Urteil des AG Schorndorf vom 16.12.2009

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AG Schorndorf Urteil vom 16.12.2009, 2 C 359/09
Beweislast für die Nichtvorlage eines Überweisungsscheins
Leitsätze
Verlangt ein Krankenhaus eine Vergütung unmittelbar von einem Kassenpatienten, trägt es die Beweislast dafür,
dass die Krankenversichertenkarte bzw. ein anderer gültiger Behandlungsausweis nicht vorgelegt wurden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 38,31 EUR
Tatbestand
1 (ohne Tatbestand gemäß § 313 a ZPO)
Entscheidungsgründe
I.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Vergütung der ambulanten Krankenhausbehandlung
deren Sohnes gemäß § 611 BGB; mangels Hauptforderung besteht ein Anspruch auf Nebenforderungen
ebenfalls nicht. Um gegen die Beklagten privat liquidieren zu können, muss sie beweisen, dass diese einen
Überweisungsschein nicht vorgelegt haben, und dieser Beweis ist ihr nicht gelungen.
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1. Die Beweislast für die fehlende Vorlage des Überweisungsscheins trägt die Klägerin.
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a) Die Parteien haben einen Dienstvertrag geschlossen. Auch zwischen einem Kassenpatienten und dem
behandelnden Vertragsarzt bzw. dem aufnehmenden Krankenhaus kommt ein privatrechtlicher Dienstvertrag
zustande (vgl. statt aller BGH, Urteil vom 28. April 1987, Az.: VI ZR 171/86, abgedruckt in NJW 1987, 2289; s.
a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. November 2004, Az.: 1 BvR 2315/04, abgedruckt in NJW 2005, 1103;
zur vertraglichen Beziehung nach neuem Recht direkt zum Krankenhaus bei ambulanter Behandlung vgl. BGH,
Urteil vom 20. Dezember 2005, Az.: VI ZR 180/04, abgedruckt in NJW 2006, 767).
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Dieser wird allerdings von den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Sozialrechts überlagert, durch die neben
dem Patienten/Versicherten und dem behandelnden Arzt/Krankenhaus an dem Vertragsverhältnis auch die
jeweilige gesetzliche Krankenkasse und kassenärztliche Vereinigung beteiligt sind (s. a. BGH, Urteil vom 28.
April 1987, a. a. O.). Dies führt dazu, dass der Vergütungsanspruch von dem privatrechtlichen
Behandlungsvertrag abgekoppelt ist und sich als öffentlich-rechtlicher Anspruch direkt und von Beginn an
gegen die Krankenkasse bzw. die kassenärztliche Vereinigung richtet (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1984,
Az.: VI ZR 297/81, abgedruckt in NJW 1984, 1820; s. a. OLG Köln, Urteil vom 21. März 2003, Az.: 5 W 72/01,
abgedruckt in NJW-RR 2003, 1699). In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 und
Abs. 2 SGB V grundsätzlich - eine ausnahmsweise Kostenerstattung nach § 13 SGB V liegt hier nicht vor -
das sogenannte Sachleistungsprinzip, d. h. die Krankenkasse ist gegenüber dem Versicherten öffentlich-
rechtlich verpflichtet, die erforderlichen ärztlichen Leistungen als Sachleistungen zur Verfügung zu stellen,
während sie die Vergütung an den Arzt bzw. das Krankenhaus erbringt. Dies wiederum erfolgt über die
kassenärztliche Vereinigung, in welcher der Vertragsarzt aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften Mitglied ist
und gegen die sich der Vergütungsanspruch des Arztes bzw. des Krankenhauses richtet. Die kassenärztliche
Vereinigung fordert das Geld bei der betreffenden gesetzlichen Krankenkasse an, die in Erfüllung ihrer
Sachleistungspflicht mit der kassenärztlichen Vereinigung vertraglich verbunden ist, nämlich durch die gemäß
§ 82 SGB V zwischen den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und dem Spitzenverband Bund der
Krankenkassen abgeschlossenen Gesamtverträge, hier insbesondere den Bundesmantelvertrag-Ärzte (im
Folgenden: BMV-Ä).
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Ein unmittelbarer Anspruch des Arztes bzw. Krankenhauses gegen den Patienten auf eine private Abrechnung
kommt nur in ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen in Betracht. Diese finden sich in § 18 Abs. 8 BMV-Ä, in
dem die Voraussetzungen genannt sind, in denen der Vertragsarzt von einem Versicherten eine Vergütung
fordern darf. Diese Regelung bindet nicht nur die unmittelbaren Vertragspartner und damit über den
Spitzenverband die Krankenkassen und über die kassenärztlichen Bundesvereinigungen die Vertragsärzte als
Mitglieder ihrer kassenärztlichen Vereinigung, sondern wirkt auch gegenüber dem Kassenpatienten als
begünstigtem Dritten als Vertrag zu Gunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB, in dessen Interesse und zu
dessen Schutz diese Regelung getroffen wurde (so z. B. zur Vorgängervorschrift des § 18 Abs. 8 Nr. 2 und 3
BMV-Ä das LSG Brandenburg, Urteil vom 3. November 2004, Az.: L 4 KR 45/03, zit. nach juris), so dass
dessen Voraussetzungen auch im Verhältnis zwischen Arzt bzw. Krankenhaus und Patient gegeben sein
müssen. Hier einschlägig ist § 18 Abs. 8 Nr. 1 BMV-Ä, der eine Privatliquidation vorsieht, wenn die
Krankenversichertenkarte vor der ersten Inanspruchnahme im Quartal nicht vorgelegt worden ist bzw. ein
anderer gültiger Behandlungsausweis nicht vorliegt und nicht innerhalb der einer Frist von zehn Tagen nach der
ersten Inanspruchnahme nachgereicht wird.
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b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Klägerin zu beweisen. Dies gilt unabhängig davon, ob - dann
wäre es ohnehin unzweifelhaft - ein privat abzurechnender Anspruch nur unter diesen überhaupt erst entsteht
(so zur Vorgängervorschrift des § 18 Abs. 8 Nr. 2 BMV-Ä wohl BSG, Urteil vom 15. April 1997, Az.: 1 RK 4/96,
abgedruckt in BSGE 80, 181) oder ob ein privatrechtlicher Honoraranspruch an sich besteht und nur durch die
öffentlich-rechtlichen Vorschriften vom Patienten sofort und unmittelbar auf den Träger der
Krankenversicherung übergeleitet wird (so wohl OLG Saarbrücken, Urteil vom 12. April 2000, Az.: 1 U 771/99,
abgedruckt in NJW 2001, 1798), da auch im letzteren Fall nur im Rahmen des § 18 Abs. 8 BMV-Ä eine
Vergütung gefordert und der Anspruch durchgesetzt werden kann.
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aa) Nach dem klaren Wortlaut der Regelung darf vom Versicherten eine Vergütung nur in den abschließend
aufgeführten Fällen gefordert werden, d. h. nur dann kann ein Anspruch durchgesetzt werden. Dies spricht
dafür, dass die genannten Voraussetzungen zu den rechtsbegründenden Tatsachen gehören und daher vom
Anspruchsteller bewiesen werden müssen. Hätte es sich um eine rechtshindernde Einwendung handeln sollen,
wären Formulierungen wie z. B. (verkürzt) „der Versicherte darf die Zahlung einer Vergütung an den
Vertragsarzt verweigern, wenn er [..] vorgelegt oder nachgereicht hat“ zu erwarten. Eine Einrede liegt im
Übrigen schon deshalb nicht vor, weil sich der Patient nicht ausdrücklich darauf berufen muss, sondern die
Vorschriften vielmehr von Amts wegen zu berücksichtigen sind, da allein so dem Ziel der Regelung,
Privatliquidationen nur in diesen Fällen zuzulassen, nachgekommen werden kann und dieses ersichtlich nicht
vom Willen des Patienten im Einzelfall abhängig sein soll (soweit das LSG Brandenburg a. a. O. von einer
„dauerhafte Einrede“ spricht, ist keine solche im zivilrechtlichen Sinne gemeint, was sich schon daran zeigt,
dass dort ausgeführt wird, dass sich unterschiedliche Rechtsfolgen aus der Abweichung zum BSG a. a. O.
nicht ergeben sollen). Bei den zum gleichen Wortlaut („darf [..] nur fordern“) gehörenden Nummern 2 und 3 des
§ 18 Abs. 8 BMV-Ä, die ein ausdrückliches Verlangen des Patienten und individuelle Gesundheitsleistungen
(IGeL) außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung betreffen, erscheint es zudem kaum nachvollziehbar, den
Beweis vom versicherten Patienten zu verlangen.
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bb) Ein Vergütungsanspruch des Vertragsarztes unmittelbar gegen den gesetzlich Versicherten ist im System
der gesetzlichen Krankenversicherung zudem ein Ausnahmefall, der grundsätzlich nicht, sondern nur in den
wenigen ausdrücklich und abschließend geregelten Fällen vorkommen soll. Dies spricht nach der Systematik
ebenfalls dafür, dass die Klägerin das Eintreten dieser Ausnahmeregelung beweisen muss.
10 Nicht vergleichbar ist dem der Fall, dass für den Patienten eine gesetzliche Krankenversicherung schon von
vorneherein nicht besteht oder eintritt (so im Fall des OLG Saarbrücken a. a. O.) bzw. dies den
Vertragspartnern nicht bekannt ist und es an der Geschäftsgrundlage fehlt (so in dem Sachverhalt, der dem
Urteil des BGH vom 28. April 2005, Az.: III ZR 351/04, abgedruckt in NJW 2005, 2069, zugrunde liegt). Dann
fehlt es nämlich schon am Status als Kassenpatient und der Geltung des Sachleistungsprinzips überhaupt,
wofür der Patient beweispflichtig sein dürfte, da dies in seinem Kenntnisbereich liegt, in den der Arzt bzw. das
Krankenhaus keinen Einblick hat. Im vorliegenden Fall hingegen handelte es sich hingegen unstreitig um einen
Kassenpatienten, was der Klägerin zudem aufgrund der im vorigen Quartal jedenfalls erfolgten Überweisung
ebenso unstreitig bekannt war, so dass es hier nicht um die grundsätzliche Geltung des Systems der
gesetzlichen Krankenversicherung und des Sachleistungsprinzips geht, sondern um eine innerhalb dieses
Systems ausnahmsweise dennoch mögliche Privatliquidation.
11 cc) Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Patienten, sich um die Abgabe
des Überweisungsscheins zu kümmern. Es ist indes - anders als der Einblick in die
sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse des Patienten und die Beurteilung seines Status als
Kassenpatient insgesamt - für den Arzt und noch mehr für ein aufnehmendes Krankenhaus ohne Weiteres
organisatorisch möglich, den Patienten bei der Aufnahme dokumentieren zu lassen, dass er einen
Überweisungsschein (bzw. die Krankenversichertenkarte) nicht vorgelegt hat. Dem gegenüber erscheint es
lebensfremd, vom Patienten zu erwarten, dass er sich die Abgabe des Überweisungsscheins (bzw. der
Krankenversichertenkarte) vom Arzt bzw. Krankenhaus quittieren lässt, was im Übrigen bei diesen jedes Mal
zu entsprechendem Papieraufwand führte. Dies gilt zudem deshalb, weil in aller Regel ein entsprechendes
Dokument vorgelegt wird und daher der Aufwand, nur die Ausnahmefälle eines Fehlens zu dokumentieren, für
alle Beteiligten viel geringer ist als das meist erforderliche Quittieren der Vorlage. Dem entsprechend führt
beispielsweise die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg in ihren Hinweisen zur rechtlichen Zulässigkeit
von Privatliquidationen nicht nur aus, dass bei Nichtvorlage der Krankenversichertenkarte bzw. eines anderen
gültigen Behandlungsausweises der Patient über die Privatliquidation aufzuklären ist, sondern weist auf einen
dahingehenden Belehrungsbogen hin, der mit Personalangaben und Unterschrift versehen und in der
Patientendokumentation dokumentiert werden soll.
12 2. Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht. Sie hat zwar vorgetragen, die Beklagten hätten für die
ambulante Behandlung ihres Sohnes am 30. Oktober 2007 bei der Klägerin einen Überweisungsschein für das
vierte Quartal trotz ausdrücklicher Aufforderung weder vorgelegt noch nachgereicht. Die Beklagten haben dies
jedoch bestritten und der Beklagte zu 1) hat in seiner persönlichen Anhörung substantiiert dargelegt und
geschildert, wie er den Überweisungsschein beim behandelnden Arzt bekommen und vor Beginn der
Behandlung zusammen mit dem Terminszettel am Anmeldeschalter der Klägerin abgegeben haben will; dass
er nicht mehr nachweisen konnte, dass sein behandelnder Arzt ihm einen solchen Überweisungsschein
ausgestellt hat (was ihm hier im Übrigen wohl auch für denjenigen im dritten Quartal nicht gelungen wäre, der
unstreitig ausgestellt und der Klägerin vorgelegt wurde, da der letzte Software-Eintrag des Arztes noch weiter
zurück lag), ändert nichts daran, dass er die Behauptung der Klägerin substantiiert und darüber hinaus nicht
unglaubhaft bestritten hat. Dies konnte die Klägerin nicht widerlegen. Einen Beweis dafür, dass die Beklagten
entgegen ihrer Behauptung am Behandlungstag einen Überweisungsschein nicht vorgelegt haben, hat sie nicht
angeboten. Soweit sie eine Zeugin zum Beweis der Tatsache benannt hat, dass am 21. November 2007 die
Übergabe des Überweisungsscheins angemahnt und bei einem späteren Telefonat mitgeteilt worden sei, es
müsse ein neuer Überweisungsschein vorgelegt werden, ist dies unerheblich, da er - selbst wenn dies zutrifft -
in der inzwischen verstrichenen Zeit ebenso bei der Klägerin verloren gegangen sein kann und es deshalb zur
Anmahnung kam. Diese führt auch nicht dazu, dass die Beklagten einen gegebenenfalls bereits vorgelegten
Überweisungsschein nochmals nachreichen müssen. Mithin blieb letztlich offen, ob ein Überweisungsschein
vorgelegt wurde, so dass die beweispflichtige Klägerin ihren Anspruch nicht beweisen konnte.
II.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§
708 Nr. 11, 713 ZPO.