Urteil des ArbG Düsseldorf vom 09.06.2008

ArbG Düsseldorf: betriebsrat, ordentliche kündigung, unwirksamkeit der kündigung, anhörung, fristlose kündigung, körperverletzung, überwiegendes interesse, juristische person, kollege

Arbeitsgericht Düsseldorf, 2 Ca 1868/08
Datum:
09.06.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 1868/08
Schlagworte:
Verhaltensbedingte Kündigung; Betriebsratsanhörung
Normen:
§ 102 Abs. 1 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
"Im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung ist im Rahmen der
Betriebsratsanhörung erforderlich, dass die behauptete Pflichtverletzung
eindeutig bezeichnet wird. Dies gilt insbesondere für eine behauptete
Körperverletzung. Dabei dürfen die Anforderungen nicht überspannt
werden, da die Anhörung kein vorgezogener Kündigungsschutzprozess
ist. Es gehört aber zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates
dazu, dass die konkrete Verletzungshandlung nach Art, Zeit und Ort
detailliert beschrieben wird. Denn ohne die konkrete Beschreibung der
Verletzungshandlung kann sich der Betriebsrat kein eigenes Bild von
der Schwere der Tat machen."
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom
31.1.2008 beendet worden ist noch durch die hilfsweise
ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.7.2008 beendet werden
wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 31.1.2008 hinaus bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Sicherheitsmitarbeiter
weiter zu beschäftigen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert beträgt 11.500,00 €.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise
fristgerechten Verdachtskündigung der Beklagten vom 31.1.2008.
2
Die Beklagte, die ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, erbringt
Sicherheitsdienstleistungen für die E.. Dies geschieht in der Weise, dass die Mitarbeiter
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der Beklagten z.B. in Bahnhöfen in Personaleinsätzen tätig sind. Bei der Beklagten
besteht ein Betriebsrat.
Der am 13.1.1952 geborene ledige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.10.1995 als
Sicherheitsfachkraft tätig. Sicherheitsfachkräfte werden u.a. in Bahnhöfen eingesetzt
und sorgen für die Sicherheit vor Ort. Das monatliche Bruttogehalt betrug zuletzt
2.300,00 EUR (i.W. zweitausenddreihundert Euro, Cent wie nebenstehend).
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In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 2008 arbeiteten der Kläger und sein Kollege Q.
im Hauptbahnhof E.. Um 2.37 Uhr erhielten sie in ihren Diensträumen eine Mitteilung
der Einsatzleitung, ein Störer befände sich im Hauptbahnhof. Dabei handelte es sich um
Herrn N., den der Kläger und sein Kollege bereits aus vorangegangenen Einsätzen
kannten. Herr O. hatte die Geldbörse einer sich ebenfalls im Hauptbahnhof befindlichen
Person gestohlen. In dieser Situation erhielten der Kläger und sein Kollege Q. den
Auftrag, Herrn O. festzuhalten. Allerdings hatten beide zu diesem Zeitpunkt keine
Kenntnis vom Diebstahl. Herr O. lief die Treppe des "Tunnelausgang Nord" hinunter.
Der Kläger und sein Kollege Q. stellten ihn um 2.38 Uhr hinter der Treppe im Tunnel.
Der Kontakt zwischen Herrn O., dem Kläger und Herrn Q. dauerte insgesamt ca. acht
Sekunden. Danach entkam Herr O. durch den Nordeingang. Streitig ist, ob der Kläger
und sein Kollege Herrn O. bei dieser Gelegenheit misshandelten.
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Der gesamte Vorgang wurde von einer im Hauptbahnhof angebrachten Videokamera
aufgezeichnet. Bei der Staatsanwaltschaft E. wird gegen den Kläger und seinen
Kollegen ein Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 217Js450/08) wegen
Körperverletzung geführt.
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Am 23.1.2008 erklärte der Kläger in einer Stellungnahme zum Vorfall auszugsweise
folgendes:
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"In Höhe des Nordausganges bekamen wir, d.h. mein Kollege N.., einen Anruf von der
Ländereinsatzleitung. Man teilte uns mit, dass ein uns bekannter Störer sich im Bahnhof
aufhalten solle. Es handelte sich dabei um einen Afghanen, den wir unter dem
Spitznamen "Taliban" bereits kennen. Er hält sich öfter im Bahnhof auf. Er hat schon
Gäste belästigt. Es laufen mehrere Anzeigen gegen ihn.
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Als wir aus dem Objekt kamen, kam uns schon der von uns bezeichnete "Taliban" laut
schreiend entgegen. Ein Fahrgast hat uns dann später mitgeteilt, dass dieser "Taliban"
ihm die Geldbörse gestohlen haben soll. Zu dem Zeitpunkt, als der "Taliban" auf uns
zukam, wussten wir von diesem Vorfall jedoch noch nichts. Wir wollten nur, dass der
"Taliban" sich beruhigt. Dieser kam jedoch schreiend und um sich schlagend auf uns
zu. Wir wollten ihn festhalten. Es gab dann eine Rangelei, in deren Verlauf sich der
Mann losriss und aus dem Nordausgang verschwand. Erst dann erfuhren wir, dass
dieser von uns als "Taliban" bezeichnete Mann einem Gast eine Geldbörse gestohlen
haben soll.
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Am 25.1.2008 fand eine Besprechung statt, an der der Kläger, Herr Q., der
Betriebsratsvorsitzende Herr H. sowie die Herren Q., Herr X. und Herr L. teilnahmen.
Wörtlich heißt es auszugsweise:
10
"Mitarbeitergespräch wegen Verdacht einer Körperverletzung, begangen am 21.01.2008
im E. Hbf.
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Herr X. wies die Mitarbeiter T. und Q. darauf hin, dass wir den Betriebsrat anhören
werden, um gegen sie eine Verdachtskündigung auszusprechen. Herr T. und auch Herr
Q. erklärten noch einmal, dass die in ihrer Stellungnahme vom 23.01.2008 gemachten
Aussagen der Wahrheit entsprächen und der Geschädigte schreiend auf sie zugerannt
wäre und sie nur versucht hätten ihn festzuhalten. Sie hätten ihn keinesfalls geschlagen.
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Herr X. machte darauf aufmerksam, dass uns andere Erkenntnisse vorlägen und wir
deshalb die fristlose Verdachtskündigung aussprechen wollen. Auf die Aufforderung
durch Herrn X., dass die Beiden ihre Sachen aus dem Spind in E. abholen und ihre
Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung stellen sollen, hat Herr H. als Einwand erklärt,
dass die Betriebsratsanhörung abgewartet werden solle, bevor solche Schritte
unternommen würden. Dies wurde zugesagt."
13
Mit Schreiben vom 24.1.2008, dem Betriebsrat zugegangen am 25.1.2008, hörte die
Beklagte den Betriebsrat zur fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Klägers
an. In der Begründung heißt es wörtlich:
14
"Aufgrund eines laufenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft E.,
wegen Körperverletzung, begangen am 21.1.2008, wollen wir eine Verdachtskündigung
aussprechen."
15
Der Betriebsrat äußerte sich mit Schreiben vom 29.1.2008. Wörtlich heißt es
auszugsweise:
16
"Der Betriebsrat beschließt zu der fristlosen Kündigung des Kollegen Q.. seine
Bedenken zu äußern. In der Anhörung werden keine Gründe genannt, die ausreichend
wären, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der angegebene Grund,
es würde eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung gegen den Mitarbeiter wegen
Körperverletzung geführt werden, ist bisher nicht bestätigt, und sollte somit auch nicht
als Grund zu bewerten sein."
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Mit Schreiben vom 31.1.2008, dem Kläger zugegangen am 31.1.2008, kündigte die
Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.7.2008.
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Der Kläger ist der Auffassung, sowohl die fristlose als auch die fristgerechte Kündigung
seien unwirksam. Ein Kündigungsgrund bestehe nicht. Insbesondere habe er Herrn O.
nicht körperlich misshandelt. Er, der Kläger, habe lediglich seine Aufgaben erfüllt und
versucht, Herrn O. festzuhalten. Dass Herr O. nicht körperlich misshandelt worden sei,
zeige schon die Tatsache, dass er aus dem Hauptbahnhof entkommen konnte. Darüber
hinaus bestreitet er, der Kläger, die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.
Insbesondere rügt er, dass dem Betriebsrat lediglich mitgeteilt worden sei, dass die
Kündigung wegen eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens erfolge. Dies sei im
Übrigen auch unzutreffend, weil die Staatsanwaltschaft zum damaligen Zeitpunkt noch
gar nicht eingeschaltet gewesen sei.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder
durch die außerordentliche Kündigung vom 31.1.2008 beendet worden ist noch durch
die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.7.2008 beendet werden
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wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 31.1.2008 hinaus zu unveränderten
Bedingungen als Sicherheitsmitarbeiter weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, sowohl die fristlose als auch die ordentliche Kündigung
seien gerechtfertigt. Der Kläger habe am 21.8.2008 um 2.38 Uhr Herrn O. körperlich
schwer misshandelt. Dies habe eine Auswertung des Videomaterials ergeben. Es
handele sich dabei um einen Tiefschlag unter die Gürtellinie mit der linken Faust, einen
Fausthieb mit der rechten Hand auf den Nacken, einen Fußtritt mit dem rechten Fuß
sowie einen heftiger Schlag mit der Faust auf die linke Schulter bzw. den Oberarm des
Herrn O.. Der Betriebsrat sei über diese Vorgänge ordnungsgemäß unterrichtet worden.
Dem Schreiben vom 24.1.2008 sei das Besprechungsprotokoll vom 25.1.2008 über das
Mitarbeitergespräch mit dem Kläger sowie die Stellungnahme des Klägers vom
23.1.2008 beigefügt gewesen. Aus diesen Unterlagen ergäbe sich der komplette
Sachverhalt, der seitens der Beklagten zur Begründung der fristlosen Kündigung
herangezogen werde. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte auf Nachfrage
der Kammer ergänzt, dass zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung allein Herr X. das
Videoband gesehen habe. Er habe den Betriebsrat über eine vom Kläger begangene
Körperverletzung informiert. Wann genau dies gewesen sein soll, konnte die Beklagte
nicht angeben. Es müsse vor der Anhörung gewesen sein.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- Streitstandes wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Ergebnis der mündlichen
Verhandlung Bezug genommen.
26
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27
I.
28
Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
29
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist weder durch die fristlose
Kündigung der Beklagten vom 31.1.2008 beendet worden noch wird es durch die
zugleich ausgesprochene fristgerechte Kündigung am 31.7.2008 beendet. Denn beide
Kündigungen sind gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Kammer konnte
eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
nicht feststellen. Dem entsprechend steht dem Kläger auch ein Anspruch auf
Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Verfahrens zu.
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1. Die Kündigung ist bereits gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da der
Betriebsrat weder zur fristlosen noch zur fristgerechten Kündigung ordnungsgemäß
angehört worden ist.
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a) Der Kläger kann sich auf die Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung berufen. Denn
der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben, so dass die
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Voraussetzungen des § 4 KSchG eingehalten worden sind.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz gem. § 1
Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG Anwendung, da im maßgebenden Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestand und die
Beklagte ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigte.
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Gem. § 4 Satz 1 KSchG muss der Arbeitnehmer, wenn er geltend machen will, dass
eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam ist,
innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim
Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die
Kündigung nicht aufgelöst ist.
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Der Kläger hat rechtzeitig Klage in diesem Sinne erhoben. Denn die dreiwöchige Frist
zwischen Zugang der Kündigung und Klageerhebung ist gewahrt.
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Der Kläger hat die Betriebsratsanhörung bereits in der Klageschrift gerügt.
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b) Gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören.
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aa) Dabei hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen.
Diese Mitteilung muss vor Ausspruch der Kündigung erfolgen, wobei eine bestimmte
Form für die Unterrichtung ist nicht zwingend vorgeschrieben ist. Sie kann mündlich
oder schriftlich erfolgen und zwar gegenüber dem zuständigen Betriebsrat. Inhalt und
Umfang der Anhörung richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Der Arbeitgeber
muss zunächst die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers namentlich benennen
und die Mindestangaben zur Person mitteilen. Dazu gehört auch ein eventueller
Sonderkündigungsschutz. Die Kündigungsgründe müssen vom Arbeitgeber so
detailliert dargelegt werden, dass sich der Betriebsrat ohne zusätzliche eigenen
Nachforschungen ein Bild über ihre Stichhaltigkeit machen und beurteilen kann, ob es
sinnvoll ist, Bedenken zu erheben oder Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen,
(BAG vom 21.06.2001, EzA Nr. 7 zu § 626 BGB Unkündbarkeit). Entscheidend ist, dass
er ohne weitere Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der
Kündigungsgründe zu überprüfen, (BAG vom 17.02.2000 - 2 AZR 913/98, NZA 2000,
761). Dabei gilt der Grundsatz der subjektiven Determinierung, (zuletzt BAG vom
05.04.2001 - 2 AZR 580/99 - NZA 2001, 893). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die
Gründe mitteilen, die ihn zum Ausspruch der Kündigung veranlassen und aus seiner
subjektiven Sicht den Kündigungsentschluss tragen. Umstände, die der Arbeitgeber
nicht für entscheidend hält, braucht er dem Betriebsrat nicht mitzuteilen. Es kommt
deshalb für die Wirksamkeit der Anhörung allein auf die Sicht des Arbeitgebers an. Eine
bewusst irreführende Sachverhaltsschilderung, z. B. durch Verschweigen wesentlicher
Umstände führt demgegenüber zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung und hat der
die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, (BAG vom 09.03.1995, NZA 95, 678). Die
Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer genauen und umfassenden Unterrichtung des
Betriebsrates entfällt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bereits vor Beginn des
Anhörungsverfahrens erschöpfend über die Kündigungsgründe unterrichtet hat. Der
Arbeitgeber genügt seiner Mitteilungsverpflichtung in einem solchen Fall, wenn er im
Anhörungsverfahren pauschal auf die bereits mitgeteilten Gründe verweist, (BAG vom
19.05.1993, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969). Das Gleiche gilt, wenn dem Betriebsrat die
Gründe für die Kündigung ohnehin bekannt sind, (vgl. auch BAG vom 20.05.1999, 2
AZR 532/98, DB 2000, 149; BAG vom 24.11.1983, AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG).
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bb) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass das Anhörungsverfahren nach § 102
Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, trifft grundsätzlich den
Arbeitgeber.
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Hinsichtlich der iSd. § 102 BetrVG ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gilt
eine abgestufte Darlegungslast (grundlegend: BAG, Urt. v. 16.3.2000 - 2 AZR 75/99,
NZA 2000, 1337). Danach hat im Prozess der Arbeitnehmer zunächst einmal die für ihn
günstige Tatsache vorzutragen, dass überhaupt ein Betriebsrat besteht und deshalb
nach § 102 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war.
Ohne dieses Vorbringen ist das Gericht nicht berechtigt und nicht verpflichtet, das
Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung - von Amts wegen - zu prüfen.
Auf einen entsprechenden Sachvortrag des Arbeitnehmers hin obliegt es dem
Arbeitgeber darzulegen, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Da
die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung der
Kündigung ist, trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich insoweit den
Arbeitgeber. Auf einen entsprechenden Prozessvortrag des Arbeitgebers hin darf sich
der Arbeitnehmer dann nicht mehr darauf beschränken, die ordnungsgemäße
Betriebsratsanhörung pauschal mit Nichtwissen zu bestreiten. Er hat sich vielmehr nach
§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen
Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen, ob er rügen will, der
Betriebsrat sei entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört
worden, oder in welchen einzelnen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des
Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat
mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält. Dies erfordert gegebenenfalls einen
ergänzenden Sachvortrag des Arbeitgebers und ermöglicht eine Beweiserhebung durch
das Gericht über die tatsächlich streitigen Tatsachen, (BAG v. 23.6.2005 - 2 AZR
193/04, NZA 2005, 1233).
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Der Arbeitnehmer kann sich also zunächst auf ein pauschales Bestreiten oder
Bestreiten der Betriebsratsanhörung mit Nichtwissen beschränken, um die
Darlegungslast des Arbeitgebers auszulösen. Legt der Arbeitgeber darauf eine den
gesetzlichen Anforderungen entsprechende Beteiligung des Betriebsrates nicht im
Einzelnen dar, gilt das Bestreiten des Arbeitnehmers nach § 138 Abs. 3 ZPO als
zugestanden mit der Folge, dass die Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG
unwirksam ist.
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cc) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte die ordnungsgemäße Anhörung des
Betriebsrates sowohl unter Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 28.2.2008 als auch
unter Berücksichtigung des mündlichen Vortrages im Kammertermin nicht
ordnungsgemäß dargelegt.
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So liegt der Fall hier. Der Kläger hat die Betriebsratsanhörung nicht nur mit Nichtwissen
bestritten, sondern sogar konkret gerügt, dass der Betriebsrat nur im Hinblick auf ein
laufendes Ermittlungsverfahren angehört worden sei. Vor diesem Hintergrund musste
die Beklagte zunächst detailliert die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats
darlegen. Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag der Beklagten nicht gerecht, so
dass sich die Kammer gehindert sah, den materiellen Kündigungsgrund zu überprüfen,
obgleich schon die übermittelten Bilder aus Sicht der Kammer eindeutig Rückschlüsse
auf den dringenden Tatverdacht für eine begangene Körperverletzung zulassen.
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Denn es bleibt schon offen, mit welchem Inhalt die Beklagte den Betriebsrat angehört
haben will. Er ergibt sich weder aus dem Anhörungsschreiben, noch aus den
Schriftsätzen der Beklagten oder ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung.
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Die Kündigungsgründe müssen wie gesehen vom Arbeitgeber so detailliert dargelegt
werden, dass sich der Betriebsrat ohne zusätzliche eigenen Nachforschungen ein Bild
über ihre Stichhaltigkeit machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu
erheben oder Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen, (BAG vom 21.06.2001,
EzA Nr. 7 zu § 626 BGB Unkündbarkeit). Entscheidend ist, dass er ohne weitere
Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu
überprüfen, (BAG vom 17.02.2000 - 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761).
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Im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung ist im Rahmen der
Betriebsratsanhörung erforderlich, dass die behauptete Pflichtverletzung eindeutig
bezeichnet wird. Dies gilt insbesondere für eine behauptete Körperverletzung. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen, da die
Anhörung kein vorgezogener Kündigungsschutzprozess ist. Nach Auffassung der
Kammer gehört es aber zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates, dass die
konkrete Verletzungshandlung nach Art, Zeit und Ort detailliert beschrieben wird. Denn
ohne die konkrete Beschreibung der Verletzungshandlung kann sich der Betriebsrat
kein eigenes Bild von der Schwere der Tat machen. Dies aber ist erforderlich um das
arbeitsrechtliche Instrumentarium zutreffend anzuwenden, insbesondere ob eine
fristlose Kündigung gerechtfertigt ist. Um dies zu entscheiden reicht es insbesondere
nicht aus, sich lediglich auf eine "Körperverletzung" zu berufen. Denn der Begriff
Körperverletzung ist als solcher nicht im Ansatz trennscharf für den behaupteten
einheitlichen Vorgangs der Misshandlung eines Menschen. Zum Nachweis der
ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates muss die Beklagte der Kammer also
darlegen, wer den Betriebsrat wann dahingehend unterrichtet hat, dass Herr O. durch
den Kläger mit einem Tiefschlag unter die Gürtellinie, einem Faushieb in den Nacken,
einem Fußtritt und einem Hieb auf die Schulter oder den Oberarm misshandelt worden
ist.
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Diese konkreten Vorgänge hat die Beklagte auch auf eindringliche Nachfrage im
Kammertermin nicht mitgeteilt. Zunächst lässt sich die ordnungsgemäße Beteiligung
des Betriebsrates nicht dem Schriftsatz vom 28.2.2008 entnehmen. Denn dort findet sich
lediglich der Hinweis, die Anhörung sei mit Schreiben vom 24.1.2008 erfolgt, dem ein
Besprechungsprotokoll vom 25.1.2008 über das Mitarbeitergespräch sowie eine
Stellungnahme des Klägers vom 23.1.2008 beigefügt gewesen sei. Wörtlich heißt es
dann: "Aus der Betriebsratsanhörung ergibt sich der komplette Sachverhalt, der seitens
der Beklagten zur Begründung der außerordentlichen bzw. hilfsweise ordentlichen
Kündigung herangezogen wird". Aber auch die beigefügten Anlagen, lassen, selbst
wenn man den Verweis auf Anlagen überhaupt für ausreichend halten sollte, keine
Rückschlüsse auf die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates zu. Zunächst ist
der Wortlaut der Betriebsratsanhörung selbst als solche unbrauchbar. Denn im
Anhörungsschreiben findet sich lediglich der lapidare Hinweis auf ein laufendes
Ermittlungsverfahren. Das laufende Ermittlungsverfahren aber ist nicht der von der
Beklagten behauptet Kündigungsgrund. Dies ist vielmehr der dem Ermittlungsverfahren
zugrunde liegende konkrete Sachverhalt. Dieser ergibt sich auch nicht aus dem der
Betriebsratsanhörung beigefügten Besprechungsprotokoll vom 25.1.2008. Denn auch
diesem Protokoll ist kein konkreter Sachverhalt zu entnehmen. Auf die Einlassung des
Klägers, er habe niemanden geschlagen findet sich nur der Hinweis: "Herr X. macht
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darauf aufmerksam, dass uns andere Erkenntnisse vorlägen". Der Überschrift kann nur
entnommen werden, dass es um eine Anhörung zu einer Körperverletzung gehe. Dieser
Hinweis reicht nicht. Ebenso wenig ergibt sich der konkrete Vorwurf aus der
Stellungnahme des Klägers vom 21.1.2008. Denn dort beschreibt der Kläger aus seiner
Sicht den Geschehensablauf, nicht die gegen ihn gerichteten Vorwürfe. Auch auf
Nachfrage im Kammertermin, was dem Betriebsrat wann genau mitgeteilt worden sei,
wurde wieder lediglich der Begriff der Körperverletzung erwähnt. Allein das Wort
Körperverletzung ist aber nicht im Ansatz ausreichend, dem Betriebsrat den Sachverhalt
zu vermitteln. Darüber hinaus konnte seitens der Beklagten auch gar nicht angegeben
werden, wann der Betriebsrat nun über die Körperverletzung unterrichtet worden sei.
2. Dem Kläger steht ein Weiterbeschäftigungsanspruch als Ausfluss des
Persönlichkeitsrechtes auf der Grundlage der vom Großen Senat des
Bundesarbeitsgerichtes am 27.02.1985 entwickelten Grundsätze zu.
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Nach dem Beschluss des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichtes vom 27.02.1985
hat der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen und
personalvertretungsrechtlichen Regelungen einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf
vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung
unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer
solchen Beschäftigung nicht entgegen stehen. Außer im Fall einer offensichtlich
unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des
Kündigungsschutzprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der
Nichtbeschäftigung. Dieses überwiegt im Regelfall das Interesse des Arbeitnehmers auf
Weiterbeschäftigung. Wenn im Kündigungsschutzprozess erster Instanz die
Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wurde und solange das Urteil von der
Rechtsmittelinstanz nicht aufgehoben wurde, kann die Ungewissheit des Ausgangs des
Rechtsstreits für sich alleine ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht
begründen. Es müssen dann vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aus denen
sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den
Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG vom 27.02.1985, a. a. O.).
49
Der Kläger kann von der Beklagten auf dieser Basis die Weiterbeschäftigung aufgrund
des bestehenden Arbeitsvertrages verlangen. Das Arbeitsverhältnis ist durch die
ausgesprochenen Kündigungen nicht beendet worden. Schutzwerte Interessen des
Arbeitgebers, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Der
Anspruch auf Weiterbeschäftigung entsteht bereits vor Rechtskraft des Verfahrens mit
der Feststellung des erstinstanzlichen Gerichtes, dass die Kündigung unwirksam ist,
(vgl. BAG (GS) vom 27.02.1985 - GS 1/84-NZA 1985, 702, 709).
50
II.
51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG. Da
die Beklagte im vollen Umfang unterliegt, hat sie die gesamten Kosten des Rechtsstreits
zu tragen.
52
III.
53
Der Streitwert ist gem. § 12 Abs. 7 ArbGG im Urteil festzusetzen. Der beträgt gem. § 12
Abs. 7 ArbGG für den Kündigungsschutzantrag ein Bruttovierteljahresgehalt des
54
Klägers. Für den Weiterbeschäftigungsantrag waren zusätzlich zwei Bruttogehälter
anzusetzen.
Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
56
B e r u f u n g
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eingelegt werden.
58
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
59
Die Berufung muss
60
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
61
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
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Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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h.
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