Urteil des AG Rathenow vom 03.11.2005

AG Rathenow: ausländer, menschenwürde, strafbare handlung, angriff, bevölkerung, anzeichen, gegenüberstellung, begriff, persönlichkeit, öffentlich

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Gericht:
AG Rathenow
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ds 496 Js 37539/05
(301/05)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 130 Abs 1 Nr 2 StGB
Volksverhetzung durch Abspielen eines Tonträgers mit einem
rechtsextremistischen Lied
Tenor
Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die
Landeskasse.
Gründe
I.
Dem Angeschuldigten wird mit der Anklageschrift vom 03.11.2005 folgendes
vorgeworfen:
Der Angeklagte habe am 18.07.2005 gegen 17.21 Uhr in seiner Wohnung in ... einen
Tonträger in einer derartigen Lautstärke abgespielt, daß der Titel „DVU-Lied“ der Gruppe
„Standarte“ mit der Textzeile: „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“, im
gesamten Wohnblock deutlich vernehmbar gewesen sei.
II.
Der Angeschuldigte bestreitet, die ihm zur Last gelegte Textzeile abgespielt zu haben.
Er wohne seit etwas drei Jahren in der Wohnung in ... und sei bisher nicht störend
aufgetreten. Die Erstatterin der Strafanzeige habe sich immer wieder von ihm gestört
gefühlt, wenn sein Blumenwasser auf deren Markise getropft habe. Mit der Nachbarin
habe sich der Angeschuldigte vor dem 18.07.2005 mündlich auseinandergesetzt. Die CD
mit der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Passage sei nie öffentlich abgespielt
worden und diene lediglich und ausschließlich seinem privaten Gebrauch.
Im übrigen seien die vermeintlich von der Nachbarin vernommenen Textpassagen nicht
geeignet, den Tatbestand der Volksverhetzung zu erfüllen.
III.
Die Eröffnung des Hauptverfahren ist gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus rechtlichen Gründen
abzulehnen, da das dem Angeschuldigten vorgeworfene Verhalten weder den
Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB noch einen anderen Straftatbestand erfüllt.
Das Gericht geht dabei nicht auf den Umstand ein, daß bereits die Frage des Vorsatzes,
selbst des bedingten, beim Abspielen einer nicht erkennbar indizierten Musik, bei einer
im Gesangfluß enthaltenen Zeile schwer zu bejahen sein dürfte.
Sie kann jedoch offen bleiben, da es bereits am objektiven Tatbestandsmerkmal des §
130 Abs. 1 Nr. 2 StGB „Wer ... die Menschenwürde anderer ... angreift ...“ fehlt.
Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist,
den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er
Teile der Bevölkerung beschimpft und böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
Daraus folgt zuerst, daß sich bei der Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB um persönliches
Äußerungsdelikt handelt und das Verbreiten fremder Erklärungen nur dann den
Tatbestand erfüllt, wenn der Täter sich den volksverhetzenden Inhalt erkennbar zu eigen
macht (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 130 Rn. 5 a.E.).
Hierzu verhält sich die Anklage überhaupt nicht, außer der Behauptung, der
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Hierzu verhält sich die Anklage überhaupt nicht, außer der Behauptung, der
Angeschuldigte habe die bereits obengenannte Zeile einer Musikgruppe abgespielt.
Allein die Tatsache, daß etwas abgespielt wird, läßt nicht ohne weiteres zu, auf die
Identifizierung mit dem Inhalt des Textes zu schließen. Es gibt keine weiteren äußeren
Anzeichen dafür, daß der Angeschuldigte die vermeintlich abgespielte, aus einem
Gesangfluß herausgerissene Zeile als eigene Erklärung verstanden haben wollte. Dies
um so weniger, als er bislang strafrechtlich unbescholten blieb und weder die
Ermittlungen noch der Auszug aus dem Bundeszentralregister auf Verbindungen mit
einschlägigen Gruppierungen oder Personen schließen lassen.
Das Gericht vermag aufgrund der Anklage und der Ermittlungsakte nicht erkennen, daß
der Angeschuldigte sich die Zeile der Gruppe „Standarte“ zu eigen gemacht hat.
Doch selbst, wenn es derartige Übernahme des Inhaltes der Zeile durch den
Angeschuldigten zu beweisen gelänge, erfüllt der Inhalt der Zeile nicht den
Tatbestandsmerkmal des Angriffes auf die Menschenwürde.
Das Beschimpfen ist eine nach Inhalt und Form besonders herabsetzende Kundgabe der
Mißachtung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 130 Rn. 11) und diese Kundgabe
muß die Menschenwürde anderer angreifen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist der Begriff der
Menschenwürde als ein einschränkendes Merkmal des weit gefaßten Tatbestandes des §
130 StGB zu verstehen (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 12).
Insbesondere ist dabei zu beachten, daß der Angriff gegen die Menschenwürde im Sinne
von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG eines Teils der Bevölkerung noch nicht vorliegt, wenn der
Täter Persönlichkeitsrechte einzelner Personen, z. B. deren Ehre angreift. Auch eine
Beleidigung und nicht jede ausgrenzende Diskriminierung stellen einen Angriff gegen die
Menschenwürde dar. Der Tatbestand setzt andererseits keinen Angriff auf das
biologische Lebensrecht voraus. Es genügt wenn den Angegriffenen ihr ungeschmälertes
Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten
wird und sie als „unterwertige Menschen“ gekennzeichnet werden.
Nunmehr ist die Textzeile „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ nach diesen
einschränkenden Kriterien des Tatbestandes § 130 Abs. 1 StGB zu prüfen:
Allein die Verwendung der Begriffe „Deutscher“ und als Gegenüberstellung „Ausländer“
sind nicht geeignet, die Menschenwürde anderer zu verletzen. Die Gegenüberstellung
der Begriffe „Deutscher - Ausländer“ gibt nur das wieder, was bereits gesetzlich definiert
ist.
Der Begriff des Deutschen ist im Art. 116 Abs. 1 GG vorgegeben und auch der Begriff
„Ausländer“ folgt einer Legaldefinition des vormaligen Ausländergesetzes und des
derzeitigen Aufenthaltsgesetzes, wonach gemäß § 2 Abs. 1 AufenthG Ausländer jeder
ist, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.
Eine Gegenüberstellung dieser Begriffe kann einen Angriff auf ihre Menschenwürde nicht
darstellen, weil der Gesetzgeber, der freilich zu keinem Zeitpunkt Begriffe benutzte oder
benutzt oder in Anspruch nahm oder nimmt, um die Menschenwürde der Deutschen
oder der Ausländer anzugreifen, eine solche Unterscheidung und Gegenüberstellung
gesetzlich getroffen und festgelegt hat.
Allerdings ist auch der Satz „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ nicht
geeignet, die Menschenwürde eines anderen anzugreifen.
Im Bereich von strafrechtlicher Bewertung von Äußerungen ist dem Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung Rechnung zu tragen, indem die möglichen Deutungen der Aussage
zu prüfen und zu bewerten sind. Schließlich ist nach einer dem Grundrecht gerecht
werdenden Abwägung eine strafbare Handlung anzunehmen, wenn eine noch denkbare,
die Grundfreiheit schonende Deutungsmöglichkeit auszuschließen ist.
Alleine mit dem Inhalt des Satzes „Ausländer raus“ bzw. „Deutschland den Deutschen -
Ausländer raus“, ohne weiteren äußeren Anzeichen der Bereitschaft zu Übergriffen oder
Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen Miteinwohnern, kann nach der im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes schonenden Auslegung von
Meinungsäußerungen eine politische Meinungsäußerung getätigt worden sein, die
lediglich in der Bevölkerung vorhandene Vorbehalte und Ängste zum Ausdruck bringt.
Sie kann weiter zum Ausdruck bringen, daß die Interessen des deutschen Staatsvolkes
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
Sie kann weiter zum Ausdruck bringen, daß die Interessen des deutschen Staatsvolkes
denen der Ausländer vorangestellt werden sollten.
Die mit dem Satz „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ geäußerte Meinung
mag eine für bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht erwünschte politische Auffassung
zum Ausdruck bringen, allerdings ist aus ihr allein noch nicht erkennbar, daß damit den
Ausländern ein ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der
staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und ihre Menschenwürde in Frage gestellt oder
gar angegriffen wird. Die Bezeichnung „Ausländer“ in diesem Zusammenhang bringt
nicht zum Ausdruck, daß der Äußerer die Ausländer als „unterwertige“ Menschen
betrachtet.
Auch wenn diese Äußerung dahin verstanden werden kann, es mögen nicht so viele
Ausländer in Deutschland leben, bringt sie nur eine kritische Äußerung gegenüber den
vermeintlich bestehenden Umständen, ohne jedoch die Menschenwürde des einzelnen
Ausländers oder der Gemeinschaft der Ausländer in Frage zu stellen oder anzugreifen.
Sonst würde angesichts der kürzlich aufgedeckten Zustände an einigen Schulen diese
verkürzte Äußerung der Ängste und Vorbehalte der deutschen Bevölkerung von
vornherein verboten sein und stünde unter Strafe, was angesichts der Freiheit der
politischen Auseinandersetzung so nicht gemeint sein kann.
Im übrigen stellt das alleinige Bestreiten des Aufenthaltsrechtes der Ausländer an sich
auch keinen Angriff auf die Menschenwürde dar (vgl. Schönke/Schröder, a.a.O., § 130 Rn.
7 a.E.).
Daraus folgt, daß der Zeile „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ ohne
Hinzutreten weiterer äußerer oder innerer Anzeichen kein Angriff auf die Menschenwürde
entnommen werden kann.
Diese rechtliche Würdigung steht nicht im Gegensatz zum Urteil des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts vom 28.11.2001 (abgedruckt in NJW 2002, 1440 f.), Az.: 1 Ss 52/01,
wonach die aus einer größeren Personengruppe heraus gerufene Parole „Ausländer
raus“ geeignet sei, zum Haß aufzustacheln und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen
gegen Teile der Bevölkerung aufzufordern.
Dieser Entscheidung lagen ganz andere Umstände zugrunde:
Es ging um die Feststellung, ob die Parole „Ausländer raus“ den Tatbestand des § 130
Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Hierzu führte das Brandenburgische Oberlandesgericht in der
vorbenannten Entscheidung aus, daß vor dem Hintergrund der allgemein bekannten
gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer in Guben die aus einer größeren
Personengruppe heraus gerufene Parole „Ausländer raus“
dieser Parole gegen die Ausländer nicht nur Vorbehalte und Ablehnung, sondern eine
aggressive Mißachtung und Feindschaft zu erzeugen oder zu steigern (Seite 4 des
Urteils).
entsprechenden äußeren Erscheinen der rechten Szene diese Parole ausrief. Zudem
wurde unter anderem die Parole „ Sieg heil“ gerufen, die auf eine nationalsozialistische
Gesinnung schließen ließ. Ferner wurde diese Parole mehrfach wiederholt und schließlich
fand sie während eines Aufmarsches zur nächtlichen Zeit statt.
Derartige oder ähnliche Umstände liegen hier, selbst die Richtigkeit der objektiven
Beschuldigung unterstellt, nicht vor:
Der Angeschuldigte ist nicht der rechten Szene zuzurechnen. Ferner gab es keine
weiteren Parolen oder sonstigen Umstände, die äußerlich und vor allem öffentlich zu
erkennen gegeben hätten, der Angeschuldigte handele aus einer
menschenverachtenden Gruppe und auf Menschenwürde anderer verachtende Art und
Weise.
Auch die sonstigen Kriterien, die das Brandenburgische Oberlandesgericht aufstellte,
sind hier nicht gegeben.
Mithin sind die in der Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichtes festgestellten
objektiven Umstände mit den hier in Anklage benannten Umständen nicht vergleichbar
und die obergerichtliche Entscheidung nicht übertragbar.
Unter Beachtung des einschränkenden Merkmales der Menschenwürde und unter
38
39
Unter Beachtung des einschränkenden Merkmales der Menschenwürde und unter
Abwägung der Deutungsmöglichkeiten der von dem Angeschuldigten vermeintlich mit
abgespielten Textzeile ist dem Angeschuldigten mit Hilfe von objektiven Beweismitteln
oder -anzeichen nicht nachzuweisen, daß er durch das vermeintliche Mitabspielen der
streitigen Zeile eine eigene und besonders herabsetzende Mißachtung von Ausländern
kundgetan hat und somit ihre Menschenwürde angegriffen hat.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum