Urteil des ArbG Berlin vom 15.08.2006

ArbG Berlin: versetzung, treu und glauben, schriftliches verfahren, echte rückwirkung, vertrauensschutz, härte, rechtsprechungsänderung, abrede, unterrichtung, mitwirkungsrecht

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Gericht:
ArbG Berlin 86.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
86 Ca 23256/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 72 Abs 1 BPersVG, § 242 BGB,
§ 84 Abs 1 PersVG BE, § 99c Abs
2 S 2 PersVG BE, StPoolG BE
Stellenpool - Versetzung - Personalratsbeteiligung - mündliche
Erörterungspflicht - Unwirksamkeit - Vertrauensschutz -
Verwirkung
Leitsatz
1. Im Fall eines Mitwirkungsrechts des Personalrats nach § 84 Abs 1 PersVG Berlin bedarf es
grundsätzlich einer mündlichen Erörterung (BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05).
2. Einer mündlichen Erörterung nach § 84 Abs. 1 PersVG Berlin (insoweit § 72 Abs. 1 BPersVG
entsprechend) bedarf es nicht, wenn (1) der Personalrat einer Maßnahme zustimmt oder
seine Zustimmung fingiert wird, (2) der Personalrat ausdrücklich oder konkludent auf eine
mündliche Erörterung verzichtet hat, (3) die Abrede besteht, dass eine mündliche Erörterung
nur auf ausdrücklichem Wunsch erfolgen soll, oder (4) „die Einwände des Personalrats .. so
allgemein gehalten (sind), dass deren Erörterung als offensichtlich überflüssig, weil für jeden
erkennbar sinnlos, betrachtet werden (muss)“ (BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05).
3. Darüber hinaus besteht eine mündliche Erörterungspflicht auch nach Ablauf der
Äußerungsfrist schon immer dann, wenn der Personalrat innerhalb der Äußerungsfrist
fristgerecht schriftlich Einwendungen erhoben hat. Eines zusätzlichen ausdrücklichen oder
konkludenten Verlangens des Personalrats nach einer auch mündlichen Erörterung bedarf es
im Fall einer solchen Stellungnahme nicht (a. A. LAG Berlin [24.05.2005] - 3 Sa 2534/04 -
juris, Rn. 65; OVG Berlin-Brandenburg [14.11.2006] - 4 B 15.04 - juris; ebenfalls a.A. zur
Parallelvorschrift § 72 Abs. 1 BPersVG: BAG [18.01.1996] - 8 AZR 868/93 - n.v.; [29.08.1996] -
8 AZR 615/93 - n.v.; offen gelassen von BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05). Auf BVerwG
[27.01.1995] - 6 P 22.92 - BVerwGE 97, 34 kann sich die Gegenansicht nicht stützen.
4. Die Verletzung einer mündlichen Erörterungspflicht führt zur Unwirksamkeit der personellen
Maßnahme (BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05).
5. Die Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes des Landes Berlin im Hinblick auf die
Verpflichtung mündlicher Erörterung im Fall ablehnender fristgerechter Stellungnahmen des
Personalrats bei „Versetzungen“ zum Zentralen Personalüberhangmanagement
(„Stellenpool“) in Fällen vor der Entscheidung des BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 liegen
nicht vor (a.A. LAG Berlin [01.09.2006] - 6 Sa 1079/06). Es kommt nur eine Verwirkung des
Rechts in Betracht, sich auf die Unwirksamkeit einer „Versetzung“ zu berufen.
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben vom 29.03.2006 ausgesprochene
"Versetzung" zum Zentralen Personalüberhangmanagement rechtsunwirksam ist.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.297,87 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer „Versetzung“ der Klägerin zum
Zentralen Personalüberhangmanagement („Stellenpool“).
Die Klägerin ist seit dem 18.09.1979 bei dem beklagten Land als Erzieherin tätig. Ihr
Bruttomonatsverdienst beträgt 2.297,87 €.
Die Klägerin war im Jahr 2005 in einer Kindertagesstätte des Beklagten beschäftigt, die
zum 01.01.2006 im Wege eines Betriebsübergangs auf einen freien Träger wechselte.
Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses und verblieb beim
Beklagten.
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Mit Schreiben vom 21.12.2005 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass sie dem
Personalüberhang zugeordnet werde. Mit Schreiben vom 10.01.2006 (Bl. 71 d.A.) lehnte
der Personalrat die Zuordnung der Klägerin zum Personalüberhang ab. In dem
Schreiben wandte sich der Personalrat aus grundsätzlichen Erwägungen gegen die
Zulässigkeit der Zuordnung, betonte seine Zuständigkeit und einen „rechtlichen
Klärungsbedarf“.
Mit Schreiben vom 24.01.2006 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten
Versetzung in den Stellenpool an. Die Klägerin erhob dagegen Einwendungen aus
gesundheitlichen und persönlichen Gründen (Schreiben vom 10./20.2. und 24.02.2006;
Anlagen 3 und 4). Die Erwägungen des Beklagten dazu wurden am 01.03.2006 in einem
Aktenvermerk festgehalten (Anlage 5).
Mit Schreiben vom 01.03.2006 (nicht zur Akte gelangt) wurde der Personalrat zur
beabsichtigten „Versetzung“ gehört. Der Personalrat stimmte der „Versetzung“ nicht zu
und teilte dies mit Schreiben vom 15.03.2006 (Bl. 72 d.A.) mit. In dem Schreiben des
Personalrats wird die zugrunde gelegte Verwaltungsvorschrift als einseitig, unmaßgeblich
und unwirksam kritisiert. Entgegen § 12 BAT-O/§ 9 BMT-G-O fehle es an einer
notwendigen „Einzelabwägung“. Es läge kein „dienstliches Bedürfnis“ im Sinne der
Tarifnormen vor. Das Stellenpoolgesetz verstoße gegen die Tarifautonomie. § 99c
PersVG Berlin sei rechtswidrig. Die „Versetzung“ der Beschäftigten zum
Personalüberhang, die einem Betriebsübergang widersprochen hätten, verstoße gegen §
612a BGB. Es sei „nicht geprüft worden, ob es ein adäquates Stellenangebot im
Bezirksamt bzw. Land Berlin“ gebe. Im Schreiben vom 22.03.2006 an den Personalrat
(Anlage 6, Bl. 49 f. d.A.) setzte sich der Beklagte mit den Einwendungen der Personalrats
auseinander.
Mit Schreiben vom 29.03.2006 (Anlage K 3) „versetzte“ der Beklagte die Klägerin mit
Wirkung vom 1. April 2006 zum Zentralen Personalüberhangmanagement (ZEP)
(„Stellenpool“).
Mit der am 19.04.2006 bei Gericht eingegangenen Klage macht die Klägerin die
Unwirksamkeit dieser „Versetzung“ geltend.
Die Klägerin verweist näher auf Ihre gesundheitlichen Beschwerden (Bl. 2 d.A.), vertieft
die im Schreiben des Personalrats angeführten rechtlichen Argumente und rügt eine
Verletzung des § 99c PersVG Berlin.
Die Klägerin beantragt:
Es wird festgestellt, dass die mit Schreiben der Beklagten vom 29. März
ausgesprochene Versetzung zum Zentralen Personalüberhangmanagement
rechtsunwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf das Stellenpoolgesetz und auf die VV Auswahl 2005, deren
Vorgaben eingehalten worden seien.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass es keiner mündlichen Erörterung bedurft hätte. Eine
schriftliche Erörterung habe ausgereicht. Diese sei seitens des Beklagten umfassend
und seitens des Personalrats nur pauschal und rechtsirrig erfolgt. Eine mündliche
Einzelfallprüfung und Erörterung mit dem Ziel einer Einigung sei vor diesem Hintergrund
erkennbar unsinnig und überflüssig gewesen.
Jedenfalls genieße der Beklagte Vertrauensschutz, da in Literatur und langjähriger
Rechtsprechung des LAG Berlin in solchen Fällen eine mündliche Erörterung nicht
verlangt worden sei und das Urteil des BAG vom 15.08.2006 zum Versetzungszeitpunkt
noch nicht ergangen war. Auch führe eine nachträgliche Unwirksamkeit von mehreren
tausend „Versetzungen“ in den Stellenpool für den Beklagten zu einer unzumutbaren
Härte (so mündlich).
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze
verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
A.
im rechtstechnischen Sinn vorliegen mag, ist eine Klage auf Feststellung einer
„Versetzung“ in den Stellenpool zulässig (ausführlich BAG [27.10.2005] - 6 AZR 123/05 -
NZA 2006, 621 = juris).
Dass die angegriffen Maßnahme im Klageantrag „Versetzung“ genannt wird, obwohl
keine Versetzung im rechtstechnischen Sinn vorliegt, ist unproblematisch, da mit dieser
untechnischen Ausdrucksweise ersichtlich die im Schreiben vom 29.03.2006
angeordnete personelle Maßnahme bezeichnet wird, die im Übrigen auch der Beklagte
Versetzung nennt.
B.
I.
II.
Gründen unwirksam.
Der Beklagte hat eine aus § 99c i.V.m. § 84 PersVG Berlin resultierende Verpflichtung zu
einer mündlichen Erörterung nicht beachtet. Dies hat die Unwirksamkeit der personellen
Maßnahme zur Folge. Der Beklagte kann sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz
berufen.
1.
Personalüberhangkräften zum Zentralen Personalüberhangmanagement (Stellenpool)
der Personalrat der bisherigen Dienststelle mit. Damit wird auf die Mitwirkungsrechte des
Personalrats nach § 84 PersVG Berlin verwiesen.
1.1
beabsichtigte Maßnahme vor der Durchführung mit dem Ziele einer Verständigung
rechtzeitig und eingehend mit ihr zu erörtern.“
Dies erfordert grundsätzlich eine mündliche Erörterung. Auf die zutreffenden
Ausführungen des BAG wird verwiesen (ausführlich BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 -
juris, Rn. 34 m.w.N.).
1.2
1.2.1
Maßnahme zustimmt oder seine Zustimmung fingiert wird, (2) der Personalrat
ausdrücklich oder konkludent auf eine mündliche Erörterung verzichtet hat, (3) die
Abrede besteht, dass eine mündliche Erörterung nur auf ausdrücklichem Wunsch
erfolgen soll (zu (1) - (3) vgl. BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris, Rn. 43) oder (4)
„die Einwände des Personalrats .. so allgemein gehalten (sind), dass deren Erörterung
als offensichtlich überflüssig, weil für jeden erkennbar sinnlos, betrachtet werden (muss)“
(BAG, a.a.O. Rn. 44).
(1) Eine (fingierte) Zustimmung des Personalrats liegt hier nicht vor.
(2) Der Personalrat hat auf eine mündliche Erörterung auch nicht verzichtet. Seinem
Schreiben vom 15.03.2006 lässt sich nicht entnehmen, dass damit schon alles gesagt
sein sollte. Im Gegenteil verlangte er unter anderem eine „Einzelfallabwägung“.
Ebensowenig wie in BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris, Rn. 44 kann unterstellt
werden, dass man „sich offensichtlich einig darüber gewesen (sei), dass ... keine
mündliche Erörterung ... nötig sei“ (BAG, a.a.O., Rn. 45).
(3) Eine Abrede, dass eine mündliche Erörterung nur auf ausdrücklichem Wunsch
erfolgen soll, wurde vom Beklagten nicht behauptet.
(4) Die Einwände des Personalrats sind auch nicht so allgemein gehalten, dass deren
Erörterung „offensichtlich überflüssig“ gewesen wäre. Im Lichte der inzwischen erfolgten
zweitinstanzlichen Rechtsprechung des LAG Berlin und des OVG Berlin-Brandenburg
mögen zwar die Argumente des Personalrats als weitestgehend haltlos erscheinen. Dass
in erster Linie rechtliche Argumente angeführt wurden, besagt aber nicht, dass eine
Einzelfallerörterung von vornherein als sinnlos erscheinen musste. Wenn auch abstrakt
und im Zweifel formularhaft rügt der Personalrat u.a. eine fehlende „Einzelfallabwägung“
und eine fehlende Überprüfung freier Stellen.
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Das mündliche Erörterungsprinzip entfällt auch nicht deshalb, weil es aus Sicht des
Beklagten mangels Sozialauswahl nichts zu erörtern gab. § 99c PersVG Berlin macht für
das Mitwirkungsrecht des Personalrats keine Ausnahme in den Fällen, in denen der
Beklagte unter Berufung auf § 3 Nr. 1 VV Auswahl keine Sozialauswahl vornimmt.
1.2.2
ausdrücklich oder zumindest konkludent verlangt hat.
Dabei kann offenbleiben, ob dem Schreiben des Personalrats, in dem er die
Beschränkung seiner Rechte auf ein bloßes Mitwirkungsrecht als unwirksam erachtet -
das heißt ja der Sache nach ein Mitbestimmungsrecht für sich geltend machte - als
konkludente Aufforderung auch zu einer mündlichen Erörterung zu verstehen ist.
Auch ohne ein Verlangen des Personalrats bedurfte es einer mündlichen Erörterung. Ist
die mündliche Erörterung der gesetzliche unabdingbare Normalfall, so kann die
Effektivität des § 84 Abs. 1 PersVG Berlin nicht dadurch eingeschränkt werden, dass man
dem Personalrat eine im Gesetz nicht vorgesehene Initiativlast aufbürdet. Der
Praktikabilität der Vorschrift ist ausreichend durch die oben angeführten Ausnahmen
Rechnung getragen. Diese beruhen aber letztlich auf einem Konsensprinzip und nicht auf
ein in die Norm hineingelesenes restriktives zusätzliches Tatbestandsmerkmal.
§ 84 Abs. 1 PersVG Berlin entspricht § 72 Abs. 1 BPersVG. Die Annahme einer
unaufgeforderten mündlichen Erörterungspflicht nach fristgerecht erhobenen
schriftlichen Einwendungen widerspricht daher zwei Urteilen des BAG zu § 72 Abs. 1
BPersVG (zurückhaltender BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris, Rn. 43: „in diesem
Sinne könnten verstanden werden“, siehe aber auch a.a.O., Rn. 40).
Nach BAG [29.08.1996] - 8 AZR 615/93 - juris, Rn. 50 soll gelten: „Die Erörterung muss
zumindest konkludent verlangt werden, andernfalls besteht für den öffentlichen
Arbeitgeber kein Anlaß, über die schriftliche Darstellung der Maßnahme und ihrer Gründe
hinaus eine Beratung aufzunehmen.“
Diese hier sogenannte Initiativlast-These wurde zu § 72 Abs. 1 BPersVG vom BAG nur in
zwei amtlich und wohl auch sonst unveröffentlicht gebliebenen Urteilen des 8. Senats
aus dem Jahr 1996 vertreten (BAG [18.01.1996] - 8 AZR 868/93 - juris; [29.08.1996] - 8
AZR 615/93 -juris). Sie wird teilweise auch in der Kommentarliteratur zugrunde gelegt
(wohl auch Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 10. Aufl. (2004), § 72 Rn. 4; Fürst, u.a., GKÖD (Lbl.
3/07), BPersVG, § 72 Rn. 8).
Vom 9. Senat des BAG wird diese Frage betont offen gelassen (BAG [15.08.2006] - 9
AZR 571/05 - juris, Rn. 43, s.a. Rn. 39).
Für den insoweit entsprechenden § 84 Abs. 1 PersVG Berlin wird die Initiativlast-These
u.a. in LAG Berlin [24.05.2005] - 3 Sa 2534/04) und in OVG Berlin-Brandenburg
[14.11.2006] - 4 B 15.04 - juris, Rn. 67 vertreten.
Verbreitet wird lediglich betont, dass mit (zumindest konkludenter) Zustimmung des
Personalrats eine schriftliche Erörterung ausreichend ist (für § 84 Abs. 1 PersVG Berlin:
Germelmann/Binkert, PersVG Berlin, 2. Aufl. (2002), § 84 Rn. 17; für § 72 Abs.1 BPersVG:
BVerwG [26.07.1984] - 1 D 57.83 - BVerwGE 76, 181 (182 f.); BVerwG [27.01.1995] - 6 P
22.92 - BVerwGE 97, 34 = juris; VGH Baden-Württemberg [16.06.1992] - 15 S 496/01 -
PersV 1993, 169 = juris); Altvater u.a., BPersVG, 5. Aufl. (2004), § 72 Rn. 8).
Seltener wurde explizit eine mündliche Erörterung „grundsätzlich“ (Lorenzen
u.a./Gerhold, BPersVG (Lbl. 3/2007), § 72 Rn. 24; folgend Schreiner, Leitfaden zum
Personalvertretungsrecht - BPersVG - (1997), Rn. 332) oder gar immer (Dietz/Richardi,
BPersVG, 2. Aufl. (1978), Rn. 17) verlangt.
Die Vertreter der Initiativlast-These verwenden unzutreffende Autoritätsargumente,
wenn als Beleg ihrer Auffassung auf die oben genannten Entscheidungen des BVerwG
und des VGH Baden-Württemberg verwiesen wird.
BVerwG [26.07.1984] - 1 D 57.83 - BVerwGE 76, 181 (182 f.) betrifft den ganz anderen
Fall, dass nach einer schriftlichen Einleitung eines Disziplinarverfahrens und einer
schriftlichen Stellungnahme des Personalrats es zu einer „Aussprache“ zwischen dem
Dienststellenleiter und der Personalrat gekommen war und der Vorsitzende des
Personalrats das Mitwirkungsverfahren als abgeschlossen bezeichnet hatte. Nur in
diesem Zusammenhang heißt es, dass ein schriftliches Mitwirkungsverfahren ausreichen
kann (BVerwG, a.a.O. (183)).
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Auch BVerwG [27.01.1995] - 6 P 22.92 - BVerwGE 97, 34 = juris deckt nicht die
Initiativlast-These des 8. Senats. Darin heißt es u.a. (BVerwG, a.a.O., Rn. 21): (1) „So
läßt sich allenfalls die schriftliche Antwort eines Personalrats auf eine ordnungsgemäße
Unterrichtung von einer mitwirkungspflichtigen Maßnahme als mindestens notwendiger
zweiter Akt einer schriftlichen Erörterung begreifen, jedoch nur, wenn der Personalrat
dies so will und das auch zum Ausdruck bringt (..)“ und (2) „Andernfalls kann hierdurch
eine vom Personalrat gewünschte unmittelbare Erörterung nicht ersetzt werden“ .
(1) bedeutet genau das Gegenteil von dem, was der 8. Senat des BAG angenommen
hat: Ein Wegfall der mündlichen Erörterungspflicht, wenn der Personalrat dies will und
zum Ausdruck bringt, ist etwas ganz anderes als das Bestehen einer mündlichen
Erörterungspflicht, nur wenn der Personalrat dies will und zum Ausdruck bringt.
(2) spricht zwar bei isolierter Betrachtung für den 8. Senat des BAG, ist jedoch im
Kontext der Entscheidung des BVerwG zu sehen: das BVerwG hatte darüber zu befinden,
ob der Beginn der Äußerungsfrist nach § 72 Abs. 2 S. 1 BPersVG mit der „Erörterung“
beginnt. Es geht u.a. auf die Möglichkeit ein, dass der Personalrat innerhalb der
Äußerungsfrist auch grundlos eine Erörterung verlangen kann (BVerwG, a.a.O., Rn. 19).
Ausdrücklich heißt es dann, dass „die Anforderungen an eine Erörterung (nicht) so weit
herabgesetzt werden (dürfen), daß schon in einer einseitigen schriftlichen Unterrichtung
oder auch in einer bloßen Anhörung bereits eine "Erörterung" zu sehen wäre“ (BVerwG,
a.a.O., Rn. 20). Vor diesem Hintergrund und i.V.m. der Aussage (1) ist klar, dass (2)
lediglich die Notwendigkeit und Zulässigkeit eines Wunsches des Personalrats nach
mündlicher Erörterung innerhalb der Äußerungsfrist unabhängig von schriftlichen
Einwendungen betrifft.
Mehr besagt der Beschluss des BVerwG nicht und mehr verlangt auch das Gesetz nicht.
Die überschießende Interpretation des 8. Senats des Beschlusses des BVerwG vom
27.01.1995 findet sich auch nicht durchgängig in der Kommentarliteratur (Lorenzen
u.a./Gerhold, BPersVG (Lbl. 3/2007), § 72 Rn. 22; Altvater u.a., BPersVG, 5. Aufl. (2004),
Rn. 8; so aber wohl Fürst, u.a., GKÖD, BPersVG § 72 Rn. 8). Deshalb konnte der 8. Senat
sich auch nicht zu Recht auf die Kommentierung von Altvater, a.a.O. beziehen. Wenn das
OVG Berlin-Brandenburg, u.a. im Urteil [14.11.2006] - 4 B 15.04 - juris, Rn. 67 und das
LAG Berlin sich in ihren Entscheidungen auf den Beschluss des BVerwG vom 27.01.1995
berufen, wird dies dieser Entscheidung nicht gerecht.
Wenn Fürst, a.a.o., Rn. 8 für die Auffassung, das Mitwirkungsverfahren sei auch schriftlich
möglich, „wenn der Personalrat keinen Einspruch erhebt“, auf VGH Baden-Württemberg
[16.06.1992] - 15 S 496/01 - PersV 1993, 169 = juris verweist, ist dies unzutreffend. Der
VGH Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 25, folgt lediglich der Auffassung des BVerwG
[26.07.1984] - 1 D 57.83 - BVerwGE 76, 181 (182 f.), wonach ein schriftliches Verfahren
ausreichen kann, wenn der Personalrat es so will (s.o.).
Für die Initiativlast-These spricht allenfalls die Entscheidung OVG Saarland [04.02.1975] -
IV W 56/74 - PersV 1977, 140 (145) = juris (Ls.). Aber auch dort ging es lediglich um die
Frage, dass eine Erörterung schriftlich erfolgen kann, wenn der Personalrat es so will, und
nicht um die Frage, was der gesetzliche Normalfall ist, wenn der Personalrat fristgerecht
schriftliche Einwendungen erhebt und nicht besonders einen Wunsch nach mündlicher
Erörterung zum Ausdruck bringt.
Für den 8. Senat spricht auch nur scheinbar die Rechtsprechung des 7. Senats des BAG
(BAG [03.02.1982] - 7 AZR 907/79 - BPersVG § 72 Nr. 1 = juris). Dort (a.a.O., Rn. 25)
heißt es zwar: „Der Senat ist der Ansicht, daß die Erörterung nach § 72 Abs. 1 BPersVG
nur auf Wunsch der Personalvertretung stattfinden muß.“ Aus dem Zusammenhang
(ebd.) ist aber klar, dass der 7. Senat damit nur die Fälle meint, in denen der Personalrat
zustimmt oder die Äußerungsfrist verstreichen lässt.
Dass nach fristgerechten schriftlichen Einwendungen der Personalrat zusätzlich, und sei
es auch nur konkludent, einen Wunsch nach auch mündlicher Erörterung erklären muss,
wird auch vom 2. Senat des BAG in seinem Urteil BAG [20.01.2000] - 2 AZR 65/99 - AP
KSchG 1969 § 2 Nr. 56 nicht vorausgesetzt: „Erhebt er (scilicet: der Personalrat) jedoch
wie hier fristgerecht Einwendungen, erfordert die Wirksamkeit der Beteiligung des
Personalrats und damit die der Kündigung die Erörterung“ (BAG, a.a.O., Rn. 32). Dem
Urteil sind aber nur Einwendungen, nicht aber eine Bitte des Personalrats um eine
mündliche Erörterung zu entnehmen.
2.
Unwirksamkeit der „Versetzung“. Auf die zutreffenden Ausführungen des BAG wird
verwiesen (ausführlich BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris, Rn. 46 ff.; entsprechend
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verwiesen (ausführlich BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris, Rn. 46 ff.; entsprechend
BAG [20.01.2000] - 2 AZR 65/99 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 56 = juris, Rn. 32 m.w.N.).
3.
entgegen LAG Berlin [01.09.2006] - 6 Sa 1079/06 - n.v. - [zu 1.2.3].
Die Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes liegen nicht vor. Ansonsten hätte auch
schon entsprechend das BAG diesen in BAG [15.08.2006] - 9 AZR 571/05 - juris für
seinen „Altfall“ bejahen müssen.
3.1
Gerichte an das Rechtsstaatsprinzip gebunden und müssen bei Änderung ihrer
Rechtsprechung, nicht anders als der Gesetzgeber bei Gesetzesänderungen, den
Grundsatz des Vertrauensschutzes beachten (...). Vertrauensschutz bedeutet u.a.
Schutz vor Rückwirkung. Zwar erzeugen höchstrichterliche Entscheidungen keine dem
Gesetzesrecht vergleichbaren Rechtsbindungen. Sie stellen lediglich die Rechtslage in
einem konkreten Fall fest. Gleichwohl kann und darf ein Bürger auf die durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisierte Rechtslage und deren Bestand
vertrauen. Er wird nicht unterscheiden müssen - und auch nicht können -, ob sich die
Rechtslage direkt aus der Norm erschließt oder sich aus den Konkretisierungen der
Rechtsprechung ergibt. Dennoch soll sich der Betroffene darauf verlassen dürfen, dass
an einen abgeschlossenen Tatbestand nachträglich keine anderen - ungünstigeren -
Voraussetzungen gestellt werden als sie im Zeitpunkt der Vollendung des Sachverhalts
gefordert wurden. Der Bürger darf erwarten und sich darauf verlassen, dass sein zum
Zeitpunkt der Handhabung rechtlich gefordertes Verhalten von der Rechtsprechung
nicht nachträglich als rechtswidrig oder nicht ausreichend qualifiziert wird (...). Anders als
in den Fällen, in denen es um die - bloße - rechtliche Beurteilung der Wirksamkeit eines
Rechtsgeschäfts geht, liefe es in den Fällen, in denen ein Gestaltungsrecht bereits
ausgeübt worden ist, auf eine unzulässige, im Ergebnis echte Rückwirkung hinaus, wenn
eine Rechtsprechungsänderung voll durchschlüge. Deshalb darf nach der ständigen
Rechtsprechung des BAG eine Rechtsprechungsänderung regelmäßig nicht dazu führen,
einer Partei rückwirkend Handlungspflichten aufzuerlegen, die sie nachträglich nicht
mehr erfüllen kann (...)“ (BAG [23.03.2006] - 2 AZR 343/05 - NZA 2006, 971 (975) [Rn.
33]). „Zwar wirkt die Änderung einer auch lange geltenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung grundsätzlich zurück, soweit dem nicht der Grundsatz von Treu und
Glauben entgegensteht. Eine über § 242 BGB hinausgehende Einschränkung der
Rückwirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung ist aber geboten, wenn die von der
Rückwirkung betroffene Partei auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung
vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer
Rechtsfolgen im Streitfall oder der Wirkung auf andere vergleichbare Rechtsbeziehungen
auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners eine
unzumutbare Härte bedeuten würde (...)“ (BAG [23.03.2006] - 2 AZR 343/05 - NZA
2006, 971 (975) [Rn. 34]).
3.2
Es fehlt sowohl an einem Vertrauenstatbestand als auch an einer unzumutbaren Härte.
3.2.1
des 8. Senats aus dem Jahr 1996 blieben (amtlich und wohl auch sonst) unveröffentlicht.
Sie besagen etwas anderes, wenn nicht gar in verdeckter Divergenz, als die Urteile des
2. und 7. Senats des BAG und des BVerwG. Dies ist etwas anderes als etwa eine
100jährige höchstrichterliche Rechtsprechung im Fall der Massenentlassungsanzeige.
Eine (ständige) Rechtsprechung des LAG Berlin und des OVG Berlin-Brandenburg kann
keinen Vertrauensschutz begründen. Sie steht unter dem erkennbaren Vorbehalt
revisionsrechtlicher Nachprüfung.
Literaturstimmen begründen keinen Vertrauensschutz. Der Meinungsstand ist im
Übrigen kontrovers (s.o.).
3.2.2
Es macht einen Unterschied, ob Kündigungen oder „Versetzungen“ in eine virtuelle
Behörde unwirksam sind. Zumal bei den virtuellen Versetzungen in den Stellenpool die
betroffenen Arbeitnehmer oftmals an ihrem alten Arbeitsplatz verbleiben.
Das vom LAG Berlin [01.09.2006] - 6 Sa 1079/06 - [zu 1.2.3.2] angeführte und vom
Beklagten aufgegriffene Argument, bei einer Rückwirkung der Rechtsprechung des BAG
seien tausende (das LAG Berlin, ebd. spricht von 3000 per 2004) „Versetzungen“ in den
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seien tausende (das LAG Berlin, ebd. spricht von 3000 per 2004) „Versetzungen“ in den
Stellenpool unwirksam seien, ist zu relativieren. Zum einen gibt es gerichtsbekannt
Versetzungen, die mit Zustimmung des Personalrats erfolgten. Zudem gibt es noch die
anderen oben angeführten Ausnahmetatbestände. Vor allem ist aber darauf zu
verweisen, dass das Recht, die Unwirksamkeit von „Versetzungen“ in einen Stellenpool
anzugreifen, der Verwirkung unterliegt (vgl. allgemein u.a. BAG [19.11.2002] - 3 AZR
591/01 - TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 18 und konkreter (Telekom/Vivento)
z.B. ArbG Berlin [09.11.2005] - 7 Ca 10394/05 - LAGE BGB 2002 § 242
Prozessverwirkung Nr. 2 = juris).
III.
des Rechtsstreits zu tragen. Diese bemessen sich nach einem gemäß §§ 61 Abs. 1, 46
Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO festgesetzten Streitwert.
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