Urteil des AG Schöneberg vom 05.05.2009

AG Schöneberg: zwangsvollstreckung, zahlungsunfähigkeit, ratenzahlung, deckung, druck, mahnung, inventar, pfändung, sparkasse, rückzahlung

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Gericht:
AG Schöneberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 C 431/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 131 Abs 1 Nr 2 InsO
Insolvenzanfechtung von Ratenzahlungen auf Steuerschulden
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 900,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05. Mai 2009 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Durch Beschluss des Amtsgerichts C. vom 04. Mai 2009 zum Geschäftszeichen: … ist
das Insolvenzverfahren über das Vermögen des A. S. als Inhaber der Firma „A.“ eröffnet
und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden.
Im Dezember 2008 bestanden Steuerrückstände des Schuldners in Höhe von 2.742,60
EUR, die sich aus 10,14 EUR Umsatzsteuer 2006 und 2.666,96 EUR Umsatzsteuer für
das 3. Quartal 2008 sowie Säumniszuschlägen zusammensetzten.
Mit Schreiben vom 12. Januar 2009 (Bl. … d.A.) bat der Schuldner das Finanzamt S. um
die Gewährung von Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 300,00 EUR. Seinen Antrag
begründete er damit, dass er aufgrund der Witterung derzeit keine Einnahmen habe,
Rücklagen nicht vorhanden seien und Inventar veräußert werden müsse. Der Antrag ging
am 14. Januar 2009 beim Finanzamt ein. Am gleichen Tag erteilte das Finanzamt einen
Vollstreckungsauftrag.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2009 (Bl. … d.A.) drohte der Vollziehungsbeamte dem
Schuldner die Vollstreckung wegen der Steuerrückstände an. Gleichzeitig wies er auf die
mögliche Pfändung des Pkw hin.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2009 gewährte das Finanzamt dem Schuldner
Ratenzahlungen von 300,00 EUR auf rückständige Steuern einschließlich
Säumniszuschlägen von nun 3.151,10 EUR unter dem Vorbehalt des jederzeitigen
Widerrufs und der Bedingung, dass bei Nichteinhaltung die Vollstreckung ohne vorherige
Mitteilung fortgesetzt werden kann. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl.
… d.A. verwiesen.
Der Schuldner leistete aus der ihm von der Sparkasse gewährten Kreditlinie an das
Finanzamt S. Raten von jeweils 300,00 EUR am 23. Januar 2009, 17. Februar 2009 und
17. März 2009.
Am 01. April 2009 ging der Insolvenzantrag beim Amtsgericht C. ein.
Der Kläger forderte am 29. Mai 2009 das Finanzamt zur Rückgewähr der Ratenzahlungen
auf und wies darauf hin, dass diese der Anfechtung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO
unterlägen, Bl. 65-68. Das Finanzamt lehnte die Rückzahlung ab.
Der Kläger behauptet, die drei Raten habe der Schuldner aus der Kreditlinie gezahlt. Er
meint, die Ratenzahlungen stellten eine inkongruente Deckung dar, weil der Schuldner
im Falle der Nichtzahlung mit Vollstreckungsmaßnahmen habe rechnen müssen. Es
müsse sich nicht um einen unmittelbaren Vollstreckungsdruck handeln; es genüge,
wenn aus objektivierter Sicht des Schuldners ein solcher gegeben war. Steuerschulden
begründeten stets die Zahlungsunfähigkeit. Diese begründe sich außerdem daraus,
dass der Schuldner mit der Zahlung der Einkommen- und Umsatzsteuer, die in der Zeit
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dass der Schuldner mit der Zahlung der Einkommen- und Umsatzsteuer, die in der Zeit
vom 17.04.2008 bis 10.12.2008 zur Zahlung fällig war, im Rückstand gewesen ist.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 900,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05. Mai 2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, bei den Ratenzahlungen habe es sich um freiwillige Leistungen
des Schuldners gehandelt. Die Gewährung der Ratenzahlung beinhalte nur den Hinweis,
dass bei Nichtzahlung die Vollstreckung fortgesetzt werden könne. Dies sei nicht
gleichbedeutend mit „müsse“ oder „werde“. Aufgrund der gewährten Ratenzahlung
habe der Schuldner auch nicht mit der unmittelbaren Fortsetzung der Vollstreckung
ohne erneute Androhung rechnen müssen. Eine Zahlungsunfähigkeit sei nicht
offensichtlich gewesen. Man habe von saisonalen Zahlungsstockungen ausgehen dürfen.
Liquide Mittel seien vorhanden gewesen, denn der Schuldner habe Inventar veräußern
wollen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlage ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch
auf Rückzahlung von 900,00 EUR gemäß §§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 143 InsO.
Der Kläger hat die Zahlung des Schuldners vom 17. März 2009 wirksam gemäß § 131
Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten. Der Beklagte hat mit der Zahlung der ersten Rate von
300,00 EUR durch den Schuldner eine inkongruente Deckung innerhalb der Monatsfrist
des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erhalten, denn die Zahlung ist zwei Wochen vor Eingang des
Insolvenzantrags bei Gericht geleistet worden. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sieht vor, dass
eine Rechtshandlung anfechtbar ist, die im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Nach § 139
Abs. 1 InsO beginnt die maßgebliche Frist mit dem Anfang des Tages, der durch seine
Zahl dem Tag entspricht, an dem der Eröffnungsantrag bei dem Insolvenzgericht
eingegangen ist. Bei der inkongruenten Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO müssen
weitere Voraussetzungen nicht erfüllt sein.
Aber auch die Zahlungen der beiden weiteren Raten in Höhe von jeweils 300,00 EUR vom
23. Januar 2009 und 17. Februar 2009 konnte der Kläger wirksam gemäß § 131 Abs. 1
Nr. 2 InsO anfechten. Der Beklagte hat mit diesen beiden Zahlungen des
zahlungsunfähigen Schuldners eine sogenannte inkongruente Deckung innerhalb des
Dreimonatszeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erhalten. Die Zahlungen haben es
dem Finanzamt als Insolvenzgläubiger ermöglicht, einen Teil seiner Zahlungsforderung
aus rückständigen Steuern befriedigt zu bekommen.
Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es sich bei den Ratenzahlungen nicht um
freiwillige Leistungen des Schuldners, sondern um Zahlungen zur Abwendung der
Vollstreckung, auch wenn der Ratenzahlungsantrag des Schuldners vom 14. Januar 2009
und damit einen Tag vor der Vollstreckungsandrohung des Beklagten datiert.
Für die Beurteilung, ob der Insolvenzverwalter Zahlungen des Schuldners anfechten
kann, kommt es nicht darauf an, ob die Zwangsvollstreckung schon begonnen hat. Eine
inkongruente Deckung ist vielmehr schon dann anzunehmen, wenn die Rechtshandlung
unter dem Druck unmittelbar bevorstehender Zwangsvollstreckung gewährt wird. Der
Schuldner leistet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter dem Druck
einer unmittelbaren Zwangsvollstreckung, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht
hat, dass er alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen wird, wenn der Schuldner die
Forderung nicht erfüllt. Dies beurteilt sich allein aus der objektiven Sicht des Schuldners.
Der Schuldner leistet regelmäßig dann unter dem Druck der Zwangsvollstreckung, wenn
er zurzeit seiner Leistung damit rechnen muss, dass der Gläubiger nach dem kurz
bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen
Zwangsvollstreckung beginnt (BGH NJW 2003, 3347; OLG Bremen – Urteil vom
16.04.2004 – 4.U.68/03).
Zwar hatte der Schuldner in Unkenntnis der drohenden Vollstreckung mit Schreiben vom
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Zwar hatte der Schuldner in Unkenntnis der drohenden Vollstreckung mit Schreiben vom
14. Januar 2009 den Beklagten gebeten, die Steuerrückstände in Raten begleichen zu
dürfen, denn der Beklagte hat dem Schuldner erst mit Schreiben vom 15. Januar 2009
die Vollstreckung wegen offener Umsatz- und Einkommensteuer in Höhe von insgesamt
2.742,60 EUR unter Hinweis auf die mögliche Pfändung des Pkw angedroht.
Soweit der Schuldner dann jedoch die gewährte Ratenzahlung erfüllt hat, hat er dies zur
Abwendung von Vollsteckungsmaßnahmen getan. Der Beklagte hatte
Vollstreckungsmaßnahmen bereits eingeleitet und der Vollstreckungsdruck ist durch den
Vollstreckungsaufschub nicht entfallen, denn der Beklagte hat dem Schuldner mit
Schreiben vom 20. Januar 2009 zwar die beantragte Ratenzahlung gewährt, aber
zugleich mitgeteilt:
„Gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO) setze ich die Vollstreckung … unter dem
Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs und unter folgenden Bedingungen aus: … Wird
eine dieser Bedingungen nicht eingehalten, gilt der Vollstreckungsaufschub als
widerrufen. Die Vollstreckung kann dann wegen der Gesamtrückstände ohne vorherige
Mahnung fortgesetzt werden.“
Damit hat der Beklagte als Gläubiger zum Ausdruck gebracht, dass er alsbald die Mittel
der Vollstreckung einsetzen wird, wenn der Schuldner nicht nur der Verpflichtung zur
Ratenzahlung, sondern auch zur Zahlung der laufenden Steuern nicht nachkommt.
Wie der Schuldner den Wortlaut verstehen musste, ergibt sich aus der objektiven Sicht
des Schuldners. Ein Schuldner leistete regelmäßig dann unter dem Druck der
Zwangsvollstreckung, wenn er zur Zeit seiner Leistung damit rechnen muss, dass ohne
die Leistung der Gläubiger nach dem kurz bevorstehenden Ablauf der letzten
Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung beginnt (BGH NJW
2003, 3347).
Hier konnte und musste der Schuldner nach dem objektivierten Empfängerhorizont den
Vollstreckungsaufschub sogar dahin verstehen, dass die Vollstreckung wegen der
rückständigen Steuerschulden ohne weitere Vorankündigung sogar fortgesetzt wird,
wenn er mit einer Rate in Verzug gerät. Denn dem Schuldner war aufgrund der
Vollstreckungsandrohung vom 15. Januar 2009 bekannt, dass der Beklagte die
Vollstreckung bereits einmal in Auftrag gegeben hatte. Die Formulierung: „ohne
vorherige Mahnung“ ist vor diesem Hintergrund nur so zu verstehen, dass der Schuldner
vor der Fortsetzung der Vollstreckung von dem Beklagten nicht informiert wird,
insbesondere der Beklagte ihm nicht notwendig Gelegenheit geben wird, die Zahlung
einer rückständigen Rate nach einer weiteren Mahnung oder Vollstreckungsankündigung
nachzuholen. Dass die Formulierung „kann … fortgesetzt werden“ auch bedeuten
könnte, dass der Beklagte die Vollstreckung erst nach vorheriger Mitteilung fortsetzt, ist
unbeachtlich. Der Schuldner, der im Falle der Nichtzahlung die Fortsetzung der
Vollstreckung fürchtet, wird nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht von der für ihn
günstigsten, sondern von der für ihn schlechtesten Variante ausgehen, zumal es bei der
Formulierung „kann“ allein der Beklagte in der Hand hat, ob und wie er die Vollstreckung
fortsetzt.
Bei Vornahme der Zahlungen war der Schuldner auch zahlungsunfähig im Sinn von §
131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig,
wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverbindlichkeiten zu erfüllen. Diese
Vermutungswirkung gilt auch im Rahmen der §§ 130, 131 InsO. Das Bestehen der
Zahlungsunfähigkeit wird durch das Nichtabführen von Steuerbeständen indiziert (BGH -
Urteil vom 28.04.2008 - II ZR 51/07).
Vorliegend ergibt sich die Zahlungsunfähigkeit aus den offenen Steuerforderungen des
Beklagten gegen den Schuldner, die sich im Wesentlichen aus einer
Umsatzsteuerforderung 2006 in Höhe von 10,14 EUR, fällig am 17. April 2008, und der
Umsatzsteuer für das 3. Quartal 2008 von 2.666,96 EUR, fällig am 12. November 2008,
sowie aus Säumniszuschlägen zusammensetzten. Dem Beklagten ist zwar insoweit
zuzustimmen, dass es sich dabei nicht um erhebliche Steuerschulden handelt, die über
einen langen Zeitraum bestanden haben. Aber sowohl die Umsatzsteuernachforderung
von 10,14 EUR, die Mitte April 2008 fällig gewesen ist, als auch die Säumniszuschläge
auf die Einkommensteuer 2008 und die Umsatzsteuer für das 2. Quartal 2008 machen
deutlich, dass der Schuldner nicht mehr in der Lage gewesen ist, selbst geringe
Forderungen in angemessenem Zeitraum auszugleichen und seinen laufenden
Steuerverpflichtungen nachzukommen. Bei dem letztlich aufgelaufenen Betrag von
3.151,10 EUR handelt es sich bei einem kleineren Betrieb für Garten- und
Landschaftsbau auch nicht um eine derart geringe Summe, dass nur von einem
vorübergehenden, saisonal bedingten Liquiditätsengpass ausgegangen werden kann.
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vorübergehenden, saisonal bedingten Liquiditätsengpass ausgegangen werden kann.
Schließlich hatte der Schuldner in seinem Ratenzahlungsantrag auch angegeben, dass
Rücklagen nicht mehr vorhanden sind und er sich gezwungen sehe, eigenes Inventar zu
veräußern. Damit hat der Schuldner auch gegenüber dem Beklagten offen gelegt, dass
er nicht mehr über die nötigen finanziellen Mittel zur Begleichung seiner Steuerschulden
verfügt. Selbst, wenn der Schuldner nach der Veräußerung von Inventargegenständen
noch in der Lage war, einzelne Zahlungen zu tätigen, schließt dies die
Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Wird dann die Stundung wie hier durch das Finanzamt
gewährt, steht fest, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners von Amts wegen
bejaht worden ist (BGH – Urteil vom 17.07.2003 – IX ZR 272/02).
Zudem erfolgten die Ratenzahlungen aus der dem Schuldner von der Sparkasse
gewährten Kreditlinie und führen zu einer Benachteiligung der Gläubiger im Sinn von §
129 Abs. 1 InsO.
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 288, 291 BGB. Der Beklagte hat bei
anfechtbarem Erwerb Prozesszinsen ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu entrichten
(BGH – Urteil vom 01.02.2007 – IX ZR 96/04).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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