Urteil des AG Tiergarten vom 14.03.2017

AG Tiergarten: gebühr, pflichtverteidiger, quelle, sammlung, link, trennung, rücknahme, anklageschrift, einverständnis

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Gericht:
AG Tiergarten
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(420) 47 Js 395/08 Ls
(60/08)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Nr 4107 RVG-VV, Nr 4141 RVG-
VV, § 15 Abs 2 S 1 RVG, § 154
Abs 2 StPO
Pflichtverteidigerkosten: Gebührenansatz bei Abtrennung des
Verfahrens; Befriedigungsgebühr durch Nichteinlegen eines
Rechtsmittels
Leitsatz
1. Werden einzelne Tatvorwürfe eines Verfahrens abgetrennt, werden die abgetrennten
Verfahren gebührenrechtlich selbständige Verfahren, so dass für diese auch gesonderte
Gebühren (insbesondrre die Verfahrensgebühr) entstehen.
2. Die Befriedigungsgebühr (VV 4141) kann auch - mittelbar - durch das Nichteinlegen eines
Rechtsmittels entstehen, wenn infolge der Tätigkeit des Rechtsanwalts dadurch in einem
weiteren Verfahren eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO erfolgt. Die Gebühr fällt dann in
jenem Verfahren an.
Tenor
In der Strafsache … werden auf die Erinnerung des beigeordneten Verteidigers,
Rechtsanwalt., vom 06.10.2009 die diesem aus der Staatskasse weiterhin zu
296,31 €
Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
Der (als Pflichtverteidiger beigeordnete) Erinnerungsführer begehrt – nach teilweiser
Rücknahme seines weitergehenden Antrags vom 17.07.2009 – die Festsetzung der
„Verfahrensgebühr gem. Nr.4141 i.V.m. Nr.4107 VV RVG zzgl. Mehrwertsteuer“ (von ihm
jeweils beziffert auf 137,00 €) hinsichtlich eines abgetrennten Tatvorwurfs, der nach
Verurteilung im Übrigen schließlich gemäß § 154 Abs.2 StPO eingestellt worden ist.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat diesen Antrag mit (als ablehnenden
Kostenfestsetzungsbeschluss anzusehendem) Schreiben vom 29.09.2009 vollständig
zurückgewiesen. Sie ist der Auffassung, dass für die Festsetzung weiterer als der bisher
festgesetzten Gebühren kein Raum sei, da es sich noch immer um „dieselbe
Angelegenheit“ im Sinne von § 15 Abs.2 S.1 RVG handele. Im Übrigen sei jedenfalls die
„Befriedungsgebühr“ Nr.4141 VV RVG nicht entstanden, da der Verteidiger an der –
förmlich erst mit Beschluss vom 17.09.2009 erfolgten Teileinstellung – nicht mitgewirkt
habe (Nr.4141 Abs.2 VV).
Die Rechtsauffassung der Urkundsbeamtin ist unzutreffend.
Beide beantragten Gebühren stehen dem Erinnerungsführer (wenn auch nicht ganz in
der geforderten Höhe) zu.
a) Zum Verfahrensgang:
Der Erinnerungsführer war dem – inhaftierten - Angeklagten mit Beschluss vom
16.07.2008 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zu jenem Zeitpunkt war
Gegenstand des Verfahrens nur die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom
02.07.2008 (47 Js 395/08 – Tat vom 23.03.2008).
Am 27.08.2008 wurde das Verfahren (420) 47 Js 685/08 (62/08), in welchem der
Erinnerungsführer dem Angeklagten bereits mit Beschluss vom 11.08.2008 beigeordnet
worden war, zum führenden Verfahren (420) 47 Js 395/08 (60/08) verbunden.
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Mit weiterem Beschluss vom 27.08.2008 hat das Gericht aus jener weiteren Anklage den
Tatvorwurf zu 2. (Tat vom 28.04.2007) zur Hauptverhandlung zugelassen, denjenigen zu
1. (Tat vom 05.11.2006) indes zur gesonderten Entscheidung abgetrennt.
In der Folgezeit wurden über die Taten vom 23.03.2008 und 28.04.2007
Hauptverhandlungen vor dem Jugendschöffengericht (Urteil vom 08.10.2008) und dann
in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Berlin (Urteil vom 15.05.2009)
durchgeführt. Während der Angeklagte erstinstanzlich nur wegen der Tat vom
23.03.2008 verurteilt und wegen der Tat vom 28.04.2007 freigesprochen wurde, wurde er
durch das Landgericht Berlin wegen beider Taten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig,
da der Angeklagte auch wegen des erstmals verurteilenden Teils keine Revision
eingelegt hat.
Das Akzeptieren des landgerichtlichen Urteils durch den Angeklagten beruhte auf
Verständigungen mit der Staatsanwaltschaft und dem hier erkennenden Gericht.
Verkürzt hatte der Erinnerungsführer mit der – für alle vorgenannten Tatvorwürfe
zuständigen – Staatsanwältin besprochen, dass diese wegen der noch offenen Tat vom
05.11.2006 eine Einstellung nach § 154 Abs.2 StPO beantragen werde, wenn gegen das
Berufungsurteil kein Rechtsmittel eingelegt werde. Entsprechend hat die
Staatsanwaltschaft dann auch dem erkennenden Gericht gegenüber bereits am
25.05.2009 fernmündlich ihre Zustimmung zur Einstellung des verbliebenen Tatvorwurfs
gegeben; dass der förmliche Einstellungsbeschluss erst Monate später erging, ist auf
gerichtsorganisatorische Umstände zurückzuführen.
b) Gebührenanspruch des Verteidigers hinsichtlich der abgetrennten Tat vom
05.11.2006
Dem Verteidiger steht auch hinsichtlich der abgetrennten (und dann eingestellten) Tat
vom 05.11.2006 die Verfahrensgebühr (mit Zuschlag) nach Nr.4107 VV RVG in Höhe von
137,00 € zu. Denn es handelt sich nach der Abtrennung nicht mehr um „dieselbe
Angelegenheit“ im Sinne von § 15 Abs.2 S.1 RVG. Gebührenrechtlich werden mit der
Abtrennung von Verfahren (oder eben auch einzelnen Tatvorwürfen) die abgetrennten
Verfahren selbständige Verfahren (vgl. KG, Beschluss vom 01.11.2006, 4 Ws 170/06
m.w.N., www.burhoff.de; Burhoff, RVGreport 2008, 444 m.w.N.).
Das liegt auch auf der Hand.
Wäre es wegen jener verbleibenden Tat nicht zu der letztlich erfolgten Einstellung
gekommen, hätte eine weitere Hauptverhandlung stattfinden müssen. Dass spätestens
dann ohnehin weitere Gebühren entstehen, wird niemand ernsthaft bezweifeln wollen.
Daraus aber ergibt sich, dass bereits mit der Trennung nunmehr zwei selbständige
Verfahren vorliegen, für welche gebührenrechtlich auch mehrere Verfahrensgebühren
anfallen können (KG, a.a.O.).
Dem Erinnerungsführer steht auch die so genannte „Befriedungsgebühr“ nach Nr.4141
VV RVG zu. Nach dem oben dargestellten tatsächlichen Geschehen (vgl. Vermerk des
erkennenden Richters vom 16.10.2009) kann es nicht zweifelhaft sein, dass der
Verteidiger an der Entbehrlichkeit (zumindest) einer (weiteren) Hauptverhandlung
mitgewirkt und das Verfahren insoweit gefördert hat.
Zwar ist grundsätzlich die Auffassung, dass bloßes Nichtstun (hier: Nichteinlegen eines
Rechtsmittels) für sich genommen keine Gebührenansprüche auslösen kann, zutreffend.
Hier liegt der Fall jedoch anders: Der Erinnerungsführer hat – im Einverständnis mit
seinem Mandanten – kein Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts
eingelegt, weil er dadurch die Einstellung eines weiteren Tatvorwurfes bewirken konnte.
Dass in diesem Fall auch eine „Nicht-Handlung“ verfahrensfördernd und
hauptverhandlungsersparend ist, kann nicht zweifelhaft sein. Vielmehr wurden dadurch
sogar mindestens zwei weitere Instanzen „erspart“ (Revision und zumindest ein weiteres
erstinstanzliches Urteil), so dass die Gebühr Nr.4141 VV entstanden ist.
Diese Gebühr beträgt aber nach dem Gesetzeswortlaut nicht 137,00 € (wie vom
Verteidiger beantragt), sondern entsteht „in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr (
ohne Zuschlag) “, mithin also in Höhe von 112,00 € (nebst Mehrwertsteuer). (Nur)
wegen des darüber hinausgehenden Betrages war die Erinnerung zurückzuweisen.
c) Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 56 Abs.2 Sätze 2 und 3 RVG.
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