Urteil des AG Neuss vom 17.06.1994

AG Neuss (tatsächliche sachherrschaft, höhe, kläger, willenserklärung, betrag, mieter, einheit, fälligkeit, zugang, verfügungsgewalt)

Amtsgericht Neuss, 36 C 85/93
Datum:
17.06.1994
Gericht:
Amtsgericht Neuss
Spruchkörper:
durch den Richter am Amtsgericht
Entscheidungsart:
Schlussurteil
Aktenzeichen:
36 C 85/93
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.147,38 DM nebst 4
% Zinsen seit dem 13.07.1993 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/13, der Beklagte zu
10/13.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
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Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
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Die Klage ist in Höhe von weiteren 1.147,38 DM begründet, in Höhe von 77,59 DM (auf
den Beklagten entfallende anteilige Kosten der Anmietung der elektronischen
Heizkostenverteiler) ist sie nicht begründet.
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Dem Kläger steht gegen den Beklagten gem. § 535 Satz 2 BGB ein Anspruch auf
Zahlung restlicher Betriebskosten für den Abrechnungszeitraum 1992 in Höhe von
1.147,38 DM zu.
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die Betriebskostenabrechnung des Klägers vom 17.05.1993 ist unter Beachtung der
Rechtsprechung des BGB (NJW 1982, 573) formell ordnungsgemäß. Sie enthält i.S. des
§ 259 BGB eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben und
versetzt den Beklagten in die Lage, den Anspruch des Klägers – ggfls. unter
Zuhilfenahme eines Taschenrechners – nachzuprüfen.
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Der von dem Kläger erläuterte und unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen des
Beklagten errechnete Nachzahlungsbetrag von 1.224,97 DM ist jedoch um 77,59 DM zu
kürzen. Mit dem Beklagten ist davon auszugehen, dass der Kläger nicht berechtigt ist,
die Kosten der Anmietung der elektronischen Heizkostenverteiler in Höhe von
insgesamt 3.509,83 DM in die Heizkostenabrechnung zu Lasten der Mieter
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einzubeziehen. Die Umlage dieser Kosten setzt gemäß § 4 Abs. 2 HKV voraus, dass
der Vermieter den Nutzern seine Absicht, die Ausstattung zur Verbrauchserfassung
anzumieten, vorab unter Angabe der dadurch entstehenden Kosten mitteilt. Unterlässt
der Vermieter diese Mitteilung, für die eine besondere Form nicht vorgeschrieben ist, ist
die Abwälzung der Anmietungskosten auf die Nutzer nicht zulässig (vgl. Geldmacher,
Vereinbarung und Abrechnung von Nebenkosten im preisfreien Wohnraum, 1988, S. 20;
Kinne, Heizung und Heizkostenabrechnung, 2. Aufl. 1991, S. 110).
Der Kläger hat nicht dargelegt, das Nutzerbeteiligungsverfahren nach § 4 Abs. 2 HKV
eingehalten zu haben. Seine Informationspflicht hat der Kläger nicht bereits durch den
allgemein an die Nutzer der betroffenen Wohnungseigentumsanlage adressierten
Aushang der Techem Bezirksvertretung im Bereich der Hausbriefkästen erfüllt. Bei der
Mitteilung des Vermieters nach § 4 Abs. 2 HKV handelt es sich um eine einseitige
empfangsbedürftige Willenserklärung, die – wenn sie nicht in Anwesenheit des Nutzers
abgegeben wird – diesem gegenüber erst zu dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem
sie ihm zugeht, § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Zugang einer schriftlichen
Willenserklärung – wie sie hier mit dem Aushang im Bereich der Hausbriefkästen
vorliegt – ist nach der Rechtsprechung des BGH bewirkt, sobald sie in verkehrsüblicher
Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen
unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des
Schreibens Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH NJW 1993, 1093; NJW 1983, 929; NJW
1977, 194). Die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers ist – soweit keine
anderweitigen Absprachen bestehen – regelmäßig erst dann begründet, wenn die
Willenserklärung die von dem Adressaten allgemein oder für einen bestimmten
Einzelfall vorgehaltenen Empfangsvorrichtungen (z.B. Briefkasten des Empfängers)
erreicht (Erman-Brox, BGB, 9. Aufl., § 130, RdNr. 6; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB,
S. 308; Staudinger-Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 130, RdNr. 25). Erst wenn die schriftliche
Willenserklärung dergestalt in den räumlichen Machtbereich des Empfängers gelangt
ist, ist es gerechtfertigt, das Übermittlungsrisiko vom Absender auf den Empfänger zu
verlagern und das Vertrauen des Absenders auf den Zugang seiner Willenserklärung zu
schützen.
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Unter Beachtung dieser Grundsätze ist dem Beklagten und den übrigen Nutzern des
Hauses die in dem Aushang enthaltene Mitteilung über die beabsichtigte Anmietung der
elektronischen Heizkostenverteiler nicht i.S. des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen,
denn weder der Hausflur noch der Bereich der Hausbriefkästen unterliegen der
tatsächlichen Verfügungsgewalt der Mieter. Gemeinschaftliche Einrichtungen und
Gebäudeteile, die nicht – wie die Mieträume – dem Mieter zur alleinigen Nutzung
zugewiesen sind, bleiben auch nach der Vermietung im alleinigen Besitz des
Vermieters. Allein dieser übt die tatsächliche Sachherrschaft aus. Der Mieter hat nach
allgemeiner Meinung lediglich ein Mitbenutzungsrecht, aber keinen Mitbesitz (vgl.
Münchener Kommentar-Voelskow, BGB, 2. Aufl., §§ 535, 536, RdNr. 44; Sternel,
Mietrecht, 3. Aufl., II 3). Er ist nicht nur mit Blick auf die Vielzahl der Mitnutzer auch nach
der Verkehrsanschauung nicht in der Lage im Eingangsbereich des Hauses – von der
Anbringung des üblichen Hausbriefkastens abgesehen – i.S. des Zugangsbegriffs einen
räumlichen Herrschaftsbereich zu begründen. Angesichts der fehlenden
Beherrschungsmöglichkeiten der Mieter darf der Vermieter auf den Zugang einer mittels
Aushang im Hausflur abgegebenen Willenserklärung redlicherweise weder vertrauen,
noch eine Reaktion hierauf erwarten.
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Sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 HKV danach nicht erfüllt, scheidet eine
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Umlage der Anmietungskosten für die bereits abgelaufene Heizungsperiode 1992 aus.
Der unzutreffende Ansatz der Anmietungskosten in der Heizkostenabrechnung, berührt
die Fälligkeit der Gesamtabrechnung im übrigen nicht, so dass es entgegen der
Auffassung des Beklagten auch nicht wegen dieses Umstandes gerechtfertigt ist, die
Klage mangels Fälligkeit der Betriebskostennachforderung als zur Zeit unbegründet
abzuweisen. Ist die Betriebskostenabrechnung – wie hier – gedanklich und rechnerisch
nachvollziehbar, so dass der Beklagte in die Lage versetzt ist, den Anspruch des
Klägers nachzuprüfen, so ändern auch einzelne Abrechnungsposten, die strittig und
möglicherweise ganz oder teilweise ungerechtfertigt sind, jedenfalls dann nichts an der
Fälligkeit der Gesamtrechnung im übrigen, wenn sie aus der formal ordnungsgemäßen
Abrechnung unschwer herausgerechnet werden können (vgl. BGH ZMR 1990, 97, 99).
Dies ist hier unter Zuhilfenahme eines Taschenrechners ohne weiteres möglich.
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Werden die Anmietungskosten in Höhe von 3.509,83 DM von den ausgewiesenen
Gesamtkosten von 54.277,27 DM abgezogen, so verbleiben Gesamtkosten in Höhe von
50.767,44 DM. Aufgrund dieser geänderten Gesamtkosten ergeben sich bei der
Verteilung zu 50 % nach Grundkosten und zu 50 % nach Verbrauchskosten auf den
Beklagten folgende geänderte Werte:
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a)
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Grundkosten statt 8,159130434 DM je Einheit ein Betrag von 7,6315161 DM je Einheit x
69 = 526,57 DM
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b)
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Verbrauchskosten statt 0,102371633 Betrag je Einheit 0,0957517 Betrag je Einheit x
6236 Nutzereinheiten = 597,11 DM
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c)
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Anstelle der ausgewiesenen Heizkosten von 1.201,37 DM verbleibt zu Lasten des
Beklagten ein Betrag von 1.123,68 DM, zuzüglich der weiteren Wasserkosten von
182,96 DM und 72,90 DM. Damit reduziert sich die Heizkostenabrechnung von
insgesamt 1.457,23 DM auf einen Betrag von 1.379,54 DM. In Höhe von 77,69 DM ist
die Klage danach nicht begründet. Unter Berücksichtigung der übrigen Betriebskosten
und nach Abzug der Vorauszahlungen des Beklagten verbleibt zugunsten des Klägers
der im Tenor ausgewiesene Betrag.
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Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 284, 285, 288 BGB.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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