Urteil des AG Waiblingen vom 04.03.2011

AG Waiblingen: zwangsvollstreckung, vollstreckungstitel, vollmacht, datum, verfügungsbefugnis, bestimmtheit, fotokopie, rechtsnachfolge, rechtsform, offenkundig

AG Waiblingen Beschluß vom 4.3.2011, M 955/11
Zu den Anforderungen an die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters hinsichtlich einzelner Forderungen des Insolvenzschuldners für das
Betreiben der Zwangsvollstreckung
Leitsätze
1. Der Insolvenzschuldner bedarf für das Betreiben der Zwangsvollstreckung auch aus vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens titulierten
Forderungen einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters.
2. An die Bestimmtheit der Freigabeerklärung sind hohe formale Anforderungen zu stellen, da sie die Rechtsnachfolgeklausel des § 727 ZPO
ersetzen soll.
3. Eine ohne Bezeichnung der konkreten Forderung und ohne Datum erteilte Freigabeerklärung erfüllt das Bestimmtheitserfordernis nicht und
genügt den Anforderungen des § 750 ZPO für die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht.
Tenor
1. Die Erinnerung der Vollstreckungsgläubigerin wird
zurückgewiesen.
2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Die Vollstreckungsgläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 29.01.2002.
2
Als Titelinhaberin ist die ... AG, ... im Vollstreckungstitel genannt.
3
Der Vollstreckungstitel ist nicht mit einer Rechtsnachfolgeklausel gem. § 727 ZPO versehen.
4
Die Vollstreckungsgläubigerin hat durch Vorlage eines Handelsregisterauszuges des Amtsgerichts ... in unbeglaubigter Kopie glaubhaft
gemacht, dass die ... GmbH durch formwechselnde Umwandlung der ... Aktiengesellschaft mit dem Sitz in ... gemäß Umwandlungsbeschluss vom
13.12.2005 entstanden ist.
5
Über das Vermögen der ... GmbH wurde, was offenkundig ist, am 01.09.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter der
Vollstreckungsgläubigerin ist Herr Rechtsanwalt Dr. ..., ..., bestellt.
6
Die Vollstreckungsgläubigerin hat am 23.04.2010 der als ihre Bevollmächtigte auftretenden ... GmbH Vollmacht erteilt zur „Einziehung ihrer
offenen, titulierten Forderungen, resultierend aus Warenlieferungen des Versandhauses ... an die jeweiligen Forderungsschuldner“. Weiter hat
die Vollstreckungsgläubigerin vorgelegt eine Erklärung des Insolvenzverwalters über das Vermögen der Vollstreckungsgläubigerin, „dass sich
die von dieser Inkassovollmacht betroffenen Forderungen im freien Vermögen der Firma ... GmbH (befinden). Die Forderungszuständigkeit
bezüglich der genannten Forderung als insolvenzfreiem Vermögen liegt deshalb bei der Geschäftsführung der ... GmbH, die für Verfügungen
über die Forderungen nicht der Zustimmung oder Mitwirkung des Insolvenzverwalters bedürfen“. Die schriftliche Erklärung des
Insolvenzverwalters, die in notariell beglaubigter Fotokopie vorgelegt wurde, ist zwar unterschrieben, jedoch nicht mit einem Datum versehen.
7
Nachdem der Zwangsvollstreckungsauftrag am 08.01.2010 beim Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts Waiblingen eingegangen war, hat dieser
mit Schreiben vom selben Tag eine Vollmacht angefordert und darauf hingewiesen, dass aufgrund der ihm bekannten Eröffnung des
Insolvenzverfahrens es erforderlich sei, den beiliegenden Vollstreckungstitel mit einer Rechtsnachfolgeklausel (§ 727 ZPO) für den
Insolvenzverwalter versehen zu lassen. Hierauf reagierte die Vertreterin der Vollstreckungsgläubigerin mit Schreiben vom 17.02.2011, dem sie
als Anlage die beglaubigte Fotokopie der Inkassovollmacht und der Freigabeerklärung beigefügt hat.
8
In diesem Schreiben hat sie darum gebeten, die Angelegenheit dem Amtsrichter zur Entscheidung vorzulegen, wenn der Durchführung der
Zwangsvollstreckung seitens des Gerichtsvollziehers weitere Bedenken entgegenstehen sollten.
9
Dieses Schreiben hat der Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts Waiblingen als Erinnerung gem. § 766 ZPO ausgelegt und zusammen mit einer
Nichtabhilfeverfügung dem Vollstreckungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
10 Die Vollstreckungserinnerung ist gem. § 766 Abs. 2 ZPO zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
11 Der zuständige Gerichtsvollzieher hat die Durchführung der Zwangsvollstreckung aufgrund der vorgelegten Unterlagen zu Recht abgelehnt, da
die Voraussetzungen des § 750 Abs. 1 ZPO für den Beginn der Zwangsvollstreckung aus den vorgelegten Unterlagen nicht mit der erforderlichen
Sicherheit festgestellt werden können.
12 Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:
13 1. Gemäß § 750 Abs. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil
oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt
wird.
14 § 750 Abs. 1 ZPO gilt auch für die anderen Vollstreckungstitel, die in § 794 ZPO genannt sind, entsprechend (§ 795 ZPO).
15 a) Unschädlich ist zunächst, dass nicht die im Titel genannte Vollstreckungsgläubigerin, sondern die ... GmbH nunmehr die Zwangsvollstreckung
betreibt. Diesbezüglich bedarf es einer Rechtsnachfolgeklause gem. § 727 ZPO nicht, da durch die formwechselnde Umwandlung, durch die die
... AG ihre Rechtsform und ihren Namen in ... GmbH änderte, eine Rechtsnachfolge nicht begründet wurde, sondern lediglich durch Formwechsel
der Rechtsträger eine andere Rechtsform erhalten hat (§ 190 Abs. 1 Umwandlungsgesetz), vgl. Zöller-Stöber, 28. Aufl., § 727 ZPO Rd.Nr. 5.
16 b) Zu beachten ist jedoch, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vollstreckungsgläubigerin die
Verfügungsbefugnis über Forderungen gem. § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist. Dieser hat gem. § 148 Abs. 1 InsO das
Vermögen in Besitz zu nehmen und zu verwalten. Damit geht die Verfügungsbefugnis über die Forderung der Vollstreckungsgläubigerin kraft
Gesetzes auf den Insolvenzverwalter über. Die Vollstreckungsgläubigerin wäre daher nur dann befugt, die Forderung einzuziehen, wenn der
Insolvenzverwalter gerade die beizutreibende Forderung aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hätte.
17 aa) Die Freigabeerklärung als solche ist im Gesetz, insbesondere im formalisierten Zwangsvollstreckungsrecht, nicht geregelt. Sie hat sich
alleine aus Praxis, Literatur und Rechtsprechung entwickelt. Durch die Erklärung des Insolvenzverwalters, eine bestimmte Forderung werde aus
dem Insolvenzbeschlag freigegeben, erhält der Insolvenzschuldner seine Verfügungsbefugnis am freigegebenen Vermögensgegenstand zurück.
Welche Anforderungen an den Inhalt der Freigabeerklärung zu stellen sind, ist bislang - soweit ersichtlich - allenfalls in Einzelfällen entschieden
worden.
18 bb) Die Freigabeerklärung stellt eine Ausnahme von dem strengen Formerfordernis des § 727 Abs. 1 ZPO dar, wonach jegliche Rechtsnachfolge,
die zu einem Wechsel in der Person des zur Zwangsvollstreckung berechtigten Gläubigers führt, sich aus dem Urteil selbst bzw. der für den Titel
zu erteilenden Vollstreckungsklausel ergeben muss. Denn der Insolvenzverwalter selbst hätte aus dem Titel die Zwangsvollstreckung nur dann
betreiben dürfen, wenn er seinerseits eine Rechtsnachfolgeklausel gem. § 727 Abs. 1 ZPO hätte auf dem Titel anbringen lassen (Zöller-Stöber
28. Aufl., § 727 ZPO Rd.Nr.18) und damit selbst durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden seine Berechtigung nachgewiesen hätte,
falls diese nicht offenkundig ist (§ 727 Abs. 1 ZPO).
19 Wenn aber die Vollstreckung durch den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes selbst nur zulässig ist, wenn eine entsprechende
Rechtsnachfolgeklausel gem. § 727 Abs. 1 ZPO auf dem Titel angebracht worden ist, sind an die Bestimmtheit der Freigabeerklärung durch den
Insolvenzverwalter hohe formale Anforderungen zu stellen. Denn vor Beginn der Zwangsvollstreckung, und dies war der Ausgangspunkt der
Überlegungen, hat das Vollstreckungsorgan gem. § 750 Abs. 1 ZPO die Identität der im Titel angegebenen Personen mit denjenigen, für und
gegen die vollstreckt werden soll, zu überprüfen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Vollstreckungsorgan - vorliegend der Gerichtsvollzieher
- kein Ermittlungsorgan ist, sondern dass die erforderlichen Belege durch den Gläubiger beizubringen sind (Musielak-Lackmann, 7. Aufl., § 750
ZPO Rnr. 9). Zwar sind bei der Identitätsprüfung formalistische Engherzigkeiten fehl am Platz, verbleibende Unklarheiten gehen jedoch zu Lasten
des Gläubigers ( Musielak-Lackmann a.a.O., Rnr. 9).
20 cc) Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ergibt sich aus der von der Vollstreckungsgläubigerin bzw. deren Bevollmächtigter vorgelegten
Freigabeerklärung nicht mit ausreichender Bestimmtheit, dass die Verfügungsbefugnis über die Forderung, die dem vorgelegten
Vollstreckungstitel zugrunde liegt, vom Insolvenzverwalter zur Vollstreckung durch die Insolvenzschuldnerin freigegeben wurde.
21 Dies ist nämlich in der vorgelegten Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nicht zweifelsfrei geschehen. Es ist gerichtsbekannt, dass die
Vollstreckungsgläubigerin nicht nur der Bevollmächtigten, die im vorliegenden Verfahren auftritt, sondern auch anderen bevollmächtigten
Inkassounternehmen eine gleichlautende Vollmacht erteilt hat. Auch die anderen Inkassogesellschaften, die angeblich für die ... GmbH die
Zwangsvollstreckung aus Titeln der ... AG oder der ... GmbH betreiben, behaupten jeweils, von der ... GmbH aufgrund einer Inkassovollmacht
bevollmächtigt zu sein und legen gleichlautende Freigabeerklärungen des Insolvenzverwalters vor, die weder die einzelnen Forderungen genau
bezeichnen, noch mit einem Datum versehen sind. Das Datum der Freigabeerklärung ist aber entscheidend dafür, ob die Vollmacht zeitlich nach
der Freigabeerklärung erfolgt ist. Denn nur wenn die Inkassovollmacht nach der Freigabeerklärung - die die Forderungen genau bezeichnen
muss - erfolgt ist, kann eine wirksame Bevollmächtigung der für die Vollstreckungsgläubigerin auftretenden Inkassogesellschaft erfolgt sein, da
erst nach erfolgter Freigabeerklärung die Vollstreckungsgläubigerin zur Vollmachtserteilung berechtigt wird (hierzu Mroß, Vollstreckung durch
insolvente Gläubiger nach Freigabe durch den Insolvenzverwalter, DGVZ 2010, 230, 231).
22 Es ist daher aus den vorgelegten Unterlagen weder ersichtlich, ob der Insolvenzverwalter die Forderung, deren Vollstreckung vorliegend
betrieben werden soll, aus der Insolvenzmasse freigegeben hat, noch lässt sich ersehen, dass die Inkassovollmacht erst nach der
Freigabeerklärung erteilt wurde.
23 2. An die Prüfung der Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gem. § 750 Abs. 1 ZPO sind strenge Anforderungen zu stellen. Unklarheiten
über die Berechtigung, die Zwangsvollstreckung aus einem Titel zu betreiben, die zu Gunsten einer anderen Person ergangen sind, gehen daher
grundsätzlich zu Lasten der Gläubigerin und führen dazu, dass das Betreiben der Zwangsvollstreckung unzulässig ist.
24 Der Gerichtsvollzieher hat aus diesen Gründen zu Recht das Betreiben der Zwangsvollstreckung abgelehnt, weswegen die gegen diese
Ablehnung gerichtete Erinnerung zurückzuweisen war.