung zu seinem Wegfall führt oder ein Teil der Belegschaft aus
seinem Zuständigkeitsbereich herausfällt. Das Bedürfnis für ein Übergangsmandat
besteht dann, wenn durch Organisationsänderungen neue betriebliche Einheiten
entstehen, so dass die von den bisher gewählten Betriebsräten vertretenen
Arbeitnehmer anderenfalls ihren betriebsverfassungsrechtlichen Schutz verlieren (LAG
Frankfurt, 06.05.2004, 9 TaBvGa 61/04, juris; Fitting, BetrVG, 24.Aufl., § 21a Rz.11a).
Den betriebsverfassungsrechtlichen Schutz verliert auch der Arbeitnehmer, dessen
Betrieb in einen größeren betriebsratslosen Betrieb eingegliedert wird. Zudem verweist
§ 21a Abs.2 BetrVG in seinem Satz 2 auf den gesamten Absatz 1 des § 21a BetrVG,
wonach ein Übergangsmandat nur bei einer Eingliederung in einen Betrieb mit
Betriebsrat nicht entsteht, und nicht lediglich auf die Sätze 2 und 3. § 21a Abs.2 BetrVG
stellt klar, welcher von zwei konkurrierenden Betriebsräten das Übergangsmandat
wahrnimmt. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass beim Fehlen einer Konkurrenz
der einzige existente Betriebsrat kein Übergangsmandat erhält mit der Konsequenz,
dass die bisher vertretenen Arbeitnehmer ihre Interessenvertreter aufgrund einer
Umstrukturierung verlieren. Das zweite Hauptargument der Gegenseite, dass die
Entstehung eines Übergangsmandates dem größeren, bisher betriebsratslosen Betrieb
nun einen Betriebsrat aufzwinge (Richardi/Thüsing, BetrVG, 10.Aufl., § 3 Rz.87),
verfängt zumindest in der hier vorliegenden Fallgestaltung nicht. Die Arbeitnehmer des
Standortes der Beteiligten zu 2) haben nicht entschieden, auf eine
Arbeitnehmervertretung zu verzichten, sie wurden bisher von einem nicht wirksam
errichteten Betriebsrat vertreten. Vor diesem Hintergrund müsste für diese Konstellation
auch die Gegenmeinung zur Annahme eines Übergangsmandates kommen. Dass
dieses nur durch den nicht nichtigen Betriebsrat wahrgenommen werden kann, ist
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selbstverständlich.
Rechtsmittelbelehrung
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Gegen diesen Beschluss kann von den Beteiligten zu 2. und zu 3.
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B e s c h w e r d e
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eingelegt werden.
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Für den Antragsteller ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Beschwerde muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von zwei Wochen nach Zustellung des in vollständiger
Form abgefassten Beschlusses
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen und begründet worden sein.
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Die Beschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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