Urteil des ArbG Dortmund vom 22.01.2009

ArbG Dortmund: treu und glauben, auszahlung, arbeitsgericht, auskunft, bemessungsgrundlage, gewerkschaft, tarifvertrag, berechnungsgrundlage, eingriff, vergütung

Arbeitsgericht Dortmund, 6 Ca 2696/08
Datum:
22.01.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Ca 2696/08
Schlagworte:
Kein Anspruch auf Zahlung einer tariflichen Leistungszulage gem. § 18
TVöD-VKA i. V. m. d. Protokollerklärung Nr. 1 S. 6 zu § 18 Abs. 4 TVöD-
VKA, wenn im September des Bezugsjahres kein Tabellenentgelt zur
Auszahlung gekommen ist.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 274,20 € festgesetzt.
4. Die Berufung für den Kläger wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Zahlung eines tariflichen Leistungsentgelts für das Jahr
2007 gemäß § 18 TVöD-VKA i. V. m. der Protokollerklärung Nr. 1 S. 6 zu § 18 Abs. 4
TVöD-VKA.
2
Der Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten als Vermessungsgehilfe im Außendienst tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der TVöD-VKA Anwendung. Der Kläger ist in die
Entgeltgruppe 6 Stufe 6 eingruppiert und erhält ein Tabellenentgelt von 2.285,- € brutto.
3
In § 18 TVöD-VKA heißt es:
4
"(4) Das Leistungsentgelt wird zusätzlich zum Tabellenentgelt als Leistungsprämie,
Erfolgsprämie oder Leistungszulage gewährt; [...].
5
[...]
6
(6) Das jeweilige System der leistungsbezogenen Bezahlung wird betrieblich
vereinbart. [...]"
7
In der Protokollerklärung zu § 18 Abs. 4 TVöD-VKA heißt es:
8
"1. Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass die zeitgerechte
9
Einführung des Leistungsentgelts sinnvoll, notwendig und deshalb beiderseits
gewollt ist. Sie fordern deshalb die Betriebsparteien dazu auf, rechtzeitig vor dem
01. Januar 2007 die betrieblichen Systeme zu vereinbaren. [...] Für das Jahr 2007
erhalten die Beschäftigten mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2007 12
v.H. des für den Monat September 2007 jeweils zustehenden Tabellenentgelts
ausgezahlt, insgesamt jedoch nicht mehr als das Gesamtvolumen gemäß Abs. 3
Satz 1, wenn bis zum 31. Juli 2007 keine Einigung nach Satz 3 zustande
gekommen ist."
Bei der Beklagten kam keine betriebliche Regelung i. S. v. § 18 TVöD-VKA zustande.
10
Der Kläger war seit dem 05.10.2006 bis 09.03.2007 (oder 11.03.2007) arbeitsunfähig
erkrankt und bezog zumindest vom 01.01.2007 bis 09.03.2007 (oder 11.03.2007) keine
Entgeltfortzahlung, sondern Krankengeld. Weiterhin war er vom 19.06.2007 bis
30.09.2007 aufgrund einer anderen Erkrankung arbeitsunfähig. Er erhielt bis zum
30.07.2007 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Danach, auch im ganzen September
2007 bezog er Krankengeld und erhielt keine Vergütung von der Beklagten.
11
Im Rundschreiben der VKA vom 13.06.2007 – R 164/07 betr. Leistungsentgelt nach § 18
TVöD (vgl. Bl. 19 d. A.) heißt es:
12
"VII. Protokollerklärung Nr.1 zu § 18 Abs. 4 TVöD (sog. Verspätungsklausel)
13
[..]
14
Die ausnahmsweise undifferenzierte Auszahlung bemisst sich nach den
Voraussetzungen der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 18 Abs. 4 TVöD:
15
Das Beschäftigungsverhältnis muss im Monat September bestanden und der
Beschäftigte muss für den Monat September ein Tabellenentgelt tatsächlich
erhalten haben. [...]
16
Dem Tabellenentgelt stehen die Fälle der tariflichen Entgeltfortzahlung nach § 6
Abs. 3 Satz 1, § 22 Abs. 1 (ohne Krankengeldzuschuss), § 26, § 27 und § 29 TVöD
gleich. [...]"
17
Im Rundschreiben "TS berichtet" der Gewerkschaft ver.di vom 05.12.2007 (Nr. 63/07)
(Bl. 26 ff. d. A), auf das ergänzend Bezug genommen wird, heißt es (zunächst zum TV-L
mit späterem Verweis auf den hier streitgegenständlichen TVöD-VKA):
18
"§ 18 Absatz 5
TV-L
19
[...]
20
Bisher sind noch keine landesbezirklichen Tarifverträge abgeschlossen worden.
Daher wird das Leistungsentgelt in Höhe von 12 v. H. des jeweiligen
Tabellenentgelts im Dezember ausgezahlt. Voraussetzung für die Zahlung des
Leistungsentgelts in 2007 ist,
21
? Entgeltzahlung im September 2007 und
22
? Entgeltzahlung im Dezember 2007.
23
Aus dieser "Stichtagsregelung" ergeben sich Konsequenzen für die Beschäftigten.
Es wurde keine Zwölftelregelung vereinbart.
24
Zum Beispiel:
25
? Beschäftigungsbeginn im August 2007, Zahlung erfolgt in Höhe von 12
v.H. Des Tabellenentgelts für den Monat September
26
? Beschäftigungsbeginn im Oktober 2007, es erfolgt keine Zahlung
27
? Keine Entgeltzahlung im September 2007, es erfolgt keine Zahlung
28
? Keine Entgeltzahlung im Dezember 2007, es erfolgt keine Zahlung
29
Die Höhe des Leistungsentgelts beträgt 12 v.H. des Tabellenentgelts des Monats
September 2007. Auch hier wurden keine weitergehenden Regelungen vereinbart.
30
Das heißt:
31
? Beschäftigungsbeginn am 15. September 2007, die Zahlung erfolgt
anteilig
32
? Entgeltzahlung nur für einen Teil des September 2007, die Zahlung
erfolgt anteilig
33
[...]
34
Protokollerklärung Nr. 1 zu § 18 Abs. 4 TVöD (VKA)
35
[...]
36
Diese Regelung ist inhaltsgleich mit § 18 Abs. 5 TV-L. Aus diesem Grund
verweisen wir auf die Ausführungen zu § 18 Abs. 4 TV-L."
37
Der Kläger machte die Auszahlung des vollen Leistungsentgelts mit Schreiben vom
18.12.2007 geltend. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 27.12.2007 (Bl. 7 f. d. A.)
ab, weil für den Kläger im September 2007 kein Gehaltsanspruch bestand.
38
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe mit dem Entgelt für den Monat Dezember 2007 ein
Leistungsentgelt in Höhe von 12 von 100 seines Tabellenentgelts des Monats
September 2007 zu.
39
Die tarifliche Regelung setze nicht voraus, dass für den Monat September 2007
tatsächlich ein Tabellenentgelt zur Auszahlung gekommen sei. Vielmehr hätten die
Tarifvertragsparteien den Monat September 2007 lediglich als Definitionsmonat und
Berechnungsgrundlage für das Leistungsentgelt gewählt. Mit der Protokollerklärung
solle nicht bewirkt werden, dass bei Nichtzahlung eines Tabellenentgelts im Monat
September 2007 überhaupt kein Leistungsentgelt gezahlt werden muss.
40
Selbst wenn die Tarifvertragsparteien die vorliegende Problematik nicht gesehen hätten,
führe das zu keinem anderen Ergebnis. Eine unbewusste Regelungslücke sei durch die
Rechtsprechung zu schließen, wenn davon auszugehen sei, dass sich die
Tarifvertragsparteien einer zwingend gebotenen Regelung nicht entzogen hätten. Die
hier einzige billigem Ermessen entsprechende Regelung sei der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zur Kürzung eines 13. Monatsgehalts zu entnehmen. Bei dem
Leistungsentgelt handele es sich offensichtlich um im Austauschverhältnis stehende
Arbeitsvergütung. Eine Kürzung sei nur bei Suspendierung der Hauptleistungspflichten
möglich, was bei Krankheit nur vorübergehend der Fall sei. Ein vollständiges Entfallen
des Leistungsentgelts komme nur dann in Betracht, wenn im ganzen Kalenderjahr
überhaupt keine Leistungspflicht bestanden habe. Eine Kürzung des Leistungsentgelts
sei demnach höchstens für die Monate Januar und Februar sowie August und
September 2007 möglich, so dass er jedenfalls einen Anspruch auf 08/12 des vollen
Leistungsentgelts für das Jahr 2007 habe.
41
Der Kläger behauptet, die Gewerkschaft ver.di habe in "TS-berichtet" Nr. 63/07 lediglich
eine nachträgliche Ansicht hinsichtlich des Verständnisses der hier
streitgegenständlichen Tarifnorm wiedergegeben. Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn
im Monat September kein Entgelt fließt, sei nicht Thema der Verhandlungen zum TVöD
gewesen. Da die Problematik von beiden Tarifvertragsparteien nicht gesehen worden
sei, handele es sich um eine unbewusste Regelungslücke.
42
Der Kläger beantragt,
43
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Leistungsentgelt in Höhe von 274,20
€ brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 01.01.2008 zu zahlen.
44
Die Beklagte beantragt,
45
die Klage abzuweisen.
46
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung des
Tabellenentgelts, weil er auch keinen Anspruch auf Zahlung eines Tabellenentgelts für
den Monat September 2007 hatte. Das Leistungsentgelt werde nach einer
Stichtagsregelung bemessen. Da zum maßgeblichen Stichtag kein Vergütungsanspruch
bestand, bestehe auch kein Anspruch auf Zahlung des Leistungsentgelts.
47
Auch ein Anspruch auf Zahlung des anteiligen Leistungsentgelts für acht von zwölf
Monaten bestehe nicht, denn die tarifliche Regelung sehe eine anteilige Zahlung nicht
vor, obwohl diese, wie z. B. in § 20 Abs. 4 TVöD üblicherweise ausdrücklich vereinbart
werde. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diese
Fallgestaltung übersehen hätten. Eine Regelungslücke sei nicht erkennbar.
48
Selbst wenn die hier streitige Problematik von den Tarifvertragsparteien nicht gesehen
worden sei, komme kein Zahlungsanspruch des Klägers in Betracht. Bei der Schließung
einer unbewussten Regelungslücke sei darauf abzustellen, wie die
Tarifvertragsparteien die betreffende Frage bei objektiver Betrachtung der
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge im Zeitpunkt des Abschlusses des
Tarifvertrages voraussichtlich geregelt hätten, wenn sie das Regelungsbedürfnis
bedacht hätten. Es seien vorliegend aber keine hinreichenden und sicheren
49
Anhaltspunkte im Tarifvertrag zu finden, wie die Tarifvertragsparteien eine Regelung
vorgenommen hätten. Neben der vom Kläger vertretenen Auffassung sei auch die der
Beklagten möglich. Eine Lückenschließung durch die Rechtsprechung stelle einen
unzulässigen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien dar.
Weiterhin sei auf eine Protokollerklärung Nr. 2 zu Abs. 4 des § 18 TVöD a. F.
hinzuweisen, wonach die Tarifvertragsparteien in der Entgeltrunde 2008 die Umsetzung
des § 18 TVöD analysieren und ggf. notwendige Folgerungen ziehen wollten. Die
Tatsache, dass § 18 TVöD auch nach Abschluss der Entgeltrunde 2008 unverändert
geblieben ist, spreche gegen das Vorliegen einer unbewussten Regelunglücke.
50
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der geäußerten
Rechtsansichten wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
51
Das Gericht hat eine Auskunft der Tarifvertragsparteien zur Auslegung der
Protokollerklärung Nr. 1 Satz 6 zu § 18 Abs. 4 TVöD-VKA eingeholt. Auf die
Stellungnahmen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom
05.11.2008 (Bl. 44 ff. d. A.) und 05.01.2009 (Bl. 62 ff. d. A.) und der Gewerkschaft ver.di
vom 21.11.2008 (Bl. 48 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
52
Entscheidungsgründe
53
Die zulässige Klage ist unbegründet und hat keinen Erfolg.
54
1.
55
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des Leistungsentgelts
für das Jahr 2007 aus der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 18 Abs. 4 TVöD-VKA.
56
Die Protokollerklärung ist wie ein Tarifvertrag anzuwenden und auszulegen, da die
Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung normativ wirkende Regelung, wie z. B.
die hier streitgegenständliche Anspruchsgrundlage auf Zahlung des Leistungsentgelts,
niedergelegt haben.
57
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, 07.07.2004 – 4 AZR 433/03 - AP
Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe) den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei
nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu
berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der
Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies
zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für
Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die
Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung
ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt
es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu
einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren
58
Regelung führt (BAG 30. Mai 2001 – 4 AZR 269/00 – AP Nr. 4 zu BAT § 23b m. w. N.)
Die Kammer vermag einen solchen Anspruch nach Auslegung der Protokollerklärung
nicht festzustellen, denn das Leistungsentgelt soll nur derjenige Arbeitnehmer zu
beanspruchen haben, der auch im September 2007 Anspruch auf Auszahlung des
Tabellenentgelts hat (vgl. im Ergebnis ebenso zu § 18 Abs. 5 TV-L Arbeitsgericht
Hamburg vom 26.08.2008 - 20 Ca 74/08).
59
a.
60
Ausgehend vom Wortlaut der Protokollerklärung bleibt nach Auffassung der Kammer
offen, ob die Tarifvertragsparteien eine Berechnungsgrundlage für das Leistungsentgelt
oder eine Stichtagsregelung vereinbaren wollten. Mit dem für den Monat September
2007 jeweils zustehenden Tabellenentgelt kann sowohl das tatsächlich gezahlte als
auch das nach der im September 2007 maßgeblichen Eingruppierung geschuldete
unabhängig von einem tatsächlichen Zahlungsanspruch gemeint sein.
61
b.
62
Unter Berücksichtigung des Willens der Tarifvertragsparteien steht für die Kammer aber
fest, dass dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung des Leistungsentgelts zusteht. Dabei
vermag die Kammer nicht abschließend festzustellen, ob es im Rahmen der
Tarifvertragsverhandlungen einen übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien
zu der Frage gab, ob eine Bemessungsgrundlage oder eine Stichtagsregelung
vereinbart werden sollte oder ob hierüber nicht ausdrücklich gesprochen wurde. Hierauf
kommt es aber im Ergebnis auch nicht an.
63
aa.
64
Ein übereinstimmender Wille der Tarifvertragsparteien, eine Stichtagsregelung zu
vereinbaren, stünde einem Anspruch des Klägers entgegen, denn dieser Wille wäre im
Wortlaut der Protokollerklärung ausreichend niedergelegt. Der Kläger hat unstreitig zu
dem dann maßgeblichen Stichtag kein Tabellenentgelt bezogen und kann damit auch
kein Leistungsentgelt verlangen. Für einen solchen übereinstimmenden Willen spricht
die Tatsache, dass beide Tarifvertragsparteien in den vorgelegten Rundschreiben an
ihre Mitglieder von einer Stichtagsregelung ausgehen. Allerdings lässt die Tatsache,
dass auch ver.di in ihrem Rundschreiben nach Abschluss der tariflichen Regelung von
einer Stichtagsregelung ausgeht, nicht den zwingenden Schluss zu, dass insoweit auch
im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen ein übereinstimmender Wille bestanden
hat. Insoweit sind die Tarifauskünfte der Tarifvertragsparteien ergebnislos geblieben, da
keine Tarifvertragsparteien konkrete Angaben zum Ablauf der Verhandlungen macht.
65
bb.
66
Auch wenn über die Frage, ob eine Stichtagsregelung oder eine Bemessungsgrundlage
vereinbart werden sollte, zwischen den Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich
gesprochen wurde, kommt ein Anspruch des Klägers auf Zahlung des Leistungsentgelts
nicht in Betracht, denn dann würde eine unbewußte Regelungslücke vorliegen, die die
Rechtsprechung nicht zu schließen berechtigt ist.
67
Dafür, dass es im Rahmen der Verhandlungen der Tarifvertragsparteien keine
ausdrücklichen Gespräche über die hier streitgegenständliche Frage gab, ob eine
Stichtagsregelung oder eine Bemessungsgrundlage vereinbart werden soll, sprechen
die Auskünfte der Tarifvertragsparteien. Die Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände nimmt zwar umfangreich zur Auslegung der Protokollerklärung Nr.
1 Satz 6 zu § 18 Abs. 4 TVöD-VKA Stellung, lässt die Fragen des Gerichts, ob über die
hier streitgegenständliche Frage gesprochen wurde, ob es einen übereinstimmenden
Willen der Tarifvertragsparteien gab und dieser anhand konkreter
Verhandlungsergebnisse oder Unterlagen nachvollzogen werden kann, letztlich
unbeantwortet. Auch die Gewerkschaft ver.di nimmt zur Auslegung Stellung. In ihrer
Stellungnahme heißt es:
68
"Die Gespräche mit an den Verhandlungen beteiligten ergaben darüber hinaus,
dass die von den Arbeitgebern publizierte und vorgetragene Position weder von
einer der beiden Tarifvertragsparteien während der Verhandlungen zum Ausdruck
gebracht wurde, noch dass sie eindeutiger gemeinsamer Wille der
Tarifvertragsparteien war."
69
Folgt man der Auskunft der Tarifvertragsparteien, kann ein übereinstimmender Wille bei
Tarifabschluss nicht festgestellt werden. Vielmehr wäre mit der Auskunft von ver.di
davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die hier streitgegenständliche
Problematik weder gesehen, noch in die eine oder andere Richtung geregelt haben.
70
Die Kammer kann diese unbewusste Regelungslücke nicht schließen, denn dann läge
ein unzulässiger Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien vor.
71
Die Schließung einer unbewussten Regelungslücke eines Tarifvertrages durch die
Rechtsprechung ist nur in engen Grenzen möglich. In die durch Art. 9 Abs. 3 GG
geschützte Tarifautonomie darf nicht eingegriffen werden (vgl. zum Streitstand BAG,
15.11.2005 - 3 AZR 520/04 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Krankenanstalten).
Wenn verschiedene Möglichkeiten der Lückenfüllung bestehen, bleibt es den
Tarifvertragsparteien überlassen, eigenständig über die ihnen angemessen
erscheinende Lösung zu entscheiden (vgl. ua. BAG 20. Juli 2000 - 6 AZR 347/99 - AP
BMT-G II SR 2g § 2 Nr. 1, zu II 3 a der Gründe; 27. April 2004 - 9 AZR 18/03 - BAGE
110, 208, 216, zu I 4 b bb der Gründe jeweils mwN). Die Gerichte haben nur dann die
Möglichkeit und die Pflicht, eine unbewusste Regelungslücke zu schließen, wenn sich
unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den
mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben (vgl. ua. BAG 3. November 1998
- 3 AZR 432/97 - AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 41 = EzA TVG § 1 Auslegung
Nr. 31, zu I 2 a der Gründe; 10. Juli 2003 - 6 AZR 344/02 - zu 1 c cc der Gründe, jeweils
mwN).
72
Es sind vorliegend verschiedene Möglichkeiten der Lückenschließung vertretbar, was
schon aus dem Streitstand dieses Rechtsstreits folgt. Zum einen ist die Lösung der
Beklagten denkbar, eine Stichtagsregelung festzuschreiben, was einen Anspruch des
Klägers ausschließen würde. Zum anderen käme in Betracht, dem Kläger ohne weitere
Voraussetzungen einen Anspruch auf Zahlung des vollen Leistungsentgelts
zuzusprechen. Letztlich käme auch eine Zwölftelungsregelung in Betracht, wobei ein
Anspruch auf das Leistungsentgelt in der Höhe besteht, in der im Kalenderjahr
tatsächlich eine Arbeitsvergütung bezogen worden ist.
73
Die Kammer ist zwar der Auffassung, dass eine anteilige Zahlung des Leistungsentgelts
in dem Umfang, in dem tatsächlich in dem Kalenderjahr Arbeitsentgelt bezogen wurde,
dem Sinn und Zweck eines Leistungsentgelts am nächsten kommt. Allerdings ist auf
Grundlage der Protokollerklärung und der Auskunft der Tarifvertragsparteien gerade
diese Lösung vorliegend nicht vertretbar, denn es finden sich weder Anhaltspunkte
hierfür im Tarifvertrag noch haben die Tarifvertragsparteien einen entsprechenden
Willen, unabhängig von einer Niederlegung in der tariflichen Regelung mitgeteilt.
74
Dabei darf auch nicht verkannt werden, dass Sinn und Zweck der Ausschüttung nach
dem Gießkannenprinzip gerade nicht die leistungsgerechte Vergütung ist. Eine solche
sollte vielmehr durch die Einführung entsprechender betrieblicher Systeme erreicht
werden. Die Anwendung der hier streitgegenständlichen Übergangsregelung war durch
die Tarifvertragsparteien nur als Auffangtatbestand gewollt, entsprach aber nicht ihrer
erklärten Zielsetzung. Insoweit erscheint es auch nachvollziehbar, dass die
Tarifvertragsparteien eine möglichst einfache Regelung, sei es eine Stichtagsregelung
oder eine Bemessungsgrundlage gewählt haben, um den Verwaltungsaufwand gering
zu halten.
75
c.
76
Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung des vollen Leistungsentgelts folgt auch nicht aus
einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
77
Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts
Hamburg (Urt. v. 26.08.2008 – 20 Ca 73/08 –) zu § 18 Abs. 5 TV-L und nimmt auf die
den Parteien bekannte Entscheidung Bezug.
78
Der durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Gleichheitssatz verbietet, gleiche
Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln. Eine Ungleichbehandlung liegt dann vor,
wenn sich für die vorgenommene Differenzierung ein vernünftiger, sich aus der Natur
der Sache ergebender Grund nicht finden lässt und eine am Gleichheitsgedanken
orientierte Betrachtung die Regelung als willkürlich erscheinen lässt.
79
Der Gleichheitssatz wird durch die hier in Frage stehende Protokollerklärung nicht
verletzt. Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie nach Art. 9
Abs. 3 GG folgt eine Begrenzung der richterlichen Kontrolle von Tarifverträgen auf einen
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Den Tarifvertragsparteien steht ein
Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zu, soweit es um die inhaltliche Gestaltung der
zu treffenden Regelung geht. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, zu überprüfen, ob die
Tarifvertragsparteien die gerechteste oder zweckmäßigste Lösung für das
Regelungsproblem gefunden haben. Der Kompromisscharakter von Tarifverträgen als
Verhandlungsergebnis divergierender Interessen muss in dem Sinne berücksichtigt
werden, dass an die Systemgerechtigkeit der tarifvertraglichen Regelungen keine hohen
Anforderungen gestellt werden dürften. Im Interesse praktikabler, verständlicher und
übersichtlicher Regelungen dürfen die Tarifvertragsparteien typisierende Regelungen,
insbesondere Stichtagsregelungen treffen. Vor diesem Hintergrund ist bei der Prüfung
eines möglichen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nicht auf die
Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der
Regelung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tarifvertragsparteien unmittelbar an den
Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind oder eine solche Wirkung auf der
Schutzpflichtfunktion der Grundrechte beruht (BAG, 25.06.2003 - 4 AZR 405/02 - AP Nr.
80
1 zu § 1 TVG Beschäftigungssicherung). Eine den Tarifvertragsparteien verbotene
Ungleichbehandlung liegt vor, wenn für die Ungleichbehandlung ein vernünftiger aus
der Natur der Sache folgender oder sonst einleuchtender Grund fehlt. Bei der
Umstellung eines Vergütungssystems hindert der Gleichheitssatz die
Tarifvertragsparteien nicht, stichtagsbezogene Regelungen für die Einführung neuer
Vergütungsbestandteile zu treffen. Die damit verbundenen Härte zur Abgrenzung eines
begünstigten oder belasteten Personenkreises ist hinzunehmen, wenn sich die Wahl
des Stichtages an dem zu regelnden Sachverhalt orientiert und die Interessenlage der
Betroffenen angemessen erfasst (BAG, 18.03.2004 - 6 AZR 670/02 – juris; LAG Baden-
Württemberg, 08.05.2007 – 14 Sa 54/06 - EzTöD 320 § 11 Abs 1 TVÜ-VKA Nr. 8).
Ein einleuchtender Grund für die Vereinbarung einer Stichtagsregelung ist vorliegend,
eine möglichst einfache Berechnung des nach dem Gießkannenprinzip ausgezahlten
Leistungsentgelts zu ermöglichen. Die Betriebsparteien sollen den Schwerpunkt ihrer
Tätigkeit auf die Einführung betrieblicher Systeme zur leistungsbezogenen Verteilung
richten. Es erscheint hinnehmbar, für die nach ausdrücklichen Willen der
Tarifvertragsparteien zu vermeidenden und jedenfalls möglichst kurz zu haltenden
Übergangszeit von einer detailierten Regelung, welche eine möglichst große
Einzelfallgerechtigkeit erreicht, abzusehen.
81
2.
82
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die
unterlegene Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
83
Der Streitwert war in Höhe des Zahlungsanspruchs im Urteil festzusetzen, § 61 Abs. 1
ArbGG.
84
3.
85
Die Berufung für den Kläger war zuzulassen, § 64 Abs. 3a S. 1 ArbGG. Die Parteien
streiten über die Auslegung des TVöD-VKA, eines Tarifvertrages, dessen
Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, § 64 Abs. 3
Nr. 2 b. ArbGG.
86