Urteil des ArbG Berlin vom 31.10.2006

ArbG Berlin: betriebsrat, veranstaltung, beurteilungsspielraum, seminar, unterrichtung, kmu, kündigung, sammlung, quelle, link

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Gericht:
ArbG Berlin 49.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
49 Ca 1110/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 37 Abs 6 BetrVG, § 37 Abs 2
BetrVG, § 33 BetrVG
Schulungsteilnahme eines Betriebsratsmitglieds -
Arbeitszeitgutschrift - Lohnfortzahlung
Tenor
I.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den 30. und
31.10.2006 jeweils 7 Arbeitsstunden gutzuschreiben.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 282,37 festgesetzt.
IV.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Eines Tatbestandes bedurfte es gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 495 ZPO i. V. m. § 313 a
Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht
eingelegt werden kann (§ 64 Abs. 2 ArbGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2
BetrVG i. V. m. dem Arbeitsvertrag, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den 30. und
31. Oktober 2006 jeweils 7 Arbeitsstunden gutzuschreiben.
1.
Gemäß § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied Anspruch auf
Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes zu Schulungs- und
Bildungszwecken. In Betrieben mit Gleitzeitarbeit bzw. Arbeitszeitkonten hat das
Betriebsratsmitglied Anspruch auf eine entsprechende Zeitgutschrift (vgl. Fitting u. a.,
BetrVG § 37 Rdnr. 60).
a)
Voraussetzung ist, dass bei der entsprechenden Veranstaltung Kenntnisse vermittelt
werden, die für die Betriebsratsarbeit erforderlich sind. Die Kenntnisvermittlung muss
sich somit auf Gegenstände beziehen, die zu den Aufgaben des Betriebsrates gehören.
Die Vermittlung allgemeiner Grundkenntnisse des Betriebsverfassungsrechts gehört auf
jeden Fall zu den nach § 37 Abs. 6 BetrVG zulässigen Schulungsinhalte. Für eine
ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit ist es unerlässlich, dass jedes Betriebsratsmitglied
Grundkenntnisse über das Betriebsverfassungsgesetz als Basis jeder Betriebsratsarbeit
hat (vgl. Fitting a. a. O. Rdnr. 138 f., 143 und 163, jeweils m. w. N.).
b)
Wer Träger der Schulungs- und Bildungsveranstaltung ist, ist grundsätzlich unerheblich.
Entscheidend ist, dass auf der Veranstaltung für die Betriebsratsarbeit erforderliche
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Entscheidend ist, dass auf der Veranstaltung für die Betriebsratsarbeit erforderliche
Kenntnisse vermittelt werden. Wegen der gleichgerichteten Interessen von
Gewerkschaften und Betriebsrat, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, und der
gewerkschaftlichen Unterstützungsfunktion im Rahmen der Betriebsverfassung kommen
insbesondere Schulungs- und Bildungsveranstaltungen der Gewerkschaften in Betracht.
Veranstaltungen der Arbeitgeberseite sind jedoch keineswegs ausgeschlossen (vgl.
Fitting a. a. O. Rdnr. 161 m. w. N.).
c)
Die Dauer der Schulung bestimmt sich ausschließlich nach ihrer Erforderlichkeit. Denn
"soweit" Betriebsratsmitgliedern erforderliche Kenntnisse vermittelt werden, besteht ein
Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach dem in Absatz 6 für entsprechend anwendbar
erklärten Absatz 2 des § 37 BetrVG. Bei einer Schulung über das
Betriebsverfassungsgesetz hat das BAG eine 5- bzw. 6-tägige Schulung als erforderlich
anerkannt (vgl. Fitting a. a. O. Rndr. 171 und 173 m. w. N. aus der Rechtsprechung des
BAG).
d)
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Entsendung eines Betriebsratsmitglieds zu einer
Schulung erforderlich ist, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten
Rechtsbegriffs, der dem Betriebsrat einen gewissen Beurteilungsspielraum offen lässt.
Das gilt sowohl für die Inhalte der Veranstaltung als auch für deren Dauer und die
Teilnehmerzahl (vgl. Fitting a. a. O. Rdnr. 174 m. w. N.).
Die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung setzt einen vorherigen Beschluss des
Betriebsrates voraus. Hierbei hat der Betriebsrat zum einen zu entscheiden, welche
Betriebsratsmitglieder an welchen Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilnehmen,
und zum anderen, zu welchem Zeitpunkt Betriebsratsmitglieder an solchen
Veranstaltungen teilnehmen (vgl. Fitting a. a. O. Rdnr. 234 f. und 238 f.).
e)
Der Arbeitgeber ist von der beabsichtigten Teilnahme des betreffenden
Betriebsratsmitglieds und der zeitlichen Lage der Schulungs- und
Bildungsveranstaltungen rechtzeitig zu unterrichten. Rechtzeitig ist eine Unterrichtung,
die dem Arbeitgeber die Prüfung ermöglicht, ob die Voraussetzungen für die Gewährung
einer bezahlten Freistellung vorliegen, und die es ihm, falls er die betrieblichen
Notwendigkeiten für nicht ausreichend berücksichtigt hält, ferner gestattet, die
Einigungsstelle anzurufen. Die Unterrichtung sollte deshalb in der Regel jedenfalls zwei
bis drei Wochen vor der Veranstaltung erfolgen. Im Hinblick darauf, dass der Arbeitgeber
nur dann verpflichtet ist, Betriebsratsmitglieder unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts
von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen, wenn es sich um eine Schulungs- oder
Bildungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 oder 7 BetrVG handelt, ist der Betriebsrat
verpflichtet, dem Arbeitgeber auch die näheren Einzelheiten der Schulung, d. h. Ort,
Zeit, Dauer, Themenplan der Veranstaltung, Genehmigung durch die zuständige
Behörde mitzuteilen. Der Arbeitgeber kann, falls er die betrieblichen Notwendigkeiten für
nicht ausreichend berücksichtigt hält, zur Klärung dieser Frage die Einigungsstelle
gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG anrufen. Widerspricht der Arbeitgeber der Teilnahme eines
Betriebsratsmitglieds an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung, weil der
Betriebsrat bei der Festlegung der zeitlichen Lage die betrieblichen Notwendigkeiten
nicht berücksichtigt habe, so ist die Teilnahme grundsätzlich so lange zurückzustellen,
bis ein Spruch der Einigungsstelle vorliegt. Anderes gilt, wenn der Arbeitgeber der
Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung
deshalb widerspricht, weil auf ihr keine für die Betriebsratsarbeit erforderlichen
Kenntnisse vermittelt würden. § 37 Abs. 6 BetrVG nimmt, was die Frage der
Arbeitsbefreiung anbelangt, die Regelung des § 37 Abs. 2 BetrVG in Bezug. Deshalb sind
die zu Absatz 2 entwickelten Grundsätze, nach denen der Arbeitgeber der konkreten
Arbeitsversäumnis im Einzelfall nicht zuzustimmen braucht, sondern dass es genügt,
dass sich das Betriebsratsmitglied bei seinem Vorgesetzten ordnungsgemäß abmeldet,
grundsätzlich auch im Fall des § 37 Abs. 6 BetrVG anzuwenden (vgl. Fitting a. a. O. Rdnr.
240 ff. m. w. N.).
f)
Die Voraussetzungen für seine Ansprüche sind im Streitfall vom einzelnen
Betriebsratsmitglied darzulegen und ggf. zu beweisen. Bei Ansprüchen auf
Entgeltfortzahlung bzw. Zeitgutschrift nach § 37 Abs. 2 und 6 BetrVG erstreckt sich die
Darlegungs- und Beweislast des Betriebsratsmitglieds darauf, dass bei gewissenhafter
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Darlegungs- und Beweislast des Betriebsratsmitglieds darauf, dass bei gewissenhafter
Überlegung und vernünftiger Würdigung aller Umstände die Voraussetzungen für eine
Arbeitsbefreiung als gegeben angesehen werden durfte (vgl. Fitting a. a. O. Rdnr. 255).
2.
Im vorliegenden Rechtsstreit lag ein ordnungsgemäßer Beschluss des Betriebsrats im
Sinne des § 33 BetrVG vor. In der Ladung vom 28. Juni 2006 ist unter Ziffer 5. der
vorgesehenen Tagesordnung die Beschlussfassung über die Schulungsmaßnahme der
Klägerin vorgesehen. Aus der gemäß § 34 BetrVG gefertigten Sitzungsniederschrift vom
13. Juli 2006 ist ersichtlich, dass der Betriebsrat unter Top 5 Betriebsratshandeln" vom
29. Oktober bis 3. November 2006, ersatzweise vom 15. bis 27. Oktober 2006
teilnehmen zu lassen.
Unerheblich ist entgegen der Ansicht der Beklagten, dass im Protokoll nicht der Anbieter
und der Ort der Schulung angegeben ist. Denn aus der Angabe des Seminarthemas und
des Zeitraumes ist ohne Weiteres erkennbar, dass es sich um die Schulung "Personelle
Maßnahmen und Betriebsratshandeln: Einstellung, Versetzung, Abmahnung, Kündigung
in KMU" der IG Metall in Beverungen handelte. Problematisch wäre das Fehlen der
Angaben nur, wenn es für denselben Zeitpunkt Veranstaltungen zum selben Thema von
verschiedenen Veranstaltern gegeben hätte und somit nicht klar gewesen wäre, zu
welchem Seminar der Betriebsrat die Klägerin entsenden wollte. Dies ist jedoch nicht
ersichtlich und hat die Beklagte auch nicht behauptet.
Bei dem Schulungsinhalt handelt es sich um betriebsverfassungsrechtliche
Grundkenntnisse.
Die Dauer der Schulung war nicht unangemessen lang. Insbesondere war – entgegen
der erstmals in der letzten mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2007 geäußerten
Ansicht der Beklagten – weder die am Montagvormittag noch die am Freitagvormittag zu
behandelnde Thematik überflüssig. Denn für den Erfolg eines Seminars – die Vermittlung
bestimmter Kenntnisse – ist es unbedingt nötig, dass sich der oder die Referenten
zunächst ein Bild von den Teilnehmern und ihren Kenntnisstand machen und dass zum
Abschluss überprüft wird, ob und wie die Teilnehmer den Schulungsinhalt aufgenommen
haben.
Im Übrigen hat der Betriebsrat – wie oben unter 1. d) dargelegt – einen
Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Entscheidung, welches Betriebsratsmitglied an
welcher Veranstaltung in welchem Zeitraum teilnimmt. Die Beklagte hat keinerlei
Tatsachen substantiiert vorgetragen, aufgrund welcher betrieblicher Notwendigkeiten
eine Teilnahme der Klägerin an der Schulung für insgesamt fünf Tage unverhältnismäßig
gewesen sein soll.
Die Behauptung der Beklagten, der Schulungsinhalt hätte auch an drei Tagen vermittelt
werden können, ist hierfür nicht ausreichend und zudem mangels konkreter Tatsachen
ohnehin unsubstantiiert und daher unbeachtlich. Die Beklagte hat nicht einmal das
Programm eines anderen Veranstalters in den Rechtsstreit eingeführt, aus dem
hervorgehen könnte, dass im Oktober 2006 ein vergleichbares 3-tägiges Seminar
stattgefunden hat oder hätte stattfinden können, an dem die Klägerin hätte teilnehmen
können.
Zudem hat der Betriebsrat auch hinsichtlich des auszuwählenden Veranstalters einen
Beurteilungsspielraum.
Der Betriebsrat hatte die Beklagte rechtzeitig vor der Schulungsteilnahme der Klägerin
unterrichtet – bereits mit einer E-Mail vom 29. September 2006 hatte die Beklagte auf
diese Mitteilung reagiert und – auch bezogen auf die Klägerin – Folgendes ausgeführt:
"Alle anderen Schulungsmaßnahmen sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz
anerkannt und werden vom Arbeitgeber – Borsig Process Heat Exchanger – akzeptiert."
Da ein Widerspruch der Beklagten aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten zu keiner Zeit
erfolgt ist und die Beklagte auch nicht aus solchen Gründen gemäß § 37 Abs. 6 Satz 5
BetrVG die Einigungsstelle angerufen hat, durfte die Klägerin bei gewissenhafter
Überzeugung und vernünftiger Würdigung aller Umstände die Voraussetzungen für eine
Arbeitsbefreiung als gegeben ansehen.
Die Kostenentscheidung folgt auch § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO. Es wurde der
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Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO. Es wurde der
geschätzte Verdienst der Klägerin für 14 Stunden zugrunde gelegt.
Die Berufung wurde nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung
hat (vgl. § 64 Abs. 3 Ziff. 1 ArbGG).
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