Urteil des ArbG Berlin vom 17.10.2006

ArbG Berlin: abmahnung, arbeitsunfähigkeit, ärztliche untersuchung, personalakte, geschäftsführer, unverzüglich, laden, zeugnis, schwangerschaft, verkäuferin

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Gericht:
ArbG Berlin 28.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
28 Ca 19999/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 611 Abs 1 BGB, § 1004 BGB, §
275 Abs 1 BGB, § 5 Abs 1
EntgFG
Keine Abmahnung wegen Arztbesuch
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2006 und
7. November 2006 erteilten Abmahnungen aus deren Personalakte zu entfernen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits nach einem Wert von 4.500,– € hat die Beklagte
zwei Drittel und die Klägerin ein Drittel zu tragen.
III. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 3.000,– € festgesetzt.
Tatbestand
Entfernung
Abmahnungen
1.
Arbeitsvertrages
1
15. Mai 2006
1.500,– € brutto
Verkäuferin
Schokoladengeschäft und (Steh-)Café"
2
.
Im Arbeitsvertrag der Parteien, der nach Erscheinungsbild und Diktion von der Beklagten
vorformuliert ist, heißt es, soweit hier von Interesse:
"
Kann die Arbeitnehmerin infolge Krankheit ihre Arbeit nicht verrichten, so ist dies
dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. Bei einer Erkrankung von länger als einem
Tag hat die Arbeitnehmerin ohne besondere Aufforderung eine Bescheinigung des
Arztes über ihre Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer vorzulegen bzw. zu
übersenden.
Wenn die Arbeitnehmerin wiederholt bzw. nach Nachfristsetzung die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorlegt, ist der Arbeitgeber berechtigt, das
Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen".
2.
Februar 2007 errechnet
3
.
a.
wegen erkrankungsbedingter Arbeitsunfähigkeit ("AU"). Von der Beklagten im
Kammertermin überreichten Kopien entsprechender AU-Bescheinigungen zufolge, die
hier zur (nicht: zur Tatsachenfeststellung) erwähnt werden
4
, ergaben sich
solche Fehlzeiten seit dem 25. August 2006: Eine (Erst-)Bescheinigung
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der
Frauenärztin der Klägerin attestierte Arbeitsunfähigkeit vom 25. August bis 9.
September 2006, eine weitere Erstbescheinigung derselben Ärztin
6
sodann
Arbeitsunfähigkeit bis 30. September 2006.
b.
hatte, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 17. September 2006
7
die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses "fristgemäß innerhalb Ihrer Probezeit, zum 30.09.2006". Diese
Kündigung zog die Beklagte in einem Vorprozess zwischen den Parteien (
– 85 Ca 17055/06) zurück, weil sie entgegen den mutterschutzrechtlichen
Vorschriften die zuständige Aufsichtsbehörde nicht vor Ausspruch der Kündigung
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Vorschriften die zuständige Aufsichtsbehörde nicht vor Ausspruch der Kündigung
hatte.
c.
8
Oktober 2006 war die Klägerin abermals arbeitsunfähig , was
ihr diesmal eine Allgemeinärztin bescheinigte
9
.
3.
10
) am 16.Oktober 2006 ihren Dienst im Geschäft der
Beklagten wieder antrat, empfing sie ihr "Vorarbeiter"
11
, ein Herr mit Instruktionen,
zu denen die Darstellungen der Parteien – weit – auseinander gehen (s. zur Klägerin
unten, S. 4-5 (5.); zur Beklagten unten, S. 6-7 (7 a.)).
a.
Bescheid zu geben, verließ. Unstreitig ist allerdings, dass sie noch am gleichen Tage die
Ärztin für Neurologie und Psychiatrie (Frau ...) aufsuchte, die (wohl
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) bis zum 30.
13
Oktober 2006 Arbeitsunfähigkeit feststellte. Unstreitig erscheint
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auch, dass sich der
Geschäftsführer am 16. Oktober 2006 – und (wohl
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) noch dem Arztbesuch –
telefonisch bei der Klägerin nach ihrem Geschick erkundigte, wobei die Darstellungen der
Parteien über den des Ferngesprächs wiederum divergieren (s. unten, S. 7 (7 a.)
u. S. 7 (8.)).
b.
17. Oktober 2006
16
) folgendes wissen
ließ:
"Abmahnung
... sie haben am 16.10.2006 unentschuldigt Ihren Arbeitsplatz 45 Minuten nach
Dienstbeginn im Ladengeschäft ... verlassen. Deshalb erteile ich Ihnen hiermit eine
Abmahnung. Ich weise darauf hin, dass im Wiederholungsfall das Bestehen des
Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Sie müssen mit einer Kündigung rechnen".
c.
Entfernungsklage
Gehaltes
4.
erkrankt. Einer am 16. Oktober 2006 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie
... ausgestellten Erstbescheinigung zufolge
17
, bestand seit demselben Tage zunächst
bis voraussichtlich 30. Oktober 2006 Arbeitsunfähigkeit. Am 30. Oktober 2006 suchte die
Klägerin erneut die behandelnde Ärztin auf, die eine Folgebescheinigung bis zum 13.
November 2006 erteilte
18
.
Unstreitig ist, dass die Klägerin sich weder am 30. noch am 31. Oktober 2006 bei der
Beklagten meldete, um Nachricht von der Verlängerung ihrer Dienstverhinderung zu
geben, sondern die Folgebescheinigung übermittelte. Darauf reagierte die
7. November 2006
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:
"II. Abmahnung
... Ihre Folgebescheinigung zur Arbeitsunfähigkeit ab dem 31.10.2006 erhielten wir
ohne vorherige Nachricht oder Rückmeldung nachträglich am 01.11.2006 per Post. Sie
sind allerdings verpflichtet ein Fortbestehen einer Arbeitsunfähigkeit unverzüglich nach
Bekanntwerden – zumindest telefonisch – mitzuteilen. Deshalb erteile ich Ihnen hiermit
eine II. Abmahnung.
Ich weise darauf hin, dass bei einem weiteren Verstoß das Arbeitsverhältnis fristlos
gekündigt werden kann.
Bezüglich Ihrer Urlaubsanfrage:
Urlaubsansprüche sind im direkten Anschluss an eine Arbeitsunfähigkeit nicht
möglich. Im Übrigen herrscht zwischen dem 15. November und Ende Dezember bei ...
eine absolute Urlaubssperre wegen Hochsaison, so Ihnen auch bekannt".
Folgeabmahnung
November 2006.
5.
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5.
dialogischen Verlauf sowie situativen Kontext folgendes unterbreiten
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:
"Als die Klägerin am Montag ... an ihrem Arbeitsplatz erschien, teilte ihr der
Vorarbeiter der Beklagten, der nachbenannte Zeuge mit, dass sie nicht mehr im
Ladengeschäft als Verkäuferin eingesetzt werde, sondern nunmehr an einem anderen
Arbeitsplatz tätig sein werde. Die Hinweise des Zeugen waren von herablassender Art,
da er ihr unterstellte, dass sie wegen ihrer Schwangerschaft 'ja keine Tasse mehr tragen
dürfe'. Süffisant wies der Zeuge die Klägerin darauf hin, dass sie nun einen
Arbeitsplatz erhalte, an dem sie täglich 8 Stunden lang sitzen dürfe. Er führte die
Klägerin in den Vorraum zur Gästetoilette und zur Mitarbeitertoilette, in welchem sich ein
Sicherungskasten und ein Kühlschrank befindet. Der Raum ist fensterlos und hat eine
Grundfläche von ca 3-4 m².
richterliche Inaugenscheinnahme
Der Zeuge teilte mit, dass häufig zu beobachten sei, dass Diebstähle stattfänden,
und zwar von Gästen begangen, die den ansonsten unbewachten Vorraum zur
Gästetoilette durchsuchten und dabei Wertgegenstände aus dem Kühlschrank
entnehmen würden. Der Zeuge stellte der schwangeren Klägerin einen dreibeinigen
Hocker vor den Kühlschrank und wies sie an, sich dort niederzulassen und die folgenden
8 Stunden zum Zwecke der Aufsicht über den Kühlschrank dort zu verbringen.
Zeugnis ....
Die Klägerin, entsetzt über das offenkundige schikanöse Verhalten, teilte dem
Zeugen mit, dass sie als Verkäuferin beschäftigt sei und nicht dafür eingesetzt werden
könne, in einem fensterlosen kleinen Raum von wenigen Quadratmetern einen
Kühlschrank über einen Zeitraum von arbeitstäglich 8 Stunden zu bewachen. Der Zeuge
wies diese Hinweise der Klägerin mit dem Bemerken zurück, dass es in dem Raum
'doch recht angenehm warm' sei und sich die Klägerin doch nicht beschweren könne. Die
Klägerin hielt es in dem stickigen Raum nicht aus. Sie fühlte sich zu Recht gedemütigt
und schikaniert und regte sich in einer Weise über die ihr zuteil gewordene
herabwürdigende Behandlung auf, dass ihr schwindelig wurde. Sie entschloss sich
daraufhin nach wenigen Minuten, einen Arzt aufzusuchen und den ihr zugewiesenen
'Arbeitsplatz' zu verlassen ...".
Beim Vorgang Ende Oktober 2006 hätten die Dinge sich wie folgt abgespielt
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:
"Der Kontrolltermin, zu dem die Klägerin bei der sie betreuenden Ärztin zu
erscheinen hatte, sollte ... am Montag um 16.00 Uhr stattfinden. Die Klägerin fand sich
pünktlich bei der Ärztin ein und musste dort längere Zeit im Wartezimmer warten. Als
die ärztliche Untersuchung dann durchgeführt werden konnte, wurde die
Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nach wie vor festgestellt. Nach wie vor litt die Klägerin
unter starken nervösen Beschwerden, die auch und gerade ihre Ursache im durchaus
entwürdigenden Verhalten der Beklagten gegenüber der Klägerin haben.
nachzureichendes ärztliches Attest.
Nach Durchführung der ärztlichen Behandlung musste sich die Klägerin unverzüglich
nach Hause begeben, da sie geschwächt von den Ereignissen des Tages, sich ins Bett zu
legen hatte. Eine Versendung des ihr erst in den späten Nachmittagsstunden
übergebenen ärztlichen Attestes an die Beklagte erfolgte daraufhin erst anderntags, so
dass das ärztliche Attest bei der Beklagten letztlich am 01.11.2006 zuging".
6.
zurückgenommen
Die Beklagte beantragt,
7.
Geschehen folgende Darstellung:
a.
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:
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"... Da der Laden häufig nur mit einer Person besetzt ist, ist eine Beobachtung des
Kühlschrankes nicht immer möglich, so dass es bereits häufig zu fehlenden Waren im
Kühlschrank gekommen ist.
Am 17.
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10.2006 erschien die Klägerin nach Ende einer ihrer Krankschreibungen an
ihrem Arbeitsplatz. Dort war neben der Klägerin und anders als sonst, wo die Schicht nur
mit einer Person besetzt ist, der Mitarbeiter erschienen. Dieser war auf Geheiß der
Beklagten gekommen, da die Klägerin mitgeteilt hatte schwanger zu sein weshalb es ihr
nicht mehr erlaubt sei zu heben. Der Zeuge sollte an diesem Tag sowie auch an den
anderen Tagen an denen die Klägerin arbeiten sollte, für diese anfallende Hebeaufgaben
im Laden wahrnehmen, d.h. die Bestuhlung nach draußen stellen und die Schokoladen,
die benötigt werden, um die Regale nachzufüllen, aus dem 9 m² großen Lager aus
Kartons nehmen. Aufgabe der Klägerin sollte es dann sein, ohne zu heben, vorne im
Verkauf zu arbeiten sowie die teilweise lose gelieferten Schokoladen
vorzukonfektionieren, d.h. zu verpacken.
Da die Klägerin mitgeteilt hatte, dass sie als Schwangere einen Anspruch auf einen
Sitzplatz hätte hatte die Beklagte überlegt, wie sie diesen Anspruch erfüllen kann.
Aufgrund der Gegebenheiten in dem Laden ist ein Sitz hinter dem Verkaufstresen nicht
möglich. Der Zeuge teilte der Klägerin, nach Rücksprache mit der Geschäftsleitung
mit, dass der einzige für den unmittelbaren Publikumsbetrieb vorgesehene Stuhl für sie
für ihre Sitzpausen in den einzig dafür möglichen Bereich im Laden, nämlich in den
Durchgang zum Lager gestellt werden würde. Eine Anweisung den Kühlschrank zu
bewachen oder gar 8 Stunden auf diesem Stuhl zu verbringen, gab es nicht
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, denn die
Klägerin sollte selbstverständlich in dem Umfang, wie es ihr auf Grund der
Schwangerschaft möglich und erlaubt ist, weiterhin arbeiten und vorn im Verkauf
unterstützend tätig sein. Der Stuhl sollte ihr nur Sitzpausen ermöglichen.
Für die ohnehin finanziell belastete Beklagte stellt es bereits einen finanziellen
Mehraufwand dar, einen weiteren Mitarbeiter morgens in die Schicht der Klägern zu
schicken, um einen Aufbau zu gewährleisten und auch die Sachen aus den Kartons im
engen Lager zu nehmen, damit die Klägerin den Verpackungsaufgaben nachkommen
kann.
Zeugnis des Herrn ...".
Das Nachmittagsgeschehen desselben Tages:
"... Der Geschäftsführer der Beklagten, ... , rief die Klägerin dann am Nachmittag
an und fragte sie nach ihrem Verbleiben, er fragte explizit, ob sie beim Arzt gewesen
oder krank sei oder einfach so den Arbeitsplatz verlassen hätte, dann müsse er eine
Abmahnung schreiben. Die Klägerin antwortete sinngemäß, er solle ruhig eine
Abmahnung schreiben, denn sie kenne ihre Rechte.
Zeugnis des Herrn ...".
b.
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:
"Die Klägerin hätte, auch wenn sie, was mit Nichtwissen bestritten wird, erst
nachmittags am 30.11.2006
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zum Arzt gegangen ist, der Beklagten zumindest
telefonisch am selben Tage oder am Dienstag, den 31.11.2006
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Bescheid sagen
können, dass sie den Dienst nicht wahrnehmen wird".
8.
Ausführungen um weitere (behauptete) Erlebnisse mit Herrn und entgegnet zum
Telefonat vom 16. Oktober 2006
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, es sei unrichtig, dass sie dem Geschäftsführer
lediglich geantwortet habe, "Dann schreiben Sie halt eine Abmahnung"; "nichts
dergleichen" treffe zu.
9.
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des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der
Sitzungsniederschriften verwiesen. Hiervon inbegriffen (s. oben, S. 2 (2 a.)) ist
lediglich der Inhalt der von der Beklagten im Termin überreichten Kopien von
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (sowie einem Beschäftigungsverbot vom 3.
November 2006 (§ 3 Abs. 1 MuSchG)), zu denen die Klägerin keine Schriftsatzfrist mehr
erhalten hat.
Nachgetragen sei eine Textpassage, mit der die Beklagte ihre Klageerwiderungsschrift in
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Nachgetragen sei eine Textpassage, mit der die Beklagte ihre Klageerwiderungsschrift in
Ergänzung zu ihren schon zitierten Ausführungen über jenen "finanziellen Mehraufwand"
(s. oben, S. 7 (7.)) durch die Bereitstellung eines "weiteren Mitarbeiters" hat enden
lassen, der den Aufbau und den Kartontransport anstelle der schwangeren Klägerin zu
gewährleisten habe. Diese Textpassage
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lautet:
"Die Klägerin ist seit Beginn ihrer Einstellung immer wieder krank, ihre Krankheiten
dauern in der Regel nicht länger als 6 Wochen, dann folgt eine andere Erkrankung. Für
die Beklagte, eine Neugründung mit nur drei Mitarbeitern, stellt ein solches Verhalten
eine wirtschaftliche Existenzgefährdung dar. Die Beklagte kann sich auf die Klägerin nicht
verlassen. Eine Doppelbesetzung von allen Schichten im Hinblick auf eine mögliche
Erkrankung der Klägerin, die der Beklagten nicht mitgeteilt wird, ist wirtschaftlich für die
Beklagte nicht möglich".
Entscheidungsgründe
Entfernungsklage
I.
Worte der Beklagten, dass der Streitfall lehrreiches Anschauungsmaterial für die in
einem früheren Urteil der befassten Kammer
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schon einmal kritisch aufgegriffenen
Probleme liefert, vor die die Vertragspartner von Arbeitsverhältnissen in zahllosen Fällen
dadurch gestellt werden, dass die an sich zu tragenden Lasten
der Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage werdender Mütter im
Arbeitsleben – auch und nicht zuletzt beim Auftreten von "Komplikationen" – ohne
hinreichende Kompensation dem einzelnen zugewiesen werden. Selbst
wenn dieser Situation, wenn nicht alles täuscht, angesichts neuerer
Entwicklungstendenzen im internationalen Vertragsrecht
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und in der Judikatur des
(BVerfG) zur Tragweite grundrechtlicher Schutzpflichten des
Staates
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baldige Überwindung prophezeit werden darf
34
, begegnet die heutige
forensische Praxis nach wie vor der immer selben und auch im Streitfall anklingenden
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Neigung betrieblicher Sachwalter, nicht die überkommene Lastenzuweisung,
sondern – personifizierend – die einzelne als Ursprung und Quelle des
Problems wahrzunehmen.
Da ist es kein Wunder (sondern menschlich mühelos verständlich), wenn es
Personalverantwortlichen zuweilen auffallend schwer fällt, sich im Umgang mit
schwangeren Mitarbeiterinnen von nichts als anderem als jener "Rücksicht" und jenem
"Wohlwollen" leiten zu lassen, zu denen der des Bundesarbeitsgerichts
(BAG) schon vor nahezu vier Jahrzehnten
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tapfer versucht hat. Nicht
weniger gut bestellt ist es bei personifizierender Problemsicht begreiflicherweise auch
um die an sich dringend nötige Öffnung von Personalverantwortlichen für alle Erkenntnis
der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung, wie sehr der
Umgang am Arbeitsplatz – und zwar schon ohne Berücksichtigung der besonderen
Empfindlichkeit gerade von schwangeren Frauen
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– über den
Zustand von Menschen in der Arbeitswelt bestimmt. Eine zur Lektüre dringend
anempfohlene Studie von und aus
dem Jahre 1997, die im Buchhandel (ersatzweise: beim Verlag) – hoffentlich – nach wie
vor kostenlos erhältlich ist, wirft darauf folgendes Schlaglicht
38
:
"Die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen hat eine ganz besondere
Bedeutung für Motivation, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit – darauf verweist eine
mittlerweile erdrückende Zahl sozialepidemiologischer Forschungsarbeiten. ... Als positiv
empfundene soziale Beziehungen, gegenseitige Unterstützung und die dadurch
gegebenen Erleichterungen bei der Problemlösung und Gefühlsregulierung bilden die
vielleicht wichtigsten Gesundheitspotentiale des Menschen – auch in der Arbeitswelt".
Nichtsdestotrotz gilt: Bei allem Verständnis für die – hiernach möglicherweise nicht
ohne eigenes Zutun der Beklagten entstandene – Not der Beklagten mit der Klägerin
hilft dies in Hinsicht nicht weiter. Die Kammer muss es mit den maßgeblichen
Grundsätzen des Abmahnungsrechts halten und danach gilt folgendes:
II.
1.
Anspruch des Arbeitsnehmers auf Entfernung von Schriftstücken aus seiner
Personalakte
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begründet ist, wenn ihm darin – wie hier – die Verletzung vertraglicher
Verpflichtungen angelastet wird, ohne dass ein vertragswidriges Verhalten (für das der
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Verpflichtungen angelastet wird, ohne dass ein vertragswidriges Verhalten (für das der
Arbeitgeber im Rechtsstreit bekanntlich darlegungs- und beweisbelastet ist) tatsächlich
nicht werden kann.
So verhält es sich hier:
2.
an diesem Tage "unentschuldigt" ihren Arbeitsplatz vorzeitig verlassen zu haben. Mit
dieser – unnötig mehrdeutigen – Wendung von einem "unentschuldigten" Verlassen des
Arbeitsplatzes sind die Würfel – fast – schon gefallen:
a.
seinerzeit unerlaubt habe, so ist der Vorwurf objektiv schlicht haltlos. Da
die Klägerin – wie die AU-Bescheinigung vom 16. Oktober 2006 dokumentiert (s. oben, S.
3 (3 a.)) – an diesem Tage aus fachärztlicher Sicht und gesundheitlichen Gründen
arbeitsunfähig war, bestand weder eine Verpflichtung der Klägerin zur Arbeitsleistung (s.
§ 275 Abs. 1 BGB), noch hatte sie sich für ihren Zustand zu "entschuldigen". Insofern
wäre es also falsch oder zumindest irreführend, ihr Verhalten – zumal unter
Kündigungsandrohung – als zu brandmarken.
Für diesen – objektiven – Befund spielt keine Rolle, welche zwischen den
Parteien beim. Telefonanruf des Geschäftsführers bei der Klägerin (s. oben, S. 7 (7a.) u.
S. 7 (8.)) ausgetauscht worden sind. War die Klägerin arbeitsunfähig, so hat es damit
sein Bewenden. – Nur vorsorglich sei die Beklagte zum letzten Punkt, weil sie sich zum
Beweis telefonischer Äußerungen der Klägerin (!) auf das Zeugnis eines am Telefonat
nicht beteiligten (Herrn ) beruft, daran erinnert, dass die Vertraulichkeit des
gesprochenen Wortes bekanntlich auch
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Schutz (s. § 201 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 StGB) genießt. Infolgedessen kann das nicht von vornherein aufdeckte Mithören
solcher Worte bei ungünstigem Verlauf schnell einmal "ins Auge gehen".
b.
wissen will, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz "ohne eine Erklärung" verlassen habe
41
,
so kann dahingestellt bleiben, ob ihre Abmahnung insofern dem Gebot genügt, das
fragliche Fehlverhalten des Arbeitnehmers "genau" genug zu bezeichnen
42
. Selbst
wenn man dies annehmen wollte, erwiese die hiesige Abmahnung sich nämlich auch mit
dem Vorwurf, die Klägerin habe es an einem Unterrichtungsakt fehlen lassen, als im
Ergebnis nicht haltbar.
ba.
Geschäftsführer die Klägerin "explizit" befragt habe, ob sie "beim Arzt gewesen oder
krank" sei, oder aber – und das lässt aufhorchen – "einfach so" den Arbeitsplatz
verlassen habe. "Dann" nämlich – und dies bezieht sich nach der Syntax
unmissverständlich auf die letztere Variante ("einfach so" den Arbeitsplatz verlassen) –
"müsse er eine Abmahnung schreiben".
bb.
im Falle einer der Klägerin – und zwar erklärtermaßen! – keine Absicht, den
Vorgang "abzumahnen". Hinter diesen Erklärungsstand ist sie später jedoch ersichtlich
zurückgefallen. Die Klägerin schließlich am 16. Oktober 2006 tatsächlich "krank", was
sie der Beklagten durch die AU-Bescheinigung auch nachwies. Wenn sich der
Sinneswandel der Beklagten auf solchem Hintergrund in der – behaupteten – Reaktion
der Klägerin ("sinngemäß": er möge "ruhig eine Abmahnung schreiben, denn sie kenne
ihre Rechte") verdankt, dann stellt sich die Abmahnung schon nach
Sachdarstellung der Beklagten als Maßregelung (§ 612 a BGB) für einen psychologisch
zwar durchaus kontraproduktiven, wohl aber rechtlich zulässigen Hinweis der Klägerin auf
die Kenntnis eigener "Rechte" dar.
3.
Klägerin führt unter solchen Umständen kein Weg vorbei.
III.
Nichts anderes gilt für die "II. Abmahnung":
Die Beklagte legt der Klägerin dort (s. oben, S. 4 (4.)) unter Androhung fristloser
Kündigung zur Last, dass sie nach Ablauf des zuvor vom 16. bis 30. Oktober 2006
bescheinigten Erkrankungszeitraums "ohne vorherige Nachricht oder Rückmeldung" über
die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit geblieben sei. Dem folgt a.a.O. der Hinweis an die
Klägerin, sie sei "allerdings verpflichtet, ein Fortbestehen einer Arbeitsunfähigkeit
unverzüglich nach Bekanntwerden – zumindest telefonisch – mitzuteilen".
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unverzüglich nach Bekanntwerden – zumindest telefonisch – mitzuteilen".
1.
auf den Pflichtenkreis der Klägerin in dem in § 5 ArbV (s. oben, S. 2 (1.))
fixierten Reglement bei "Krankheit" jedoch Ausschau, so fällt auf, dass dort der spezielle
Fall von Informationsgeboten in Sachlagen, in denen sich bereits bestehende
Arbeitsunfähigkeit über deren zuvor bescheinigte Dauer hinaus lediglich verlängert,
überhaupt nicht ist. Das ist erkennbar kein Zufall. Denn auch das
gesetzliche zu Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers bei
Erkrankungen in § 5 EFZG enthält eine solche Vorschrift nicht und in § 5 Abs. 1 Satz 4
EFZG ist nur bestimmt, dass bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit "eine neue ärztliche
Bescheinigung vorzulegen" sei
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, wie es die Klägerin hier denn auch hat.
2.
Gegenüber dem vertraglichen Reglement, das in diesem Punkt nicht weniger
fragmentarisch ausfällt als die gesetzliche Vorgabe, stellt der im Abmahnungstext
untergebrachte Hinweis der Beklagten auf eine Verpflichtung der Klägerin, auch "ein
Fortbestehen einer Arbeitsunfähigkeit einer Arbeitsunfähigkeit unverzüglich nach
Bekanntwerden – zumindest telefonisch – mitzuteilen", eine das lückenhafte Regelwerk
Aussage zum Pflichtenkreis der Klägerin dar, über deren Maßgeblichkeit
diese sich vorher nicht einmal durch noch so gründliches Studium des Gesetzestexts
hätte Aufschluss verschaffen können.
Für derartige Ergänzungen ist jedoch die förmliche Abmahnung das Medium.
Vielmehr wäre die Beklagte, die zwar nicht für den Gesetzestext verantwortlich ist, wohl
aber für die Textgestaltung ihrer Formularverträge, hierfür gehalten gewesen, es mit
ihrem Hinweis an die Klägerin zunächst einmal zu lassen. Es muss nämlich
erst einmal Klarheit über den genauen eines Pflichtenkreises geschaffen werden,
ehe etwaige Zuwiderhandlung mit förmlicher Abmahnung belegt werden kann.
3.
vor dem ersten macht, kann auch nicht in der Personalakte der Klägerin verbleiben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Beklagte nach den gestellten Anträgen zu
verurteilen und folglich im Rechtsstreit unterlegen war, auf § 91 Abs. 1 ZPO, im Übrigen
(also wegen der Teilrücknahme für die Zahlungsklage) auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Den
Wert der ausgeurteilten Streitgegenstände hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im
Tenor festgesetzt und für jede der beiden Abmahnungen mit einer Monatsvergütung der
Klägerin (zusammen: 3.000,– € – Tenor zu III.) bemessen. Da bei der
Kostenentscheidung der Wert der Zahlungsklage mit deren beziffertem Betrag (1.500,–
€) zu veranschlagen war, ergibt sich die Kostenquote wie im Tenor zu II. verlautbart: Von
dem insoweit zu bildenden Gesamtwert von 4.500,– € fallen der Beklagten zwei Drittel
und der Klägerin das restliche Drittel zur Last.
Dr. Ruberg
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