Urteil des AG Plettenberg vom 16.10.2009

AG Plettenberg (treu und glauben, allgemeine bedingungen, form, beweisaufnahme, zpo, gefahr, haus, nav, netz, schaden)

Amtsgericht Plettenberg, 1 C 455 - 457/08, 1 C 106/09
Datum:
16.10.2009
Gericht:
Amtsgericht Plettenberg
Spruchkörper:
1. Zivilabteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Grundurteil
Aktenzeichen:
1 C 455 - 457/08, 1 C 106/09
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht, Stromnetz
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, 242; NAV § 28
Tenor:
1.
Die Klageanträge sind dem Grunde nach gerechtfertigt.
2.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3.
Der Streitwert wird auf bis zu 1.200,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
1
Die Beklagte ist Netzbetreiberin im Sinne der Verordnung über Allgemeine
Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung
in Niederspannung (NAV) betreffend das streitgegenständliche Stromnetz in Plettenberg
im Bereich der Dorfstraße, dessen Anschlussnutzer die Klägerseite ist.
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Am 10.08.2007 kam es im vorgenannten Bereich zu einer Versorgungsstörung im
Stromleitungsnetz in der Form, dass durch eine Materialermüdung im Muffenbereich
eine Überspannung nachfolgend im Hausnetz der Klägerin hervorgerufen wurde. Die
Muffen werden durch die Beklagte in deren Netz nicht regelmäßig kontrolliert, nur bei
Auftreten von Störungen erfolgt eine Kontrolle bzw. eine Reparatur/Austausch.
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Die Klägerseite behauptet, dass aufgrund dieser Überspannung zahlreiche im Haus
befindliche Elektrogeräte zerstört bzw. beschädigt worden seien, wobei viele von diesen
Geräten überhaupt nicht im Betrieb waren, sondern sich lediglich der Stecker in der
Steckdose befand.
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Die Klägerseite meint ferner, dass vorgenannte Muffen, als Verschleißteile in
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regelmäßigen Abständen kontrolliert werden müssen, insoweit sei der Beklagten ein
Fahrlässigkeitsschuldvorwurf zu machen, der dem Grunde nach eine
Schadensersatzpflicht begründe.
Im Übrigen beruft sich die Klägerin auf eine Zusicherung/Regulierungsversprechen des
Zeugen und Mitarbeiters der Beklagten
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entstandene Schaden seitens der Beklagten reguliert werde, man werde sich schon
einig.
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Unter Bezifferung der Sach- und Folgeschäden beantragt die Klägerin
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1.
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die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 841,72 € nebst Zinsen von
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5 % über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2007 zu zahlen.
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2.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, nach Durchführung der
Reparaturarbeiten gemäß Kostenvoranschlag der Firma
xxx
Umsatzsteuerbetrag von 159,93 € an die Klägerin zu zahlen.
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3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von ihren außergerichtlichen
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 155,30 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet die klägerischen Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach umfänglich.
Sie meint unter Verkehrssicherungsgesichtspunkten, dass ihr kein Vorwurf dahingehend
zu machen sei, dass die Muffen nicht regelmäßig kontrolliert werden. Dies sei zum
einen nach den Regeln der Technik nicht erforderlich, ferner auch nach Art und Umfang
unverhältnismäßig, kaum möglich und wirtschaftlich unvertretbar. Äußerungen des
Zeugen
xxx
Übrigen zu unbestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und
die Erörterungen in den mündlichen Verhandlungen voll inhaltlich verwiesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 05.09.2008 (vgl. Bl. 83
ff. d. A.) durch Vernehmung zahlreicher Zeugen.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird voll inhaltlich auf das Protokoll vom
23.01.2009 (vgl. Bl. 102 ff. d. A.) verwiesen.
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Schriftsätze vermochten im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO bis zum
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Schriftsätze vermochten im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO bis zum
18.09.2009 bei Gericht eingereicht werden.
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Entscheidungsgründe:
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Die sachlich und örtlich gemäß § 28 NAV zulässige Klage hat dem Grunde nach in der
Sache umfänglich Erfolg.
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Ein Grundurteil ist gemäß § 304 Abs. 1 ZPO im Sinne der Prozessökonomie angezeigt.
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Die Klägerseite hat gegenüber der Beklagten dem Grunde nach betreffend die
Geschehnisse im Stromleitungsnetz am 10.08.2007 in der Dorfstraße in Plettenberg
einen Schadensersatzanspruch.
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Auf vertraglicher Basis steht der Klägerseite der Anspruch nicht zu, da zum einen keine
direkte einzelvertragliche Verbindung zwischen den Parteien von der Klägerseite
schlüssig und substantiiert dargelegt ist. Im Übrigen ist Stromlieferant und
Vertragspartner im Weiteren xxx. Ferner sind die Erklärungen des Zeugen
xxx
nach umfänglicher Beweisaufnahme zur Überzeugung (§ 286 ZPO) des Gerichts
feststehenden Inhalts in der Form bei gleichzeitiger Übergabe der Visitenkarte "das man
sich da keine Sorgen machen solle, man werde sich da schon einig werden",
unabhängig von den Fragen der Vertretungsmacht und des Rechtsbindungswillens, zu
unbestimmt und ergebnisoffen, als das dadurch eine schuldrechtliche Verpflichtung
eigener Art oder gemäß §§ 780, 781 BGB begründet werden könnte.
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Anders verhält es sich jedoch im nichtvertraglichen Bereich. Der Klägerseite stehen aus
unerlaubter Handlung dem Grunde nach Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB gegenüber
der Beklagten zu, soweit die Beklagte widerrechtlich und haftungsbegründend kausal
Eigentumspositionen der Klägerseite verletzt hat. Dies steht in objektiver
Tatbestandshinsicht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der umfänglichen
Beweisaufnahme, wonach die Zeugen der Klägerseite detailreich und glaubhaft
einheitlich das Schadensbild in Form eines Überspannungsschadens gleichzeitig in
mehreren Häusern auf der Dorfstraße beschrieben haben und auch insbesondere der
Zeuge
xxx
Betroffenen Schäden im Haus bzw. an den Geräten durch die Nullleiter-
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Unterbrechung aufgrund des Muffenschadens entstanden sind.
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Der Beklagten ist insoweit in subjektiver Tatbestandshinsicht ein Fahrlässigkeitsschuld-
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vorwurf gemäß § 276 Abs. 2 BGB zu machen, soweit Verkehrssicherungspflichten bei
dem Betrieb des streitgegenständlichen Stromnetzes uneingeschränkt und nicht nur
leicht fahrlässig verletzt worden sind, namentlich Informations- bzw. Hinweispflichten.
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Denn grundsätzlich gilt (vgl. Palandt, BGB, § 823 RN 46), dass derjenige, der in seinem
Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft oder andauern lässt, eben
auf die Gefährdung Rücksicht zu nehmen hat und deshalb die allgemeine Rechtspflicht
besteht, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um
die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern.
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Das Stromnetz der Beklagten birgt erhebliche Gefahren für Körper- und Sachschäden
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Dritter. Bezüglich des mit dem Stromnetz verbundenen Risikos eines Muffenschadens in
Form von Materialermüdung und einhergehender Überspannung im Netz mit der Gefahr
nicht unerheblicher Folgen für das Hausnetz der Anschlussnutzer, ist die Beklagte
praktisch gänzlich untätig geblieben.
Nach umfänglicher Beweisaufnahme, insbesondere der ergiebigen Aussage des
Zeugen
xxx
Beklagten keine regelmäßigen Zeiträume gibt, in denen die Muffen kontrolliert werden.
Die Beklagte wird erst bei Bedarf anlassbezogen, d. h., nur bei eingetretenem
Schaden/Störung, tätig. Sie betreibt keine Vorsorge, sondern nur eine Nachsorge.
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Für die Entscheidung des hiesigen Rechtsstreits kann es letztlich jedoch offen bleiben,
ob es der Beklagten zumutbar und auch technisch erforderlich ist, regelmäßig die
Muffen im Erdbereich vollständig oder zumindest stichprobenartig zu überprüfen, denn
die Beklagte hat es nämlich streitentscheidend unterlassen, was ihr ohne Probleme
zumutbar und möglich gewesen wäre, den Anschlussnutzer in aller Deutlichkeit konkret
darauf hinzuweisen, dass das Netz der Beklagten in Ansehung der Leitungsverlegung,
insbesondere bezogen auf die Kabelverbindungen im Muffenbereich, nicht regelmäßig
beklagtenseits kontrolliert wird und stets die latente Gefahr einer Versorgungsstörung
unter anderem in Form von Überspannungszuständen besteht, die auch in das
Hausnetz übertragen werden können, mithin der Anschlussnutzer einer erheblichen
Gefahr ausgesetzt ist. Insofern ist der Beklagten ein Pflichtenverstoß vorzuwerfen. Denn
nur mit einem solchen Hinweis ( z.B. durch Versand eines Gefahrenblattes an die
Anschlussnutzer, Anbringung von entsprechenden Aufklebern im Bereich der
Übergabepunkte vom Hauptnetz zum Hausnetz, oder sonstige Informationen) ist der
Anschlussnutzer zum einen gewarnt und zum anderen in der Lage, das eigene Risiko
für sich sachgerecht anhand seiner Personen- und Vermögenswerte einzuschätzen und
erforderlichenfalls eigene Sicherungsmaßnahmen im Hausnetz in Form geeigneter
Absicherungen oder allpoliger Netztrennung wertvoller Elektrogeräte außerhalb des
Betriebs vorzunehmen. Dies ist das Versäumnis der Beklagten.
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Vorliegend ist der Klägerseite, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, jegliche
Einflussmöglichkeit, den Schadenfall in irgendeiner Form zu verhindern genommen
worden, soweit die Beklagte ihr überlegenes Wissen über die Gefahrenlage, aus
welchen Gründen auch immer, nicht offenbart hat. Bei einer solchen Konstellation ist es
schließlich auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) angezeigt,
dass der Klägerseite ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach zusteht.
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Haftungsausfüllende Kausalität und etwaige Schadenshöhen bleiben dem
Betragsverfahren vorbehalten.
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Das Grundurteil ist nicht vollstreckbar, die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil
im Betragsverfahren vorbehalten.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 3 ZPO, 48 GKG und orientiert sich an dem
Sachwert der Klageanträge.
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