Urteil des AG Potsdam vom 15.03.2017

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Gericht:
AG Potsdam
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
84 Ds 486 Js 6255/05
(766/06)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 222 StGB
Fahrlässige Tötung: Nichterkennen eines Herzhinterwandinfarkts
durch den Bereitschaftsarzt
Tenor
Der Angeklagte wird wegen eines Vergehens der Fahrlässigen Tötung zu einer
Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 100,00 €
kostenpflichtig verurteilt.
Vergehen gemäß § 222 StGB.
Gründe
Der Angeklagte ist verheiratet und als selbständiger Arzt tätig. In seinem Haushalt leben
zwei erwachsene Kinder, die sich noch in der Ausbildung befinden.
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
In der Hauptverhandlung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:
In der Nacht vom 28. zum 29.12.2004 etwa gegen 00.00 Uhr erlitt die Geschädigte in
ihrer Wohnung in der O-Straße 3 einen akuten Herzhinterwandinfarkt, dessen
Symptomatik in Übelkeit, Erbrechen, Durchfall sowie Schmerzen im Rücken, in der
Schulter und im linken Arm bestand.
Der Lebensgefährte der Geschädigten, der Zeuge E, forderte gegen 00.30 Uhr zunächst
über den Notruf und nach der Zurückweisung über den Kassenärztlichen Notdienst einen
Arzt an. Der Angeklagte erschien gegen 00.50 Uhr als Bereitschaftsarzt des
Kassenärztlichen Notdienstes in der Wohnung der Geschädigten. Er diagnostizierte
Brechreiz und Rückenschmerzen und verabreichte der Geschädigten entsprechenden
Medikamente gegen die Schmerzen und den Brechreiz sowie zur Stabilisierung des
Blutdrucks. Dabei erkannte er die lebensgefährliche Erkrankung der Geschädigten nicht,
obwohl er das für einen Herzinfarkt nicht atypische Krankheitsbild hätte erkennen
können und müssen. Zur sofortigen differenzialdiagnostischen Abklärung des
Krankheitsbildes war eine stationäre Einweisung der Geschädigten dringend angezeigt
und es bestand die Pflicht des Angeklagten, der schwerwiegendsten Vermutung
nachzugehen.
Am Morgen des 29.12.2004 in der Zeit zwischen 02.40 Uhr 08.10 Uhr verstarb die
Geschädigte in ihrer Wohnung an den Folgen des erlittenen Herzinfarktes.
Bei adäquatem und pflichtgemäßem Handeln des Angeklagten durch sofortige
Einleitung einer Intensivkardiologischen Therapie hätte mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Lebensverlängerung von mindestens zwei Stunden
erreicht werden können.
Dieser Sachverhalt beruht auf der Einlassung des Angeklagten, den in der
Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, den Darlegungen der Sachverständigen und
der zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Schriftstücke und Urkunden.
Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er von einem Sturz der
Geschädigten ausgegangen sei und sie daraufhin auch behandelt habe. Die Geschädigte
habe über Rückenschmerzen und Übelkeit geklagt und ihm gegenüber geäußert, dass
sie des Öfteren Schmerzen in Nacken- und Beckenwirbelbereich habe und deshalb auch
beim Orthopäden in Behandlung sei. Er habe ihr ein Blutdruckmittel und Kreislauftropfen
gegeben und ein Opiat gegen die Rückenschmerzen. Er habe auch empfohlen, dass sich
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gegeben und ein Opiat gegen die Rückenschmerzen. Er habe auch empfohlen, dass sich
die Geschädigte ins Krankenhaus begeben solle, dies habe sie jedoch abgelehnt.
Insgesamt habe er ein unbehagliches Gefühl gehabt und auch an einen Herzinfarkt
gedacht, jedoch habe er auch im Hinterkopf gehabt, dass die Geschädigte gestürzt sei
und insgesamt einen vitalen Eindruck machte. Er habe nicht mehr daraus machen
wollen, als er vorfand und habe, obwohl er die Leitlinien kenne, nicht mit der
Geschädigten über einen Verdacht eines Herzinfarktes gesprochen.
Am nächsten Morgen habe er bei der Geschädigten angerufen und dabei erfahren, dass
die Geschädigte sich nicht wecken lasse und schon ganz kalt sei.
Der Zeuge E schilderte, dass die Geschädigte etwa gegen 23.30 Uhr des 28.12.2004 in
der Wohnung zusammen gebrochen sei und er daraufhin den Notarzt informiert habe.
Nach Abweisung durch den Notarzt habe er den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst
informiert und der Angeklagte sei daraufhin erschienen. Er habe die Geschädigte
untersucht und ihr Medikamente gegeben. Von einer Krankenhauseinweisung habe er
nichts gehört und auch eine nochmalige Nachfrage des Bereitschaftsarztes sei nicht
vereinbart worden. Insgesamt sei es der Geschädigten recht schlecht gegangen und sie
habe sich kaum bewegen können. Auch sei sie nicht in der Lage gewesen, den linken
Arm zu heben. Gemeinsam mit dem Sohn der Geschädigten habe er diese vom Flur ins
Wohnzimmer getragen und dort auf das Sofa gelegt. Insgesamt sei sie eine sehr
vorsichtige Person gewesen, die sich immer Gedanken um ihre Gesundheit gemacht
habe.
Nach den Darlegungen der Sachverständigen Dr., Dr. R. und Dr. M trat der Tod der
Geschädigten frühestens um 02.40 Uhr des 29.12.2004 und spätestens um 08.10 Uhr
des 29.12.2004 ein. Der wahrscheinlichste Todeszeitpunkt war um 04.25 Uhr und der
Infarkt lag ca. fünf bis sechs Stunden vor dem Todeszeitpunkt. Nach dem Ergebnis der
Begutachtung verstarb die Geschädigte an den Folgen eines akuten
Herzhinterwandinfarktes. Die vorliegende Symptomatik sei für einen solchen Infarkt nicht
atypisch gewesen und hätte unter dem Verdacht eines akuten Myokardinfarktes zur
sofortigen stationären Einweisung und differenzialdiagnostischen Abklärung führen
müssen. Unter Berücksichtigung des frühestmöglichen Todeszeitpunktes 02.40 Uhr
wären somit noch zu Lebzeiten der Geschädigten die Noteinweisung und der
Therapiebeginn möglich gewesen und mit schnellstmöglicher interventioneller Therapie
mittels Herzkatheter, Gefäßerweiterung und Einlegung eines Metallgefäßgeflechts wäre
das Leben der Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um
mindestens zwei Stunden zu verlängern gewesen. Die fehlende differenzialdiagnostische
Abklärung des Krankheitsbildes sei als Pflichtverletzung zu werten. Es habe eine
Situation einer schweren Beeinträchtigung vorgelegen und die Abfolge der Diagnostik,
nämlich vom schwersten Syndrom zuerst auszugehen, sei nicht eingehalten worden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich der Angeklagte somit eines
Vergehens der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB schuldig gemacht und war daher
strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Bei der konkreten Strafzumessung waren alle für und gegen den Angeklagten
sprechenden Umstände zu berücksichtigen.
Zu Gunsten des Angeklagten sprach, dass er sich zumindest teilweise geständig
eingelassen hat.
Nach Abwägung aller Umstände hielt das Gericht innerhalb des Strafrahmens von
Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren eine Geldstrafe in Höhe von 60
Tagessätzen zu je 100,00 € für tat- und schuldangemessen. Die Höhe des einzelnen
Tagessatzes entspricht den geschätzten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
des Angeklagten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.
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