Urteil des ArbG Dortmund vom 20.08.2009

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Arbeitsgericht Dortmund, 4 Ca 1334/09
Datum:
20.08.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Ca 1334/09
Nachinstanz:
Landesarbeitsgericht Hamm, 16 Sa 1176/09
Schlagworte:
Ansammeln von Urlaubsansprüchen, Urlaubsabgeltung
Normen:
§ 7 Abs. 4 BUrlG
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.544,50 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der
EZB seit dem 23.3.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 30 % und die Beklagte
zu 70 %.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.162,30 € festgesetzt.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung trotz
mehrjähriger Erkrankung.
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Der am 22.2.1950 geborene, schwerbehinderte Kläger war in der Zeit vom 1.4.1964 bis
31.8.2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Schlosser beschäftigt
und erhielt ausweislich der Entgeltabrechnung für den Monat Februar 2002 zu dieser
Zeit ein Monatsgehalt von 2.651,48 € brutto (Bl. 32 d. A.). Auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien fanden die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-
Westfalens Anwendung. Ab dem 1.10.2003 bis zu seinem Ausscheiden erhielt der
Kläger eine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung und zudem eine
Invalidenrente gemäß der Ruhegeldordnung der Firma H2 und K4 AG vom 30.11.1959
in Höhe von 78,39 € brutto. Unter dem Datum vom 25.8.2008 trafen die Parteien eine
Vereinbarung mit folgendem Wortlaut:
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" 1. Es besteht Einigkeit zwischen den Parteien, dass das Arbeitsverhältnis
auf Veranlassung von K2 aus gesundheitlichen Gründen mit Ablauf des
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31.8.2008 sein Ende finden wird, da Herr S1 seine Tätigkeit als Schlosser
nicht mehr ausüben kann. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ein
anderer Arbeitsplatz, auf dem Herr S1 ohne Gefährdung seiner Gesundheit
beschäftigt werden könnte, nicht vorhanden ist.
2. Das Arbeitsverhältnis wird bis zu seiner Beendigung gemäß den bestehenden
vertraglichen Vereinbarungen und den gesetzlichen bzw. tariflichen Vorschriften
abgewickelt.
3. Zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche auf Arbeitslosengeld ist Herr S1
verpflichtet, sich unverzüglich nach Abschluss dieses Aufhebungsvertrages
persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden.
4. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus und in
Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung seien sie bekannt
oder nicht bekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt. Rechte gegen die
betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen bleiben davon unberührt."
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Mit der vorliegenden am 18.März 2009 eingegangenen Klage begehrt der Kläger für die
Jahre 2006, 2007 und 2008 die Abgeltung von jährlich 35 Urlaubstagen auf der Basis
eines Tagesverdienstes von 87,26 € brutto, mithin 9.162,30 € brutto. Der Kläger beruft
sich dabei auf die Rechtsprechung die EuGH und des BAG, wonach bei
Arbeitsunfähigkeit ein Urlaubsanspruch nicht verfalle.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9.162,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, der Kläger habe für den Zeitraum vom 1.10.2008 bis zu seinem
Ausscheiden schon deshalb keinen Urlaubsanspruch erworben, da die Parteien
aufgrund des Antrags des Klägers auf Invalidenrente konkludent das Ruhen des
Arbeitsverhältnisses vereinbart hätten. Da auch die Gleichung Erwerbsunfähigkeit =
Arbeitsunfähigkeit nicht aufgestellt werden könne, bestreite sie, dass der Kläger in den
Jahren 2006, 2007 und 2008 arbeitsunfähig nicht in der Lage gewesen sei, den geltend
gemachten Urlaub auch tatsächlich anzutreten, zumal der Kläger sich nicht regelmäßig
krank gemeldet und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht habe. Die
Beklagte meint, nach den tarifvertraglichen Vorschriften seien sämtliche
Urlaubsansprüche des Klägers verfallen. Die Verfallvorschriften des Manteltarifvertrages
für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens fänden auch auf den
gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Im Übrigen sei der Urlaubsanspruch des
Klägers durch die Ausgleichsklausel in der Vereinbarung vom 25.8.2008 erfasst, so
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dass der Kläger auch unter diesem Gesichtspunkt keine Urlaubsabgeltung verlangen
könne.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen geäußerten
Rechtsauffassungen wird auf dem vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe :
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Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
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Der Kläger hat für die Jahre 2006 bis 2008 einen Abgeltungsanspruch nur für den
gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von insgesamt 75 Urlaubstagen, so dass sich auf
der Grundlage der Berechnung des Klägers mit einem Tagesverdienst von 87,26 €
brutto ein Zahlungsanspruch in Höhe von 6.544,50 € brutto ergibt. Dieser Anspruch folgt
aus §§ 1,3 Abs.1, 7 Abs. 4 BUrlG (20 Arbeitstage) und § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (5
Arbeitstage) in Verbindung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen
Arbeitsvertrag. Weitergehende Abgeltungsansprüche des Klägers bestehen hingegen
nicht, denn diese sind verfallen bzw. gemäß Ziff. 4 der Ausgleichsklausel in der
Vereinbarung vom 25.8.2008 ausgeschlossen.
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Der Kläger hat für die Jahre 2006 bis 2008 jeweils einen Anspruch auf Abgeltung von
25 Urlaubstagen, da der gesetzliche Urlaubsanspruch für diese Jahre bisher nicht erfüllt
ist und deshalb durch eine finanzielle Vergütung zu ersetzen ist. Der Anspruch auf den
gesetzlichen Mindesturlaub entsteht nämlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer, wie
der Kläger, im gesamten Bezugszeitraum oder in Teilen davon arbeitsunfähig erkrankt
ist, was auch für den gesetzlichen Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX gilt, da dieser den
bundesurlaubsgesetzlichen Bedingungen folgt (LAG Düsseldorf, 2.2.2009 – 12 Sa
486/06 - ).
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Der tarifvertragliche Mehrurlaub für die Jahre 2006 bis 2008 ist hingegen trotz des
Urteils des EuGH vom 20.1.2009 – C-350/06 – und – C- 520/06 – und des Urteils des
BAG vom 24.3.2009 – 9 AZR 983/07 – aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis
zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.8.2008 verfallen bzw. aufgrund der
Ausgleichsklausel in Ziff. 4 der Vereinbarung vom 25.8.2008 ausgeschlossen.
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Gemäß § 19 Abs. 2a des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und
Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (EMTV) hätte der Kläger seinen Anspruch auf
Urlaubsabgeltung spätestens innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach seiner Fälligkeit
geltend machen müssen. Da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der
Vereinbarung vom 25.8.2008 mit dem 31.8.2008 endete, hätte der Kläger seine
Ansprüche auf Urlaubsabgeltung bis zum 30.11.2008 geltend machen müssen, was
nicht geschehen ist. Auch ist der Anspruch des Klägers auf den tariflichen Teil der
Urlaubsabgeltung ausgeschlossen, da die Parteien ausweislich Ziff. 4 der Vereinbarung
vom 25.8.2008 geregelt haben, dass alle gegenseitigen Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis mit seiner Beendigung am 31.8.2008 erledigt sind.
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Von der Verfallklausel und der Ausgleichsklausel in Ziff. 4 der Vereinbarung vom
25.8.2008 wird hingegen der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht erfasst, denn dieser ist
gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbar. Bis zur Höhe des gesetzlichen
Urlaubsanspruchs wird der Abgeltungsanspruch nicht von den Ausschlussfristen
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erfasst. Sie sind vielmehr insoweit unwirksam (BAG, 20.5.2008 – 9 AZR 219/07-).
Wegen der Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung hinsichtlich des
gesetzlichen Urlaubsanspruchs konnte dieser daher auch nicht von der
Ausgleichsklausel in Ziff. 4 der Vereinbarung vom 25.8.2008 erfasst werden.
Der Anspruch des Klägers hinsichtlich des gesetzlichen Urlaubsanspruchs von
insgesamt 25 Tagen pro Jahr entfällt auch nicht deshalb, weil der Kläger in der Zeit vom
1.1.2003 bis zu seinem Ausscheiden am 31.8.2008 eine gesetzliche Rente wegen voller
Erwerbsminderung sowie eine Invalidenrente von der Beklagte erhalten hat. Selbst
wenn man davon ausgeht, die Gleichung Erwerbsunfähigkeit = Arbeitsunfähigkeit könne
nicht aufgestellt werden, da beide Begriffe unterschiedlichen Rechtsgebieten
zuzuordnen seien und der sozialversicherte Arbeitnehmer der erwerbsunfähig (gleich
erwerbsgemindert) sei, müsse nicht notwendigerweise arbeitsunfähig krank sein (BAG,
7.6.1990 – 6 AZR 52/89 - ), so sind vorliegend doch keine Gesichtspunkte erkennbar,
die einen Schluss darauf zulassen, der Kläger sei in den Jahren 2006 bis 2008
arbeitsfähig für seine Tätigkeit als Schlosser gewesen und hätte seinen
Urlaubsanspruch der genannten Jahre realisieren können. Nachdem der Kläger der
Beklagten seinen Rentenbescheid vorgelegt hatte, hatte der Kläger insoweit alles getan,
um sein Fernbleiben von der Arbeit zu begründen. Wenn die Beklagte daher an seiner
Arbeitsunfähigkeit zweifelte, hätte sie daher den Kläger auffordern müssen, seine
Arbeitsunfähigkeit regelmäßig durch Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen
nachzuweisen. Dass die Parteien im Übrigen eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers für
seine Tätigkeit als Schlosser angenommen haben, ergibt sich auch aus der
Vereinbarung vom 25.8.2008. In Ziffer 1 der Vereinbarung vom 25.8.2008 ist eindeutig
geregelt, dass beide Parteien davon ausgingen, dass das Arbeitsverhältnis aus
gesundheitlichen Gründen mit Ablauf des 31.8.2008 sein Ende finden werde, da der
Kläger seine Tätigkeit als Schlosser nicht mehr ausüben könne. Weshalb deshalb in
dem Zeitraum 2006 bis 31.8.2008 Arbeitsfähigkeit des Klägers bestanden haben sollte,
ist nicht erkennbar.
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Die Beklagte kann schließlich auch nicht einwenden, der gesetzliche Urlaubsanspruch
des Klägers bestehe deshalb nicht, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien ab Bezug
der Erwerbsunfähigkeitsrente geruht habe. Da das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht
kraft Gesetzes eintritt, kann aus der Einstellung der Arbeit nicht ohne Weiteres auf eine
Ruhensvereinbarung geschlossen werden (BAG, 7.6.1990 – 2 AZR 52/89 -), auch wenn
der Kläger einen Antrag auf Invalidenrente gestellt hat. Im Übrigen war der Kläger in den
Jahren 2006 bis 2008 weiterhin Arbeitnehmer der Beklagten, so dass ein Anspruch auf
bezahlten gesetzlichen Mindesturlaub gem. § 7 Abs. 1 EGRL 88/2003 und § 1 BUrlG,
wonach dieser Anspruch jedem Arbeitnehmer zusteht, nicht durch den Bezug einer
Rente entfällt, solange die Parteien das Arbeitsverhältnis nicht beenden, was hier aber
erst zum 31.8.2008 geschehen ist.
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Der Zinsanspruch folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1
BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO. Die Parteien
haben im Verhältnis ihres Unterliegens die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die
Entscheidung über den Streitwert gründet sich auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3
ZPO. Der Streitwert wurde in Höhe des eingeforderten Betrages festgesetzt.
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