Urteil des AG Wiesbaden vom 21.09.2007

AG Wiesbaden: höhere gewalt, angepasste geschwindigkeit, fahrzeug, abbiegen, verkehrsunfall, quote, betriebsgefahr, halter, sicherheitsleistung, sorgfalt

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Gericht:
AG Wiesbaden
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
91 C 1883/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 249 BGB, § 256 Abs 1 ZPO
Schadensersatz nach Verkehrsunfall: Feststellungsantrag
für Nutzungsausfallentschädigung vor
Reparaturdurchführung
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.081,69 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 26.05.2007 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte bei Nachweis der Reparatur verpflichtet
ist, für 8 Tage Nutzungsausfall in Höhe von je 39,33 Euro zu zahlen.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger nicht anrechenbare
Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Geltendmachung in Höhe von
133,66 Euro zu zahlen.
I.ü. wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 1/5, der Beklagte 4/5 zu
tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Mit der Klagte macht der Kläger Schadensersatzansprüche aus einem
Verkehrsunfall geltend, der sich am 09.09.2006 in W ereignete.
Der Kläger ist Halter und Eigentümer des Fahrzeugs Daimler Chrysler, Mercedes
Benz C 200. Der Beklagte war am Unfalltag Fahrer des Fahrzeugs ....
Der Kläger befuhr vom 1. Ring kommend die linke der beiden Richtungsfahrbahnen
der Gstraße; der Beklagte befand sich – zunächst vor dem Kläger – auf der rechten
Fahrspur. Der Beklagte beabsichtigte sein Fahrzeug auf einem der links von der
Gstraße befindlichen Parkplätze abzustellen. An der (aus Sicht der Beklagten)
linken Seite der zweiten Parkplatzeinfahrt, in welche der Beklagte einfahren wollte,
parkte die Zeugin A mit ihrem Fahrzeug. Als der Beklagte mit dem
Abbiegevorgang begann, kam es zur Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug.
Der Sachverständige K bezifferte die Reparaturkosten für das bislang nicht
reparierte Fahrzeug auf 3.926,03 Euro netto, die Wertminderung auf 400,– Euro
und seine eigenen Kosten auf 584,64 Euro. Hierauf zahlte die
Haftpflichtversicherung des Beklagten insgesamt 1.209,42 Euro (die
Sachverständigenkosten direkt an den Sachverständigen, den Rest an den
Kläger).
Mit der am 25.05.2007 zugestellten Klage macht der Kläger die verbleibende
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Mit der am 25.05.2007 zugestellten Klage macht der Kläger die verbleibende
Differenz geltend.
Der Kläger behauptet, da der Beklagte am rechten Fahrbahnrand angehalten
habe, sei er selbst weitergefahren, in der Annahme der Beklagte wolle Personen
aus seinem Fahrzeug aussteigen lassen. Der Beklagte habe weder den Blinker
gesetzt noch beim Abbiegen einen Schulterblick vorgenommen. Ansonsten hätte
er den Kläger sehen müssen.
Der Kläger beantragt,
1) den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.493,83 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen,
2) festzustellen, dass der Beklagte bei Nachweis der Reparatur verpflichtet sei,
für 8 Tage Nutzungsausfall in Höhe von je 59 Euro zu zahlen,
3) den Beklagten ferner zu verurteilen, an den Kläger anrechenbare
Rechtsanwaltskosten für die außergerichtlichen Geltendmachung in Höhe von
200,50 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er habe auf der rechten Seite der Gstraße ausgeholt, um
in einem besseren Bogen in die Parkplatzeinfahrt zu gelangen. Er habe vor
Einleitung des Abbiegevorgangs lediglich seine Geschwindigkeit reduziert (nicht
angehalten) und den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Der Kläger sei zum
Zeitpunkt seines (des Beklagten) Schulterblickes noch nicht wahrnehmbar
gewesen.
Der Kläger habe sein Fahrzeug mit weit überhöhter Geschwindigkeit gesteuert.
Dies werde auch dadurch bestätigt, dass der Kläger sein Fahrzeug erst nach ca.
20-25 m zum Stillstand habe bringen können.
I.ü. sei, so meint er, die Mehrwertsteuer sei mangels nachgewiesener Reparatur
nicht erstattungsfähig. Aus dem kalkulierten Reparaturaufwand seien die
Verbringungskosten mit 99 Euro heraus zu rechnen, da sie mangels Reparatur
nicht ersatzfähig seien.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme aufgrund des Beweisbeschlusses
vom 24.07.2007 durch die Vernehmung der Zeuginnen A, B, E und des Zeugen N
sowie die informatorische Anhörung des Klägers und des Beklagten wird auf das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2007 (Blatt 62 ff der Akte)
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
Im Rahmen des Klageantrags zu 1) steht dem Kläger gegenüber dem Beklagten
einen Anspruch in Höhe von 2.081,69 Euro gemäß §§ 18, 7 I StVG zu. Der Beklagte
haftet als Fahrer gem. § 18 I StVG in gleicher Weise wie der Halter.
Die Voraussetzungen des § 7 I StVG liegen vor: Die Beschädigung ist beim Betrieb
eines Kfz entstanden. Die Haftung ist weder nach § 7 II StVG (höhere Gewalt) noch
gem. § 17 III STVG ausgeschlossen: der Unfall war für den Beklagten nicht
unabwendbar: ein besonders vorsichtiger und umsichtiger Fahrer hätte sich vor
dem weiteren Abbiegen besser nach hinten vergewissert. Die 2. Fahrspur der
Gstraße ist an der Unfallstelle gerichtsbekannt gut einsehbar.
Im Rahmen der notwendigen Abwägung der Verursachungsbeiträge beider
Parteien gem. § 17 I StVG ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme ebenso wenig den Unabwendbarkeitsbeweis
führen konnte: ein besonders umsichtiger Fahrer wäre an seiner Stelle nicht mit
unverminderter Geschwindigkeit weiter gefahren. Dass er zügig weiter gefahren ist,
"weder die Geschwindigkeit gedrosselt hat noch langsam gefahren ist", hat die
unabhängige Zeugin A glaubhaft ausgesagt.
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Im Rahmen der nach § 17 I, II StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen
Verursachungsbeiträge gemäß §§ 18 III, 17 II StVG haftet der Beklagte nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme mit einer Quote von 2/3. Sowohl für den Kläger als
auch den Beklagten sind – über die reine Betriebsgefahr hinausgehende
gefahrerhöhende Umstände zusätzlich zur Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Die
gefahrerhöhenden Umstände des Beklagten wiegen deutlich schwerer als die
Umstände zu Lasten des Klägers.
Der Beklagte hatte gemäß § 9 StVO eine besondere Sorgfalt beim Abbiegen und
gleichzeitigem Spurwechsel zu beachten. Er war gegenüber dem
geradeausfahrenden Verkehr wartepflichtig (Hentschel, § 9 StVO Rn. 1).
Die Beweislast für gefahrerhöhende Verkehrsverstöße des Beklagten, trägt der
Kläger (Hentschel, § 17, Rn. 31) Dieser Beweis ist dem Kläger gelungen. Gegen
den Beklagten spricht ein Anscheinsbeweis. Der erste Anschein spricht dafür, dass
der Beklagte beim Linksabbiegen schuldhaft handelte, indem er die erforderliche
Sorgfalt außer Acht ließ. (BGH VersR 63, 337) Dieser Anscheinsbeweis konnte
durch den Beklagten nicht erschüttert werden. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme steht mit der nach § 286 I ZPO erforderlichen Sicherheit zur
Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte gegen § 9 StVO verstoßen hat.
Der Beklagte hat den Blinker vor Einleitung des Spurwechsels und dem
Abbiegevorgang nicht rechtzeitig gemäß § 9 StVO betätigt.
Nach den Aussagen der Zeugen A, B, N und E setzte der Beklagte zwar den
Blinker setzte. Es konnte aber nicht bewiesen werden, dass der Blinker rechtzeitig
gesetzt wurde. So hat die Zeugin A, die aufgrund ihrer Parkposition das Auto des
Beklagten sehr gut sehen konnte, glaubhaft und glaubwürdig bekundet, der
Beklagte habe relativ schnell nach dem Blinken mit dem Abbiegevorgang
begonnen. Nach der Aussage der Zeugin A begann der Beklagte den
Abbiegevorgang, obwohl er den Kläger hätte sehen müssen.
Die Zeugin B (Lebensgefährtin des Beklagten) vermochte sich an die zeitliche
Abfolge des Blinkens, Rückwärtsschauens, und Abbiegens nicht mehr zu erinnern.
Auch die Aussagen der Zeugen N und die Zeugin E sind zu der entscheidenden
Frage der zeitlichen Abfolge und des Zeitpunktes des Blinkens unergiebig.
Andrerseits hätte der Kläger den Beklagten zumindest kurz vor dem
Zusammenstoß links blinkend sehen müssen und die Geschwindigkeit drosseln
müssen. Der Beweis, dass er links blinkte, wurde erbracht, auch wenn die
Zeugenaussagen der Zeugen B, N und E bezüglich der Geschwindigkeit des
Klägerfahrzeugs unergiebig waren. Nach der Aussage der – einzigen neutralen –
der Zeugin A ist indes davon auszugehen, dass der Kläger mit nicht angepasster
Geschwindigkeit gefahren ist ("mit zügiger und ungedrosselter Geschwindigkeit")
und zudem der Beklagte bereits zum Abbiegen angesetzt hatte, als er, der Kläger,
noch ein Stück weit entfernt war. Des weiteren sei – was auch für eine nicht
angepasste Geschwindigkeit spricht – das Klägerfahrzeug, so die glaubhaften
Bekundungen der Zeugin A- erst erheblich später zum Stehen gekommen.
Unter Berücksichtigung aller Umstände ist nach Auffassung des Gerichts eine
Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Beklagten angemessen.
Der verbleibende Schadensersatzanspruch des Klägers von 2.081,69 Euro
errechnet sich wie folgt: Auszugehen ist mangels bislang tatsächlich
durchgeführter Reparatur von einem Nettosachschaden (vgl. § 249 II 2 BGB) von
3.926,03 Euro. Die Verbringungskosten in Höhe von 99 Euro netto waren nicht
abzuziehen. Sie sind in der vorliegenden Konstellation auch fiktiv abrechenbar, da
der Beklagte die Behauptung des Klägers nicht substantiiert bestritten hat, die am
Wohnort des Klägers- Wiesbaden – ansässigen Markenwerkstätten verfügten über
keine eigene Lackiererei verfügten. Des Weiteren waren 400,– Euro Wertminderung
zzgl. 584,64 Sachverständigenkosten + 26,– Euro Unkostenpauschale =
insgesamt 4.936,67 Euro in Ansatz zu bringen. Hiervon hat der Beklagte 2/3 =
3.291,11 Euro zu tragen abzüglich der unstreitig bereits erfolgten Zahlung von
1.209,42 Euro.
Zinsen in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes stehen dem Kläger ab
Rechtshängigkeit gemäß §§ 286, 288 I BGB zu..
Der Klageantrag zu 2) ist zulässig: Das Feststellungsinteresse des Klägers im
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Der Klageantrag zu 2) ist zulässig: Das Feststellungsinteresse des Klägers im
Sinne des § 256 I ZPO liegt vor. Die geltend gemachte Forderung kann – mangels
tatsächlich durchgeführter Reparatur – noch nicht im Wege der Leistungsklage
geltend zu machen. Das Fahrzeug stünde während der Reparatur dem Kläger nicht
zur Verfügung; dieser Verlust der Gebrauchsmöglichkeit stellt einen
Vermögensschaden dar. Die Dauer des Nutzungsausfalls bestimmt sich nach der
Reparaturdauer laut Sachverständigengutachten von 6 Arbeitstagen, was 8
Kalendertagen entspricht. Die unstreitige Höhe von 59,– Euro pro Tag war der
zugesprochenen Quote von 2/3 anzupassen.
Auch der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen
Anwaltskosten (als Teil des ersatzfähigen Schadens gem. § 249 BGB) in Höhe von
200,50 Euro (Klageantrag zu 3) ist nur in der reduzierten, der Haftungsquote
entsprechenden Höhe zuzusprechen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 I, 708 Ziffer 11, 709, 711
ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.