Urteil des AG Lüdinghausen vom 28.09.2009

AG Lüdinghausen (geschwindigkeit, freies ermessen, technisches verfahren, fahrer, höchstgeschwindigkeit, eso, verwarnung, zeichen, einsatz, messgerät)

Amtsgericht Lüdinghausen, 19 OWi 89 Js 960/09 - 72/09
Datum:
28.09.2009
Gericht:
Amtsgericht Lüdinghausen
Spruchkörper:
Strafgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 OWi 89 Js 960/09 - 72/09
Leitsätze:
Zur Geltendmachung von Sonderrechten nach § 35 Abs. 1 StVO durch
Polizeibeamte im Rahmen einer privaten Fahrt.
Tenor:
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der
Betroffene.
(§§ 41 II, 49 StVO, 24 StVG) – TBNR: 11.3.6. BKat 141723
G r ü n d e :
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Der Betroffene ist ledig und hat keine Kinder. Von Beruf ist er Polizeibeamter. Zu seinen
wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen hat er auf ausdrückliche Nachfrage des
Gerichts angegeben, dass diese gesichert seien und zwar so, dass es weder zu einer
Herabsetzung des im Bußgeldbescheid verhängten Bußgeldes, noch zu einer
Ratenzahlung allein auf Grund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
kommen muss.
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Ausweislich des Verkehrszentralregisterauszuges ist der Betroffene
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nicht vorbelastet.
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Am 01.02.2009 befuhr der Betroffene gegen 15:19 Uhr in B außerorts die B ## im
Bereich "N". Er war hier der Führer eines asiatischen Kleinst- PKW mit dem amtlichen
Kennzeichen XXXXXXX . Im Bereich vor dieser Stelle ist die Geschwindigkeit auf 70
km/h reduziert und zwar von den außerorts üblichen 100 km/h Höchstgeschwindigkeit
durch zweimal wenigen hundert Metern Abstand voneinander wiederholte Zeichen ###.
Der gesamte Geschwindigkeitsbegrenzungsbereich ist 438 m lang. Zu Beginn der
Geschwindigkeitsbegrenzung ist an beiden Seiten der Straße aus Richtung des
Betroffenen gesehen deutlich erkennbar jeweils das Schild ### mit der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h aufgestellt. Etwa in der Mitte der Strecke befindet
sich die Messstelle. Unmittelbar an der Messstelle befindet sich eine zweite "70 km/h"-
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Beschilderung durch Zeichen ###. Die Messanlage selbst war eine solche des Typs es
3.0 des Herstellers eso. Dieses eichfähige Messsystem zur Geschwindigkeitsmessung
war zur Tatzeit gültig geeicht und wurde von dem Zeugen H am Tattage nach den
Herstellervorschriften in der Bedienungsanleitung des Messsystems aufgebaut. Der
Betroffene wurde von der Geschwindigkeitsmessanlage mit einer Geschwindigkeit von
105 km/h gemessen und bei der Überschreitung der Geschwindigkeit fotografiert. Nach
Abzug des erforderlichen Sicherheitsabschlages von 4 km/h ergab sich in soweit eine
vorwerfbare Geschwindigkeit von 101 km/h und somit eine Überschreitung von 31 km/h.
Der Betroffene hätte die aufgestellten Schilder erkennen können und seine
Geschwindigkeit hierauf einrichten müssen.
Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft eingeräumt.
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Der Betroffene hat sich dahin eingelassen, er sei am Tattage auf Besuch zu seinen
Eltern gewesen, die in M wohnten. Er sei in B von der Autobahn abgefahren. Auf der B
## habe er dann einen Mercedes-Sprinter der Mietwagenfirma E wahrgenommen.
Dieser Sprinter sei mit diversen Möbelstücken beladen gewesen, die hintere Ladetüre
habe offengestanden. Aus der Ladetüre habe ein Sofa herausgeragt, welches
beträchtlich gewackelt habe und auf die Fahrbahn zu stürzen gedroht habe.
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Der Betroffene habe sich darauf entschieden, sich in den Dienst zu versetzen und den
Fahrer des Fahrzeuges anzuhalten. Er habe Gas gegeben und sei dann von dem
mobilen ESO-System geblitzt worden. Etwa 1 bis 1 1/2 km nach der Messstelle habe er
das Fahrzeug vor ihm anhalten können. Er habe den Fahrer auf Englisch aufgefordert,
seine Ladung zu sichern. Das amtliche Kennzeichen des E-Fahrzeuges war dem
Betroffenen nicht mehr bekannt.
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Er habe jedoch die Personalien des Fahrers aufgeschrieben.
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Es handele sich um:
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Mr. B. ......... Columbus, OH #####.
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Er selbst habe dann als Polizeibeamter kein großes Aufheben um die Sache machen
wollen und den angeblichen Ladungssicherungsverstoß nicht wirklich ahnden wollen,
sondern lediglich eine mündliche Verwarnung ausgesprochen. Er hätte ja auch gar nicht
die entsprechenden Vorschriften gekannt, nachdem er den Verstoß zu ahnden hätte. Er
habe sich gedacht, dass der angehaltene Amerikaner sicher Gutes über Deutschland
sagen werde, wenn er kein Bußgeld zahlen müsse.
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Der Betroffene gestand zu, dass er den Vorfall weder dem Zeugen H , der ja gar nicht so
weit entfernt von der Anhaltestelle gewesen war, noch seiner eigenen Behörde
mitgeteilt hatte.
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Insbesondere erklärte der Betroffene auf Nachfrage des Gerichts, dass er keinerlei
Bemühungen unternommen hätte, den Einsatz z.B. als Arbeitszeit anerkennen zu
lassen von seiner Behörde oder auch einen nachträglichen Vermerk oder eine Anzeige
geschrieben hatte.
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Das Gericht konnte den angeblichen Fahrer des E-Fahrzeuges nicht ermitteln. Weder
bei der Firma E war der Fahrer bekannt, noch war eine Ladung in die V an die genannte
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Person zustellbar.
Der Betroffene erklärte ferner zu seiner dienstlichen Position, dass er im
Polizeipräsidium in X arbeite und zwar im Führungs- und Lagedienst und
dementsprechend nicht die Einhaltung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
kontrolliere. So erklärte er auch, dass er geglaubt habe, er könne den
Ladungssicherungsverstoß nur einfach so per Verwarnung ahnden, weil er hier ein
freies Ermessen habe, wie zu ahnden sei.
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Auf die Nachfrage des Gerichts, ob ihm denn gegebenenfalls der Bußgeldkatalog
bekannt sei und die Tatsache, dass der Bußgeldkatalog zunächst einmal eine gewisse
Bindungswirkung entfalten könne, erklärte der Betroffene, es sei ja wohl seine Sache,
wie er sein Ermessen ausübe. Das Gericht erstaunte dies um so mehr, als der
Betroffene selbst bzw. der Verteidiger des Betroffenen erklärte, der Betroffene kenne
sich in den Vorschriften über die Ahndung von Ladungssicherungsverstößen überhaupt
nicht aus.
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Unter Berücksichtigung aller Umstände, die sich aus der Einlassung ergeben ergibt
sich, dass es sich hier einmal mehr um eine konstruierte Geschichte eines
Polizeibeamten handelt, der einer Ahndung eines eigenen bußgeldbewährten
Verstoßes entgehen will.
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Maßgebliche Indizien hierfür sind:
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der Einsatz außerhalb seines eigenen örtlichen Zuständigkeitsbereichs
der Einsatz außerhalb seiner eigenen dienstlichen Zuständigkeit
die Ahndung eines Verstoßes ohne dienstliche Dokumentation
die völlig untypische Ahndung eines Ladungssicherungsverstoßes durch bloße
Verwarnung
die fehlende Bekanntgabe des Verstoßes am Tattage bei dem nur 1 km entfernten
Zeugen H
die Benennung eines ausländischen und nicht ladbaren Zeugen
das Fehlen eines amtlichen Kennzeichens trotz angeblich genauer Notiz der
Personalien des Betroffenen.
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Folgerichtig konnte sich der Betroffene nach Ansicht des Gerichtes nicht auf § 35 StVO
berufen.
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Die durch das Messgerät angezeigte Geschwindigkeit konnte durch
Inaugenscheinnahme des Messfotos und Verlesung der in das Messfoto "eingespielten"
Zahlen und Daten im Datenfeld des Messfotos festgestellt werden. Hier ließ sich eine
Geschwindigkeit von 105 km/h ablesen. Die ordnungsgemäße Beschilderung, wie sie
oben in den tatsächlichen Feststellungen genannt ist (wiederholte Beschilderung mit
Zeichen ### "70 km/h") wurde von dem genannten Zeugen bestätigt. Er bestätigte
sowohl den ordnungsgemäßen Aufbau des Messgerätes entsprechend der
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Bedienungsanleitung als auch die Kontrolle der Ordnungsgemäßheit der Beschilderung
vor und nach dem Messeinsatz. Insoweit wurde ergänzend das Messprotokoll vom
Tattage verlesen, aus dem sich ergab, dass keinerlei Besonderheiten bei der Messung
zu verzeichnen waren. Der Zeuge erklärte, dass das Messgerät zur Tatzeit gültig geeicht
gewesen sei. Bestätigt werden konnte dies durch Verlesung des sich bei der Akte der
befindenden Eichscheins, der eine ordnungsgemäße Eichung vom 05.03.2008 gültig
bis zum 31.12.2009 auswies.
Anhaltspunkte für etwaige Messfehler oder Fehlbedienungen sind dem Gericht nicht
bekannt geworden und wurden auch nicht geltend gemacht, so dass es nach den oben
genannten Feststellungen von einer ordnungsgemäßen und verwertbaren Messung
ausgehen konnte. Bei der mobilen Geschwindigkeitsmessanlage ES3.0 handelt es sich
um einen sog. Einseitensensor des Herstellers eso. Die Grundausstattung des ES3.0
besteht aus einem Sensorkopf auf Stativ, einer Rechnereinheit mit Messkarte, einem
berührungsempfindlichen Bildschirm, einer digitalen Fotoeinrichtung des Typs FE3.0
sowie entsprechendem Zubehör. Zur Verbesserung der Ausleuchtung des
Fotobereichs, insbesondere bei Dunkelheit, wird eine Blitzeinheit BE1.1 verwendet. Mit
dem System können Geschwindigkeitsmessungen mit Frontfotodokumentation zur
Fahreridentifikation entweder gleichzeitig in beide Fahrtrichtungen (zu- und abfließend)
oder für mehrere Spuren durchgeführt werden. Die Einzelmesswerte, die gleich oder
größer als ein vorgewählter Geschwindigkeitsgrenzwert (im vorliegenden Falle: 83
km/h) sind, bleiben im Rechner gespeichert und können per Speichermedium (USB2.0
Stick) auf einen anderen Rechner übertragen werden. Die Speicherung auf dem
Speichermedium erfolgt automatisch bei Messende. Den Kern der Anlage bildet der
Sensorkopf mit 5 optischen Helligkeitssensoren. Drei der fünf Sensoren überbrücken die
Straße rechtwinklig zum Fahrbahnrichtungsverlauf, der vierte und fünfte dagegen schräg
versetzt. Die Sensorebene mit allen fünf Sensoren ist in der Regel parallel zur Fahrbahn
ausgerichtet, wobei die Blickrichtung des Sensors über die Straße je nach
Einsatzbedingung auch abweichen kann. Das Messprinzip beruht bei dem ES3.0 auf
einer"Weg - Zeitmessung". Die Geschwindigkeit v eines Fahrzeuges ergibt sich dabei
aus der Messbasis s und der Zeit t, in der das zu messende Fahrzeug die Messbasis
durchfährt. Bei der Durchfahrt wird in jedem der 5 Sensoren ein Helligkeitsprofil des
gemessenen Fahrzeugs erfasst, digitalisiert und gespeichert. Aus den abgetasteten
Helligkeitsprofilen der drei parallelen Sensoren wird der zeitliche Versatz ermittelt, um
dann die Geschwindigkeit zu errechnen. Der Einseitensensor ES3.0 arbeitet
vollautomatisch, nachdem er nach den Herstellerangaben entsprechend der
Bedienungsanleitung aufgebaut wird (weitere Einzelheiten zum Messsystem: Grün in:
Burhoff/Neidel/Grün, Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen im Straßenverkehr, 1.
Aufl. 2007, Rn. 470 ff).
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Nach alledem geht das Gericht unter Bezugnahme auf AG Lüdinghausen NZV 2009,
205 davon aus, dass es sich bei dem Einseitensensor ES3.0 um ein so genanntes
standardisiertes Messverfahren im Sinne von BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081
handelt. Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches)
Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein
Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu
erwarten sind (BGH NJW 1998, 321).
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Der Betroffene war dementsprechend wegen fahrlässiger Überschreitung der
zulässigen Höchstgeschwindigkeit und folgerichtig wegen einer Ordnungswidrigkeit
nach §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG zu verurteilen, da er die aufgestellten Schilder
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hätte beachten und seine Geschwindigkeit hierauf hätte einstellen müssen.
Die hierfür im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße von 120 Euro erschien
mangels ersichtlicher wesentlicher mildernder oder schärfender Gründe auch hier
angemessen und war weder zu erhöhen noch zu verringern war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO, 46 OWiG.
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