Urteil des ArbG Dortmund vom 15.09.2009

ArbG Dortmund (kündigung, zustimmung, betriebsrat, arbeitsgericht, antrag, vertrauensperson, akten, gespräch, technik, arbeitnehmer)

Arbeitsgericht Dortmund, 7 BV 61/09
Datum:
15.09.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 BV 61/09
Schlagworte:
Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur
außerordentlichen Kündigung der Vertrauensperson der
Schwerbehinderten
Tenor:
Der Antrag wird abgewiesen.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin – Arbeitgeberin – betreibt in D2 ein Verteilzentrum, in dem Waren für
Betriebe der Unternehmensgruppe K1 in Nord- und Westdeutschland zusammengestellt
und von dem aus diese Waren dann geliefert werden.
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Der Beteiligte zu 2) ist der im D2 Betrieb der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.
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Der Beteiligte zu 3) ist seit dem 15.06.2006 Arbeitnehmer der Antragstellerin. Er wurde
zuletzt als Schlosser und Haustechniker im Bereich Technik mit 38,5 Stunden pro
Woche beschäftigt. Der Beteiligte zu 3.) ist schwerbehindert im Sinne des § 2 Ab.2 SGB
IX mit einem Grad der Behinderung von 50 %. Seit dem 13.12.2005 ist er
Vertrauensperson der Schwerbehinderten im Sinne des § 94 SGB IX.
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Seit dem 09.02.2009 war Herr R2 Abteilungsleiter des Bereichs Technik der
Arbeitgeberin. In diesem Bereich war neben dem Beteiligten zu 3.) auch dessen
Kollege, Herr K6, eingesetzt. Am 10.03.2009 fragte Herr R2 Herrn K6, wie alte Batterien
entsorgt würden. Herr K6 erklärte, dass die eine oder andere Batterie veräußert und das
Geld für interne Feiern oder Restaurant-Besuche verwendet würde. Darauf hin führte
Herr R2 zunächst in Gegenwart des Geschäftsführers H4 und eines weiteren
Abteilungsleiters ein Gespräch mit Herrn K6 und danach in Gegenwart des
Betriebsratsvorsitzenden B2 und des Geschäftsführers H4 ein Gespräch mit dem
Beteiligten zu 3). Über das Gespräch mit dem Beteiligten zu 3.)fertigte die Arbeitgeberin
einen Vermerk, wegen dessen Inhalts auf die zu den Akten gegebene Ablichtung (Bl. 93
und 94 d. A.) verwiesen wird.
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Mit Schreiben vom 17.03.2009 bat die Antragstellerin den Betriebsrat um Zustimmung
zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3); das Schreiben ging dem
Betriebsrat noch am 17.03.2009 zu.
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Als Kündigungsgrund wurde angegeben, dass der Beteiligte zu 3.) im Jahr 2008 vier
Mal Aluminiumrestmetalle gesammelt und an Herrn K6 zur Verwertung gegeben habe.
Der Beteiligte zu 3) habe gegenüber Herrn K6 Ansprüche auf die Erlöse von ca. je 80,00
EUR erhoben und diese Erlöse nach der Verwertung des Metalls von Herrn K6 auch
erhalten. Sämtliche Belege und Wiegescheine seien nach der Übergabe von Herrn K6
bzw. von Herrn R1 vernichtet worden.
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Wegen des Inhalts des Antrags vom 17.03.2009 wird im Übrigen auf die zu den Akten
gegebenen Ablichtungen (Bl. 12 f. d. A.) verwiesen.
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Mit Schreiben vom 18.03.2009 teilte der Betriebsrat der Antragstellerin mit, dass er von
der beabsichtigten Kündigung Kenntnis genommen habe und keine weitere
Stellungnahme abgeben werde (Bl. 16 d. A.).
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Mit Schreiben vom 19.03.2009 beantragte die Arbeitgeberin beim LBL-Integrationsamt
Westfalen die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) zu
erteilen; der Antrag ging am 20.03.2009 dort ein. Die Zustimmung des Integrationsamts
zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.) wurde durch Telefax-Schreiben
vom 02.04.2009 erteilt und mit Schreiben vom 07.04.2009 begründet. Auf die zu den
Akten gegebenen Fotokopien der Schreiben wird verwiesen (Bl. 41 und 56 ff. d. A.).
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Mit Schriftsatz vom 23.03.2009, der noch am selben Tage beim Arbeitsgericht Dortmund
einging, beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht Dortmund, die Zustimmung
des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen
der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3) zu ersetzen.
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Mit Schreiben vom 29.06.2009 unterrichtete die Antragstellerin am 01.07.2009 die
Schwerbehindertenvertretung in Person des stellvertretenden
Schwerbehindertenvertreters, Herrn A3 B4, über die beabsichtigte außerordentliche
Kündigung des Beteiligten zu 3) und hörte die Schwerbehindertenvertretung vorsorglich
hierzu an. Wegen des Inhalts des Schreibens vom 29.06.2009 wird auf die zu den Akten
gegebene Ablichtung verwiesen (Bl. 106 f. d. A.).
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Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, die Zustimmung des Betriebsrats zur
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) sei zu ersetzen. Die
Schwerbehindertenvertretung sei am 01.07.2009 durch das Schreiben vom 29.06.2009
im erforderlichen Maß am Kündigungsverfahren beteiligt worden; auf dieses Schreiben
habe sie nicht reagiert. Der stellvertretende Schwerbehindertenvertreter, Herr B4, sei im
Übrigen bereits bei der Sachverhaltsermittlung durch die "Fachstelle für behinderte
Menschen im Beruf" am 30.03.2009 im Betrieb der Beklagten zugegen und insoweit
informiert gewesen. gewesen.
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Die Kündigung des Beteiligten zu 3) sei aufgrund des festgestellten Sachverhalts als
Tatkündigung, jedenfalls aber als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Der Beteiligte zu
3) habe Geld aus dem Verkauf von Aluminium nicht nur an die Mitarbeiterin K7 für eine
"Gemeinschaftskasse" gegeben, vielmehr habe der Beteiligte zu 3) darüber hinaus
zugegeben, dass er auch persönlich Geld bekommen habe – etwa 80,00 EUR – die er
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in die "Kaffeekasse der Mitarbeiter Technik" getan habe.
Es sei davon auszugehen, dass der verwertete Aluminiumschrott Eigentum der
Antragstellerin gewesen sei. Aber selbst wenn der Schrott dem Beteiligten zu 3) von
dritter Seite gegeben worden sei, habe der Beteiligte zu 3) durch die Annahme des
Schrotts gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Nach der
Betriebsordnung sei es den Arbeitnehmern untersagt, von dritter Seite Zuwendungen
entgegenzunehmen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Zustimmung der Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3) zu
ersetzen.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,
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den Antrag abzuweisen.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) rügen zunächst, dass die Schwerbehindertenvertretung
nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Bereits aus diesem Grunde sei die
beabsichtigte Kündigung rechtswidrig.
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Zudem habe die Arbeitgeberin den Betriebsrat unzutreffend bzw. unvollständig
unterrichtet, als sie mit Schreiben vom 17.03.2009 um die Zustimmung zur
außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.) nachgesucht habe. Die Gespräche
mit Herrn K6 und dem Beteiligten zu 3) seien unvollständig, teilweise fehlerhaft und
verzerrt dargestellt worden. Wegen des Vortrags des Betriebsrats und des Beteiligten zu
3) hierzu im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 07.09.2009 (Bl. 130 f. d. A.)
verwiesen.
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Ferner bestünden Bedenken gegen die inhaltliche Richtigkeit des Vermerks über das
mit dem Kläger am 11.03.2009 geführte Gespräch.
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Der Beteiligte zu 3.) habe auch nicht Altmetall der Arbeitgeberin veräußern lassen,
sondern lediglich Metallteile, die ihm von Fahrern anderer Firmen überlassen worden
seien. Die Erlöse seien in eine Gemeinschaftskasse und in eine Kaffeekasse der
Techniker geflossen. Die Vorgänge seien den damaligen Vorgesetzten des Beteiligten
zu 3.) – M1, S5 und H5 - bekannt gewesen und von diesen geduldet worden. Letzteres
bestreitet die Arbeitgeberin nicht.
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Wegen des übrigen Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und
die zu den Akten gegebenen Schriftstücke verwiesen.
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II.
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1. Der Antrag ist zulässig. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt
sich aus § 2 a Abs. 1 Ziff. 3 a ArbGG. Bei der Zustimmung zur außerordentlichen
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Kündigung des Beteiligten zu 3.), die im vorliegenden Verfahren ersetzt werden
soll, handelt es sich zwar nicht um eine Angelegenheit aus einer der dort
angegebenen Vorschriften (§§ 94, 95 und 139 SGB IX). Der Rechtsweg zu den
Arbeitsgerichten zur Entscheidung im Beschlussverfahren ist jedoch für sämtliche
organschaftlichen Streitigkeiten der Schwerbehindertenvertretung gegeben. Dies
gilt auch, wenn sich die Rechtsgrundlage nicht aus den in § 2 Abs. 1 Nr. 3 a
ArbGG ausdrücklich aufgeführten §§ 94, 95 SGB IX ergibt, sondern aus § 96 SGB
IX (vgl. LAG Nürnberg vom 22.10.2007 – 6 Ca 155/07; BAG vom 21.09.1989 – 1
AZR 465/88).
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2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Denn es ist nicht Sache des Betriebsrats,
sondern Sache der Schwerbehindertenvertretung, die Zustimmung zu einer
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehindertenvertreters
zu erteilen. Folglich kann das Arbeitsgericht auch nicht die Zustimmung des
Betriebsrats zu einer solchen Kündigung ersetzen. Es ist nur die Ersetzung der
Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung zur außerordentlichen Kündigung
einer Vertrauensperson der Schwerbehinderten möglich.
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Die Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung des Beteiligten zu 3.)
war von der Arbeitgeberin jedoch weder außergerichtlich erbeten worden – das
Schreiben der Arbeitgeberin vom 29.06.2009 bezieht sich nur auf die gem. § 95 Abs.2
SBG IX in jedem Fall einer Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers
vorzunehmenden Unterrichtung und Anhörung - noch im vorliegenden Verfahren
beantragt worden. Daher konnte diese Zustimmung auch nicht ersetzt werden. Ob
Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3.) gegeben waren,
brauchte die Kammer nicht zu prüfen.
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a.)Gemäß § 96 Abs. 3 SGB IX besitzen die Vertrauenspersonen gegenüber dem
Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung, insbesondere den gleichen
Kündigungsschutz, wie Mitglieder des Betriebsrats. Hieraus ergibt sich zwar, dass
dann, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, einer Vertrauensperson außerordentlich
zu kündigen, die Maßstäbe und die Verfahrensgrundsätze des § 103 BetrVG
anzuwenden sind. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die gemäß § 103 BetrVG
grundsätzlich zu erteilende Zustimmung vom Betriebsrat erteilt werden muss.
Vielmehr ist der Betriebsrat bei der Kündigung einer Vertrauensperson lediglich
nach § 102 BetrVG zu beteiligen, während die analog § 103 BetrVG zu erteilende
Zustimmung beim zuständigen Organ – der Schwerbehindertenvertretung – zu
beantragen und im Falle der Ablehnung des Antrags vom Arbeitsgericht zu
ersetzen ist. Die Schwerbehindertenvertretung ist nämlich ebenso ein gesetzliches
Organ der Verfassung des Betriebes, wie der Betriebsrat oder der
Sprecherausschuss für leitende Angestellte (BAG vom 21.09.1989 – 1 AZR
465/88). Der Schutz, der nach § 96 Abs. 3 SGB IX den Vertrauenspersonen
gewährt wird, dient – ebenso wie der Schutz, den Betriebsratsmitglieder gemäß §
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103 BetrVG genießen – nicht nur den persönlichen Schutz des jeweiligen
Schwerbehindertenvertreters, der sich in der Ausübung seiner Aufgaben auch in
Konflikte mit dem Arbeitgeber begeben muss, sondern dient auch dem Schutz des
Organs "Schwerbehindertenvertretung". Zweck der Vorschrift ist auch, die
Arbeitsfähigkeit und die Kontinuität der Arbeit dieses Organs zu sichern. Dieser
Zweck ist für § 103 BetrVG anerkannt (vgl. Fitting, Betriebsverfassungsgesetz,
24.Aufl.,§ 103, Randziffer 1; BAG vom 18.09.1997 – 2 ABR 15/97). Dasselbe muss
für den Schutz der Schwerbehindertenvertretung gelten: Auch hier sichert der
Schutz der Vertrauenspersonen zugleich die Kontinuität der Amtsführung des
Organs "Schwerbehindertenvertretung".
Für diesen Schutz ist die Schwerbehindertenvertretung selbst zuständig; er kann
nicht dem Betriebsrat übertragen werden. Die nach § 96 Abs. 3 SGB X
vorzunehmende entsprechende Anwendung führt dazu, dass statt des im § 103
Abs. 1 geregelten Erfordernisses der Zustimmung des Betriebsrats, die
Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung erforderlich wird. Andernfalls würde
der Eigenständigkeit der Schwerbehindertenvertretung nicht ausreichend
Rechnung getragen (vgl. Düwell, in: Dau, Düwell, Haines, Sozialgesetzbuch IX, §
96 Randziffer 27; a. A.: Puhlen, in: Neumann, Puhlen, Majerski – Puhlen § 96
Randziffer 5).
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b.)Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Aufgaben des Betriebsrats und der
Schwerbehindertenvertretung unterschiedliche sind. Während der Betriebsrat die
Interessen aller Arbeitnehmer zu berücksichtigen hat, vertritt die Vertrauensperson
der Schwerbehinderten nur einen kleinen Teil der Arbeitnehmer mit besonderen
Problemen und Interessen. Es ist durchaus vorstellbar, dass zwischen den
Interessen der gesamten Arbeitnehmerschaft und den Interessen der
Schwerbehinderten Gegensätze bestehen. Es ist deswegen nicht davon
auszugehen, dass der Betriebsrat ohne weiteres sachgerecht den
Kündigungsschutz der Vertrauenspersonen, der auch dem Schutz der
Arbeitsfähigkeit des Organs "Schwerbehindertenvertretung" dient, in allen Fällen
unvoreingenommen und sachgerecht wahrnehmen kann.
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Nach alledem war die Kammer der Auffassung, dass es nach den gesetzlichen
Vorschriften nicht Aufgabe des Betriebsrats ist, die Zustimmung zu einer beabsichtigten
Kündigung des Beteiligten zu 3) zu erteilen. Das Gericht konnte diese Zustimmung
daher nicht ersetzen.
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