Urteil des AG Mannheim vom 10.07.2009

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AG Mannheim Beschluß vom 10.7.2009, Go 2 XVII 1717/92
Überleitung von Pflichtteilsansprüchen eines Betreuten: Aufhebung der Ergänzungsbetreuung mangels
Erforderlichkeit
Leitsätze
1. Die Überleitung von Ansprüchen des Betreuten gegen den Drittschuldner (Pflichtteilsschuldner) auf den Träger
der Sozialhilfe bewirkt einen Gläubigerwechsel in Höhe der von diesem seit Fälligkeit des Anspruches geleisteten
Aufwendungen.
2. Damit die Überleitung nicht zu einer Besserstellung des Sozialamtes führt, erfolgt sie erst mit dem
tatsächlichen Erbringen von Leistungen. Dabei muss eine kausale Verknüpfung zwischen der Nichtleistung des
Drittschuldners und den erfolgten Leistungen des Sozialhilfeträgers bestehen.
3. Bei Pflichtteilsansprüchen des Betreuten erfolgt der Übergang nur in der Höhe, wie diese ihm nach §§ 19 Abs.
5, 92 Abs. 1 SGB XII anzurechnen gewesen wären, hätte der Pflichtteilsanspruch seit dem Erbfall zur Verfügung
gestanden.
4. Für die prüfung des Umfangs der übergeleiteten Ansprüche darf der Betreute anwaltlichen Rat in Anspruch
nehmen. Hierfür reichen die Beratungs- und Prozesskostenhilfe aus, eine Ergänzungspflegeschaft ist nicht
erfoderlich.
5. Zwar darf das Sozialamt seine Leistungen nicht von der vorherigen Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches
abhängig machen, es ist aber durch § 93 SGB XII hinreichend geschützt; die dortige Überleitung des
Pflichtteilsanspruches von seiner Geldentmachung durch den Betreuten unabhängig.
Tenor
Die mit Beschluss vom 12.03.2009 angeordnete Ergänzungsbetreuung wird aufgehoben.
Gründe
I.
1
Der Betroffene steht hinsichtlich der Aufgabenkreise Vermögenssorge, Aufenthalt und Gesundheitsfürsorge
unter Betreuung.
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Sein am 10.09.2008 verstorbener Vater schloss mit seiner zweiten Ehefrau, C. D. G., am 29.07.2003 einen
Erbvertrag (AS. 238). Nach III § 1 des Erbvertrages hat die Ehefrau ihren Ehemann zum Erben eingesetzt,
zum Nacherben ihre Kinder aus erster Ehe. Unter § 2 hat der Ehemann seine Ehefrau als Alleinerbin
eingesetzt. Der beurkundende Notar hat unter V auf die Pflichtteilsrechte hingewiesen.
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Nach dem Tod des Vaters des Betroffenen steht dem Betroffenen 1/4 der Erbmasse als Pflichtteil zu. Die
Höhe des Anspruchs ist ungeklärt, beläuft sich jedoch nach bisherigen Kenntnissen auf maximal ca. 14.000,00
Euro.
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Mit Schreiben vom jeweils 19.02.2009 an die Erbin (AS. 245) und an die Betreuerin des Betroffenen (AS. 246)
hat die Stadt, Sozialamt, die Pflichtteilsansprüche übergeleitet, da sie Eingliederungshilfe an den Betroffenen
leistet. Mit Schreiben vom 09.04.2009 (AS 273) kündigte das Sozialamt an, die Leistungen einzustellen, da der
Betroffen nicht den Pflichtteil gegenüber der Erbin geltend gemacht habe.
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Mit Beschluss vom 12.03.2009 (AS. 253) wurde Rechtsanwalt H. zum Ergänzungsbetreuer zur Durchsetzung
der Pflichtteilsansprüche des Betroffenen gegen die Erben eingesetzt. Der Ergänzungsbetreuer hat mit
Schriftsatz vom 24.03.2009 angeregt, die Ergänzungsbetreuung aufzuheben, da aufgrund der Überleitung der
Ansprüche auf das Sozialamt nichts mehr zu regeln sei. Die Aufhebung wurde mit Beschluss vom 27.04.2009
abgelehnt. Inzwischen hat das Sozialamt am 15.06.2009 dem Ergänzungsbetreuer eine Aufstellung übersandt,
wonach seit Eintritt des Erbfalls Leistungen in Höhe von ca. 24.000,00 Euro an den Betroffenen erbracht
worden seien.
II.
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Die Ergänzungsbetreuung war aufzuheben, da sie nicht erforderlich ist (§§ 1908 d Abs.1 Satz 1, 1896, Abs.
1+2 BGB).
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Es besteht eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge. Die Betreuerin ist im Rahmen der
Vermögenssorge verpflichtet zu überprüfen, ob und in welcher Höhe Pflichtteilsansprüche des Betroffenen
gegen die Erbin bestehen, die nicht auf das Sozialamt übergeleitet worden sind, weil sie entweder zum
Schonvermögen gehören oder weil noch keine Leistungen des Sozialhilfeträgers in dieser Höhe erfolgt sind.
Des Weiteren hat sie zu prüfen, ob mögliche Ansprüche im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen
gegenüber der Erbin überhaupt geltend gemacht werden sollen.
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Das Sozialamt hingegen ist berechtigt, übergeleitete Ansprüche gegenüber der Erbin direkt geltend zu machen.
Ansprüche gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Betroffenen stehen ihm nicht zu.
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1. Die Betreuerin hat, sofern dies dem Interesse des Betroffenen entspricht, den Pflichtteilsanspruch gegen die
Erbin geltend zu machen, soweit er nicht auf das Sozialamt übergeleitet wurde.
10 Die Überleitung wurde durch die Schreiben vom 19.02.2009 wirksam erklärt.
11 Nach § 93 Abs. 1 SGB XII kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige einen Anspruch der
leistungsberechtigten Person (hier: des Betroffenen) gegen einen Drittschuldner (hier: der Erbin) überleiten.
Dies gilt grundsätzlich auch bezüglich einmaliger Leistungen (hier: Pflichtteilsanspruch), im Hinblick auf
laufende Sozialhilfeleistungen (VGH, Urteil vom 02.02.1983, 6 S 2216/82, FEVS 33, 286).
12 Hinsichtlich des Anteils des Pflichtteilsanspruchs, der unter Berücksichtigung des übrigen Vermögens des
Betroffenen den Schonbetrag überschreitet, tritt durch die Überleitung ein Gläubigerwechsel ein, wonach das
Sozialamt gegenüber der Erbin allein anspruchsberechtigt ist (Gerenkamp, in: Mergler/Fink, SGB XII, Stand
August 2008, § 93 Rd.-Nr. 28). Der Übergang des Anspruchs auf den Sozialhilfeträger erfolgt bis zur Höhe der
von diesem seit Fälligkeit des Anspruchs geleisteten Aufwendungen. Nach Satz 3 der genannten Vorschrift
wird der Übergang des Anspruchs nur insoweit bewirkt, als bei rechtzeitiger Leistung des Drittschuldners die
Sozialhilfeleistung nicht erbracht worden wäre oder - wie hier - Aufwendungsersatz oder Kostenbeitrag von der
leistungsberechtigten Person zu leisten gewesen wäre. Das bedeutet , dass als fiktiver Tatbestand zu prüfen
ist, welche Leistungen nicht erbracht worden wären, wenn die geschuldeten Zahlungen durch den Drittschuldner
an die leistungsberechtigte Person zu dem Zeitpunkt bewirkt worden wären, zu dem der Leistungsberechtigte
sie erstmals hätte verlangen können. (Gerenkamp, a.a.O. § 93 Rd.-Nr. 31). Der Übergang dieses Anspruchs
auf das Sozialamt erfolgt aufgrund der Überleitung jedoch erst mit den tatsächlichen (nach dem genannten
Datum) erbrachten Leistungen des Sozialamts in deren Höhe(vgl. Gerenkamp, a.a.O. Rd.-Nr. 28, Münder, in
LPK-SGB XII, § 93 Rd.-Nr. 30). Es muss eine kausale Verknüpfung bestehen zwischen der Nichtleistung des
Dritten und der erfolgten Zahlung des Sozialhilfeträgers, damit der Sozialhilfeträger nicht im Wege der
Überleitung eine günstigere Lage erhält, als er sie hätte, wenn der Dritte an den Leistungsberechtigten gezahlt
hätte (Münder, a.a.O. Rd.-Nr. 35).
13 Danach sind die Pflichtteilsansprüche des Betroffenen nur in der Höhe auf das Sozialamt übergegangen, in der
Anrechnungen nach §§ 19 Abs. 5, 92 Abs. 1 SGB XII zu Lasten des Betroffenen auf die seit dem Todestag
des Erblassers erfolgten Zahlungen des Sozialhilfeträgers bis heute hätten erfolgen müssen, wenn dem
Betroffenen der Pflichtteilsbetrag umgehend seit dem Erbfall zur Verfügung gestanden hätte (vgl. Gerenkamp
a.a.O. Rd.-Nr. 37). Dies gilt jedoch nur insoweit, als der Pflichtteilsanspruch nicht im Rahmen des
Schonvermögens dem Zugriff des Sozialamts entzogen ist.
14 Da vorliegend nach bisheriger Sachlage die erbrachten Leistungen des Sozialamts den Pflichtteilsanspruch bei
Weitem übersteigen, kann es hier allenfalls darum gehen, zu klären, ob ein Teil des Pflichtteilsanspruchs dem
Schonvermögen zufällt
15 Um zu beurteilen, ob und in welcher Höhe ein Pflichtteilsanspruch besteht, der noch nicht übergeleitet wurde
und ob, gegebenenfalls wie er durchzusetzen ist, bedarf es großer Sachkunde. Daher ist die Betreuerin befugt,
anwaltschaftlichen Rat - gegebenenfalls im Rahmen der Beratungshilfe oder Prozesskostenhilfe - in Anspruch
zu nehmen. Ein Ergänzungsbetreuer ist hierzu nicht erforderlich.
16 2. Sollte das Sozialamt die Leistungen einstellen mit der im Schreiben vom 09.04.2009 angekündigten
Begründung, der Pflichtteilsanspruch sei vom Betroffenen nicht gegenüber der Erbin geltend gemacht worden,
wird es Sache der Betreuerin sein, im Rahmen der Vermögenssorge - gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme
eines Rechtsanwalts - dagegen vorzugehen. Denn das Sozialamt ist nicht berechtigt, Leistungen zu verweigern
mit der Begründung, der Leistungsempfänger müsse zuvor ihm zustehende Pflichtteilsansprüche realisieren.
Gem. § 2317 BGB steht dem Betroffenen der Pflichtteilsanspruch zwar zu, doch steht ihm frei, ob er diesen
geltend macht (vgl. BGH ZB 30/08, Beschluss vom 26.02.2009, zitiert nach Juris Rd.-Nr. 20; BGH ZR 116/92,
Urteil vom 08.07.1993, zitiert nach Juris Rd.-Nr. 10). Um den Grundsatz nachrangiger Hilfegewährung
gegenüber dem Sozialhilfeträger zu verwirklichen, um also zu vermeiden, dass Vermögen zu Lasten des
Sozialamts dem Betroffenen entzogen wird, sieht § 93 SGB XII die Möglichkeit der Überleitung des
Pflichtteilsanspruch in Höhe der erbrachten Leistung vor, und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene seinen
Pflichtteil in Anspruch nimmt ( BGH Urteil vom 08.12.2004, IV ZR 223/03). Den dem Sozialamt durch die
Überleitung allein zustehenden Anspruch in der übergeleiteten Höhe direkt gegen die Erbin - notfalls
klageweise- geltend zu machen, ist dann aber Sache des Sozialamtes. Dieses hat hierfür die Höhe des
Pflichtteilsanspruchs zu ermitteln und die Höhe der erbrachten Leistungen darzulegen. Die Erbin kann dann -
gegebenenfalls unterstützt durch den Betroffenen nach Streitverkündung und Nebenintervention - die Höhe
eines möglichen Schonvermögens darlegen.
17 3. Von einer von §§ 92, 93 KostO abweichenden Kostenentscheidung wird abgesehen, da bislang die Frage der
Erforderlichkeit einer Ergänzungsbetreuung im Hinblick auf die Überleitung von Pflichtteilsansprüchen im
hiesigen Gerichtsbezirk noch nicht entschieden wurde. Zumindest in Fälle wie dem vorliegenden, in dem ein
Betreuer/eine Betreuerin im Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt ist, ist - wie ausgeführt - keine
Ergänzungsbetreuung zur Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche erforderlich. Sollte dies in
gleichgelagerten Fällen erneut angeregt werden, könnten die Kosten nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG dem
Antragsteller auferlegt werden.