Urteil des AG Lüdinghausen vom 12.11.2007

AG Lüdinghausen: fahrzeug, fahrverbot, brücke, geschwindigkeit, urlaub, ausfahrt, markierung, messung, augenschein, datum

Amtsgericht Lüdinghausen, 19 OWi 89 Js 1800/07 - 191/07
Datum:
12.11.2007
Gericht:
Amtsgericht Lüdinghausen
Spruchkörper:
19. Abteilung für Ordnungswidrigkeiten
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 OWi 89 Js 1800/07 - 191/07
Leitsätze:
Die Abstandsmessung mit dem Messsystem VAMA ist noch immer
standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH.
Neben den systemimmanenten Toleranzen sind Zusatztoleranzabzüge
beim VAMA-Verfahren auch trotz neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse
zu dem System nicht vorzunehmen.
Ein Berufsfeuerwehrmann kann aus seiner beruflichen Situation
keinerlei fahrverbotsrelevante Härten herleiten.
Tenor:
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Unterschreitung des
erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße von 150 EUR
verurteilt.
Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten,
Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach
Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens
jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der
Betroffene (§§ 4 I, 49 StVO, 24, 25 StVG).
G r ü n d e :
1
Der Betroffene ist ledig und kinderlos. Von Beruf ist er beamteter Berufsfeuerwehrmann
in D. Zu seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen hat er auf ausdrückliche
Nachfrage des Gerichts angegeben, diese seien gesichert und zwar so, dass es weder
zu einer Herabsetzung des im Bußgeldbescheid verhängten Bußgeldes, noch zu einer
Ratenzahlung allein auf Grund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
2
kommen müsse.
Ausweislich des Verkehrszentralregisterauszuges ist der Betroffene nicht vorbelastet.
3
Am 28.3.2007 um 10:48 Uhr befuhr der Betroffenen mit einem Pkw mit dem amtlichen
Kennzeichen _______ die Bundesautobahn 1 in B in Fahrtrichtung E2. Im Bereich
Kilometer 302, 328 betrug sein Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug bei einer
gefahrenen Geschwindigkeit von 150 km/h allenfalls 19 Meter. Bei Beobachtung der
erforderlichen und Ihm auch zumutbaren Sorgfalt hätte der Betroffene anhand der Länge
der Fahrtstrecke mit ähnlich geringem Abstand auch schon vor Eintritt in den
Messbereich der Autobahnpolizei am Tatort erkennen können und müssen, dass er den
erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug erheblich
unterschritt.
4
Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der nach Maßgabe des
Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten Beweisaufnahme. Der Betroffene hat
eingeräumt, Fahrer zur Tatzeit gewesen zu sein.
5
Die Abstandsmessung selbst ist auch ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die
Abstandsmessung wurde durch den Polizeibeamten Benstein mittels des sogenannten
Video-Abstands-Messverfahrens (VAMA) durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein
standardisiertes Messverfahren, bei dem der auflaufende Verkehr mit zwei
Videokameras von einer über der Autobahn führenden Brücke auf ein einziges
Videoband aufgezeichnet wird, wobei die eine Videokamera (linke Bildhälfte) den
Fernbereich bis über 500 Meter hinaus bis 100 Meter aufnimmt. Auf dem in der
Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videofilm wird unten links die Tatzeit,
unten Rechts das Datum und oben Rechts die Messzeit eingeblendet. Die Messzeit wird
unter Verwendung eines Charaktergenerators mit Zeiteinblendung ermittelt. Ausweislich
des urkundsbeweislich verlesenen Eichscheins des Eichamtes E vom 11.1.2006 ist der
Charaktergenerator am 10.1.2006 gültig bis zum 31.12.2007 geeicht worden. Neben
den beiden Kameras und dem Charaktergenerator auf der Autobahnbrücke ist noch eine
weitere – mit den anderen Kameras synchronisierte - Kamera in der Fahrbahnmitte im
Einsatz, die Frontalaufnahmen der Pkw´s vornimmt zwecks Fahreridentifizierung bzw.
der Kennzeichen der passierenden LKW. Aus dem Videofilm, welcher mittels der beiden
Kameras und des Charaktergenerators auf der Brücke erstellt wird, werden jeweils drei
Einzelbilder abgezogen, welche im Rahmen der Hauptverhandlung ebenfalls in
Augenschein genommen wurden. Auf die qualitativ guten Bilder Blatt 6 der Akte wird
Bezug genommen. Das erste Bild wird dabei stets so gewählt, dass sich das Fahrzeug
des Betroffenen mit den Vorderrädern unmittelbar vor dem Überfahren einer ersten auf
der Fahrbahn der Autobahn in einer Entfernung von 90 Metern vor der Brücke
aufgebrachten Markierungslinie befindet. Das zweite Bild zeigt das vorausfahrende
Fahrzeug in dem Augenblick, in dem dieses mit den Hinterrädern die zweite Markierung
erreicht, aber noch nicht überfahren hat. Das dritte Bild schließlich gibt das Fahrzeug
des Betroffenen zu dem Zeitpunkt wieder, in dem es mit den Vorderrädern gerade die 40
Meter-Markierung überquert. Vorliegend ergibt sich aus der in Augenscheinnahme der
Videoaufzeichnung und der hieraus gefertigten Videoprints, sowie der Bekundung des
Zeugen B, der die Erstellung der Videoaufzeichnung überwacht hat und ein
entsprechendes Einsatzprotokoll - dieses wurde ebenfalls wie auch der Eichschein
urkundsbeweislich verlesen - folgendes:
6
Zeitpunkt der Einfahrt des Fahrzeuges des Betroffenen in den Messbereich bei der 90
7
Meter Linie (oberstes Bild): 42:58:13
Zeitpunkt der Ausfahrt des vorausfahrenden aus dem Messbereich bei der 40 Meter
Linie (mittleres Bild): 42:58:88
8
Zeitpunkt der Ausfahrt des Fahrzeuges des Betroffenen aus dem Messbereich der 40
Meter Linie (oberstes Bild): 42:59:33
9
Bei einer Wegstrecke von 50 Metern errechnet sich hieraus eine Geschwindigkeit von
mindestens abgerundet 150 km/h. Aus der Zeitdifferenz zwischen dem Zeitpunkt der
Ausfahrt des Fahrzeugs des vorausfahrenden und des Fahrzeugs des Betroffenen aus
dem Messbereich errechnet sich ein Abstand von höchstens 19 Metern. Die errechneten
Messwerte enthalten Toleranzen aufgrund der Fahrzeugüberhänge des
vorausfahrenden Fahrzeuges, der Reifenaufstellflächen und der Frontpartie des
Fahrzeuges des Betroffenen, sowie der Strichbreiten von insgesamt 150 Zentimetern.
Auf der auf dem Videofilm erkennbaren Strecke der Autobahn 1 von insgesamt ca. 500
Metern ist das vorausfahrende Fahrzeug nicht vor dem Fahrzeug des Betroffenen
eingeschert. Vielmehr war klar zu erkennen, dass der Betroffene mit gleichbleibender
Geschwindigkeit und gleichbleibenden Abstand die gesamte durch die Kamera
einsehbare Strecke der Autobahn 1 hinter dem vor ihm fahrenden Fahrzeug geblieben
ist. Eine Verlangsamung des vor ihm fahrenden Fahrzeuges erfolgte nicht.
10
Die zuletzt in der Literatur aufgeworfene Frage, ob das Messsystem eventuell nicht als
standardisiertes Messverfahren anzusehen und damit eine Zusatztoleranzabzug
vorzunehmen ist, ist nach Ansicht des Gerichtes zu verneinen. Zwar enthält der im
VAMA-Verfahren eingesetzte Charaktergenerator nicht wie in der ursprünglichen PTB-
Zulassung und dem Gutachten der PTB in dem Verfahren OLG I 1 Ss OWi 426/92
angenommen eine interne Uhr, doch hat dies auf die Richtigkeit der Messung und die
juristische Einordnung des Messsystems als standardisiertes Messverfahren keinerlei
Einfluss. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die PTB mittlerweile insoweit die PTB-
Zulassung angepasst hat.
11
Auch mögliche Ungenauigkeiten durch einen falschen Kameraeinsatz konnten
ausgeschlossen werden. Der Zeuge B bestätigte nämlich, dass bei der Messung sog.
"PAL-Kameras" eingesetzt waren – auch insoweit hat die PTB reagiert und deren
Einsatz nunmehr durch Zulassungsergänzung vom 5.7.07 "vorgeschrieben".
Verschiedene Sachverständige hatten bekanntlich durch einfache Tests angebliche bis
zu 20 %ige Ungenauigkeiten festgestellt. Unter anderem wurde hierüber im Juli 2007 in
den Fernsehsendungen "WISO" und "Plusminus" berichtet. Man konnte hier etwa
sehen, dass neben der aufgebauten VAMA-Messeinheit eine funkgesteuerte Digitaluhr
aufgestellt war, die tatsächlich nach kurzer Laufzeit der Videokameras erheblichste
Zeitunterschiede zwischen dem "Charaktergenerator" und der Echtzeit erkennen ließ.
Der Messfehler solle sich so bei 20 % ansiedeln lassen. Folgerichtig solle das
Messgerät nicht mehr weiter eingesetzt werden. Diese "Messfehler" wurden aber durch
die Sachverständigen "konstruiert" - dies ergibt sich aus einer unüblich ausführlichen
veröffentlichten Stellungnahme der PTB vom 11.7.2007: "Der in der Fernsehsendung
gezeigte Charaktergenerator stellt in Verbindung mit den in Europa gebräuchlichen
PAL-Videokameras eine Uhr dar, die die gesetzlich geforderten Fehlergrenzen einhält.
Die kürzlich von kompetenten Stellen durchgeführten Versuche mit PAL-Videokameras
verschiedener Hersteller haben die Einhaltung der Fehlergrenzen eindrucksvoll
bestätigt. Unzulässige Überschreitungen der Fehlergrenzen ergeben sich nur bei einer
12
theoretisch denkbaren, in Deutschland jedoch nicht praktizierten Verwendung einer die
nordamerikanische Norm (NTSC) erfüllenden Videokamera. Bei Verwendung dieser
Kameras würde sich ein um ca. 20% systematisch größerer Abstand, und zwar ein
Abstand verbunden mit einer Begünstigung der betreffenden Autofahrer, ergeben. Auch
bei einer Geschwindigkeitsmessung ergäbe sich eine Begünstigung des betroffenen
Autofahrers um ca. 20%."
Bestätigt wird diese Einschätzung durch eine ebenfalls veröffentlichte Stellungnahme
des Sachverständigengutachtens Dr. M & Partner vom 23.8.2007, in der es ganz ähnlich
heißt: "Die auf dem Markt befindlichen Videokameras – ob geeicht oder nicht geeicht –
arbeiten durchweg sehr genau, was ihre Zeitbasis betrifft. Zu Messfehlern kommt es
daher mit einer nicht geeichten Videokamera nicht. Die Messfehler beim Einsatz des
Charaktergenerators von bis zu 20 % basieren auf einer in der Zulassung nicht
vorgesehenen und auch in der Praxis nie angewandten Kombination eines
Charaktergenerators mit einer Videokamera, die nicht nach dem PAL- sondern nach
dem NTSC-System arbeitete."
13
Das Gericht hat sich daher entgegen Burhoff/Grün, VRR 2007, 329 weder veranlasst
gesehen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, noch einen
Zusatztoleranzabschlag vorzunehmen.
14
Der Betroffene hat danach vorwerfbar zumindest fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit des
Verstoßes gegen die Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes gem. §§ 4
Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG begangen. Die Bußgeldkatalogverordnung sieht hierfür eine
Regelgeldbuße von 150 € vor, welche mangels ersichtlicher wesentlicher mildernder
oder schärfender Gründe weder zu erhöhen noch zu verringern war.
15
Des weiteren war ein einmonatiges Fahrverbot festzusetzen, da der Betroffene einen
Regelfahrverbotstatbestand durch die in Rede stehende Abstandsunterschreitung
verwirklicht hat.
16
Der Betroffene konnte keinerlei persönliche oder wirtschaftliche Härten für sich in
Anspruch nehmen, die ein Fahrverbot im konkreten Fall hätten unangemessen
erscheinen lassen.
17
Der Betroffene hat erklärt, das Fahrverbot treffe ihn sehr hart und zudem auch seine
Arbeitskollegen. Auch unter Berücksichtigung einer viermonatigen Abgabefrist nach §
25 Abs.II a StVG sei ihm eine Verbüßung des Fahrverbotes während der Urlaubszeit
nicht zumutbar. Wenn er einen vierwöchigen Urlaub nehme, so müsse er sich von den
Kollegen vertreten lassen. Er halte das für seine Kollegen für unzumutbar. Tatsächlich
sei es aber natürlich in 2008 möglich, vier Wochen Urlaub zu nehmen. Er habe nämlich
pro Jahr 25 Urlaubstage (Werktage). Da es dem Betroffenen durch die Gewährung der
vier-monatigen-Schonfrist durchaus möglich ist, das Fahrverbot komplett in seinen
Urlaub zu legen spielten mögliche Probleme des Betroffenen, seinen Arbeitsort zu
erreichen, keine Rolle.
18
Zudem hätte dem Betroffenen ohnehin als Beamten niemals der Verlust seines
Arbeitsplatzes konkret gedroht.
19
Das Gericht hat nicht verkannt, dass der Betroffene bislang nicht verkehrsrechtlich
vorbelastet ist. Es hat sich aber gleichwohl nicht dazu veranlasst gesehen, durch
20
angemessene Erhöhung der Geldbuße vom Fahrverbot abzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
21