Urteil des AG Nauen vom 19.12.2006

AG Nauen: verwaltungsbehörde, auflage, verwaltungsverfahren, ermittlungsverfahren, einspruch, post, strafverfahren, tatverdacht, vertretung, sammlung

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Gericht:
AG Nauen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
34 OWi 481 Js
20950/05 (430/05)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 7002 RVG,
§ 15 RVG
Verteidigerkosten im Bußgeldverfahren: Verfahren vor der
Verwaltungsbehörde und gerichtliches Verfahren als
verschiedene Angelegenheiten
Tenor
Auf die Erinnerung des Verteidigers vom 21.12.2006 gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Nauen vom 19.12.2006 wird dieser Beschluss dahingehend abgeändert,
dass eine weitere Auslagenpauschale in Höhe von 23,20 Euro festgesetzt wird.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen trägt die Kosten der
Erinnerung die Staatskasse.
Gründe
Der Erinnerungsführer hat den Betroffenen in einem Bußgeldverfahren vor der
Verwaltungsbehörde und in dem sich daran anschließenden Verfahren vor dem
Amtsgericht vertreten.
Nach Abschluss des Bußgeldverfahrens mit Beschluss vom 12.12.2005 beantragte der
Erinnerungsführer mit Schreiben vom 19.12.2005 die Festsetzung von Gebühren und
Auslagen. Daraufhin erließ das Amtsgericht Nauen am 17.03.2006 einen Beschluss, mit
dem die aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen des Betroffenen
auf 458,78 Euro festgesetzt wurden. Mit der Festsetzung wurde eine Pauschale für
Telekommunikationsdienstleistungen anerkannt.
Mit Schreiben vom 20.09.2006 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung einer
weiteren Post- und Telekommunikationspauschale zuzüglich der Umsatzsteuer in Höhe
von insgesamt von 23,20 Euro. Zur Begründung wies er darauf hin, dass in
Bußgeldsachen das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das anschließende
gerichtliche Verfahren jeweils eine eigene Angelegenheit im Sinne der §§ 15 ff RVG
darstellten.
Diesen Antrag wies das Amtsgericht Nauen mit Beschluss vom 19.12.2006 mit der
Begründung zurück, dass das Bußgeldverfahren wie das Verfahren in Strafsachen im
Hinblick auf das dem gerichtlichen Verfahren vorangehende Verfahren
(Ermittlungsverfahren in Strafsachen bzw. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde in
Bußgeldachen) gebührenrechtlich als eine Angelegenheit zu betrachten sei.
Gegen diesen Beschluss vom 19.12.2006, der ihm am 20.12.2006 zugestellt wurde,
legte der Erinnerungsführer mit Schreiben vom 21.12.2006, das am selben Tag beim AG
Nauen einging, sofortige Erinnerung ein.
Die sofortige Erinnerung ist zulässig, sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden.
Die sofortige Erinnerung ist gemäß § 11 Abs. 2 RPflG statthaft, denn gegen die
Entscheidung des Rechtspflegers ist im vorliegenden Fall nach den allgemeinen
verfahrensrechtlichen Vorschriften kein Rechtsmittel gegeben, § 11 Abs. 1 RPflG. Die
grundsätzlich § 104 Abs. 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist im vorliegenden Fall
nicht gegeben, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro
nicht, § 567 Abs. 2 ZPO.
Die sofortige Erinnerung hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht Nauen hat die
Festsetzung einer weiteren Post- und Telekommunikationspauschale zzgl. der darauf
entfallenden Umsatzsteuer zu Unrecht zurückgewiesen.
Dem Erinnerungsführer steht die Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002
Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG) für das Verfahren vor der
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Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG) für das Verfahren vor der
Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren in Bußgeldachen jeweils einmal zu.
In der amtlichen Anmerkung zum Gebührentatbestand der Nr. 7002 VV heißt es:
"Die Pauschale kann in jeder Angelegenheit an Stelle der tatsächlichen
Auslagen nach 7001 gefordert werden."
Bei dem bußgeldrechtlichen Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem
anschließenden Verfahren vor dem Amtsgericht handelt es sich um zwei Angelegenheit
im Sinne des RVG, so dass die Auslagenpauschale zweimal anfällt, wenn der Verteidiger
sowohl im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde als auch im gerichtlichen Verfahren
tätig wird.
Der Begriff der Angelegenheit ist im RVG nicht legal definiert. Die §§ 16 und 17 RVG
enthalten Aufzählungen von Tätigkeiten die entweder zu einer Angelegenheit
zusammengefasst sind (§ 16 RVG) bzw. die von Gesetzes wegen verschiedene
Angelegenheiten darstellen (§ 17 RVG).
Das bußgeldrechtliche Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das sich danach
anschließende Verfahren vor dem Amtsgericht ist weder in dem einen noch in dem
anderen Sinne in diesen Aufzählungen erwähnt. Für die Bewertung des
bußgeldrechtlichen Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde und des sich ggf.
anschließenden Verfahrens vor den Amtsgerichten als zwei verschiedene
Angelegenheiten sprechen folgende Gesichtspunkte:
a)
Zum einem sind diese Verfahren im Vergütungsverzeichnis zum RVG getrennt. Teil 5
des Vergütungsverzeichnisses regelt die Vergütung in Bußgeldsachen. Der zweite
Unterabschnitt regelt das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde, während der dritte
Unterabschnitt das Verfahren vor dem Amtsgericht zum Gegenstand hat. Diese
systematische Trennung lässt darauf schließen, dass es sich um zwei verschiedene
Angelegenheiten handelte.
b)
§ 17 Nr. 1 RVG regelt unter anderem, dass jeweils das Verwaltungsverfahren und das
einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende der Nachprüfung der Verwaltungsakts
dienende weitere Verwaltungsverfahren (Vorverfahren, Einspruchsverfahren,
Beschwerdeverfahren, Abhilfeverfahren) das Verfahren über einstweilige Maßnahmen
und das gerichtliche Verfahren jeweils verschiedene Angelegenheiten sind.
Diese Vorschrift gilt zwar nicht direkt für das Bußgeldverfahren (Müller-Rabe, in
Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Auflage, Rn. 7 zu § 17). Es ist
jedoch kein sachlicher Grund erkennbar, der eine davon abweichende Behandlung des
dem amtsgerichtlichen Bußgeldverfahren vorangehenden Verfahrens vor der
Verwaltungsbehörde zu rechtfertigen vermag.
Das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde dient der Prüfung durch die Verwaltung
dahingehend, ob ein Bußgeldtatbestand erfüllt ist und entsprechend ein
Bußgeldbescheid erlassen wird, § 35 OWiG. Die Verwaltungsbehörde ist für die
Verfolgung und die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten vorrangig zuständig. Dies
umfasst auch die selbständige und eigenverantwortliche Ermittlungstätigkeit und die
Befugnis, die einem Betroffenen zur Last gelegte Handlung zu beurteilen (König, in
Göhler, OWiG, 14. Auflage, Rn. 4 und 10 zu § 35).
Im Zwischenverfahren nach Einspruch prüft die Behörde dessen Zulässigkeit und hat –
bei zulässigem Einspruch – die Möglichkeit den Bußgeldbescheid zurückzunehmen, § 69
OWiG. Diese Regelung dient dazu zu vermeiden, dass das Gericht und die
Staatsanwaltschaft mit Sachen befasst werden, in denen es zu keiner Sachentscheidung
kommen kann bzw. der Sachverhalt für eine gerichtliche Entscheidung nicht hinreichend
geklärt ist (Seitz, in Göhler, OWiG, 14. Auflage, Rn. 1 zu § 69).
Vor dem Hintergrund des insoweit übereinstimmenden Zweckes des dem gerichtlichen
Verfahren vorausgehenden Verwaltungsverfahren, ist auch hier von verschiedenen
Angelegenheiten auszugehen.
c)
Der Zweck des bußgeldrechtlichen Verwaltungsverfahrens unterscheidet sich von dem
des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Verhältnis zum Strafverfahren. Dem
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des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Verhältnis zum Strafverfahren. Dem
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist es immanent, dass – wenn ein ausreichender
Tatverdacht gegeben ist – Anklage erhoben und ein gerichtliches Verfahren durchgeführt
werden soll. Es dient gerade nicht der abschließenden Entscheidung in der Sache ohne
Entscheidung des Gerichts und ist daher nach wohl überwiegender Ansicht als eine
Angelegenheit zu bewerten (Müller-Rabe, in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-
Rabe, RVG, 17. Auflage, Rn. 79 zu § 17).
Dieses Argument lässt sich indes gerade nicht auf das Verwaltungsverfahren und das
sich daran anschließende gerichtliche Bußgeldverfahren übertragen (so jedoch Müller-
Rabe, a. a. O., Rn. 60 zu § 17). Anders als das strafrechtliche Ermittlungsverfahren dient
das bußgeldrechtliche Verwaltungsverfahren ja gerade dazu, die Angelegenheit
abschließend und ohne gerichtliche Hilfe zu klären.
Die Möglichkeit Rechtschutz auch vor den Amtsgerichten zu suchen ist – genau wie in
den anderen in § 17 Nr. 1 RVG aufgezählten Fällen – gegeben. Sie dient jedoch nicht
dem Abschluss des Bußgeldverfahrens, sondern stellt eine, dem Verwaltungsverfahren
nachfolgende Rechtsschutzmöglichkeit dar.
d)
Die Argumentation, dass die bußgeldrechtliche Verfahren vor der Verwaltungsbehörde
und jenes vor dem Amtsgericht als eine Angelegenheit zu bewerten sein, da diese in §
17 RVG nicht aufgezählt sind, ist nicht zwingend, denn die abschließende Aufzählung
betrifft Fälle, in denen es ohne diese Vorschrift zumindest zweifelhaft wäre, ob sie
verschiedene Angelegenheiten darstellen (Müller/Rabe in Gerold/von
Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Auflage, Rn. 1 zu § 17 RVG). Die Nichtnennung des
bußgeldrechtlichen Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Amtsgericht
als verschiedene Angelegenheiten kann darauf zurückzuführen sein, dass dies vom
Gesetzgeber als nicht zweifelhaft betrachtet worden ist.
e)
Im Ergebnis kann der Erinnerungsführer sowohl für die Vertretung des Betroffenen im
gerichtlichen Verfahren als auch im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde die
Telekommunikationspauschale verlangen (so auch Madert, in Gerold/Schmidt/von
Eicken/von Madert/Müller-Rabe, RVG 17. Auflage, Rn. 7 zu VV 5115, 5116).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 11 Abs. 4 RPflG, 91 ZPO.
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