Urteil des ArbG Darmstadt vom 19.07.2007

ArbG Darmstadt: betriebsrat, vertrag zugunsten dritter, treu und glauben, auszahlung, abrechnung, willenserklärung, gratifikation, kündigung, sozialversicherungsrecht, zuwendung

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Gericht:
ArbG Darmstadt
12. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 Ca 494/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 242 BGB, § 151 BGB, § 611
BGB, § 328 BGB
Betriebliche Übung, Regelungsabrede,
Jubiläumszuwendung
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200,00 EUR (in Worten:
Eintausendzweihundert und 00/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
2. November 2006 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 1.
Oktober 2006 bis zum 31. Oktober 2006 eine monatliche Abrechnung
zu erteilen, die ein Jubiläumsgeld in Höhe von 1.200,00 EUR (in Worten:
Eintausendzweihundert und 00/100 Euro) brutto ausweist.
3.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.400,– € festgesetzt.
5.
Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen. Hiervon unberührt
bleibt die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jubiläumszuwendung.
Der am 01.Juni 1947 geborene Kläger ist seit dem 01.Oktober 1981 bei der
Beklagten als Kunststoffarbeiter beschäftigt. Die durchschnittliche
Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt ca. 2.350 Euro.
Bei der Beklagten sind in dem Werk G / R mehr als 300 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die Beklagte zahlte seit 1985 ihren Arbeitnehmern für das 20-jährige
Dienstjubiläum eine Jubiläumszuwendung. Später erhielten die Arbeitnehmer für
das 10-, 30- und 35-jährige Dienstjubiläum ebenfalls Zuwendungen von der
Beklagten. Seit dem Jahr 1993 bis zum 23.Januar 2003 zahlte die Beklagte für die
25-jährige Betriebszugehörigkeit an insgesamt 31 Arbeitnehmer ein Jubiläumsgeld
in Höhe von 620 Euro netto.
Mit Schreiben vom 23.Januar 2003 unterzeichnete die Beklagte mit dem
Betriebsrat eine als Regelungsabsprache überschriebene Erklärung, mit der
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Betriebsrat eine als Regelungsabsprache überschriebene Erklärung, mit der
Maßgabe, dass nunmehr eine Jubiläumszahlung u.a. für das 25-jährige
Dienstjubiläum in Höhe von 1.200 Euro brutto bezahlt werde. Hintergrund dieser
Maßnahme war eine Reklamation des Rentenversicherungsträgers, dass die
bisherigen Auszahlungsmodalitäten gegen geltendes Sozialversicherungsrecht
verstoßen würden. Wegen des weiteren Inhalts der Vereinbarung zwischen der
Beklagten und dem Betriebsrat wird auf die zur Akte gereichte Kopie verwiesen
(Blatt 11 d.A.).
Seit dem 23.Januar 2003 bis zum 31.August 2006 zahlte die Beklagte an
mindestens 15 weitere Arbeitnehmer für das 25-jährige Dienstjubiläum eine
Zuwendung von 1.200 Euro brutto aus.
Mit Schreiben vom 29.Mai 2006 kündigte die Beklagte u.a. die
Regelungsabsprache zum 25-jährigen Dienstjubiläum vom 23.Januar 2003 zum
31.August 2006 (Blatt 12 d.A.).
Mit Schreiben vom 16.November 2006 machte der Kläger gegenüber der
Beklagten seinen vermeintlichen Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung für das
25-jährige Dienstjubiläum geltend. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom
22.November 2006 die Auszahlung eines Jubiläumsgeldes in Höhe von 1.200 Euro
brutto ab.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf Zahlung der
Jubiläumszuwendung aus dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung oder dem
allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zustehe. Die
Vereinbarung zwischen Betriebsrat und der Beklagten sei als Regelungsabsprache
auszulegen, die einer individualrechtlichen Umsetzung bedürfe.
Der Kläger beantragt daher:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an ihn 1.200 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 02.11.2006 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an ihn für den Zeitraum vom 01.10.2006
bis zum 31.10.2006 eine monatliche Abrechnung zu erteilen, die ein
Jubiläumsgeld in Höhe von 1.200 Euro brutto ausweist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die Vereinbarung zwischen ihr und dem Betriebsrat
vom 23.Januar 2003 als eine Betriebsvereinbarung auszulegen sei, die wegen der
erfolgten Kündigung nicht nachwirke. Eine betriebliche Übung könne nicht
entstehen, da erkennbar aufgrund der Vereinbarung mit dem Betriebsrat etwaige
Jubiläumszuwendungen gezahlt worden seien. Die Entscheidung, nach dem
31.August 2006 keine Zuwendungen mehr auszuzahlen, stelle keine
Ungleichbehandlung gegenüber den anderen Arbeitnehmern dar, die eine
Jubiläumszuwendung erhalten haben.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung einer Jubiläumszuwendung für das
Erreichen der 25-jährigen Betriebszugehörigkeit in Höhe von 1.200 Euro brutto
gemäß § 611 BGB i.V.m. dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung zu. Ebenso
hat der Kläger einen Anspruch auf eine korrigierte Abrechnung nach § 108 GewO.
Im Einzelnen:
1.
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung einer Jubiläumszuwendung gemäß §
611 BGB i.V.m. dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung zu.
a)
Ein Anspruch aus einer betrieblichen Übung kann nur dann entstehen, wenn es an
einer anderen kollektiv- oder individualrechtlichen Grundlage für die
Leistungsgewährung fehlt (BAG 24.11.2004 10 AZR 202/04 AP Nr.70 zu § 242
BGB). Ein gesetzlicher, tarifvertraglicher, betriebsverfassungsrechtlicher oder
arbeitsvertraglicher Anspruch ist nicht ersichtlich.
Insbesondere schließt die Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem
Betriebsrat vom 23.Januar 2003 nicht das Entstehen einer betrieblichen Übung
aus. In dieser Vereinbarung ist kein Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu
sehen, die einen Anspruch aus einer betrieblichen Übung nicht entstehen lassen
würde. Vielmehr handelt es sich um eine Regelungsabrede zwischen Betriebsrat
und der Beklagten.
Ob die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung oder eine Regelungsabrede
miteinander vereinbaren wollten, ist durch Auslegung der Vereinbarung vom
23.Januar 2003 zu ermitteln. Zwar ist der Rechtsansicht der Beklagten insofern zu
folgen, dass es sich bei der vorliegenden Zahlung von Jubiläumszuwendungen um
einen mitbestimmungspflichtigen Regelungstatbestand gemäß § 87 Absatz 1 Nr.
10 BetrVG handelt. Eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit hat jedoch nicht
zur Folge, dass eine Regelung ausschließlich durch Betriebsvereinbarung zu
erfolgen hat. Eine Regelungsabrede zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ist auch
für Angelegenheiten zulässig, die zwar durch Betriebsvereinbarung geregelt
werden könnten, nach dem Willen eines oder beider Betriebsparteien allerdings nur
durch eine Regelungsabrede geregelt werden sollte (BAG 03.12.1991 GS 2/90 AP
BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr.51; ErfK-Kania, § 77 BetrVG Rn. 136,
7.Auflage). Insofern kann nur in Zweifelsfällen davon ausgegangen werden, dass
eine Regelung, die sich auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bezieht, als
Betriebsvereinbarung anzusehen ist. Die Betriebsparteien haben jedoch vorliegend
ausdrücklich eine Regelungsabrede miteinander getroffen, da sie bereits in der
Überschrift der Vereinbarung vom 23.Januar 2003 den Wortlaut der
Regelungsabsprache miteinander verwendet haben. Ebenso ist der Inhalt der
Vereinbarung, kenntlich gemacht durch die persönliche Anrede, an den
Betriebsratsvorsitzenden der Beklagten gerichtet. Die interne Mitteilung ist von
dem Personalleiter der Beklagten Herrn ... an den Betriebsratsvorsitzenden Herrn
... gerichtet. Ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Auszahlung einer
Jubiläumszuwendung ist der Vereinbarung nicht zu entnehmen. Lediglich die
Auszahlungsmodalität ist Inhalt der Vereinbarung zwischen dem Betriebsrat und
der Beklagten geworden. Durch die explizite Wortwahl haben die Betriebsparteien
sich darauf verständigt, lediglich eine Regelungsabsprache miteinander zu treffen,
die einer individualrechtlichen Umsetzung in die Arbeitsverhältnisse der
Arbeitnehmer bedurfte, da diese im Gegensatz zur Betriebsvereinbarung keine
normative, d.h. unmittelbare und zwingende Wirkung entfaltet. Bei den
Betriebsparteien ist davon auszugehen, dass sie den rechtlichen Unterschied
zwischen einer Betriebsvereinbarung und einer Regelungsabrede kennen, und sich
vorliegend explizit für eine Regelungsabrede entschieden haben.
Insofern steht eine Regelungsabrede auch nicht dem Rechtsinstitut der
betrieblichen Übung entgegen, da eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und
Betriebsrat keiner verpflichtenden Wirkung zugunsten der Arbeitnehmer zukommt.
Ein Vertrag zugunsten Dritter kann durch eine Regelungsabrede nicht begründet
werden (BAG 09.12.1997 1 AZR 319/97 AP § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt Nr.
11).
b)
Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer
schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt
werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent auf eine
Willenserklärung geschlossen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB
angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis
geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein
einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei
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einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden
Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines
bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der
Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte
Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber
bindende betriebliche Übung auf Grund der Gewährung von Leistungen an seine
Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die
Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von
Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB und der
Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften
(BAG 4. Mai 1999 10 AZR 290/98 BAGE 91, 283; BAG 26. März 1997 10 AZR
612/96 AP Nr.50 BGB § 242 Betriebliche Übung).
Eine allgemein verbindliche Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen der
Arbeitnehmer auf die Fortgewährung von Zuwendungen auch an ihn, sobald er die
Voraussetzungen erfüllt, schließen darf, gibt es nicht. Die Regel, dass eine
dreimalige vorbehaltlose Gewährung zur Verbindlichkeit erstarkt, die teilweise als
zum Gewohnheitsrecht verfestigt angesehen wird, ist vom Bundesarbeitsgericht
(BAG 28. Februar 1996 10 AZR 516/95 AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 192) nur für
jährlich an die gesamte Belegschaft geleistete Gratifikationen aufgestellt worden.
Bei anderen Sozialleistungen und damit auch bei Jubiläumszuwendungen ist auf
Art, Dauer und Intensität der Leistungen abzustellen (BAG 28.07.2004 10 AZR
19/04 AP Nr.257 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG 28.06.2006 10 AZR 385/05 AP
Nr.74 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Welcher Zeitraum des Bestehens der
Übung notwendig ist, um auf eine berechtigte Erwartung der Fortsetzung der
Übung bei den Arbeitnehmern und mithin auf den Willen zur zukünftigen Leistung
beim Arbeitgeber schließen zu können, hängt von der Häufigkeit der erbrachten
Leistungen ab (Backhaus AuR 1983, 65, 69). Dabei kommt es auf die Zahl der
Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Ferner sind in die
Bewertung der Relation von Anzahl der Wiederholungen und Dauer der Übung
auch Art und Inhalt der Leistung einzubeziehen. Bei für den Arbeitnehmer weniger
wichtigen Leistungen sind an die Zahl der Wiederholungen höhere Anforderungen
zu stellen als bei bedeutsameren Leistungsinhalten (BAG 28.06.2006 a.a.O.; BAG
28.07.2004 a.a.O.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Zahlung der Jubiläumszuwendung für
die Erreichung der 25-jährigen Betriebszugehörigkeit an insgesamt 31
Arbeitnehmer seit dem Jahr 1993 um einen entsprechenden Anspruch des Klägers
aus betrieblicher Übung zu begründen ausreichend. Die Beklagte hat bis zum
Abschluss der Vereinbarung am 23.Januar 2003 durchweg an alle Mitarbeiter über
einen Zeitraum von 10 Jahren Jubiläumszuwendungen für das Erreichen der 25-
jährigen Betriebszugehörigkeit ausgezahlt, so dass die übrigen Arbeitnehmer
davon ausgehen konnten, sie würden dieselben Leistungen bekommen, sobald sie
die Voraussetzungen erfüllen. In materieller Hinsicht stellt die einmalige
Auszahlung der Jubiläumszuwendung, die beim Kläger ca. 50% des
Monatseinkommens ausmacht, auch keine Zahlung von untergeordneter
Bedeutung dar. Dieser Anspruch ist zum Inhalt der Arbeitsverhältnisse geworden,
also auch desjenigen des Klägers.
c)
Die betriebliche Übung ist auch nicht durch die Regelungsabrede zwischen der
Beklagten und dem Betriebsrat vom 23.Januar 2003 untergegangen oder
weggefallen. Wie bereits ausgeführt, ist die Vereinbarung vom 23.Januar 2003 nicht
als Betriebsvereinbarung auszulegen. Eine Ablösung der betrieblichen Übung
durch den Grundsatz des kollektiven Günstigkeitsvergleiches findet im Rahmen
einer Regelungsabrede keine Anwendung (BAG 16.09.1986 GS 1/82 AP Nr. 17 zu §
77 BetrVG 1972). Der Regelungsabrede kommt im Gegensatz zur
Betriebsvereinbarung keine normative Wirkung zu. Sie hat vielmehr eine rein
obligatorische, den Arbeitgeber verpflichtende Wirkung, so dass ihre Erfüllung nur
vom Betriebsrat jedoch nicht vom einzelnen Arbeitnehmer durch Leistungsantrag
im Beschlussverfahren beantragt respektive durchgesetzt werden kann. Ferner hat
die Beklagte auch nicht vorgetragen, dass die betriebliche Übung unter dem
Vorbehalt der Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede
steht (betriebsvereinbarungsoffener Arbeitsvertrag). Die Beklagte hat den
Arbeitnehmern gegenüber die Leistungen ohne irgendwelche zusätzlichen oder
einschränkenden Erklärungen, etwa einen Zusatz, dass die Zahlung nur in
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einschränkenden Erklärungen, etwa einen Zusatz, dass die Zahlung nur in
Anlehnung an die Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber erfolgt,
gewährt. Es kann dahinstehen, ob die Vorlage der anonymisierten Anschreiben an
die Arbeitnehmer als Beweismittel dient, da die Beklagte für den
Anspruchsuntergang der betrieblichen Übung darlegungs- und beweisbelastet ist.
Die Kündigung der Regelungsabrede vom 29.Mai 2006 konnte daher nur die
Wirkungen der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beenden, eine
individualrechtliche Beendigung der betrieblichen Übung konnte mit der
Kündigung, als einseitige Willenserklärung nicht verbunden werden. Will der
Arbeitgeber eine betriebliche Übung beseitigen, so muss er dies durch eine
abändernde einvernehmliche Individualvereinbarung oder eine zulässige
Betriebsvereinbarung
AP Nr.74 zu § 242 BGB).
d)
Die betriebliche Übung ist im Hinblick auf das Erreichen einer 25-jährigen
Betriebszugehörigkeit in Höhe von 1.200 Euro brutto entstanden. Die
Regelungsabrede vom 23.Januar 2003 bedurfte einer individualrechtlichen
Umsetzung.
Zwar hat die Beklagte bis zum 23.Januar 2003 den Arbeitnehmern eine
Jubiläumszuwendung lediglich in Höhe von 620 Euro netto zukommen lassen. Der
Zahlungsanspruch in Höhe von 1.200 Euro brutto ergibt sich ebenfalls aus dem
Rechtsinstitut der betrieblichen Übung oder einer ergänzenden
Vertragsauslegung. Die Beklagte zahlte ab dem 23.Januar 2003 insgesamt 15
Arbeitnehmern eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 1.200 Euro brutto. Das
Argument des Klägers verfängt insofern, als dass im Hinblick auf das 25-jährige
Dienstjubiläum sämtliche Jubiläumszahlungen für das Entstehen einer
betrieblichen Übung zu berücksichtigen sind. Vielmehr sind die 25-jährigen Jubiläen
gesondert zu betrachten. Eine Erwartung des Inhalts auf Fortsetzung einer Übung
bei 25-jährigen Dienstjubiläen, dass die Beklagte auch Zuwendungen für die
Zukunft den Arbeitnehmern zukommen lassen möchte, da sie bei den anderen
Anlässen des Erreichens des 10-, 20-, 25-, 30- und 35-jährigen Dienstjubiläums
Zahlungen geleistet hat, kann nicht angenommen werden. Allerdings muss nicht
entschieden werden, ob die Zahlung von 1.200 Euro brutto an 15 Arbeitnehmer
bei einer Gesamtbelegschaftsstärke von mindestens 300 Arbeitnehmern für das
Entstehen einer betrieblichen Übung ausreichend ist. Für das Entstehen spricht
eindeutig, dass die Beklagte über einen Zeitraum von ca. 3 Jahren sämtlichen
Arbeitnehmern ohne Vorbehalt eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 1.200 Euro
brutto hat zukommen lassen, so dass die übrigen Arbeitnehmer davon ausgehen
konnten, sie würden dieselben Leistungen bekommen, sobald sie die
Voraussetzungen erfüllen. Da die Jubiläumszuwendung ca. 50% des
Monatseinkommens der Arbeitnehmer betragen hat, ist auch bei einer 3-jährigen
Auszahlung von dem Entstehen einer betrieblichen Übung auszugehen. Die
Zahlung der Jubiläumszuwendung ist daher nicht von untergeordneter Bedeutung
(BAG 28.07.2004 10 AZR 19/04 AP Nr.257 zu § 611 BGB Gratifikation).
Selbst wenn das Entstehen einer neuen betrieblichen Übung ab dem 23.Januar
2003 in Höhe von 1.200 Euro brutto verneint werden sollte, hat der Kläger einen
Anspruch auf Zahlung einer Jubiläumszuwendung in Höhe von 1.200 Euro brutto
im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Wird eine Vergütungsregelung in
Form einer betrieblichen Übung bezüglich der Höhe der Zahlung unvollständig
geregelt, so ist, wie bei jedem sonstigen Vertrag, diese ungewollte Lücke im Wege
der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei ist nach ständiger
Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände
zu untersuchen, wie die Parteien bei redlichem Verhalten den offen gebliebenen
Punkt geordnet hätten, wenn sie ihn bedacht hätten. Der Anspruch auf Zahlung
einer Jubiläumszuwendung ist Inhalt der Arbeitsverträge der Arbeitnehmer
geworden. Die Beklagte hat zunächst 620 Euro netto an die Arbeitnehmer für das
Erreichen der 25-jährigen Betriebszugehörigkeit ausbezahlt. Erst nachdem der
Rentenversicherungsträger die Auszahlung der Jubiläumszuwendung hinsichtlich
der Zahlungsmodalität bemängelte, hat die Beklagte 1.200 Euro brutto an die
Arbeitnehmer ausgewiesen. Die Arbeitsvertragsparteien haben insofern keine
Regelung getroffen, wie verfahren werden soll, wenn die Nettoauszahlungen nicht
den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Durch eine ergänzende
Vertragsauslegung ist allerdings zu ermitteln, dass die Beklagte bereits seit 1993
den Arbeitnehmern einen Bruttobetrag in Höhe von 1.200 Euro zukommen lassen
wollte, sofern sie die Problematik der gegen das geltende Sozialversicherungsrecht
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wollte, sofern sie die Problematik der gegen das geltende Sozialversicherungsrecht
verstoßenden Nettoauszahlung gekannt hätte. Die Umstellung auf eine
Bruttoauszahlung erfolgte, wie der eindeutige Wortlaut der Regelungsabsprache
vom 23.Januar 2003 zeigt, lediglich um den Verstoß der Zahlung gegen geltendes
Sozialversicherungsrecht zu beheben. Die Erhöhung auf einen Bruttobetrag von
1.200 Euro wurde von der Beklagten lediglich zur Vereinfachung vorgenommen,
um nicht in jedem Einzelfall den Bruttobetrag individuell, ausgehend von einem
Nettobetrag in Höhe von 620 Euro berechnen zu müssen. Durch den Wortlaut der
Regelungsabrede kommt zum Ausdruck, dass durch die Umstellung der
Zahlungsmodalität gerade keine pauschale Erhöhung der Jubiläumszuwendung
gewollt war, sondern lediglich vermieden werden sollte, dass ein Arbeitnehmer bei
ungünstigen Sozialversicherungsbeiträgen respektive ungünstiger
Steuerprogression nicht schlechter als zuvor gestellt werden sollte, d.h. weniger
als 620 Euro netto erhalten sollte. Durch diese Umstellung wird klar, dass die
Beklagte den Arbeitnehmern keine Nettojubiläumszuwendung, sondern
ausschließlich von Anfang an eine Bruttojubiläumszuwendung zukommen lassen
wollte, wenn sie sich sozialversicherungsrechtlich konform verhalten wollte. Eine
eventuelle Erhöhung des Nettobetrages im Einzelfall seit dem 23.Januar 2003 ist
daher nur eine positive Begleiterscheinung für den jeweiligen Arbeitnehmer.
2.
Da dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der Jubiläumszuwendung zusteht, ist die
Beklagte auch gemäß § 108 GewO verpflichtet eine korrigierte Abrechnung zu
erteilen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte als unterlegene Partei des
Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs.1 ZPO i.V.m. § 46 Abs.2 ArbGG. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes im Urteil beruht auf § 61 Abs.1 ArbGG. Seine
Höhe entspricht dem eingeklagten Betrag für den Klageantrag zu Ziffer 1 sowie
200 Euro für den Klageantrag zu 2. Die Berufung ist gemäß § 64 Absatz 2a ArbGG
nicht zuzulassen, da Gründe für eine solche Berufung nach § 64 Absatz 3 ArbGG
nicht vorliegen. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes gemäß § 64 Absatz 2b ArbGG bleibt hiervon unberührt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.