Urteil des AG Nürtingen vom 25.10.2010

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AG Nürtingen Urteil vom 25.10.2010, 13 Ds 86 Js 67074/10
Erschleichen von Leistungen bei nicht vorgelegtem Nachweis einer betstehenden Vergünstigung
Leitsätze
Ein Fahrgast, der einen vergünstigten, bezahlten Fahrausweis ohne den Berechtigungsnachweis für die bestehende Vergünstigung mit sich führt,
macht sich nicht der Erschleichung von Leistungen schuldig.
Tenor
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Gründe
I.
1
Der Angeklagte wurde am … 1962 in L geboren. Nach Hauptschule und Lehre zum Einzelhandelskaufmann war der Angeklagte einige Zeit in
diesem Beruf tätig. Zur Zeit ist er bei einem Unternehmen beschäftigt, das Inventuren (für andere Unternehmen) durchführt. Der Angeklagte
verdient zuzüglich einer variablen Aufstockung durch die ARGE Jobcenter E zwischen EUR 900,-- bis 1000,-- monatlich. Zudem erhält der
Angeklagte über eine sogenannte Bonuskarte, die ihn berechtigt, verbilligt Fahrscheine (Monatskarten) zu erwerben.
II.
2
Dem Angeklagten wurde mit Anklage vom 13.08.2010 vorgeworfen, er sei am 21.03.2009 und am 20.05.2010 jeweils in einem Bus der Linie 74
der S AG angetroffen worden, ohne jeweils im Besitz eines gültigen Fahrausweises gewesen zu sein. Der Angeklagte habe in beiden Fällen bei
Fahrtantritt vorgehabt, den Fahrpreis nicht zu entrichten.
III.
3
Der Angeklagte war bei der Kontrolle am 21.03.2009 und 20.05.2010 jeweils im Besitz eines gültigen, bezahlten Fahrausweises, nämlich einer
nicht übertragbaren Monatskarte (Verbundpass). Nur die erforderliche Bonuskarte, die als Nachweis der Berechtigung nach den
Geschäftsbedingungen der S AG vorzulegen ist, hatte der Angeklagte nicht dabei, wobei er sich möglicherweise auf eine entsprechende, wohl
unrichtige Auskunft des Landkreises E verließ. Der Angeklagte war bei der Kontrolle jeweils kooperativ. Das erhöhte Beförderungsentgelt
bezahlte er – auch später – nicht, die Bonuscard legte er innerhalb der ihm eingeräumten Frist von 5 Tagen nachträglich nicht vor.
IV.
4
Der Angeklagte hat sich wie unter III. dargestellt auch eingelassen. Er hat die Original-Bonuscard sowie den Originalfahrschein vom 20.05.2010
vorgelegt. Diese Dokumente wurden in Augenschein genommen und auszugsweise verlesen. Die Einlassung des Angeklagten wurden durch
die Zeugen S und R, den jeweils kontrollierenden Mitarbeitern der S AG, bestätigt, die zudem die sog. EBE-Mitteilung (Erhöhtes
Beförderungsentgelt) vorlegten – die bis dahin nicht zur Akte gelangt waren. Hieraus ergab sich, dass der Angeklagte jeweils einen bezahlten
Fahrschein mit sich führte und vorlegte, als er kontrolliert wurde.
V.
5
Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
6
Eine Erschleichung der Leistung nach § 265a Abs. 1 StGB liegt nicht vor, wenn der Täter den Fahrpreis bezahlt hat, auch wenn er bei der Fahrt
bzw. der Kontrolle nicht in der Lage ist, dies durch Vorlage eines Berechtigungsausweises zu beweisen (vgl. Fischer StGB, 57. Aufl., § 265a
Randnr. 9).
7
Offen bleiben kann, dass in der Strafanzeige der S AG missverständlich nur angegeben wurde, der Angeklagte sei „ohne gültigen Fahrausweis“
gefahren, wenn zugleich in den nicht mit vorgelegten EBE-Mitteilungen das Gegenteil festgehalten wurde.
8
Der Umstand, dass der Angeklagte unter Verstoß gegen die AGB der S AG und damit vertragswidrig den Berechtigungsnachweis (Bonuscard)
nicht mit sich führte, ändert nichts an dem Umstand, dass der Angeklagte die Fahrt tatsächlich bezahlt hatte.
9
Sollte die Anzeige der S AG nur als Sanktion gegen den Angeklagten wegen der Nichtzahlung der Bearbeitungsgebühr – eines ausschließlich
zivilrechtlichen Vorgangs – erstattet worden sein, kann das jedenfalls nicht akzeptiert werden.
V.
10 Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last, § 467 StPO.