Urteil des AG Münster vom 06.10.2008

AG Münster: gebühr, überwiegendes interesse, vergleich, angemessenheit, aufwand, anonymisierung, veröffentlichung, religionsgemeinschaft, behörde, abgabenrecht

Amtsgericht Münster, 56-28.27
Datum:
06.10.2008
Gericht:
Amtsgericht Münster
Spruchkörper:
Verwaltungsabteilung
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
56-28.27
Tenor:
Die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Festsetzung der
Kosten gemäß Kostenrechnungen der Oberjustizkasse I vom
- 07.09.2007, Kassenzeichen 70021268 620 1
- 25.10.2007, Kassenzeichen 70023191 630 8
- 04.12.2007, Kassenzeichen 70022614 620 3 und
- 20.12.2007, Kassenzeichen 70022789 620 9
werden zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht
erstattet.
Gründe:
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I.
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Mit Kostenrechnungen vom 07.09., 04.12. und 20.12.2007 berechnete die
Oberjustizkasse I der Antragstellerin, die als Fachverlag juristische Fachzeitschriften
herausgibt, zu den im Tenor aufgeführten Kassenzeichen je 12,50 € für die
Übersendung von Entscheidungsabschriften des Finanzgerichts N als elektronisch
gespeicherte Daten. Mit Rechnung vom 25.10.2007 wurden Kosten in gleicher Höhe für
die Überlassung einer Entscheidungsabschrift des Finanzgerichts L2 berechnet.
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Mit Schreiben vom 07.01.2008 wendet sich die Antragstellerin gegen die vorgenannten
Kostenrechnungen. Sie beanstandet die Höhe der für die Überlassung der
Entscheidungen in Rechnung gestellten Kosten von jeweils 12,50 € und sieht in der
landesgesetzlichen Regelung zur Gebührenhöhe einen Verstoß gegen Art. 6 der
Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.11.2003
sowie gegen das im Abgabenrecht herrschende Äquivalenzprinzip. Ferner ist die
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Antragstellerin der Ansicht, dass ausnahmsweise von einer Gebührenerhebung
Abstand zu nehmen sei, da die Veröffentlichung von Entscheidungen in
Fachzeitschriften überwiegend im öffentlichen Interesse liege.
II.
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Das angerufene Gericht ist lediglich zur Entscheidung über die Einwendungen der
Antragstellerin gegen die Kostenrechnungen vom 07.09., 04.12. und 20.12.2007
betreffend die Überlassung von Entscheidungsabschriften des Finanzgerichts N
sachlich und örtlich zuständig. Dagegen ist das Amtsgericht N für die Einwendungen
der Antragstellerin gegen die Kostenrechnung vom 25.10.2007 betreffend die
Überlassung von Entscheidungsabschriften des Finanzgerichts L2 örtlich nicht
zuständig. Gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 JVKostO entscheidet über Einwendungen gegen die
Festsetzung und den Ansatz von Kosten das Amtsgericht, in dessen Bezirk die, die
Kosten erhebende Behörde ihren Sitz hat. Diese Voraussetzungen liegen lediglich
hinsichtlich der vom Finanzgericht N, nicht jedoch hinsichtlich der vom Finanzgericht L2
erhobenen Kosten vor, so dass sich die Prüfung der materiell-rechtlichen Berechtigung
der Höhe der erhobenen Kosten ausschließlich auf die Kostenrechnungen vom 07.09.,
04.12. und 20.12.2007 bezieht.
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Die Einwendungen der Antragstellerin haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Gemäß §§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JVKostO in
Verbindung mit §§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 JVKostG und Nr. 5 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 2
JVKostG hat der Antragsgegner zu Recht mit Kostenrechnungen vom 07.09., 04.12. und
20.12.2007 Gebühren in Höhe von jeweils 12,50 € für die Übersendung der
angeforderten Entscheidungsabschriften als elektronisch gespeicherte Daten erhoben.
Durch Art. XI des Gesetzes zur Änderung von landesrechtlichen Vorschriften aus Anlass
des Gesetzes der Modernisierung des Kostenrechts (Landeskostenänderungsgesetz –
LkostÄndG) vom 05.04.2005 wurde das Justizverwaltungskostengesetz des Landes
Nordrhein-Westfalen unter anderem in seinem § 1 und in der Anlage zu § 1 Abs. 2
geändert. Für die Überlassung einer gerichtlichen Entscheidung auf Antrag eines nicht
am Verfahren beteiligten Dritten ist nach Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 2 JVKostG pro
Entscheidung eine Gebühr von 12,50 € zu erheben. Diese Gebührenziffer findet
vorliegend Anwendung, weil die Antragstellerin nicht an den Verfahren des
Finanzgerichts N, in dem die überlassenen Entscheidungen ergangen sind, beteiligt
war.
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Zwar sind auch bei der Entscheidung über Einwendungen gegen einen Kostenansatz
die Gerichte gehalten, nicht nur die Anwendung einfachrechtlicher Bestimmungen zu
prüfen, sondern auch den höherrangigen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen (BverfG,
Beschluss vom 02.07.2008, Az.: 1 BvR 3006/07, Rn. 48). Bedenken gegen die
Vereinbarkeit der vorstehenden landesrechtlichen Regelung mit höherrangigem Recht
bestehen allerdings nicht. Der Antragstellerin ist zuzugestehen, dass dem
bundesdeutschen Abgabenrecht das sogenannte Kostendeckungs- bzw.
Äquivalenzprinzip immanent ist. Auch regelt Art. 6 der Richtlinie 2003/98/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.11.2003 folgendes: "Soweit Gebühren
erhoben werden, dürfen die Gesamteinnahmen aus der Bereitstellung von Dokumenten
und der Gestattung ihrer Weiterverwendung die Kosten ihrer Erfassung, Erstellung,
Reproduktion und Verbreitung zuzüglich einer angemessenen Gewinnspanne nicht
übersteigen. Die Gebühren sollten für den entsprechenden Abrechnungszeitraum
kostenorientiert sein und unter Beachtung der für die betreffenden öffentlichen Stellen
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geltenden Buchführungsgrundsätze berechnet werden." Die Höhe der in dem
Gebührenverzeichnis bestimmten Pauschale für die Überlassung von
Entscheidungsabschriften an, an dem Verfahren nicht beteiligte Dritte von 12,50 € wird
den europa- und bundesrechtlichen Anforderungen an die Erhebung einer Gebühr im
vorgenannten Sinne allerdings in vollem Umfang gerecht.
Die Gebühr steht in keinem Missverhältnis zu dem Prinzip der Kostendeckung. Dass bei
der Bestimmung der Gebührenhöhe diesem Prinzip Rechnung getragen wurde, ergibt
sich zunächst aus der Begründung des Gesetzesentwurfes der Landesregierung (vgl.
LTDrucks 13/6460, S. 29), in der zu der gegenständlichen Gebührenziffer wie folgt
ausgeführt wird: "Mit dieser Vorschrift wird ein Gebührentatbestand für die Übermittlung
gerichtlicher Entscheidungen auf Antrag von nicht am Verfahren beteiligten Dritten als
Nummer 5 in das Gebührenverzeichnis eingefügt; vorgesehen ist eine Gebühr von
12,50 €. Die derzeit geltende Regelung (§ 1 Abs. 1 JVKostG in Verbindung mit § 4
Absätze 1 und 2 JVKostO), wonach für die Überlassung von Abschriften gerichtlicher
Entscheidungen eine Dokumentenpauschale zu erheben ist, soll nicht mehr beibehalten
werden. Die angefallenen Beträge (für die ersten 50 Seiten der Entscheidung 0,50 € je
Seite, für jede weitere Seite der Entscheidung 0,15 €) deckten den entstehenden
Aufwand sehr häufig nicht ab, zumal in den meisten Fällen die so genannte
Kleinbetragsgrenze, unterhalb der Kostenbeträge nicht eingezogen werden, nicht
überschritten wurde. Diese Grenze liegt nach den Bestimmungen der
Landeshaushaltsordnung und den korrespondierenden Vorschriften im Justizbereich
(AV d. JM vom 17.Juli 2000 –5661- I B. 9 – in der Fassung vom 08.Juni 2004 – 5661-Z.
9) bei derzeit 7,50 €. Die vorgesehene Gebühr von 12,50 € trägt dem durchschnittlich
entstehenden Sach- und Personalaufwand (insbesondere: Heraussuchen der
Entscheidung, Anonymisierung der Entscheidung aus Gründen des Datenschutzes,
Fertigung der Ablichtungen, Übermittlung der Ablichtungen, Portokosten, Überwachung
des Zahlungseingangs) hinreichend Rechnung. Die Gebühr ist für die Überlassung
jeder einzelnen Entscheidung zu erheben. Dabei kommt es weder auf den Umfang der
Entscheidung noch auf die Art der Übermittlung (Brief, Telefax, E-Mail oder Datenträger)
an. Neben der Gebühr dürfen Auslagen (insbesondere Dokumentenpauschale oder
Datenträgerpauschale) nicht erhoben werden (Anmerkung 1 zu Nummer 5 des
Gebührenverzeichnisses)."
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Zur Substantiierung der Angemessenheit der Gebührenhöhe hat das Justizministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen in dem gegenständlichen Verfahren zudem mit
Schreiben vom 20.06.2008 Stellung zu genommen und einen Vergleich wie folgt
herangezogen: "Mit Gesetz vom 13.06.2006 (GV. NRW. S. 291) sind das Gesetz zur
Regelung des Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und
Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Kirchenaustrittsgesetz) und
das Gesetz über Kosten im Bereich der Justizverwaltung
(Justizverwaltungskostengesetz – JVKostG) dahingehend geändert worden, dass in
Verfahren zur Entgegennahme von Erklärungen des Kirchenaustritts eine Gebühr in
Höhe von 30,00 € erhoben wird. Die Austrittswilligen erscheinen in der Regel bei
Gericht, um ihren Austritt dort protokollieren zu lassen. Das Amtsgericht erteilt den
Austretenden eine Bescheinigung und unterrichtet zudem die maßgeblichen Stellen,
also die betroffene Kirche oder Religionsgemeinschaft und außerdem die
Finanzverwaltung. In einer Untersuchung des Landesrechnungshofs Nordrhein-
Westfalen aus dem Jahr 2005 hatte der Landesrechnungshof für jeden einzelnen Fall
einen personellen Zeitaufwand von mindestens 15 Minuten allein für die
Entgegennahme der Austrittserklärung ermittelt. Die Gebühr in Höhe von 30,00 € war
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deshalb als angemessen angesehen worden. Im Vergleich der Höhe der Gebühren für
den Kirchenaustritt (30,00 €) und für die Überlassung einer gerichtlichen Entscheidung
(12,50 €) ist demnach die Gebührenhöhe von 12,50 € durchaus angemessen."
Die Angemessenheit der Gebührenhöhe für die Entgegennahme von Erklärungen des
Kirchenaustritts ist mittlerweile mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
02.07.2008, Az.: 1 BvR 3006/07, bestätigt worden. Anhaltspunkte, die Anlass zu
Zweifeln an der Richtigkeit der Feststellungen des Landesrechnungshofes geben, sind
auch nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der vorgenannten
Entscheidung nicht ersichtlich, so dass die Beurteilung der Angemessenheit der in
diesem Verfahren beanstandeten Gebühr von 12,50 € durch einen Vergleich mit der für
einen Kirchenaustritt zu erhebenden Gebühr von 30,00 € durchaus geeignet ist. Bei
diesem Vergleich ist zwar festzustellen, dass die jeweilige Behörde einen Antrag auf
Übersendung von Entscheidungsabschriften in der Regel – in Gegensatz zu dem bei
Kirchenaustritt üblichen Verfahren – nicht von dem Antragsteller persönlich
entgegennimmt und somit der diesbezügliche Aufwand hinter demjenigen bei
Kirchenaustritten zurückbleibt. Die sich jedoch sodann anschließende Bearbeitung des
Antrags kann dagegen als mindestens gleich aufwendig bezeichnet werden, wenn sie
nicht sogar über das "Ausstellen einer Bescheinigung über den Kirchenaustritt und die
Benachrichtigung der betroffenen Kirche bzw. Religionsgemeinschaft und der
Finanzverwaltung" im Falle eines Kirchenaustritts hinausgeht, wenn dabei die von der
Landesregierung in ihrem Gesetzesentwurf beschriebenen Tätigkeiten (Heraussuchen
der Entscheidung, Anonymisierung der Entscheidung aus Gründen des Datenschutzes,
Fertigung der Ablichtungen, Übermittlung der Ablichtungen, Portokosten, Überwachung
des Zahlungseingangs) berücksichtigt werden. Eine andere Beurteilung ist auch nicht
unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass die gegenständliche Gebührenziffer auch
die Übermittlung der Entscheidungsabschriften als elektronisch gespeicherte Daten
umfasst. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann das Gericht hierin keinen,
den Aufwand der Übermittlung maßgeblich verringernden Umstand sehen. Durch die
Übermittlungsform erübrigen sich die vorzunehmenden Vorbereitungshandlungen wie
Heraussuchen der Entscheidungen, Anonymisierung und Erstellen des
Übermittlungsformats (Erstellen einer Datei bzw. eines Dateipakets im Vergleich zu
Fertigung von Ablichtungen) gerade nicht. Zwar entstehen keine Portokosten wie bei
der Übersendung von schriftlichen Entscheidungsabschriften, aber auch die modernen
Telekommunikationsmittel wie die E-Mail-Versendung über das Internet sind in der
Regel kostenpflichtig. Auch an dem Umfang der erforderlichen Überwachung der
Zahlungseingänge ändert sich auf Grund der Übermittlung der Entscheidungen als
elektronisch gespeicherte Daten nichts. Soweit die Antragstellerin einwendet, dass die
Übersendungen der Entscheidungen üblicherweise an eine Reihe von Empfängern,
meist Fachverlage, erfolge, so dass sich der auf jeden Empfänger entfallende Aufwand
verringere, darf letztlich nicht verkannt werden, dass die vom Landesrechnungshof als
angemessen betrachtete Gebühr für die Bearbeitung eines Kirchenaustritts einen Betrag
von 30,00 € beinhaltete und die gegenständliche Gebühr weit hinter diesem Betrag
zurückbleibt.
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Auch die Heranziehung der vom Bundesgesetzgeber in § 4 Abs. 2 JVKostO
angesetzten Dokumentenpauschale in Höhe von 2,50 € begründet keine Bedenken
gegen die Angemessenheit der Gebührenhöhe von 12,50 €. In § 4 Abs. 4 und Abs. 5
JVKostO wird weiter geregelt, dass im Falle der Übermittlung der Entscheidungen auf
Datenträgern je nach Speicherkapazität weitere 2,50 € bis sogar 50,00 € in Ansatz
gebracht werden können. Hieraus lässt sich die dahingehende Beurteilung des
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Bundesgesetzgebers entnehmen, dass in Einzelfällen Kosten sogar von bis zu 52,50 €
gerechtfertigt sein können. Umso mehr ist der, von dem Landesgesetzgeber ermittelte
Pauschalbetrag von 12,50 €, der eine weitere Datenträgerpauschale unter keinen
Umständen vorsieht, als durchschnittlich kostendeckend anzusehen.
Letztlich kann der Antragstellerin auch nicht darin gefolgt werden, dass die Möglichkeit
des § 1 Abs. 1 JVKostG in Verbindung mit § 4 Abs. 6 JVKostO, vom Ansatz der
Dokumenten- und Datenträgerpauschale ganz oder teilweise abzusehen, vom
Antragsgegner nicht hinreichend abgewogen wurde. Ein solches Absehen vom Ansatz
der Kosten ist dann zu erwägen, wenn die gerichtlichen Entscheidungen für Zwecke
verlangt werden, deren Verfolgung überwiegend im öffentlichen Interesse liegt. Der
allein von der Antragstellerin angeführte Umstand, dass die Entscheidung veröffentlicht
wird, vermittelt für sich genommen allerdings kein überwiegendes Interesse, welches
das Absehen von zu erhebenden Kosten rechtfertigen würde. In § 4 Abs. 3 JVKostO ist
die Erhebung einer Dokumentenpauschale von gerichtlichen Entscheidungen, die zur
Veröffentlichung in Entscheidungssammlungen oder Fachzeitschriften beantragt
werden, ausdrücklich vorgesehen. Diese Regelung erübrigte sich, wenn der
Gesetzgeber allein die Veröffentlichung einer Entscheidung als hinreichenden Grund,
von der Kostenerhebung gemäß § 4 Abs. 6 JVKostO abzusehen, angesehen hätte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 Abs. 1 S. 2 JVKostO in Verbindung mit § 14
Abs. 9 KostO.
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