Urteil des AG Warendorf vom 24.07.2006

AG Warendorf: treu und glauben, test, ausnahme, vollstreckung, abrede, abstammung, verdacht, abgabe, rechtssicherheit, vollstreckbarkeit

Amtsgericht Warendorf, 9 F 26/06
Datum:
24.07.2006
Gericht:
Amtsgericht Warendorf
Spruchkörper:
Familiengericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 F 26/06
Normen:
§§ 1600 d, 1067 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in
Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger ist seit 1985 verheiratet. Am 19.01.1990 gebar seine Ehefrau das Kind B.
Anfang 2004 gestand sie ihm, dass das Kind B nicht von ihm abstammt, sondern der
Beklagte dessen Vater sei. Im Januar 2004 zog die Ehefrau mit dem Kind B aus der
Ehewohnung aus.
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Durch Urteil des Amtsgerichts I vom 18.04.2005 wurde festgestellt, dass der Kläger nicht
der Vater des Kindes B ist.
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Der Kläger, der bis Januar 2004 den Unterhalt für das B mit sichergestellt hat, erhob
erstmals im Juni 2005 Klage gegen den Beklagten, gerichtet auf Ersatz der
übergegangenen Unterhaltsansprüche des Kindes B gegen den Beklagten. Die Klage
wurde zurückgenommen.
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Mit der nunmehr erhobenen, am 30.12.2005 zugestellten Klage verfolgt der Kläger
dieses Begehren, begrenzt auf den Unterhaltsanspruch der Monate Juni und Juli 2003
weiter. Er behauptet, dass seine Ehefrau während der gesetzlichen Empfängniszeit nur
mit ihm selbst und dem Beklagten geschlechtlich verkehrt hat. Da er selbst –
rechtskräftig festgestellt – nicht der Vater ist, komme lediglich der Beklagte als leiblicher
Vater des Kindes B in Betracht.
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Der Beklagte wurde mit Schreiben vom 11.04.2005 außergerichtlich aufgefordert, auf
Kosten des Klägers ein Vaterschaftsgutachten durchführen zu lassen. Dies hat er nicht
getan.
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Der Kläger meint, dass hier eine Ausnahme von der gesetzlichen Regresssperre nach
den §§ 1600 d Abs. 4, 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB in Betracht kommt, da der Beklagte als
mutmaßlicher Vater die Durchführung eines vorprozessual angebotenen, für ihn
kostenlosen DNA-Testes verweigert und Interessen des Kindes der
Vaterschaftsfeststellung nicht entgegen stehen. Der Beklagte sei nach den Grundsätzen
von Treu und Glauben daran gehindert, sich auf die Regresssperre zu berufen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 614,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2005 zu zahlen, ferner
den Beklagten zu verurteilen, nicht festsetzbare anwaltliche Kosten in Höhe
von 58,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 31.12.2005 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bestreitet, Vater des Kindes B zu sein und verweist darauf, dass bislang weder ein
Anerkenntnis der Vaterschaft erfolgt ist, noch – auf mögliche Klage des Kindes hin –
eine rechtskräftige Feststellung der Vaterschaft.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 03.07.2006 Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf
Ersatz der von ihm an das Kind B geleisteten Unterhaltsbeträge sowie der entstandenen
anwaltlichen Kosten.
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Nach § 1607 Abs. 3 S. 2 BGB geht der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen
wirklichen Vater auf den Scheinvater, der dem Kind Unterhalt gewährt hat, über. Es steht
fest, dass der Kläger selbst nicht Vater des Kindes B ist, er jedoch bis zur Trennung von
seiner Ehefrau im Januar 2004 gemeinsam mit seiner Ehefrau den Lebensbedarf des
Kindes B sichergestellt und ihm Unterhalt geleistet hat. Die Geltendmachung des
Anspruchs scheitert jedoch an § 1600 d Abs. 4 BGB, da die Rechtswirkungen der
Vaterschaft des Beklagten, nämlich seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind B
mangels Feststellung der Vaterschaft noch nicht geltend gemacht werden können.
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Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass dem Beklagten, der von seiner Ehefrau als
einziger möglicher Vater benannt wurde, angeboten wurde, für ihn kostenfrei einen
DNA-Test erstellen zu lassen und er aufgrund der Verweigerung zu einer Berufung auf
die Regresssperre nach Treu und Glauben nicht mehr berechtigt ist, folgt das Gericht
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dieser Auffassung nicht.
Der BGH hat durch Urteil vom 17. Februar 1993, XII ZR 238/91 entschieden, dass ein
Scheinvater wegen des Unterhaltes, den er seinem vermeintlichen Kinde geleistet hat,
grundsätzlich erst dann Rückgriff nehmen kann, wenn die Vaterschaft des Mannes, den
er für den Erzeuger des Kindes hält, mit Wirkung für und gegen alle feststeht. Eine zur
Realisierung dieses Rückgriffsanspruchs notwendige Klärung der Vaterschaft könne
nicht als Vorfrage in einem Regressprozess durchgesetzt werden. Der BGH hat dazu
ausgeführt, dass nicht anerkannt werden könne, dass das Interesse eines Dritten, der in
der Vergangenheit als Scheinvater zu Unrecht auf Unterhalt in Anspruch genommen
wurde, stets höher zu bewerten sei als die Interessen der anderen Beteiligten. Zudem
hat es ausgeführt, dass dann, wenn die Inzidentfeststellung für bestimmte, etwa auf den
Verdacht oder das Verhalten der antragsberechtigten Personen abstellende
Konstellationen zugelassen würde, dies zur Folge hätte, dass auch schon wegen
verhältnismäßig geringer Beträge ein bisher weder vom Kind noch von dessen Mutter
als Erzeuger benannter Mann aus behaupteten übergegangenem Recht verklagt
werden könnte und sich den zur Vaterschaftsfeststellung erforderlichen Untersuchungen
unterziehen müsste. Ferner sei zu bedenken, dass das neben dem Erzeuger allein
antragsberechtigte Kind anerkennenswerte Gründe besitzen kann, seine Abstammung
zu dem von Dritten als biologischen Kindesvater benannten Mann nicht feststellen zu
lassen, da die durch die Feststellung eintretenden Rechtsfolgen auch für das Kind
unerwünscht und belastend sein könnten. Zwar ergebe sich aus einem Rechtsstreit
zwischen dem Scheinvater und dem angeblichen Erzeuger keine unmittelbare
Rechtsfolge für das Kind, dessen Interessen würden aber durch die tatsächlichen
Auswirkungen einer inzidenten Feststellung gleichwohl berührt.
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Diese Rechtsprechung wurde in der Folge regelmäßig bestätigt, wobei jedoch in den
letzten Jahren Durchbrechungen dieses Grundsatzes in Ausnahmefällen aufgrund Treu
und Glauben, § 242 BGB in der Rechtsprechung teilweise erwogen werden.
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So hat das OLG D am 16. Juni 1999 in dem Verfahren ###### beschlossen, dass dem
Scheinvater gegenüber dem Erzeuger des Kindes Anspruch auf Erstattung des bisher
gezahlten Unterhaltes sowie auf Erstattung der Kosten des Vaterschaftsprozesses
ausnahmsweise auch dann zustehen können, wenn der Erzeuger die Vaterschaft noch
nicht formell anerkannt hat oder diese anderweitig rechtskräftig festgestellt wurde. Nach
diesem Beschluss steht die Regresssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB der
Geltendmachung von Rückgriffsansprüchen gegen den Scheinvater jedenfalls dann
nicht entgegen, wenn dieser die Vaterschaft selbst nicht in Abrede stellt und die
Vaterschaft in einem früheren Abstammungsgutachten als "praktisch erwiesen"
angesehen wird.
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Das OLG Hamm, 11. Senat, hat in einem Beschluss vom 01.10.2004, 11 WF 173/04,
ausgeführt, dass eine Ausnahme von der Regresssperre in Betracht komme, wenn sich
der mutmaßliche Vater einem vorprozessual angebotenen, für ihn kostenlosen DNA-
Test verweigert hat und Interessen des Kindes der Vaterschaftsfeststellung nicht
entgegenstehen. Dem Scheinvater sei für eine Regressklage Prozesskostenhilfe zu
bewilligen ist, da diese Frage nicht bereits im PKH-Verfahren vorweg zu entscheiden
sei.
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Demgegenüber hat der 10. Senat des Oberlandesgerichts Hamm am 15.09.2004 in dem
Verfahren 10 WF 122/04 erneut bestätigt, dass für den sogenannten Scheinvaterregress
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die Vaterschaft des in Anspruch genommenen positiv festgestellt sein muss, die
inzidente Prüfung der Vaterschaft in dem Regressverfahren dagegen nicht zulässig sei.
Er hat darauf verwiesen, dass die nach Wortlaut und Zweck klare gesetzliche Regelung
der inzidenten Prüfung der Vaterschaft in dem Regressverfahren, mit Wirkung inter
pares, dem entgegensteht und das Gesetz nur in besonderen Ausnahmesituationen
eine andere Regelung vorsieht.
Ebenso wie in dem dort zu beurteilenden Fall liegen hier die Voraussetzungen für die
geltend gemachte Ausnahme von der Rückgriffssperre nicht vor.
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Der Beklagte wurde zwar nach Bekundung des Klägers von der Mutter des Kindes B als
einziger möglicher Vater benannt. Er selbst bestreitet indes die Vaterschaft. Zudem
wurde er, anders als in dem vom OLG D bewerteten Fall nicht bereits in ein
Abstammungsgutachten einbezogen. Von einer "Eindeutigkeit" der Vaterschaft, bei der
die Berufung des Beklagten auf die Regresssperre als rein formalistisch und damit als
Verstoß gegen Treu und Glauben anzusehen wäre, ist nach Auffassung des Gerichts
hier nicht auszugehen. Aus vielen Verfahren ist bekannt, dass lediglich die Benennung
eines "Vaters" aufgrund der Erinnerung der Mutter nicht zuverlässig ist; vielmehr sind
auch in solchen vermeintlich eindeutigen Fällen Überraschungen nicht selten.
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Auch aus der Tatsache, dass der Beklagte sich geweigert hat, einen für ihn kostenlosen
DNA-Test durchzuführen, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts keine andere
Bewertung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein DNA-Test, auch wenn es sich
lediglich technisch um die Abgabe von einigen Körperzellen z. B. aus der
Mundschleimhaut handelt, im Hinblick auf den damit verbundenen Einblick in die
genetische Konstitution eines Menschen immer einen nicht ganz unerheblichen Eingriff
darstellt.
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Es gibt keine Verpflichtung des als Vater in Betracht kommenden Beklagten, seine
Vaterschaft für das Kind B anzuerkennen oder durch ein Gutachten feststellen zu
lassen. Nach dem Gesetz ist er lediglich verpflichtet, an einer Vaterschaftsfeststellung
mitzuwirken, wenn gegen ihn eine entsprechende Klage erhoben wird. Die auch dem
Kind mögliche Klage auf Feststellung der Vaterschaft wurde weder von diesem, noch
von dessen Mutter als gesetzlicher Vertreterin erhoben. Die Entscheidung, von einer
Vaterschaftsfeststellung abzusehen, ist grundsätzlich hinzunehmen.
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Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Gesetz die Regresssperre gerade aus dem
Grund vorgesehen hat, dass eine Wirkung der Vaterschaftsfeststellung im
Regressprozess lediglich zwischen den Parteien, nicht jedoch für und gegen alle wirkt.
Im Sinne der Rechtssicherheit erscheint es problematisch, einerseits eine Feststellung
zwischen Parteien herbeizuführen, andererseits eine statusrechtliche Zuordnung des
Vaters zu dem Kind, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten im Vater-
Kind-Verhältnis, nicht vorzunehmen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 672,81 EUR.
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