Urteil des AnwGH Berlin vom 22.06.2017
AnwGH Berlin: hauptsache, austritt, versicherung, erlass, verzicht, quelle, sammlung, link, verfügung, gerichtsbarkeit
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Gericht:
Anwaltsgerichtshof
Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
I AGH 18/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 2 Nr 4 BRAO, § 207 Abs
2 S 1 BRAO
Leitsatz
1.) Die Erledigung der Hauptsache hat der Anwaltsgerichtshof von Amts wegen festzustellen.
2.) Die Hauptsachenerledigung in anwaltsgerichtlichen Zulassungswiderrufssachen ist u. a.
dann anzunehmen, wenn die Entscheidung über das Bestehen des streitigen
Widerrufsgrundes bedeutungslos geworden, weil im Laufe des Verfahrens der Antragsteller
schriftlich auf seine Rechte aus der Zulassung im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO a.F.
verzichtet hat.
3.) Die Erklärung des Antragstellers, aus der Rechtsanwaltskammer "auszutreten", ist als
Verzicht auf seine Rechte aus der Zulassung im Sinne von §§ 207 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 2 Nr.
4 BRAO a.F. auszulegen.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Verfahren in der Hauptsache erledigt ist.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Geschäftswert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit 1986 ein von der Rechtsanwaltskammer Ankara (Türkei)
zugelassener Rechtsanwalt türkischen Rechts (Avukat). Mit Wirkung vom 25. Februar
2005 wurde er gemäß § 206 BRAO in die Rechtsanwaltskammer Berlin mit der
Berechtigung aufgenommen, sich unter der Berufsbezeichnung Avukat zur
Rechtsbesorgung auf dem Gebiet des türkischen Rechts und des Völkerrechts in
Deutschland niederzulassen. Der Antragssteller war zunächst durch die V...
Versicherung AG haftpflichtversichert. Mit Schreiben vom 27. Mai 2008 teilte die V...
Versicherung AG der Antragsgegnerin mit, dass der Haftpflichtversicherungsschutz zum
25. März 2008 beendet sei. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller wiederholt
auf, seinen fortgesetzten Haftpflichtversicherungsschutz nachzuweisen. Der
Antragssteller hat hierauf bis heute nicht reagiert. Daraufhin widerrief sie die Aufnahme
des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer. Gegen diesen Bescheid hat der
Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, der am 22. Dezember 2008
beim Anwaltsgerichtshof eingegangen ist. Eine Begründung ist – trotz gerichtlicher
Aufforderung – nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 24. November 2009 erklärte der
Antragssteller seinen „Austritt aus der Antragsgegnerin“.
II.
1.
Vorliegend finden gemäß § 215 Abs. 3 BRAO die Vorschrift der BRAO in der Fassung vor
dem 1. September 2009 (im Folgenden: „BRAO a.F“) Anwendung. Denn das
anwaltsgerichtliche Verfahren war schon zu diesem Zeitpunkt anhängig.
2.
Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt. Das ergibt sich aus Folgendem:
a)
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Die Hauptsachenerledigung in anwaltsgerichtlichen Zulassungswiderrufssachen ist u.a.
dann anzunehmen, wenn die Entscheidung über das Bestehen des streitigen
Widerrufsgrundes bedeutungslos geworden, weil im Laufe des Verfahrens der
Antragsteller schriftlich auf seine Rechte aus der Zulassung im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr.
4 BRAO a.F. verzichtet hat.
Zwar ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass für die anwaltsgericht-liche
Nachprüfung eines Widerrufsbescheides grundsätzlich alleine der Sachverhalt zum
Zeitpunkt seines Erlasses maßgebend ist und der Bescheid daher insbesondere nicht
auf einen Widerrufsgrund gestützt werden kann, der sich erst nach dem Erlass ergeben
hat (BGH, AnwBl. 2005, 217; Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 41
Rdnr. 5); auch stellt ein schriftlicher Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung einen
Widerrufsgrund dar. Jedoch würde die Aufhebung des ursprünglich angegriffenen
Widerrufsbescheides durch den Anwaltsgerichtshof und der Erlass eines zweiten, auf den
nachträglich eingetretenen Widerrufsgrund gestützten Widerrufsbescheides der
Rechtsanwaltskammer einen für keinen Verfahrensbeteiligten nutzbringenden
Formalismus darstellen, wenn der nachträglich eingetretene Widerrufsgrund - wie im
Falle des Verzichts nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO a.F. - unzweifelhaft zu bejahen ist und
von dem Antragsteller gerade mit dem Ziel herbeigeführt wurde, die Zulassung zu
beenden. Ferner ist es im Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auf das § 40 Abs. 4
BRAO a.F. für das anwaltsgerichtliche Verfahren im Grundsatz ver-weist, anerkannt, dass
die Hauptsachen dann erledigt ist, wenn die ursprünglich angefochtene Verfügung
infolge der Fortentwicklung des Verfahrens bedeutungslos geworden ist (vgl. Kahl in
Keidel, FGG, 15. Aufl. 2003, § 19 Rdnr. 87 „Prozessuale Überholung“, m.Rspr.N.). Der Fall
des schriftlichen Verzichtes auf die Rechte aus der Zulassung ist dem Fall der
Fortentwicklung des Verfahrens jedenfalls ähnlich. So ist in beiden Fällen ein
tatsächlicher Streit über die Veränderung des relevanten Sachverhaltes praktisch
ausgeschlossen. Schließlich ist für das anwaltsgerichtliche Verfahren anerkannt, dass
eine Hauptsachenerledigung in Zulassungssachen dann eintritt, wenn der Antragsteller
seinen Zulassungsantrag zurücknimmt (EGH Schleswig, EGE IX, 133; Feuerich in
Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 40 Rdnr. 35). Diesem Fall ist der - hier
vorliegende - Fall ähnlich, dass der Antragsteller in einer Zulassungswiderrufssache auf
seine Rechte aus der Zulassung verzichtet. So begehrt der Antragsteller in beiden Fällen
im Ergebnis nicht mehr, als Rechtsanwalt zugelassen zu sein und gibt insofern seine der
Antragsgegnerin widerstreitende Position auf.
b)
Die Erklärung des Antragstellers, aus der Antragsgegnerin „auszutreten“, ist als Ver-
zicht auf seine Rechte aus der Zulassung im Sinne von §§ 207 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 2
Nr. 4 BRAO a.F. auszulegen. Denn ein eigenständig rechtsgestaltender „Austritt“ aus
der Rechtsanwaltskammer ist der BRAO unbekannt.
3.
Die Erledigung der Hauptsache hatte der Anwaltsgerichtshof von Amts wegen fest-
zustellen (ebenso: Senat, NJW-RR 2009, 1581; AGH Stuttgart, BRAK-Mitt 1996, 210).
4.
Nach Eintritt der Hauptsachenerledigung hat der Senat über die Verfahrenskosten
gemäß § 40 Abs. 4 BRAO a.F. in Verbindung mit § 13a FGG sowie analog § 91a ZPO zu
entscheiden. Dabei ist den Erfolgsaussichten des Antrages auf gerichtliche Entscheidung
zum Zeitpunkt vor Eintritt des erledigenden Ereignisses maßgebliche Bedeutung
beizumessen (vgl. Senat, NJW-RR 2009, 1581; Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO, 7.
Aufl. 2008, § 40 Rdnr. 35, m.w.N.). Diese waren vor-liegend zu verneinen. Denn der
Antragssteller war gemäß §§ 206, 207 Abs. 2, 51 Abs. 1 BRAO auch als ein in die
Rechtsanwaltskammer aufgenommener Rechts-anwalt ausländischen Rechts
verpflichtet, haftpflichtversichert zu sein, mit der Folge, dass seine Aufnahme gemäß §§
207 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO zu widerrufen war, nachdem davon auszugehen
ist, dass der Antragsteller nicht über den erforderlichen Haftpflichtversicherungsschutz
verfügt.
5.
Die Wertfestsetzung beruht auf § 202 Abs. 2 BRAO i.V.m. § 30 KostO.
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