Urteil des AG Wiesbaden vom 23.02.2010

AG Wiesbaden: schwerer eingriff, körperliche unversehrtheit, einstweilige verfügung, verbotene eigenmacht, unterbrechung, vermieter, kontrahierungszwang, hessen, bankrecht, gemeindeordnung

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Gericht:
AG Wiesbaden
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
92 C 495/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1004 BGB, § 39 WasserG
Leitsatz
In Hessen stellt die Unterbrechung der Wasserversorgung eines Mietshauses wegen
Zahlungsrückständen des Vermieters eine verbotene Eigenmacht des
Versorgungsunternehmens gegenüber dem Mieter dar.
Tenor
Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom
Gericht nicht mitgeteilt.
Gründe
Im Hinblick auf die Ankündigung die Wasserlieferung einzustellen, liegt hierin eine
Besitzstörung der Verfügungsbeklagten vor, die aus der Ankündigung eines
pflichtwidrigen Unterlassens der Verfügungsbeklagten herzuleiten ist. Es ist
anerkannten Rechtes, dass die Störereigenschaft auch dadurch begründet wird,
dass die Verfügungsbeklagte durch eine pflichtwidrige Unterlassung den Eintritt
oder die Fortdauer einer Besitzstörung ermöglicht (vgl. Staudinger/Gursky BGB
(2006) § 1004 Rdz. 93). Insoweit ist der zu § 1004 BGB entwickelte Störerbegriff auf
die Besitzstörung zu übertragen (vgl. Joost, Münchner Kommentar zum BGB, 5.
Aufl., § 858 Rdz. 5 und 6). Soweit eine Besitzstörung des Mieters von der
Rechtssprechung verneint wird, wenn das Versorgungsunternehmen die Lieferung
unterlässt, weil der Vermieter als Vertragspartner in Zahlungsrückstand geraten
ist, so ist dem, zumindest für die Wasserliefersperre, entgegen der Entscheidung
des Landgerichtes Frankfurt vom 15.05.1998 (WuM 1998, 495) nicht zu folgen.
Diese Auffassung übersieht, dass die Verfügungskläger gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1
Hessisches Wassergesetz in Verbindung mit § 20 Abs. 1, 1. Alternative Hessische
Gemeindeordnung einen öffentlichrechtlichen Anspruch auf Trinkwasserversorgung
haben. Die Landeshauptstadt Wiesbaden als Anspruchsgegner der
Verfügungskläger hinsichtlich dieses öffentlichrechtlichen Anspruches hat gemäß §
39 Abs. 2 Hessisches Wassergesetz die Verpflichtung zur Wasserversorgung auf
die Verfügungsbeklagte übertragen. Insofern besteht für die Verfügungsbeklagte
ein Kontrahierungszwang.
Aus diesem Kontrahierungszwang sind für die Verfügungsbeklagten vorvertragliche
Schutzpflichten zu Gunsten der Verfügungskläger abzuleiten. Mit der
Unterbrechung der Wasserversorgung droht mittelbar ein schwerer Eingriff in das
Recht der Verfügungskläger auf körperliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2 Abs. 2
Satz 1 des Grundgesetzes. Angesichts der existenziellen Bedeutung einer
funktionierenden Wasserversorgung hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass
eine Unterbrechung der Wasserversorgung eine konkrete Gefahr schwerer
nachteiliger Konsequenzen für Primärrechtsgüter insbesondere der Gesundheit
der Verfügungskläger darstellt. Die Ankündigung der Verletzung dieser
vorvertraglichen Rücksichtnahmepflicht begründet eine Störereigenschaft der
Verfügungsbeklagten. In Ausübung des dem Gericht nach § 938 Abs. 1 ZPO
eingeräumten Ermessens erachtet es einen Zeitraum bis zum 28.02.2010 für
angemessen, um den berechtigten Belangen der Verfügungskläger Rechnung zu
tragen.
Dabei hat es einerseits das oben dargelegte schützenswerte Interesse der
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Dabei hat es einerseits das oben dargelegte schützenswerte Interesse der
Verfügungskläger an der Aufrechterhaltung ihrer Wasserversorgung berücksichtigt.
Der Zeitraum von etwa einem Monat erscheint dem Gericht angemessen aber
auch ausreichend, damit die Verfügungskläger entweder gegen den Vermieter
vorgehen oder anderweitig Vorkehrungen für den Fall einer Unterbrechung der
Wasserversorgung treffen können oder aber einen Einzelversorgungsvertrag mit
der Verfügungsbeklagten abschließen zu können.
Das Gericht geht davon aus, dass es der Verfügungsbeklagten auch unter
Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen zugemutet werden kann, die
Wasserversorgung für diesen Zeitraum fortzusetzen. Hinzukommt, dass die
Verfügungsbeklagte auch die Möglichkeit haben dürfte, in das von ihr belieferte
Grundstück zu vollstrecken und über eine Zwangsverwaltung Zugriff auf die
künftigen Mietzahlungen der Verfügungskläger an ihren Vermieter zu nehmen.
Die Kostenregelung hinsichtlich des die die einstweilige Verfügung
aufrechterhaltenen Teil ergibt sich aus § 91 ZPO. Der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt § 53 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.