Urteil des AG Menden vom 20.07.2005

AG Menden: flughafen, mittelbarer besitz, verkehrsunfall, vermögensschaden, flugzeug, abflug, maschine, firma, mietvertrag, polizei

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Amtsgericht Menden, 4 C 53/05
20.07.2005
Amtsgericht Menden
4. Abteilung des Amtsgerichts
Urteil
4 C 53/05
Schaden, Verkehrsunfall, Mietwagen, Verspätung, Flugtickets,
"quot;Theaterkartenfall"quot;
§ 823 BGB, § 7 StVG
Kein Schadensersatz für verfallene Flugtickets, wenn der Passagier bei
der Fahrt mit einem Mietwagen zum Flughafen durch einen
Verkehrsunfall aufgehalten wird und - mangels eingeplantem Zeitpolster -
zu spät eintrifft, so dass er sein Flugzeug nicht mehr bekommt.
Die Klage wird abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der
Beklagten tragen die Klägerin zu 1) 46 % und der Kläger zu 2) 54 %; ihre
eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht zuvor die Gegen-seite Sicherheit in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugunsten der Klägerin zu 1)
gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger machen Schadensersatzansprüche auf der Grundlage eines Verkehrsunfalles
geltend, der sich am 26.08.2004 um 8.15 Uhr in Menden ereignet hat.
Die Kläger wollten an diesem Tag zusammen mit einem anderen Paar, den Zeugen L und
T, zum Frankfurter Flughafen fahren, um von dort aus mit einem gebuchten und bezahlten
Flug der Gulf-Air nach Dubai in Urlaub zu fliegen. Der Abflug der gebuchten Maschine
erfolgte um 11.30 Uhr an diesem Tag.
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Um von Menden zum Flughafen Frankfurt zu gelangen, hatte der Kläger zu 2) bei der Firma
T einen Pkw VW-Golf gemietet (sogenannter One-Way-Mietvertrag). Der Mietwagen sollten
dann am Frankfurter Flughafen abgegeben werden. Auf den zu den Akten gereichten
Mietvertrag wird Bezug genommen.
Zur Unfallzeit um 8.15 Uhr befanden sich lediglich der Zeuge T als Fahrer und die Zeugin L
als Beifahrerin in dem Mietfahrzeug. Beide mussten die Kläger zunächst noch zu Hause
abholen, um dann nach Frankfurt weiterzufahren. Auf der Straße ‘An der Fingerhutsmühle’
kam es sodann zu einem leichten Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten versicherten
Kraftfahrzeug. Dabei sind an den Fahrzeugen allenfalls unwesentliche Schäden
entstanden. Jedenfalls sind bisher Schadensersatzansprüche der Autovermietungsfirma T
gegen den Unfallgegner nicht spezifiziert worden.
Der Zeuge T sah sich gleichwohl veranlasst, die Polizei hinzuzurufen, um eine
Unfallmitteilung aufnehmen zu lassen. Dies hat nach dem - bestrittenen -Vortrag der Kläger
45 Minuten gedauert. Sodann haben die Zeugen die Kläger abgeholt und gemeinsam fuhr
man zum Flughafen Frankfurt, wo die Rückgabe des Mietfahrzeuges aufgrund des zu
schildernden Unfallgeschehens weitere 30 Minuten in Anspruch genommen hat.
Gleichwohl sind die Kläger nach ihrem Vortrag gegen 11.00 Uhr am Notschalter der
Fluggesellschaft gewesen, wurden aber, da es sich um einen außereuropäischen Flug
handelte, nicht mehr in das Flugzeug gelassen, welches dann um 11.30 Uhr ohne sie
abflog.
Die Kläger wie auch die genannten Zeugen haben daraufhin -nach ihrem Vortrag- einen
anderen Flug buchen und bezahlen müssen und sind dann etwas später mit einem
anderen Flugzeug in den Urlaub geflogen.
Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger den Kaufpreis für die Hin- und
Rückflugtickets der Gulf-Air sowie jeweils eine Auslagenpauschale geltend, wozu sie
behaupten, aufgrund des zu späten Eintreffens seien die Flugtickets sowohl für den Hin-
wie auch für den Rückflug verfallen. Weiter macht der Kläger zu 2) Tankkosten geltend,
welche von der Mietwagenfirma T in Rechnung gestellt worden sind. Wegen der
Schadensbezifferung im Einzelnen wird auf Bl. 33 d. A. Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 1) 543,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-
punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2004 zu
zahlen;
2. an den Kläger zu 2) 633,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-
punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2004 zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, eine Schadensersatzanspruch könne den Klägern nicht
zustehen, weil lediglich ein mittelbarer Vermögensschaden geltend gemacht werde,
welcher vom Normzweck der durch das Unfallgeschehen verletzten Vorschriften nicht
umfasst sei. Darüber hinaus müssten sich die Kläger ein die Haftung ausschließendes
Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie viel zu spät losgefahren seien.
Hilfsweise bestreitet die Beklagte den geltend gemachten Schaden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Den Klägern steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von
543,00 € bzw. 633,13 € nebst Zinsen nicht zu.
Das Gericht ist der Ansicht, dass bei der vorliegenden Fallgestaltung bereits dem Grunde
nach Schadensersatzansprüche aus §§ 823 BGB, 7, 17 StVG, 3 Nr. 1 PflichtVersG gegen
die Beklagte nicht bestehen.
Vorliegend ist lediglich ein psychisch vermittelter, mittelbarer Vermögensschaden auf
Klägerseite entstanden, welcher vom Normzweck der bei dem Unfall verletzten Normen
nicht mehr umfasst sein kann, so dass eine Rechtsgutverletzung ausscheidet. Nach
Ansicht des Gerichtes hat sich vorliegend ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, für
welches der Unfallgegner und damit die Beklagte nicht einzustehen hat.
Durch den streitgegenständlichen Unfall ist bei den Klägern weder Körper, Gesundheit
noch Eigentum i.S.d. § 823 BGB verletzt worden, denn die Flugscheine blieben
unbeschädigt und die Kläger selbst unverletzt.
Darüberhinaus ist Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung die Differenzhypothese.
Danach war der Verkehrsunfall für den geltend gemachten Schadenseintritt nicht
ursächlich, denn die Aufwendungen für den Kauf der Flugtickets waren von den Klägern
bereits zuvor gemacht worden.
Allerdings bedarf das anhand der Differenzhypothese gewonnene Ergebnis noch einer
wertenden Überprüfung auf Grund allgemeiner schadensrechtlicher Grundsätze.
Vorliegend geht es um den Ersatz von durch das Schadensereignis vergeblich
gewordenen ("frustrierten") Aufwendungen. Einen solchen Ersatz hat der BGH in
Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur grundsätzlich abgelehnt.
Die von der Rechtsprechung zu diesem Grundsatz angeführten Ausnahmen betreffend die
Kommerzialisierung des Gebrauchswertes einer Sache sieht das Gericht vorliegend als
nicht gegeben an: So unterscheidet sich der von den Parteien angeführte und in der
Rechtsprechung diskutierte "Theaterkartenfall" vom vorliegenden dadurch, dass in jenem
Fall der Inhaber einer Theaterkarte auf dem Weg zur Theatervorstellung verletzt wird und
deswegen die Vorstellung nicht besuchen kann, während im vorliegenden Fall die Kläger
unverletzt zu Hause saßen und auf das Eintreffen der Zeugen L und T warteten. Die Kläger
hätten in dieser Situation ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt, auf andere Art und Weise
zum Flughafen Frankfurt zu gelangen und somit noch rechtzeitig den gebuchten Flug in
Anspruch zu nehmen.
Auch die angeführten Fälle des OLG Hamm (NJW 1998, 2292) und des OLG München
(NJW-RR 1986, 963) unterscheiden sich vom Vorliegenden dadurch, dass in jenen Fällen
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der Anspruchsteller jeweils selbst körperlich verletzt worden ist und verletzungsbedingt
nicht an einem geplanten Autorennen bzw. an einer geplanten Kreuzfahrt teilnehmen
konnte.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass bei den Klägern, die selbst nicht verletzt worden sind,
als einzig denkbare Rechtsgutverletzung nur der berechtigte Besitz an dem Mietfahrzeug in
Betracht kommt, und zwar in Form einer Besitzstörung durch Nichtbenutzenkönnen
während des Wartens auf die Polizei, der Unfallaufnahme und dergleichen. Im
Unfallzeitpunkt waren die Kläger jedoch nicht im Besitz des Mietfahrzeuges. Das
Mietfahrzeug wurde zu jenem Zeitpunkt allein von den Zeugen L und T benutzt, so dass die
Voraussetzungen des § 854 Abs. 1 BGB nicht gegeben waren. Für eine Besitzdienerschaft
des Zeugen T gegenüber dem Kläger zu 2) i. S. d. § 855 BGB fehlt es an der erforderlichen
Weisungsabhängigkeit. Ebenso hat das Gericht Zweifel daran, dass in diesem Verhältnis
ein mittelbarer Besitz i. S. d. § 868 BGB vorgelegen hat, da für das Vorliegen eines
Besitzmittlungsverhältnisses Anhaltspunkte nicht vorgetragen sind, ebensowenig für einen
Besitzmittlungswillen des Zeugen T und einen Besitzbegründungswillen des Klägers zu 2).
Nach allem fehlt es hier bereits an einer Rechtsgutverletzung auf Seiten der Kläger.
Darüber hinaus ist das Gericht der Ansicht, dass der geltend gemachte Schaden nicht mehr
vom Schutzzweck der verletzten Normen (insbesondere der StVO) umfasst ist, sondern
dieser bloß psychisch vermittelte, mittelbare Vermögensschaden dem allgemeinen
Lebensrisiko unterfällt. In diesem Zusammenhang kann auf das Beispiel eines
Verkehrsstaus infolge eines Verkehrsunfalles auf der Autobahn verwiesen werden. Auch
hier haben die im Stau stehenden Verkehrsteilnehmer gegen den Unfallverursacher, der -
wie hier - kein eigenes Rechtsgut des Geschädigten verletzt hat, keinen Anspruch auf die
infolge der Wartezeit bei anderen Verkehrsteilnehmern entstehenden Schäden. Es hieße
den Kreis der ersatzpflichtigen Schäden zu weit zu ziehen und damit unkalkulierbar zu
machen, wollte man auch solche Vermögensschäden in den Schutzzweck der
Straßenverkehrsnormen einbeziehen.
Selbst wenn man den vorstehenden Ausführungen nicht folgt und der Ansicht ist, den
Klägern stünde grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch aufgrund einer Besitzstörung
zu, so wäre ein solcher Anspruch nach Ansicht des Gerichtes jedenfalls infolge eines ganz
überwiegenden Mitverschuldens der Kläger i. S. d. § 254 BGB ausgeschlossen:
Das Unfallereignis hat sich nach dem eigenen Vortrag der Kläger um 8.15 Uhr an der
Fingerhutsmühle ereignet (die polizeiliche Unfallmitteilung vermerkt sogar eine Unfallzeit
um 8.25 Uhr). Weiter tragen die Kläger vor, der Abflug ihrer Maschine der Gulf-Air vom
Frankfurter Flughafen sei um 11.30 Uhr erfolgt. Hieraus lässt sich ohne Weiteres ableiten,
dass der Zeuge Michael T viel zu spät losgefahren ist. Es ist gerichtsbekannt (und durch
Anrufe des Gerichts im Informationszentrum des Frankfurter Flughafens sowie beim
Schalter der Fluggesellschaft Gulf-Air auch ausdrücklich bestätigt), dass bei
außereuropäischen Flügen Passagiere 2 Stunden vor der geplanten Abflugzeit sich am
Schalter der Fluggesellschaft einzuchecken haben. Die Kläger und die Zeugen Lund T
hätten daher spätestens um 9.30 Uhr am Flugschalter sein müssen. Zuvor war noch der
Mietwagen bei der Firma T abzugeben. Dies mag in die 2 Stunden mit einberechnet
werden. Für die Fahrtzeit von Menden zum Frankfurter Flughafen, welche gerichtsbekannt
rund 230 km beträgt, waren am 26.08.2004, einem Donnerstag, mindestens 2 ½ Stunden
Fahrtzeit anzusetzen, so dass die Kläger und die Zeugen von Menden um 7.00 Uhr hätten
losfahren müssen. Berücksichtigt man schließlich, dass der Zeuge T die Kläger erst noch
zu Hause abholen musste, so hätte der Zeuge schon vor 7.00 Uhr, etwa 6.45 Uhr,
unterwegs sein müssen und nicht erst um 8.15 Uhr. Eine solche Zeitkalkulation war von
dem Zeugen T und den Klägern gerade auch deswegen vorzunehmen, weil sie mit einem
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Mietwagen fuhren, dessen technische Zuverlässigkeit sie nicht kannten und bei dem, im
Falle eines Unfallgeschehens, mit einer zeitaufwändigeren Abwicklung - selbst bei
Bagatellschäden - zu rechnen war. Wäre danach der Zeuge T rechtzeitig gegen 6.45 Uhr
losgefahren, so wären die Kläger und die Zeugen trotz des im allgemeinen Lebensrisiko
liegenden Unfallgeschehens und den damit in Zusammenhang stehenden
Zeitverzögerungen noch so rechtzeitig am Flughafen gewesen, dass sie zu dem Flug noch
zugelassen worden wären. Wird aber ohne jedes Zeitpolster erst so spät losgefahren, dass
auch vorhersehbare und einzukalkulierende Risiken im täglichen Straßenverkehr (z. B.
auch ein Stau) keine Berücksichtigung finden, übernimmt dies der später Geschädigte in
sein eigenes allgemeines Lebensrisiko und ist ihm dies als ein die Haftung
ausschließendes Mitverschulden anzurechnen.
Unter Berücksichtigung aller Umstände war danach die Klage mit den
Nebenentscheidungen aus §§ 91, 100, 708 Nr. 11, 711 ZPO abzuweisen.
Das Gericht hat gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 ZPO zugunsten der Klägerin zu 1)
die Berufung zugelassen. (Hinsichtlich des Klägers zu 2) ist die Berufung bereits gemäß §
511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig). Nach Ansicht des Gerichtes hat die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung und kann der Fortbildung des Rechts dienen. Zudem dient die
Zulassung der Berufung einer möglicherweise divergierenden Entscheidung zwischen den
beiden Klägern.