Urteil des AG Siegen vom 10.12.2004

AG Siegen: angemessene frist, scheidung, erwerbstätigkeit, trennung, verkäuferin, rechtshängigkeit, beruf, rechtskraft, einkünfte, erwerbseinkommen

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 13 UF 165/04
10.12.2004
Oberlandesgericht Hamm
13. Senat für Familiensachen
Urteil
13 UF 165/04
Amtsgericht Siegen, 15 F 1468/02
Bundesgerichtshof, XII ZR 15/05
Auf die Berufung des Antragstellers wird das Urteil des Amtsgerichts
- Familiengerichts - Siegen vom 4. 03. 2004 dahin abgeändert, dass der
Antragsteller verurteilt bleibt, der Antragsgegnerin bis zum 31. 07. 2011
eine monatliche Unterhaltsrente von insgesamt 164,- € zu zahlen. Für die
Zeit ab 01. 08. 2011 entfällt die Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers
gegenüber der Antragsgegnerin.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zur Frage der zeitlichen Begrenzung des Unterhalts-
anspruchs zugelassen.
Gründe:
I.)
Die Antragsgegnerin nimmt den Antragsteller auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch.
Ihre im November 1982 geschlossene Ehe, die kinderlos geblieben ist, wurde durch
Verbundurteil des Amtsgerichts Siegen geschieden. Das Urteil ist seit dem 20.7.2004
rechtskräftig.
Die Antragsgegnerin wurde im September 1961, der Antragsteller im Juni 1962 geboren.
Bei Eingehung der Ehe war der Antragsteller als Zerspahnungsmechaniker bei der Fa. C
beschäftigt. Diese Tätigkeit übt er auch heute noch aus.
Die Antragsgegnerin ist gelernte Drogistin. Nach der Ausbildung arbeitete sie zunächst
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vollschichtig in diesem Bereich, später als Verkäuferin im Lebensmittelbereich. Während
der Ehe war sie ebenfalls – allerdings nur halbschichtig – in diesem Bereich tätig. Nach der
Trennung im April 2002 arbeitete sie zunächst weiterhin nur halbschichtig, seit Januar 2003
ist sie vollschichtig bei der Fa. C2 in T als Kassiererin an der Hauptkasse tätig.
Die Antragsgegnerin hat in erster Instanz monatlichen Unterhalt i.H.v. 215,- € geltend
gemacht.
Der Antragsteller hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise auf eine zeitliche
Beschränkung zu erkennen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Siegen hat den Antragsteller zur Zahlung von
Aufstockungsunterhalt i.H.v. 164,- € verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
ehelichen Lebensverhältnisse seien von der beiderseitigen vollschichtigen Erwerbstätigkeit
seit Januar 2003, d.h. nach der Trennung der Parteien, geprägt gewesen. Auf Seiten des
Antragstellers sei von einem anrechenbaren Einkommen von 1.478,56 € auszugehen; dem
stehe ein anrechenbares Erwerbseinkommen der Antragsgegnerin i.H.v. 987,99 € zzgl.
Zinseinkünften von 163,02 € gegenüber, so dass sich eine Einkommensdifferenz von
327,55 € ergebe. Damit betrage der hälftige Unterhaltsanspruch 164,- €. Eine zeitliche
Begrenzung käme vor dem Hintergrund der 20 Jahre bestehenden Ehe nicht in Betracht,
auch wenn die Antragsgegnerin erst 43 Jahre alt sei.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der Berufung. Er vertritt die Ansicht, dass die
ehelichen Lebensverhältnisse nicht durch die vollschichtige Tätigkeit der Antragsgegnerin
geprägt gewesen sei. Sie sei während der Ehe und auch noch nach der Trennung im April
2002 nur halbschichtig tätig gewesen. Die vollschichtige Tätigkeit habe sie erst im Januar
2003 aufgenommen. Die Einkünfte aus dieser nicht eheprägenden Tätigkeit seien auf den
Unterhaltsbedarf anzurechnen, so dass die Antragsgegnerin ihen Bedarf damit vollständig
decken könne.
Im übrigen wäre aber auch eine unbefristete Zuerkennung eines Aufstockungsunterhaltes
unbillig, denn die Antragsgegnerin habe noch eine zwanzigjährige Berufszeit vor sich. Die
Ehe sei kinderlos geblieben und auch ansonsten habe es keinen in der Ehe liegenden
Grund gegeben, der die Antragsgegnerin im Hinblick auf ihre Erwerbstätigkeit
eingeschränkt hätte.
Der Antragsteller beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage auf Zahlung von
nachehelichem Unterhalt abzuweisen, hilfsweise, den Anspruch auf ein Jahr nach
Rechtskraft oder auf eine andere angemessene Frist zu begrenzen.
Die Antragsgegnerin, die das erstinstanzliche Urteil verteidigt, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die in beiden Instanzen
gewechelten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.)
Die Berufung des Antragstellers ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.
Der Antragsteller hat an die Antragsgegnerin gemäß §§ 1573 II BGB Aufstockungsunterhalt
i. H. v. monatlich 164,- € zu leisten (1.). Der Unterhaltsanspruch ist aber nach §§ 1575 V,
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1578 I 2 BGB zeitlich bis zum 31. 7. 2011 zu begrenzen (2.).
(1.)
Der Klägerin steht ein Anspruch aus § 1573 Abs. 2 BGB zu, da die ihr zuzurechnenden
Einkünfte zum vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB)
nicht ausreichen. Das Amtsgericht – Familiengericht - hat auch die vom Antragsteller zu
zahlenden Beträge von monatlich 164,- € zutreffend ermittelt, indem es das Einkommen der
Antragsgegnerin aus ihrer vollschichtigen Tätigkeit in die Differenzberechnung eingestellt
hat. Denn die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien waren geprägt durch
beiderseitiges Erwerbseinkommen. Dabei ist nach der Entscheidung des BGH vom
13.6.2001 (BGH v. 13.6. 2001 - XII ZR 343/99, MDR 2001, 999 = FamRZ 2001, 986 ff.)
davon auszugehen, dass die ehelichen Lebensverhältnisse nicht nur durch die in der Zeit
des Zusammenlebens vorhandenen Barmittel, sondern auch durch die erbrachte
Familienarbeit (Haushaltstätigkeit etc.) des Nicht-Erwerbstätigen geprägt waren. Nimmt der
haushaltsführende Ehegatte daher nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf, ersetzt
das erzielte Einkommen den wirtschaftlichen Wert seiner in der Ehe ausgeübten Tätigkeit
und ist in die Unterhaltsberechnung nach der Differenzmethode einzubeziehen. Dabei
kommt es nach der Surrogatslösung nicht darauf an, wie und in welchem Umfang in der
Ehe der Haushalt geführt wurde ( vgl. Wendl / Gerhardt § 4 Rn. 252 )
(2.)
Der auf dieser Grundlage ermittelte Unterhaltsanspruch der Ehefrau ist aber nach §§ 1575,
1578 I 2 BGB zeitlich bis zum 31. 7. 2011 zu begrenzen.
Der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt kann nach diesen Vorschriften zeitlich begrenzt
werden, soweit insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der
Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit ein zeitlich unbegrenzter
Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Für die Entscheidung über eine Befristung des
Unterhaltsanspruches ist eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles
vorzunehmen. Diese Abwägung ist hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Ehe der
Parteien von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags 20 Jahre
und 5 Monate lang gedauert hat. Insoweit hat der BGH ausgeführt, dass es dem Sinn und
Zweck der gesetzlichen Regelung des § 1573 Abs. 5 widerspräche, den
Billigkeitsgesichtspunkt " Dauer der Ehe" im Sinne einer festen Zeitgrenze zu bestimmen,
von der ab der Unterhaltsanspruch grundsätzlich keiner zeitlichen Begrenzung mehr
zugänglich sein sollte. Er hat aber auch ausgeführt, dass sich eine Ehedauer von mehr 10
Jahren dem Grenzbereich nähern dürfte, in dem, vorbehaltlich stets zu berücksichtigender
Umstände des Einzelfalls, der Dauer der Ehe als Billigkeitskriterium ein durchschlagendes
Gewicht für eine dauerhafte " Unterhaltsgarantie" und gegen die Möglichkeit zeitlicher
Begrenzung des Unterhalts zukommen wird ( vgl. BGH FamRZ 1990, 857f ). Der BGH hat
in Fortführung dieser Entscheidung ausgeführt, dass bei einer Ehedauer von 28 Jahren
selbst bei einer Getrenntlebensdauer von 20 Jahren (!), jedenfalls wenn sich unter
Berücksichtigung der Kindererziehung eine Ehedauer (= Zeit des Zusammenlebens der
Ehepartner + anschließende Alleinerziehungszeiten der Unterhaltsberechtigten) von mehr
als 20 Jahren ergibt, unter Billigkeitsgesichtspunkten grundsätzlich eine dauerhafte
"Garantie" des eheangemessenen Unterhalts für den berechtigten Ehegatten geboten
erscheint und eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts, wenn überhaupt, "nur unter
außergewöhnlichen Umständen" in Betracht gezogen werden kann, die er im vorliegenden
Fall nicht für gegeben hielt ( FamRZ 1991, 307, 310 ).
Diese Entscheidungen des BGH zeigen, dass auch bei langer Ehedauer immer noch eine
Abwägung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen ist. Diese Abwägung lässt hier
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die Zuerkennung eines lebenslangen vollen Aufstockungsunterhalts an die
Antragsgegnerin unbillig erscheinen.
Auch wenn die Ehe der Parteien hier von der Eheschließung bis zur Rechtshängigkeit des
Scheidungsantrags 20 Jahre und 5 Monate lang gedauert hat und sie mit dieser Dauer in
einem Bereich liegt, in dem ihr durchschlagendes Gewicht für eine dauerhafte "
Unterhaltsgarantie" zukommen wird, sprechen hier die übrigen Umstände insgesamt für
eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts. Die Antragsgegnerin war zum Zeitpunkt der
Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages erst 42 Jahre alt. Sie hat also noch eine lange
Zeitspanne vor sich, in der sie in erster Linie ihren Unterhalt selbst sicherstellen muss.
Ehebedingte Nachteile wirken sich auf ihre Erwerbsmöglichkeiten nicht aus. Die Ehe der
Parteien ist kinderlos geblieben und die Antragsgegnerin ist während der Ehe in ihrem
erlernten Beruf als Verkäuferin einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen. Nach der
Trennung konnte sie diese Tätigkeit auch unproblematisch auf eine Vollzeitbeschäftigung
ausweiten. Sie ist mithin durch Haushaltsführung und Kinderbetreuung in keiner Weise in
ihrer beruflichen Entwicklung beeinträchtigt worden. Das Einkommensgefälle zwischen
den Parteien ist auch nicht ehebedingt, sondern beruht darauf, dass die Parteien vor der
Ehe unterschiedliche Ausbildungen abgeschlossen haben. Wenn die Antragsgegnerin
nicht geheiratet hätte, stünde sie einkommensmäßig heute nicht anders da als jetzt, denn
bis zur Eheschließung hat sie ebenfalls zunächst in ihrem erlernten Beruf als Drogistin und
später als Verkäuferin gearbeitet. Nach alledem ist davon auszugehen, dass die
Antragsgegnerin ungeachtet der Ehe beruflich voll integriert ist und über ein ihren
beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten adäquates Einkommen verfügt, das ihren
Lebensverhältnissen vor der Ehe entspricht, ihre Bedürftigkeit mithin vornehmlich auf der
vom Gesetz nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhaltenen ehelichen
Lebensstandardgarantie beruht. Dies gilt vorliegend umso mehr, als diese an die
beiderseitige volle Erwerbstätigkeit im Zeitpunkt der Scheidung anknüpft, die erst für die
Zeit nach der Trennung maßgebend war und den Lebensstandard der Parteien während
der eigentlichen Ehezeit nicht geprägt hat. Darüber hinaus verfügt die Antragsgegnerin aus
dem Zugewinn über ein Vermögen i.H.v. ca. 55.000,- €. Bei Abwägung aller dieser
Umstände erscheint eine zeitlich unbegrenzte Bemessung des Bedarfs nach den ehelichen
Lebensverhältnissen unbillig.
Der Senat hält es für geboten, den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin auf insgesamt
sieben Jahre, also bis zum 31. 7. 2011, zu begrenzen.
Für die Bemessung der Zeitspanne, für die dem Berechtigten nach der Scheidung noch der
eheangemessene Unterhalt zu gewähren ist, sind zwar Ehedauer und Dauer der
Gewährung vollen Unterhalts nicht etwa schematisch i. S. einer zeitlichen Entsprechung
aneinander zu binden. Wesentlich ist vielmehr, welche Zeit der Berechtigte nach der
Scheidung braucht, um sich auf die anschließende Kürzung des Unterhalts einzustellen
(vgl. BGH, FamRZ 1986, 886, 889). Bei relativ langer Ehe fällt es dem Berechtigten in aller
Regel aber schwerer, sich auf die geänderte Situation einzustellen, so dass die Zeitspanne
länger zu bemessen ist. Im vorliegenden Fall dürfte die ca. siebenjährige Zeitspanne
zwischen Scheidung und Wegfall der Unterhaltspflicht ausreichend sein, damit die
Antragsgegnerin sich langfristig wirtschaftlich und psychologisch auf den Wegfall ihres
Unterhaltsanspruches einrichten kann.
Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man nach der für alle Unterhaltstatbestände
geltenden Vorschrift des § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB die Höhe des Unterhalts nach einer
angemessenen Übergangszeit – für deren Festlegung die obigen Ausführungen
entsprechend gelten - auf den objektiv angemessenen Unterhalt herabsetzen würde. Denn
im Falle des § 1578 I S. 2 BGB muss der Antragsgegnerin der angemessene Bedarf
verbleiben, der sich derzeit auf 1.000,- € beläuft. Diesen Bedarf kann die Antragsgegnerin
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verbleiben, der sich derzeit auf 1.000,- € beläuft. Diesen Bedarf kann die Antragsgegnerin
aber durch ihr eigenes Einkommen in vollem Umfang sicherstellen, so dass nach Ablauf
der Übergangszeit, in der der volle Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu
zahlen wäre, der Unterhaltsanspruch ebenfalls wegfallen würde.
(3.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Umstand, dass der Unterhaltsanspruch
mit dem Ablauf des 31. 7. 2011 entfällt, kann sich kostenrechtlich nicht etwa zugunsten des
Antragstellers auswirken, weil der maßgebende Zeitraum des § 17 I GKG ein Jahr ist, hier
aber der Unterhaltsanspruch nicht schon, wie begehrt mit Ablauf eines Jahres nach
Rechtskraft der Scheidung, sondern sieben Jahre später in Wegfall kommt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.