Urteil des AG Saarbrücken vom 07.05.2002

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AG Saarbrücken Beschluß vom 7.5.2002, 40 F 140/02 WH
Ist ein erträgliches Nebeneinander der Eheleute in der gemeinsamen Wohnung noch
gewährleistet, ohne dass das Kindswohl gefährdet ist, hat eine Alleinzuweisung der
Ehewohnung nicht zu erfolgen.
Tenor
1. Unter Abweisung der Anträge der Beteiligten im Übrigen wird für die Dauer ihres
Getrenntlebens
a) der Antragstellerin das Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss das bisherige
Elternschlafzimmer, das Kinderzimmer und die Küche,
b) dem Antragsgegner das zweite Obergeschoss und im ersten Obergeschoss das kleinste
Zimmer des in der gelegenen ehelichen Hauses jeweils zur alleinigen Benutzung
zugewiesen.
2. Jeder Beteiligte hat die dem anderen Beteiligten zur alleinigen Nutzung zugewiesenen
Räume zu räumen und an diesen herauszugeben.
3. Die Verfahrenskosten fallen den Beteiligten jeweils zur Hälfte zur Last.
4. Geschäftswert: 2.100 EUR.
Gründe
I. Die Beteiligten sind Ehegatten. Sie leben seit September 2001 mit ihrer gemeinsamen
Tochter , innerhalb des ihnen beiden gemeinsam gehörenden ehelichen Hauses
voneinander getrennt. Sie haben dabei die Benutzung des Hauses in der aus dem Tenor zu
1) ersichtlichen Weise geregelt, wobei das Kinderzimmer alleine und die Ehegatten lediglich
das Bad/WC und den dahin führenden Flur sowie das Treppenhaus und die Kellerräume
gemeinsam benutzen.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr das eheliche Haus für die Dauer des Getrenntlebens der Parteien zur alleinigen
Benutzung zuzuweisen.
Der Antragsgegner trägt auf
Abweisung dieses Antrags,
hilfsweise für den Fall des Erkennens auf den Antrag der Antragstellerin darauf an,
dieser die Zahlung einer Nutzungsentschädigung von 350 EUR an ihn aufzugeben.
Das Gericht hat die Beteiligten, das Kind und das Jugendamt mündlich angehört. Die
Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass der gesamte Akteninhalt des
zwischen den Parteien ebenfalls vor dem erkennenden Richter geführten Parallelverfahrens
im hiesigen Verfahren verwertet wird. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser
und hiesiger Akte Bezug genommen.
II. Die wechselseitig gestellten Anträge haben jeweils nur teilweise Erfolg.
1. Die Wohnung ist für die Dauer des Getrenntlebens der Ehegatten zwischen ihnen
aufzuteilen:
Eine alleinige Zuweisung an den Ehemann ist nicht begehrt. An die Ehefrau kommt sie nicht
in Betracht, da das Gericht dies nach Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles für
unverhältnismäßig (zu diesem Kriterium siehe Schwab/Maurer, Handbuch des
Scheidungsrechts, 4. Aufl. Kap. VIII Rn. 92 m.w.N.) hält. Dabei verkennt das Gericht nicht,
dass die insoweit maßgebliche Eingriffsschwelle durch die Änderung der Vorschrift des §
1361b BGB durch das Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei
Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung
bei Trennung vom 17.12.2001 (BGBl. I Nr. 67) herabgesetzt wurde und eine Zuweisung
der Ehewohnung nunmehr keine "schwere", sondern nur noch eine "unbillige" Härte
voraussetzt, § 1361b Abs. 1 Satz 1 BGB, und dass eine unbillige Härte auch dann gegeben
sein kann, wenn das Wohl im Haushalt lebender Kinder beeinträchtigt sein ist (§ 1361b
Abs. 1 Satz 2 BGB n. F.).
a) Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dem Begriffswechsel indes vordringlich, durch
Herabsetzung der Eingriffsschwelle zugunsten des misshandelten Ehegatten und/oder der
in Hausgemeinschaft lebenden Kinder ein rasches Einschreiten des Familiengerichts zu
ermöglichen (Palandt/Brudermüller, BGB, Ergänzungsband zur 61. Aufl., BGB § 1361b Rn.
8). Der Wechsel hin zur unbilligen Härte soll die zur Effektuierung des Schutzes vor
häuslicher Gewalt modifizierte Zielrichtung des Gesetzes verdeutlichen und zu diesem
Zweck die Schwelle für die Anwendung der Norm gegenüber der "strengen"
Rechtsprechung absenken (BT-Drucks. 14/5429 S. 21, 33). Bei Gewalttaten unter
Ehegatten einschließlich der widerrechtlichen Drohung mit Gewalttaten soll grundsätzlich
ein Anspruch des verletzten Ehegatten auf Überlassung der gesamten Wohnung bestehen
(Palandt/Brudermüller, a.a.O.).
b) Gewaltanwendungen des Antragsgegners sind weder von der Antragstellerin mit
Substanz geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
Das Wohl der im Haushalt lebenden Kinder war bereits vor der Gesetzesänderung
vorrangig zu berücksichtigendes Kriterium, wenn dieser Umstand auch durch seine
nunmehrige ausdrücklicher Erwähnung zusätzliches Gewicht erlangt. Die Bedürfnisse der
Kinder an einer geordneten, ruhigen und entspannten Familiensituation haben eindeutig
Vorrang, auch ist eine schwere Gesundheitsgefährdung der Kinder nicht Voraussetzung.
Schon andauernde Spannungen und Streitereien zwischen den Eltern können
anerkanntermaßen zu seelischen Schäden für die Kinder führen. Maßgeblich ist daher, ob
ein erträgliches Miteinander im Häuslichen Bereich noch möglich ist oder ob die häusliche
Atmosphäre nachhaltig und voraussichtlich irreversibel gestört ist (Palandt/ Brudermüller,
a.a.0. Rn. 11) und das Kind hierdurch erheblichen Schaden zu nehmen droht, so dass das
Kindeswohl (§ 1697a BGB) beeinträchtigt wird.
bb) Es ist hier indes - gerade im Interesse - beiden Beteiligten zumutbar, ihnen auch
Beiträge für eine wohnatmosphärischen Beruhigung abzuverlangen (OLG Frankfurt FamRZ
1987, 159). Denn hat in ihrer Anhörung bekundet, öfters abends noch zu ihrem Vater
hochzugehen, wonach ihre Mutter sie "nicht mehr ins Bett" kriegt. Dies beweist zur
Überzeugung des Gerichts, dass ihr Vater einiges bedeutet und sie auch gerne zu ihm nach
oben geht. Es wäre derzeit kontraproduktiv, dieser Möglichkeit zu berauben. Ein
erträgliches Nebeneinander der Beteiligten ist nach dem Ergebnis der Anhörungen
gewährleistet (dazu OLG Hamm, FamRZ 1989, 739; Finger, NJW 1987, 1001),
insbesondere streiten sich die Ehegatten seit der ersten Anhörung im März 2002
ausweislich der Kindesanhörung nicht mehr. Dass sich in Trennung lebende Eheleute
"anschweigen", ist der Regelfall, der für sich genommen nicht eine Wegweisung eines
Ehegatten rechtfertigt. Denn Unannehmlichkeiten und auch gewisse Belästigungen treten
im Zusammenhang mit einer in Auflösung befindlichen Ehe regelmäßig auf (OLG Hamburg
FamRZ 1993, 190). geht damit bislang auch verhältnismäßig gut um, schulische
Auffälligkeiten sind nicht entstanden und ihre Befürchtung, ihre Eltern könnten sich wieder
streiten, scheint dem Gericht nicht so groß zu sein, als dass hierdurch psychischen
Schaden nähme.
Die Fähigkeit der Eltern, sich im Interesse zusammenzureißen und das in diesem Rahmen
notwendige Maß an Rücksichtnahme der Ehegatten aufeinander (Rahm/Künkel/Niepmann,
Handbuch des Familiengerichtsverfahrens, Rz. IV 218) ist hier gegeben, da die Eheleute
sich bezüglich des einzig gemeinsam benutzten Bades/ WC arrangiert haben. Aus diesem
Grunde und weil nur ein WC im Haus existiert, kam auch eine zeitlich gestaffelte
Nutzungszuweisung des Bades/WC nicht in Frage. Das Haus ist auch groß genug, um
zwischen den Beteiligten aufgeteilt werden zu können. Die verbleibenden bloßen
Unbequemlichkeiten sind hinzunehmen (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1361b
Rn. 5). Berücksichtigt werden musste auch, dass die Ehegatten nicht in
überdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen leben. Ein weiteres Indiz
für die Zumutbarkeit dieser Lösung ist, dass die Antragstellerin trotz ihrer psychischen
Erkrankung mit den zwangsläufig entstandenen trennungsbedingten Belastungen nach
dem Eindruck, den sie bei ihrer Anhörung gemacht hat und auch nach den Bekundungen
ihres behandelnden Facharztes für Psychiatrie recht gut zurecht kommt.
Den Bedenken des Jugendamtes, es müsse langfristig im Interesse eine klare Regelung
getroffen werden, mag im Rahmen der Ehescheidung der Parteien Rechnung getragen
werden.
2. Die Festsetzung einer Nutzungsvergütung wegen der überwiegenden Nutzung des
beiden Parteien gemeinsam gehörenden ehelichen Hauses durch die Antragstellerin hält
das Gericht dagegen nicht für billig (§ 1361 b Abs. 3 Sätze 1 und 2 BGB n. F.). Es ließ sich
dabei von der Erwägung leiten, dass die Antragstellerin ausweislich des beim Beiheft
Versorgungsausgleich des Scheidungsverfahrens befindlichen Versicherungsverlaufs
Berufsunfähigkeitsrente bezieht und mangels Unterhaltszahlungen des Antragsgegners
auch nicht leistungsfähig ist (OLG Köln FamRZ 1997, 943). Auch betreut sie die
ehegemeinsame Tochter, die mit ihr die ihr zugewiesenen Räume des ehelichen Hauses
bewohnt. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner derzeit die Hauslasten alleine
trägt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 18a, 20 HausratsV0. Dem Gericht erschien es nicht
angebracht, eine Erstattung der entstandenen außergerichtlichen Kosten anzuordnen.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf der analogen Anwendung der §§ 20 Abs.
2 Satz 2 GKG, 620 Satz 1 Nr. 7 ZPO, weshalb der dreimonatige Kaltmietwert maßgeblich
ist (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.7.1997 - 6 WF 39/97 und vom 7.1.1994 - 9 WF
111/94).