Urteil des AG Mannheim vom 23.01.2009

AG Mannheim (treu und glauben, zpo, gläubiger, steuergeheimnis, aug, beweismittel, zwangsvollstreckung, schuldner, auskunftspflicht, information)

AG Mannheim Urteil vom 23.1.2009, 4 C 14/08 WEG
Wohnungseigentum: Pflicht des säumigen Wohngeldschuldners zur Herausgabe des
Einheitswertbescheids und Auskunftsanspruch zur Beweismittelgewinnung für die
Anspruchsdurchsetzung
Leitsätze
1. Fortführung der Rechtsprechung vom 5.12.2008 (AG Mannheim, Az.: 4 C 1102/08).
2. Der Auskunftsanspruch zu dem Zweck, Beweismittel für die Durchsetzung eines Anspruches zu gewinnen,
besteht grundsätzliche nur dann, wenn er durch besondere Vorschriften angeordnet ist; Treuepflichten sind dazu
nicht ausreichend.
3. Der allgemeine Auskunftsanspruch steht unter dem Vorbehalt der "unbilligen Belastung", die bei der
bevorrangigten Befriedigung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gemäß § 10 I Nr. 2 ZVG beim säumigen
Wohngeldschuldner deshalb eintritt, weil der auf Grund des Vorrangs ausfallende dingliche Gläubiger bei ihm den
Ausfall geltend macht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf EUR 207,15 festgesetzt.
Gründe
1
(abgekürzt gem. § 313a ZPO)
2
Das erkennende Gericht hat mit Urteil vom 5.12.2008 (AZ: 4 C 1102/08) ausgeführt:
3
„Das BGB kennt keine allgemeine Auskunftspflicht, der Auskunftsanspruch setzt vielmehr eine besondere
Rechtsgrundlage voraus (Palandt-Heinrichs, a.a.O. §§ 260, 261 Rdnr. 3 + 4). Eine solche bietet das WEG
nicht.
4
§ 14 WEG kann hierfür nicht herangezogen werden, da die Vorschrift keine Anspruchsnorm darstellt
(Bärmann/Pick/Merle, WEG, 10. Aufl., § 14 Rdnr. 2). Auch das zwischen den Wohnungseigentümern
bestehende gesetzliche Schuldverhältnis bietet keine Grundlage für das klägerische Begehren. Zwar können
daraus Aufklärungs- und Informationspflichten abgeleitet werden, nicht eine solche, wie sie Gegenstand des
Streitfalles ist.
5
Beabsichtigt ein Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung und sucht deswegen bei den übrigen
Mitgliedern der Gemeinschaft um Zustimmung nach, ist er gehalten, diese über die voraussichtlichen
Beeinträchtigung zu informieren, weil dies im überragenden Interesse der Befragten liegt (BayObLG, NJW
2002, 71, 72). Im Entscheidungsfall liegen die Dinge anders. Die Klägerin geht zwar gegen einen mit
Hausgeldforderungen säumigen Wohnungseigentümer vor, weshalb ihr Befriedigungsinteresse ohne Zweifel
dasselbe Gewicht hat, wie ein um die Zustimmung zu einer baulichen Veränderung angegangenen
Wohnungseigentümer, aber die Rechtsordnung auferlegt grundsätzlich dem vollstreckenden Gläubiger das
Vollstreckungsrisiko, das zu verbessern der Schuldner nicht mitzuwirken verpflichtet ist. Bereits von diesem
Ausgangspunkt war der Anspruch nicht begründet (a.A. Derleder, ZWE 2008, 13, 15).
6
Dies bestätigt eine wertende Heranziehung der betroffenen Grundrechte im Fall. Die Ansprüche der Klägerin
unterfallen dem Schutz des Art. 14 GG, während das Steuergeheimnis der Beklagten durch die Art. 2 Abs. 1
iVm 1 Abs. 1 GG, sowie nach Art. 14 GG geschützt ist. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes
erlaubt das Steuergeheimnis nur Eingriffe, wenn es durch Gesetz eingeschränkt und dann nur soweit, wie es
zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist (BVerfGE 65, 1, 43f., 67, 100, 143). Wegen dieses
zweifachen Einschränkungsvorbehaltes hat die Verfassung grundsätzlich dem Steuergeheimnis den Vorrang
gegenüber dem durch Art. 14 GG geschützten Gebot der effektiven Zwangsvollstreckung eingeräumt, anders
ausgedrückt, die Wahrung des Persönlichkeitsrechts wiegt mehr als der Schutz des Eigentums an einer
Forderung. Diese Abwägung der kollidierenden Grundrechte verbietet die Zuerkennung, des von der Klägerin
verfolgten Eingriffs in das Steuergeheimnis der Beklagten.
7
Aber selbst dann, wenn die beiderseitigen Interessen als gleichwertig angesehen würden, wäre der mit der
Klage verbundene Eingriff in die Interessenssphäre der Beklagten am Maßstab der Erforderlichkeit zu messen
(Bärmann/Pick/Merle, a.a.O. § 14 Rdnr. 15). Diese ist hier zu verneinen, weil sich die Klägerin die erforderliche
Information auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann.
8
Im Grundsatz ist zutreffend, dass die Klägerin vom Rang nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nur dann profitiert, wenn
sie einen Einheitswertbescheid über in das zu vollstreckende Wohnungseigentum beim Versteigerungsgericht
vorlegen kann; denn sie hat das Überschreiten der Wertgrenze des § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG in der Form des §
16 Abs. 2 ZVG nachzuweisen (BGH, NZM 2008, 450, 451, Rdnr. 10f.). Die notwendige Information erhält sie
einerseits durch das Verkehrswertgutachten gemäß § 74a Abs. 5 ZVG (Schneider, ZMR 2008, 727, 728 mit
Fußn. 19), oder, falls ein solches nicht erhoben wird, durch den vom Vollstreckungsgericht gemäß § 54 Abs. 1
Satz 4 GKG vom Finanzamt eingeforderten Einheitswertbescheid (so BGH, a.a.O. S. 452, Rdnr. 16; kritisch
AG Potsdam, ZMR 2008, 750, 751). Zwar verweigern einige Vollstreckungsgerichte im Rahmen einer
beantragten Akteneinsicht, die Offenlegung des Einheitswertbescheides im Hinblick auf das bestehende
Steuergeheimnis (dazu Schneider, a.a.O. S. 730 mit Fußn. 36), doch muss die Einsicht auf die
Gerichtskostenrechnung erstreckt werden, mit deren Hilfe der Einheitswert nachweisbar iSd § 16 Abs. 2 ZVG
wird.
9
Stellt die vollstreckende Wohnungseigentümergemeinschaft einen eigenen Antrag gemäß § 10 ZVG, muss
zwar die vollstreckende Gemeinschaft zur Deckung der Gutachterkosten einen Vorschuss von etwa EUR
2.000,- einzahlen. Dieses Kostenrisiko ist vom Gesetzgeber auch im Rahmen der Zwangsverwaltung dem
vollstreckenden Gläubiger zugewiesen, der, wenn er es nicht erfüllt, zur Verfahrensaufhebung nach § 161 Abs.
3 ZVG führt. Die Durchführbarkeit des Verfahrens liegt daher allein im finanziellen Verantwortungsbereich des
Gläubigers, weshalb diese Zuweisung nicht durch die Begründung einer wie immer gearteten Mitwirkungspflicht
auf den Schuldner verschoben werden kann.
10 Die Problematik der Vorlage des Einheitswertsbescheids besteht seit langem. Bereits § 18 Abs. 2 WEG a.F.
ließ die „Abmeierungsklage“ nur zu bei Überschreiten der Hausgeldrückstände um den Mindestbetrag von 3%
des Einheitswertes. Wie zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG hat die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft in
diesem Falle das Nachweisproblem, falls der säumige Wohnungseigentümer den Einheitswert bestreitet. Allein
die Tatsache, dass das Bundesministerium der Justiz nach einer gesetzgeberischen Lösung strebt (Schneider,
a.a.O. S. 728 mit Fußn. 13), belegt hinlänglich, dass ein auf die Treuepflicht gestützter Anspruch des
klagenden WEG-Verbandes gegen den säumigen Wohnungseigentümer nicht besteht.
11 Auch § 792 ZPO bietet keine Anspruchsgrundlage gegen den säumigen Wohnungseigentümer auf Herausgabe
des Einheitswertbescheides (a.A. Alff/Hinzen, Rpfleger 2008, 165, 168). Die Vorschrift setzt voraus, dass der
Gläubiger die heraus zu begehrende Urkunde „zum Zwecke der Zwangsvollstreckung bedarf.“ Ist, wie im
Streitfall das rückständige Hausgeld gegen den Schuldner tituliert, stehen der Zwangsvollstreckung gegen den
säumigen Wohnungseigentümer keine Hindernisse entgegen. Dass die vollstreckende Gemeinschaft darüber
hinaus das Privileg des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG nutzen will, dafür bietet § 792 ZPO nach seinem Wortlaut keine
Hilfe.
12 Entsprechendes gilt zu § 836 Abs. 3 ZPO, weil danach nur die Herausgabe der Urkunden geschuldet ist, die
dem Gläubiger im Einziehungsprozess als Beweismittel für den Bestand, die Höhe, die Fälligkeit und die
Einredefreiheit der Forderung dienen (Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorl. Rechtsschutz, 3. Aufl., § 836
Rdnr. 6 mit Fußn. 31).“
13 Hieran hält das erkennende Gericht nach erneuter Sach- und Rechtsprüfung fest. Die seitens der Klägerin
dagegen im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Bedenken sind nicht von durch greifender Art. Im einzelnen:
14 Der allgemeine Auskunftsanspruch auf Grund bestehender Treuebeziehungen rechtfertigt weder die Vorlage
des Einheitswertsbescheids des säumigen Wohnungseigentümers noch dessen begehrte Verpflichtung das
zuständige Finanzamt insoweit von der Wahrung des Steuergeheimnisses zu befreien. Richtig ist zwar, das
gemäß der ständigen Rechtsprechung (vgl. u.a. BGHZ 97, 188, 192 = NJW 1986, 1755 = NJW-RR 1986, 803
Ls. = LM § 2287 Nr. 17; BGH, NJW-RR 1987, 1521 = LM § 242 BGB (Be) Nr. 59 = GRUR 1987, 647 -
Briefentwürfe) nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht besteht, wenn die zwischen den
Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise
über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung
seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der
Verpflichtete sie unschwer, d.h. ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag. Zwischen den Beteiligten
muss eine besondere rechtliche Beziehung bestehen. Dabei kann es sich um ein Vertragsverhältnis oder um
ein gesetzliches Schuldverhältnis handeln. Für einen Anspruch auf Auskunft (oder Rechnungslegung) als
Gegenstand eines Hilfsanspruchs ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass ein Leistungsanspruch dem
Grunde nach besteht (BGHZ 95, 274, 279 - GEMA-Vermutung I = NJW 1986, 1244). Darum geht es im
Streitfall nicht.
15 Die Klägerin besteht zwar mit dem säumigen Wohnungseigentümer in einer Sonderbeziehung, die Grundlage
von Treuepflichten sein kann, doch nicht in der begehrten Form. Die Auskunftspflicht wird nur angenommen,
wenn der Berechtigte über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist. Im Streitfall hat die
Klägerin ihre Ansprüche auf Entrichtung rückständigen Hausgeldes rechtskräftig tituliert, was bei der für den
Auskunftsanspruch vorausgesetzten Ungewissheit nicht möglich gewesen wäre, m.a.W. Bestand und Umfang
ihrer Rechte sind der Klägerin bekannt, sie bedarf hierzu keiner Unterstützung seitens des säumigen
Wohnungseigentümers.
16 Auch gibt es keinen allgemeinen Auskunftsanspruch eines Klägers, um Beweismittel zu gewinnen (BGH, NJW
1970, 751f. ), denn ein solcher Auskunftsanspruch nur zu dem Zweck, Beweismittel für die Durchsetzung eines
Anspruchs zu gewinnen, besteht grundsätzlich nicht, es sei denn besondere Vorschriften ordnen sie an ( BGH
, Urteil v. 22. 1. 1957 - VI ZR 334/55 - LM Nr. 2 zu § 259 BGB = NJW 57, 669). So liegen die Dinge hier. Zwar
begehrt die Klägerin kein Beweismittel, jedoch ein dem gleichstehendes Hilfsmittel, um ihre
Vollstreckungsaussichten zu verbessern. Wenn bereits der Auskunftspflichtige nicht daran mitwirken muss, die
Prozessaussichten eines Klägers zu verbessern, gilt das erst recht für die anschließende
Zwangsvollstreckung. Dies umso mehr, als die Mitwirkung nicht zur gesetzlichen Pflicht gemacht wird.
17 Das Begehren der Klägerin ist für den Beklagten unzumutbar. Auch wenn die Formulierung „sich die zur
Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst
beschaffen kann“, in dieser Weise zu verstehen wäre, steht die Mitwirkung des Wohnungseigentümers unter
dem Vorbehalt „unbilliger Belastung.“ Es kann dahinstehen, ob die Preisgabe des Steuergeheimnisses eine
solche Unbilligkeit darstellt, denn jedenfalls bewirkte sie in wirtschaftlicher Hinsicht, dass die vorrangige
Befriedigung der Klägerin zu Lasten des nachrangig dinglichen Gläubigers geht, der seinen Ausfall dem
säumigen Schuldner in Rechnung stellt, wiederum über den Weg kostenauslösender Titulierung. Im Ergebnis
vereinnahmt die Klägerin, hätte ihre Klage Erfolg, sämtliche Vorteile zum Nachteil des einzelnen
Wohnungseigentümers. Auch wenn die durch (zeitweise) Zahlungseinstellung hervorgerufene Verzugssituation
des Wohnungseigentümers sich auf sämtliche seiner Gläubiger auswirkt, widerstrebt der Vorrang des § 10 Abs.
1 Nr. 2 ZVG in der konkreten Umsetzung gleichmäßiger Befriedigung aller ( conditio par creditorum ) und damit
der Rechtsüberzeugung aller. Die begehrte Auskunft ist deshalb unbillig und vom säumigen
Wohnungseigentümer nicht zu fordern.
18 Soweit die Klägerin im Weiteren auf den Widerspruch hinweist, im vorliegenden Verfahren werde dem
Steuergeheimnis der Vorrang eingeräumt, während ihr im Zwangsversteigerungsverfahren Einsicht in den nach
§ 54 Abs. 1 Satz 4 GKG erhobenen Einheitswertbescheid gewährt werde, ist der Widerspruch nur scheinbar.
Die Klägerin erfährt durch die Streitwertangabe in der Gerichtskostenrechnung die Höhe des Einheitswertes
bzw. kann ihn ohne Mühe aus der in Rechnung gestellten Summe errechnen. Diese Gerichtskostenrechnung
ist in der Folge taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 1 ZVG, ohne dass ihn die
Klägerin zu Gesicht bekommen müsste.
19 Auch der weitere Hinweis, die Vollstreckungsgerichte würden den vom BGH empfohlenen Umweg über eine
Anmeldung in der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG, dem eine Anschließung zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG
folgt, dadurch unmöglich machen, dass sie das Rechtsschutzbedürfnis dann verneinen, wenn mit einer
Zuteilung in dieser Rangklasse nicht zu rechnen ist, überzeugt nicht.
20 Einmal mehr fordert die Klägerin vom Beklagten, Zulässigkeitshindernisse zu beseitigen, die nicht von ihm
beeinflussbar sind. Hierfür bietet Treu und Glauben keine Grundlage, da sie andernfalls Risikozuweisungen
verschiebt, die vom Gesetz vorgezeichnet sind. Könnte die Klägerin wie andere Gläubiger auch, nur die
Rangklasse Nr. 5 des § 10 Abs. 1 ZVG beanspruchen, sähe sie sich wie jene dem Risiko des Ausfalles
ausgesetzt. Dem Vollstreckungsschuldner erwächst aus der möglichen Unzulässigkeit des Rangbeitritts zur
Klasse 5 keine Pflicht.
21 Nach alledem war die Klage mit der sich aus § 91 ZPO ergebenden Kostenfolge abzuweisen, der Ausspruch
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 713 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3
ZPO, es waren angemessene 10% der titulierten Forderung zu Grunde zu legen.