Urteil des AG Stuttgart vom 23.06.2006

AG Stuttgart (unnötige kosten, grobe fahrlässigkeit, gütliche erledigung, kläger, abtretung, abtretungsverbot, klagefrist, vertragsverhältnis, versicherungsnehmer, verrechnungsstelle)

AG Stuttgart Urteil vom 23.6.2006, 1 C 2369/06
Einzug anwaltlicher Vergütungsforderungen durch anwaltliche Verrechnungsstelle: Bedeutung des
Abtretungsverbots in der Rechtsschutzversicherung
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: Euro 250,15
Gründe
1
(gem § 313a ZPO ohne Tatbestand)
2
Die Klage ist unbegründet.
1.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Befreiung von der mit Rechnung der Deutschen Anwaltlichen
Verrechnungsstelle AG (im Folgenden: AnwVS) vom 16.12.2005 (Bl. 14 d.A.) geforderten
Rechtsanwaltsvergütung gegenüber der Beklagten zu.
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a. Die ... deren Forderung die AnwVS einziehen sollte, ist nicht Inhaberin eines etwaigen
Freistellungsanspruches des Klägers gegenüber der Beklagten geworden. Denn die insoweit vorgenommene
Abtretung scheitert schon an einem i.S.v. § 399 2. HS BGB vertraglich vereinbarten Abtretungsverbot. Es kann
daher dahinstehen, ob die Abtretung auch wegen eines Verstoßes gegen § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO i.V.m. § 134
BGB aus berufsrechtlichen Gründen nichtig ist.
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Nach § 17 Abs. 7 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen (im
Folgenden: ARB 2002) ist eine Abtretung von Ansprüchen auf Rechtsschutzleistung nur mit schriftlichem
Einverständnis des Versicherers zulässig. Dieses liegt unstreitig nicht vor. Die verbotswidrig
vorgenommene Abtretung wirkt gegenüber jedermann, also nicht nur im Vertragsverhältnis der Parteien.
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Gegen die Wirksamkeit dieses vertraglichen Abtretungsverbots bestehen auch in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen – unter dem Aspekt des § 9 AGBGB bzw. § 307 BGB n. F. – keine Bedenken (vgl.
dazu etwa BGH NJW 1988, 1210; Harbauer, ARB, 7. Aufl., Rz. 3 ff. zu § 20 ARB 75). Die berechtigten
Interessen der Versicherung gehen dahin, zu verhindern, dass er im Versicherungsfall das
Vertragsverhältnis mit einem Dritten und nicht mit dem Versicherungsnehmer abwickeln muss und dass
der Versicherungsnehmer im Prozessfalle die Stellung eines Zeugen erhalten kann. Berechtigte
entgegenstehende Interessen des Versicherungsnehmers sind hingegen weder dargelegt, noch ersichtlich.
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Dass die Berufung auf das vertragliche Abtretungsverbot im konkreten Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist,
wurde ebenfalls weder dargelegt, noch ist ein solcher Verstoß gegen § 242 BGB ersichtlich.
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b. Selbst wenn man unterstellt, die Fa. ... sei Forderungsinhaberin geworden und die AnwVS zur Einziehung
befugt, hätte die Klage keine Aussicht auf Erfolg. Denn dadurch, dass der Kläger seinem Anwalt nicht sofort
Prozessauftrag erteilte, hat er seine Obliegenheit nach § 17 Abs. 5 c cc ARB 2002 zumindest grob fahrlässig
verletzt, wobei er sich das Verschulden seines Anwalts zurechnen lassen muss. Durch die Beschränkung des
Auftrags auf einen außergerichtlichen Einigungsversuch hat der Kläger in Höhe der nicht anrechenbaren
außergerichtlichen 0,65 Geschäftsgebühr unnötige Kosten verursacht, die bei Erteilung eines Prozessauftrags
unmittelbar nach Erhalt der Kündigung nicht angefallen wären.
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Dagegen greifen die Erwägungen der Klägerseite nicht durch.
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Auch bei Erteilung eines unmittelbaren Prozessauftrags kann (und soll) der Versuch unternommen werden,
eine gütliche Erledigung herbeizuführen: Die Ausgestaltung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens (§§ 57 Abs.
2, 54 ArbGG) ist geradezu auf gütliche Einigungen angelegt.
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Die Besonderheit des kündigungsschutzrechtlichen Verfahrens mit seiner knappen dreiwöchigen Klagefrist
legt in besonderem Maße die sofortige Erteilung eines Prozessauftrags nahe. Damit sind jedoch
Vergütungen für außergerichtliche Vergleichsverhandlungen von der Verfahrensgebühr mit umfasst,
jedenfalls dann, wenn das Gericht an dem Vergleichsabschluss mitwirkt (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 RVG). Nur vor
An- bzw. Rechtshängigkeit eines Anspruchs belohnt der Reformgesetzgeber außergerichtliche
Verhandlungen mit der Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG i.V.m Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG; kommt es
innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist im Kündigungsschutzverfahren (vgl. § 4 KSchG) nicht zu einer
Erledigung, erhält der Anwalt die Terminsgebühr neben der Prozessgebühr.
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Hätte er dagegen nur einen Auftrag zur außergerichtlichen Verhandlung erhalten, würden sich die Kosten
im anschließenden Gerichtsverfahren um die Kosten der nicht anrechenbaren Geschäftsgebühr erhöhen.
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Da davon auszugehen ist, dass der Anwalt des Klägers diesen hinsichtlich der Gebührentatbestände und
den Kosten aufgeklärt hat, stellt die Wahl einer höherer Kosten verursachenden Rechtsverfolgung grobe
Fahrlässigkeit des Klägers dar; sollte der Klägervertreter den Kläger pflichtwidrig nicht über die durch eine
außergerichtliche Geltendmachung entstehende Kostenerhöhung aufgeklärt haben, so müsste sich der
Kläger dieses Anwaltsverschulden ebenfalls anrechnen lassen.
2.
14 Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.